Dann werfe ich nun in einen Blick in meinen Verwandten- und Freundeskreis außerhalb der Radio-Freaks:
Dann tu ich das auch mal:
Meine Eltern (um die 80): einst MDR Thüringen, nun DLF - in der Küche, nur für die Nachrichten. Im Schlafzimmer MDR Info auf batteriebetriebenem Taschenradio. Sonst kein Radio. Möglichkeit zu ca. 30 weiteren Programmen im Wohnzimmerradio bestünde, wird nicht genutzt. Wissen nicht, wie umgeschaltet wird. Wenn sich beim Schlafzimmerradio versehentlich der Sender verstellt, wird eher wochenlang auf meinen Besuch gewartet anstelle dass das gewünschte Programm neu gesucht wird - an einem der 2 Drehknöpfe des Gerätes.
Onkel + Tante (um die 70, weitgehend kulturfern, ländlicher Raum): MDR Thüringen, früher wars Antenne Thüringen, davor Bayern 3 oder Antenne Bayern - vor 25 Jahren.
Cousine (verheiratet, Anfang 30, 2 Kinder, Kindergärtnerin, ländlicher Raum): im Auto dudelt leise Jump.
Bester Freund (41, Naturwissenschaftler, Vater): hört kein Radio. Keinerlei Interesse an Musik und Kultur, nie vorhanden gewesen. Im Auto ist MDR Info eingerostet, Radio ist aber immer aus. Möglicherweise nutzt es seine Frau auf dem Arbeitsweg.
Gute Freundin (38, Ärztin, alleinerziehend): MDR Info auf dem Weg zur Arbeit, sonst nichts. Hat auch keinen TV. Bekommt die Krise bei aktuellem Pop, kann aber auch eine halbe Stunde lang mit ihrer Dreijährigen im Wohnzimmer zu einer alten CD der Toten Hosen abrocken.
Gute Freundin (ca. 38, Biologin, 3 Kinder, "alte Seele"): bißchen DLF, bißchen D-Kultur, bißchen Figaro, sonst nichts. Wegen der Kinder inzwischen vermutlich noch weniger. Sehr empfindsam, braucht Ruhe, Natur, Abgeschiedenheit. Gitarre ist vorhanden. Vorliebe für Gundermann, Dota, ...
Guter Kumpel (Naturwissenschaftler, Berlin, 40): besitzt kein Radiogerät (!) und keinen TV. Musik? Ja: Chanten, Mantra-Singen. Gitarre vorhanden.
Guter Freund (Thüringen, Mitte 30, Kunstwissenschaftler, Buch-Autor): MDR Figaro.
Guter Freund (knapp 40, Naturwissenschaftler, Psychotherapeut, Geschäftsführer): kein Radio. Nahm Gitarren- und Gesangsunterricht.
Guter Kumpel (40, Naturwissenschaftler und regelmäßig DJ (House, Disco-Classics)): kein Radio. Bergeweise Tonträger. Und oberhalb 10 kHz faktisch taub.
Guter Freund (41, Naturwissenschaftler, Geschäftsführer, 2 Teenies): kein Radio, da keine Zeit. Ab und an mal bei nem Konzert alter Ost-Indiebands, wenn sie in der Region spielen.
Guter Freund (ca. 43, Bayern, Biogärtner): kein Radio.
Tochter eines Bekannten (geschätzt Mitte 20, Büroangestellte in Firma des Vaters): YouFM, via Kabel, weit außerhalb Hessens. "Coolster Sender".
Guter Bekannter (um die 50, Sachsen-Anhalt, Freiberufler Coaching, Autor, Sprecher): kaum noch Radio ("ich habe soviele Hörspielmitschnitte auf Festplatte, das reicht bis ans Lebensende".
Guter Freund (Ende 20, Naturwissenschaftler / Informatiker / Hobbyphilosoph, messerscharfer Geist, NRW): hat von UKW über DAB bis DVB formal alles verfügbar. Hört nur ausgewählte Sendungen auf WDR 3, DLF, WDR 5, 100,7 Letzebuerg und mal in dieses oder jenes Campus-Radio rein, um oft aber keine intellektuelle Andockstelle zu finden.
Nachbarin meiner Eltern (ca. 50, Hausfrau, betreut schwerstbehinderte Tochter): Jump. "Also, Antenne Thüringen würde ich nicht durchhalten, das ist ja nicht zu ertragen."
Nachbar meiner Eltern (Ende 40, Ingenieur): MDR Thüringen oder ältere Rock/Pop-CDs aus seiner Jugendzeit (schallt manchmal durch die Wand rüber).
Guter Freund (freier Journalist): Stammsender scheint RBB Kulturradio zu sein. Zappt sich ansonsten etwas durch ausgewählte Sendungen auf DLF und Figaro (letzteres möglicherweise auch als "Passivhörer"). Zunehmend Klassik-Experte. Stößt sich dann bei Figaro an mitunter dilletantischen Informationen zur gespielten Klassik.
Guter Freund (52, Naturwissenschaftler und Heilpraktiker): kein Radio mehr. Leidenschaftlicher Musikliebhaber mit Geithain-Boxen daheim. Da laufen nur Tonträger, vermutlich vor allem Rockplatten der 70er/80er.
77-jährige Bekannte (ehemalige Musiklehrerin): BR Klassik, Bayern 2, MDR Figaro, WDR 3, hr2, DLF, D-Kultur - sie zappt, Kabelanschluß-Wohnzimmerradio hat diese Programme gespeichert. Nutzung täglich mehrere Stunden, integraler Bestandteil des Tages. Schwerpunkt Klassik, aber auch Gesprächsrunden, je nach Inhalt. ("Ohne mein Radio wäre ich amputiert!")
89-jährige Bekannte, früher aktive Rundfunk-Frau (Studiotechnik, Produktion): hört via TeleColumbus UKW-Kabel Berlin. BR Klassik, RBB Kulturradio, DLF, DKultur, RBB Inforadio, KlassikRadio. Nun wollte sie Figaro, weils ihr Bruder (92) im Seniorenheim in Sachsen zuweilen hört bei Klassikübertragungen und sie gerne bei den täglichen "Telefonkonferenzen" mit ihm mitreden können will. Ist aber nur auf DVB-C zu haben, die Umschalterei am TV schreckt sie noch ab. Ich bekomme inzwischen regelmäßig Anrufe zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten: dann hat sie etwas gehört, ein Klassikstück, ein Konzert und möchte von mir wissen, wer der Solist war, was für eine Geige er/sie spielt (!!!) - "Also doch keine Stradivari, ich habs doch gleich gehört, konnte doch nur eine ... sein, so mild, wie sie klang" - und in welchem Saal das aufgenommen wurde. Danach habe ich Fotos des Saales zu beschaffen und die Kenndaten (Volumen, Sitzplatzzahl, idealerweise Grundriss), das dann auf USB-Stick zu ihr, danach kommt die Auswertung ("der Saal kann doch gar nicht klingen, viel zu groß, kein Direktschall in den oberen Rang, ...").
83-jähriger einstiger Rundfunk-Mann (Musikproduktion, Hörspielproduktion): alles mögliche von Klassik bis Unterhaltungsmusik der 20er Jahre - je nach Anlass. Fast alles via Livestream. In den Bookmarks finden sich BR Klassik, WDR 3, RBB Kulturradio, MDR Figaro, aber auch ausländische Programme mit Schwerpunkt Klassik. Die "Schnattersender" (alles außer den Kulturwellen) lehnt er ab.
Ich selbst (41, derzeit Lebenskünstler und Gelegenheitsarbeiter aus Neugier und Lust): DVB verfügbar, Radionutzung nahe Null. Einzelne Sendungen, meist Features der Kulturwellen, meist nicht live gehört, sondern nachgehört über beschafften Mitschnitt. Hördauer ca. 1 Stunde im Monat. Bevorzugt werden "spirituelle", natur- und lebensbejahende Beiträge, z.B.
solcherart. Keine Nutzung mehr als Nebenbeimedium. Daheim herrscht Stille, Geräuschkulisse ertrage ich nicht mehr. Eigene CD/LP-Sammlung (ca. 1000) steht ungenutzt, oft keinerlei Bezug mehr zu diesen Aufnahmen. Das war auch mal anders und ist heute für mich nicht mehr nachvollziehbar.
Kann man daraus was lernen?
- Alter ist nicht entscheidend, auch nicht für die (Nicht-)Nutzung "neuer Medien".
- Kulturelles Interesse kann aktiv machen in Sachen Empfangswege-Erschließen und Zapping-Bereitschaft.
- Geistig-kulturelle Trägheit führt zu monotonem Verhalten / Hinnahme des vordergründig Angebotenen / Aufgedrängtem oder zur kompletten Meidung.
- Seelische / kulturelle Sensibilität kann zur Prioritätensetzung "kein Radio!" führen. Dann ist das energetisch leichter als Rosinenpicken und wird bevorzugt. So etwas kann sich als Folge einer Entwicklung / eines "seelischen Erwachens" einstellen.
- Technische Begabung / technisches Interesse fördert Bereitschaft zum Zappen. Im Gegenzug hindert technisches Desinteresse / Angst vor Technik am Zappen - auch, wenn es als Lohn ggf. noch besser passende Programme gäbe. Auf diese Weise ist z.B. der Kunstwissenschaftler und Buchautor offenbar bei Figaro hängengeblieben.
Und das alles dürfte wohl schon seit vielen, vielen Jahren so sein. Ich sehe also keine neue Erkenntnis. Was sich am meisten ändern dürfte, ist das Nutzungsverhalten von einem selbst. Es gibt ein neues Medium / eine neue Technik / ein neues Programm, das man entdeckt hat. Oder man ändert sich und damit ändert sich unweigerlich das eigene Umfeld und damit das in der Umgebung beobachtete Nutzungsverhalten. Ich habe z.B. faktisch keinen Kontakt (mehr) mit Popradio-Hörern (auch nicht mit "Alternative"- oder "Indie"-Hörern), sie sind mir im Leben einfach verlorengegangen, weil wir uns meist auf keiner seelisch "nährenden" Ebene etwas mitzuteilen haben. Das wird dann versucht, auf die Masse zu projezieren. So entstehen solche Threads.