Radio-Musikgeschmack am Telefon abgefragt – ein Erfahrungsbericht

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guenti

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Als Musikarbeiter warte ich schon seit vielen Jahren auf diesen Anruf: „Hallo, hier Meinungsforschungsinstitut XY, wir machen im Auftrag des Radiosenders XY eine Telefonumfrage. Dürfen wir Ihnen Musik vorspielen und Sie sagen uns, ob sie Ihnen gefällt und Sie diese weiter im Radiosender XY hören möchten?“
So nun endlich geschehen im April an meinem Festnetzhörer. Zum Handkuss komme ich, weil ich im amtlichen Telefonbuch aufgeführt bin, bestätigt die korrekte Dame am Ende der Leitung, und zusätzlich: Sie wisse nicht, wer den Fragebogen erstellt hat, sie versehe nur ihren Job am Hörer.
Die handelnden Institutionen:
Meinungsforschungsinstitut: http://www.makam.at
Auftraggeber: Radio 88.6 – Der Musiksender http://www.musiksender.at

Nachdem ich meine Radio-Hör-Häufigkeit („Wie oft hören Sie Radio in der Woche? Wie oft hören Sie den Sender 88.6?“), mein Alter sowie Wohnort mit Postleitzahl abliefere, klappt das mit dem Musik-Einspielen nicht, aber bald kann es dann doch los gehen. Und schon trudelt die erste Bestätigung meiner hartnäckigsten Vorurteile ein: Die Qualität über Telefonhörer ist grottenschlecht, ich muss mich richtig bemühen, auch mir wirklich hinlänglich bekannte und vertraute Nummern zu identifizieren, schlicht weil das „Akustikgemisch“ undeutlich und wie aus der Ferne zu hören ist, das wirklich Schlimme kommt aber noch: Die Musikausschnitte sind nur fünf Sekunden lang, durch die Bank, das wird mir auf meine Nachfrage auch bestätigt. Teilweise waren die Bespiele schon nach dem Start wieder zu Ende: also mehr als drei Sekunden waren das dann nicht! Ja, und insgesamt 30 Titel habe ich gestreift. Das wurde mir vorher natürlich nicht mitgeteilt, sodass ich nach 20 Stück schon irgendwie nicht mehr wollte und rätselte, wie das denn alles ausgehen werde ...? Also in eine positive Stimmung, in der ich meiner Lieblingsmusik (die bei den 30 Snippets nicht dabei war) mit Freude gute Noten geben kann, war ich nicht versetzt.
Erkannt habe ich Brian Adams „Back to you“, Eric Claptons „Look into my father’s eyes“, Supermaxx’ „Lovemachine“, „Follow me“ von Uncle Cracker und das eine oder andere Lied so gut es halt ging ...
Und ein Erfahrungswert solcher Umfragen bestätigte sich auch bei mir: Wenn ich etwas nicht kannte, rutschten mir die schlechtesten Noten raus, einfach so, ohne viel Nachdenken, ohne Mitleid – schon ein wenig im Selbstmitleid badend.
Gefragt wurde ich zu jedem Musikbeispiel:
- Kennen Sie diesen Titel?
- Gefällt Ihnen diese Musik? Benoten sie nach Schulnoten von 1 bis 5.
- Wollen Sie diesen Titel weiter im Radio hören, ja oder nein?
Ich muss mir nicht den Kopf des Auftraggebers zerbrechen, aber ein bisschen möchte ich das doch tun:
Sollen diese unter fragwürdigen Umständen erhobenen Musikpräferenzen wirklich die Grundlage für programmatische Entscheidungen eines Musiksenders sein? Wenn dem so ist, dann wird das Publikum wohl eher als Feind denn als Freund definiert. Ich habe zudem das untrügliche Gefühl, dass die Ergebnisse solcher Telefonumfragen nicht dazu dienen, um den Zuhörern ein für sie interessanteres, wesentlicheres Programm zusammenzustellen, sondern der Werbewirtschaft researchte Hard Facts für das Formatradioklangtapetenprogramm vorlegen zu können. Ob die gesendete Musik dem Publikum außer dem berühmten Bitte-nicht-stören-Effekt noch irgendetwas vermitteln kann (gar Emotion, Identifikation ...?) ist nebensächlich. Kommt der Telefonanruf der Meinungsforschung kann man mit dem Rücken zur Wand nur ein bisschen „ja“ und „nein“ stammeln und Schulnoten von sich werfen. Die Musikschaffenden werden diesem Akt der Musikinstrumentalisierung wohl außer der finanziellen Abgeltung nichts Positives abgewinnen können. Das Publikum nach ein wenig Nachdenkzeit wohl auch nicht – aber die bekommt es nicht.

Quelle. Wildner Music News April 2009 (attached)
 

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Als Musikarbeiter warte ich schon seit vielen Jahren auf diesen Anruf: „Hallo, hier Meinungsforschungsinstitut XY, wir machen im Auftrag des Radiosenders XY eine Telefonumfrage. Dürfen wir Ihnen Musik vorspielen und Sie sagen uns, ob sie Ihnen gefällt und Sie diese weiter im Radiosender XY hören möchten?“
So nun endlich geschehen im April an meinem Festnetzhörer. Zum Handkuss komme ich, weil ich im amtlichen Telefonbuch aufgeführt bin, bestätigt die korrekte Dame am Ende der Leitung, und zusätzlich: Sie wisse nicht, wer den Fragebogen erstellt hat, sie versehe nur ihren Job am Hörer.
Die handelnden Institutionen:
Meinungsforschungsinstitut: http://www.makam.at
Auftraggeber: Radio 88.6 – Der Musiksender http://www.musiksender.at

Nachdem ich meine Radio-Hör-Häufigkeit („Wie oft hören Sie Radio in der Woche? Wie oft hören Sie den Sender 88.6?“), mein Alter sowie Wohnort mit Postleitzahl abliefere, klappt das mit dem Musik-Einspielen nicht, aber bald kann es dann doch los gehen. Und schon trudelt die erste Bestätigung meiner hartnäckigsten Vorurteile ein: Die Qualität über Telefonhörer ist grottenschlecht, ich muss mich richtig bemühen, auch mir wirklich hinlänglich bekannte und vertraute Nummern zu identifizieren, schlicht weil das „Akustikgemisch“ undeutlich und wie aus der Ferne zu hören ist, das wirklich Schlimme kommt aber noch: Die Musikausschnitte sind nur fünf Sekunden lang, durch die Bank, das wird mir auf meine Nachfrage auch bestätigt. Teilweise waren die Bespiele schon nach dem Start wieder zu Ende: also mehr als drei Sekunden waren das dann nicht! Ja, und insgesamt 30 Titel habe ich gestreift. Das wurde mir vorher natürlich nicht mitgeteilt, sodass ich nach 20 Stück schon irgendwie nicht mehr wollte und rätselte, wie das denn alles ausgehen werde ...? Also in eine positive Stimmung, in der ich meiner Lieblingsmusik (die bei den 30 Snippets nicht dabei war) mit Freude gute Noten geben kann, war ich nicht versetzt.
Erkannt habe ich Brian Adams „Back to you“, Eric Claptons „Look into my father’s eyes“, Supermaxx’ „Lovemachine“, „Follow me“ von Uncle Cracker und das eine oder andere Lied so gut es halt ging ...
Und ein Erfahrungswert solcher Umfragen bestätigte sich auch bei mir: Wenn ich etwas nicht kannte, rutschten mir die schlechtesten Noten raus, einfach so, ohne viel Nachdenken, ohne Mitleid – schon ein wenig im Selbstmitleid badend.
Gefragt wurde ich zu jedem Musikbeispiel:
- Kennen Sie diesen Titel?
- Gefällt Ihnen diese Musik? Benoten sie nach Schulnoten von 1 bis 5.
- Wollen Sie diesen Titel weiter im Radio hören, ja oder nein?
Ich muss mir nicht den Kopf des Auftraggebers zerbrechen, aber ein bisschen möchte ich das doch tun:
Sollen diese unter fragwürdigen Umständen erhobenen Musikpräferenzen wirklich die Grundlage für programmatische Entscheidungen eines Musiksenders sein? Wenn dem so ist, dann wird das Publikum wohl eher als Feind denn als Freund definiert. Ich habe zudem das untrügliche Gefühl, dass die Ergebnisse solcher Telefonumfragen nicht dazu dienen, um den Zuhörern ein für sie interessanteres, wesentlicheres Programm zusammenzustellen, sondern der Werbewirtschaft researchte Hard Facts für das Formatradioklangtapetenprogramm vorlegen zu können. Ob die gesendete Musik dem Publikum außer dem berühmten Bitte-nicht-stören-Effekt noch irgendetwas vermitteln kann (gar Emotion, Identifikation ...?) ist nebensächlich. Kommt der Telefonanruf der Meinungsforschung kann man mit dem Rücken zur Wand nur ein bisschen „ja“ und „nein“ stammeln und Schulnoten von sich werfen. Die Musikschaffenden werden diesem Akt der Musikinstrumentalisierung wohl außer der finanziellen Abgeltung nichts Positives abgewinnen können. Das Publikum nach ein wenig Nachdenkzeit wohl auch nicht – aber die bekommt es nicht.

Quelle. Wildner Music News April 2009 (attached)

Jetzt geht das wieder los mit den Musikschaffenden. Lass mich raten: alle österreichischen Musikschaffenden fühlen sich beleidigt, ausgegrenzt und zutiefst enttäuscht über solche Telefonumfragen, oder? :wall:
 
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