AW: Journalist beim DDR-Rundfunk
aus:
Neue Deutsche Presse Nr.1 / 1976
von Heinz Schulze
Der Programmsprecher im Regionalsender
"Es ist unserem Hörer völlig egal, ob da ein Moderator, Sprecher-Redakteur, Studioredakteur, Programmjournalist oder ein Redakteur am Mikrofon sitzt - gut muß er sein und das im umfassenden Sinne". Diesen Gedanken von Jürgen Schulz (NDP 23/75) kann ich nur dick unterstreichen. Braunkohlekumpel aus Greifenhain sagten das ganz einfach so:
"Wenn wir früh das Radio einschalten, dann wollen wir jemanden hören, der selbst ausgeschlafen hat, der gute Laune verbreitet und der uns erklärt, was es Neues gibt in der Welt, in unserem Land, in unserem Bezirk."
So finde ich, daß wir erstens mit dem scheußlichen Wort Moderator endlich aufhören sollten in der Öffentlichkeit zu operieren. Wie soll der arme Hörer verstehen, was damit eigentlich gemeint ist, wenn wir uns selbst noch nicht einmal klar darüber sind. Mit dem Wörterbuch der sozialistischen Journalistik (Leipzig 1973), wonach Moderator aus dem lateinischen kommt (moderare) und "mäßigen, mildern, einschränken" heißt, geben wir wohl keine allzu gute Figur ab.
In aktuell-politischen Magazinen gibt es einen Moderator, im Telelotto auch. Das Variete-Programm der KGD oder im Fernsehen sagt ein Moderator an, in der Disko an der Ecke spricht auch einer. Lange kann's eigentlich nicht mehr dauern, bis sich der ununterbrochen redende Losverkäufer in der Rummelplatzbude auch Moderator nennt. Das kann doch nur Verwirrung stiften. Also' hören wir auf, uns in der Öffentlichkeit auf diese Weise interessant zu machen. Nutzen wir dieses aus westlichen Gefilden herüber gewehte Modewort bestenfalls zur Selbstverständigung.
Zweitens, so finde ich, macht die Meinung der Kohlekumpel deutlich: Der Programmsprecher eines aktuell-politischen Morgenmagazins hat eine ganz andere Aufgabe, als sein Kollege in der Magazinsendung am Nachmittag oder Abend. Letzterer hat es vorwiegend mit einem Publikum zu tun, für das der Tag im wesentlichen gelaufen ist, das Zeit hat oder sich, bewußt Zeit nimmt, um sich informieren zu lassen. Hier geht es, ohne dem Bierernst, der Reserviertheit oder Langeweile das Wort reden zu wollen, doch in erster Linie sachlich zu. Der morgendliche Hörer ist aber eben erst vom Wecker aus den 'Träumen gerissen worden, er will munter gemacht werden, er soll Schwung und gute Laune für den ganzen Tag mit auf den Weg nehmen.
Dazu erwartet er interessante Informationen, ein paar überzeugende Argumente, die genaue Zeit und Musik. Er erwartet die heitere, geistvolle Randglosse des Sprechers und keine dämlichen Witze. Das alles zwischen Waschbecken, Kinderzimmer und Kaffeetisch. Da hat ein selbst noch gähnender Mensch vor dem Rundfunkmikrofon keine Chancen. Ein Hans-Georg Stengel allein hilft ihm auch nicht weiter .
Voraussetzung: Kontakt mit den Hörern
Wie ist das im Cottbuser Regionalprogramm, das es ja fast nur mit "morgendlicher Laufkundschaft" zu tun hat? Wer repräsentiert den Sender täglich von 5.00 bis 8.00 Uhr in der Öffentlichkeit? Es sind ausschließlich Kollegen mit längerer Reportererfahrung, die möglicherweise in der dreistündigen Sendung auch eigene Bandaufnahmen aus dem Betrieb X anzusagen haben, und die nach der Sendung rausfahren, um als Reporter einen Auftrag für das Nachmittagsmagazin bei Radio DDR zu produzieren. Zugegeben, das ist hart. Das ist auch der Extremfall. Aber die Praxis hat uns gelehrt, daß vielseitige Reportertätigkeit die wirkungsvollste Schule für ein sicheres Agieren am Originalstudio-Mikrofon ist. Während der Arbeit mit dem Reportermikrofon bilden sich am besten alle Eigenschaften aus, die ein Moderator besitzen muß, wenn er ankommen will. Vor allem Kontaktfreudigkeit, Beweglichkeit, Sicherheit. Wer jahrelang, direkten Kontakt zu seinen Hörern in Kohlegruben, Kraftwagen, Glasbetrieben, Textilfabriken, auf Baustellen oder in Verwaltungen hat, der kennt schließlich die Sprache seines Publikums und weiß, wie es anzusprechen ist. Wer mehrmals seine schöne Schreibtischkonzeption für eine Reportage am Aufnahmeort blitzschnell über den Haufen werfen mußte, der verarbeitet auch zwischen zwei Musikdarbietungen einen Anruf der Verkehrspolizei, der kann auch ohne Zittern in der Stimme das Telefon original auf den Sender schalten lassen und sich souverän mit der Person am anderen Ende der Leitung in aller Öffentlichkeit unterhalten. Ein solcher Moderator hat. die größten Chancen, selbst einen Eisblock aufzutauen, der als Partner, zwar vorbereitet (meist sogar zu gut) aber doch zitternd, zum Originalgespräch im Studio erscheint.
Schließlich muß unser Mann, oder bitte sehr auch die Frau, am Mikrofon in der Lage sein, die verschiedenen, von Redakteuren aufbereiteten Informationen an der richtigen Stelle im laufenden Programm zu plazieren und ihnen seine individuelle Handschrift zu geben. Und 'noch etwas: Wir erwarten von unseren Kollegen am Studiomikrofon, daß sie Originalreportagen von draußen etwas geistvoller ansagen als " ... Ich rufe meinen Kollegen X ... , Guten Tag, Kollege X ", daß die Absage mehr enthält als: " schönen Dank Kollege G." Kurz: der - Programmsprecher muß mitreden können, und er muß sogar dem Kollegen, der draußen mit viel Herzklopfen seine erste Originalreportage macht, notfalls der geschickt in die Bresche springende "rettende Strohhalm" sein.
Unterschiedliche Temperamente
Das sind hohe Anforderungen, die selbstverständlich ein gut eingespieltes Kollektiv voraussetzen. Wir werden ihnen auch nicht pausenlos lupenrein gerecht. Wir haben unterschiedliche Charaktere und Temperamente vor dem Mikrofon und die Tagesform ist ebenfalls verschieden. Es sind auch schon Kollegen gescheitert. Aber das waren ausschließlich Mitarbeiter, denen (aus welchem Grunde auch immer) der Kontakt nach draußen und die Erfahrung mit dem Reportermikrofon fehlte. Keine Sektion wird hier fertige Moderatoren schicken können. Deshalb muß derjenige scheitern, der den rauhen Alltag, die Auseinandersetzung und die Beratung mit seinem Publikum meidet und glaubt, im sterilen Studio als Sprachästhet die Hörer begeistern zu können. Das heißt nicht, daß Sprachschluderei geduldet werden kann. Nuschelnde Schnellsprecher und Leute, die persönliche Note mit "Masche" verwechseln, die beim Lesen von Manuskripten in Monotonie verfallen, können selbst das beste Argument zertöppern. Für sie sollte das Studiomikrofon geschlossen bleiben.
"Belegte" Stimmen nicht gefragt
Gleiches gilt für hemmungslose "Dialektiker", die sich nicht im geringsten mit einem höflichen Hochdeutsch anfreunden wollen. Sympathie gehört nun mal zur Überzeugung. Die stimmliche Veranlagung ist dabei nicht minder wichtig. Aber daran ist wohl selbst bei bestem Willen nicht viel zu ändern. Was das Bedauerliche dabei ist: Mancher ist ehrlich davon überzeugt, gut zu sein, nur merkt er nicht, daß seine ständig belegte oder zu flache Stimme der fleißigen Arbeit eines ganzen Kollektivs den beabsichtigten Effekt versagt, weil sie nicht geeignet ist, die psychologische Brücke zum Hörer zu schaffen, schon gar nicht über mehrere Stunden.
Wer Verantwortung trägt, sollte es merken, und jene, die unbeabsichtigt ins Leere reden, ganz kameradschaftlich auf ihre Grenzen aufmerksam machen. Das verlangt natürlich gleichermaßen nach Reserven zu suchen: Die dürften sogar ohne große Mühe bei den meisten Sendern noch zu finden sein. Im übrigen lohnt es sich, darüber weiter die NDP als Tribüne unseres Erfahrungsaustausches zu nutzen.