AW: Kirchliches Internetradio
Hallo Daniel,
das ist ein schwieriges Unterfangen - wenn ihr es macht, ist es mutig, wenn ihr es nicht macht, realistisch. Das ist zwar hart, aber - wem schreibe ich das - so ist das Leben nun mal. Für einen Christen sicherlich leicht nachvollziehbar: Die Leiden Christi in den Zeiten des Web 2.0, wenn ich das mal etwas locker formulieren darf.
Im wesentlichen möchte ich mich dem StageManager75 anschließen: 24/7 ist, rein technisch betrachtet, nicht das Problem. Und Live-Moderation kommt grundsätzlich immer besser als vorproduzierte Beiträge. Betrachte hier den Begriff "podcast" ruhig mal als Damoklesschwert: Warum etwas live einschalten, wenn ich es mir runterladen kann (und dann muss ich es erst mal überhaupt wollen!).
Auch die Ausrichtung und die Inhalte betreffend, musikalisch wie redaktionell, sehe ich ähnliche Probleme wie StageManager75. Der hat das schon ganz gut ausgearbeitet. Die Bandbreite ist derart groß, dass ein Spagat unmöglich (und auch nicht empfehlenswert) ist, und bei einer - mutigen! - Positionierung kann man sich ganz schnell mal verrennen.
Die Frage ist: Wen wollt ihr wie erreichen? "Jugendliche und junge Erwachsene".
Hm. Dazu ein paar gegensätzliche Erfahrungen von mir.
- Ab der Konfirmation, die den Jugendlichen noch sehr stark an die Kirche bindet, über die Volljährigkeit bis zur (kirchlichen) Trauung nimmt nach meinen Beobachtungen die kirchliche Aktivität und der gelebte Glaube progressiv ab. Die Menschen tragen den Glauben vielleicht noch in sich, aber sie wenden sich von der Kirche generell und, sorry, von der "Amtskirche" im speziellen, ab. Im günstigsten Fall werden sie von der so genannten freien Kirche bzw. freien Gemeinden aufgefangen. Ob für die ein EKD-Internetradio cool wäre? Wohl kaum. Das braucht mindestens eine Konfirmanden-Generation, die am Radio kleben bleibt (und das ist in den heutigen Zeiten sehr schwierig).
- Ich wurde mal Zeuge einer Internetradio-Talksendung mit Zuhörerbeteiligung, die sich um christliche Fragen drehte. Das Interesse war groß, die Beteiligung rege. Es waren überwiegend junge Menschen, aber von dem, was ich raushörte, war keiner ein "EKD-Christ" (wenn man das so bezeichnen darf) - sie hatten ihren Glauben woanders gefunden, wenn auch christlich.
- In der eigenen Familie der gleiche Fall: Aus der Kirche ausgetreten, aber später seinen Glauben in einer freien evangelischen Gemeinde gut aufgehoben gewusst, und dort ist er aktiver denn je.
Der Witz daran ist: Die haben schon ein Radio mit einem Programmschema und einer -vorschau. Das wird gehört, teilweise auch in minderer Qualität. Für einen Teil der potenziellen Schäfchen ist dieses Feld also bereits besetzt.
- In meiner Umgebung lese und höre ich etwas von Sparzwängen. Gut, wer hat die nicht? Dennoch: Wenn ich als evangelischer Christ auf der einen Seite in der Zeitung über die geplante Schließung von Gotteshäusern bzw. Zusammenlegung von Gemeinden sowie der etwas unkonventionellen Vermietung von Gotteshäusern zum Zwecke der Kostendeckung lesen muss und auf der anderen Seite ein Internetradio angeboten wird, um mich als Christ zu erreichen, dann fühle ich mich, gelinde gesagt, hinters Licht geführt. Vor Ort muss die Kirche (räumlich, durchaus, ja!) Abstand zu mir nehmen, andererseits sucht sie den Kontakt zu mir durch das Internet.
Nun muss ich zugeben, kein Jugendlicher bzw. junger Erwachsener zu sein, aber ist der Rückzug in die virtuelle Welt tatsächlich das, was die Konfirmanden heute lernen? Ist es das, weshalb sie nach der Konfirmation den Anhänger mit dem Kreuz mit Stolz tragen? Vielleicht komme ich da etwas altbacken rüber für einen 19-jährigen, aber für mich bedeutet "Gemeinde" immer noch "reale Gemeinschaft". Ein Webradio kann hier unterstützen und hinführen - aber nicht, wenn sich die reale kirchliche Gemeinschaft zugunsten der virtuellen Präsenz auf dem Rückzug befindet. Das ist für mich unglaubwürdig. Die jungen Menschen mögen das anders sehen, vielleicht, ja. Ich nicht. Und das, obwohl ich noch nicht einmal Christ bin (nicht mehr, aber das schon seit sehr langer Zeit)!
Das angedachte Webradio kann eine großartige Chance für eine neue Generation sein - oder grandios scheitern. Ihr müsst wissen, wo ihr euch positionieren wollt. Bedenke auch, dass gewisse Teile schon recht erfolgreich besetzt sind; es wäre also ein Kampf um die Hörergunst und einer muss dabei zwangsläufig verlieren.
Mit einem Mischmasch erreicht ihr niemanden. Mir persönlich gefällt die Idee von den "homöopathischen Dosen" recht gut - wer ständig mit christlichen Botschaften konfrontiert werden möchte, findet meiner Meinung nach sein Angebot bereits.
Hörtipp: Kennst Du den Thread "Aircheck bzw. Streamcheck für Internetradio-Moderatoren"? Da hat sich mal ein Kollege von Radio Bethel mit einem Aircheck vorgestellt. Hör da mal rein und frag' Dich dann nach Deinem Empfinden. Wäre mal spannend zu wissen, wie das bei einem jungen Erwachsenen ankommt.