Der Musikredakteur muss entscheiden: Passt das in mein Programm oder nicht. Hängt vom Titel ab, von dessen Stimmung...
Programme, bei denen Musikredakteure ihr Können unter Beweis stellen können, sind selten geworden. Die Hitradios sowie die meisten AC-artigen Dekadendudler sind zu reinen Produktpräsentations-Flächen verkommen, die mit einer mittleren Hauptrotation von 150-800 Titeln (je nach Klassikeranteil) die Leute lediglich zum Musikkauf animieren sollen. Seit die Werbeeinnahmen auf Talfahrt sind hat sich der Druck zur Promotion verstärkt, schließlich verschlingt der Betrieb eines Ultrakurzwellensenders einen schönen Batzen Geld, der erst hereingespielt werden muss, ehe man Gewinn macht.
Machen wir uns nichts vor: UKW-Radio ist in der westlichen Hemisphäre kaum noch irgendwo ein einträgliches Geschäft. In den USA gehört
Clear Channel, der größte Radioanbieter des Landes, faktisch den Banken. Die Verschuldung wächst allmählich ins Unermessliche ($4.5 Mrd.) und das Unternehmen bettelt halbjährlich um einen Aufschub seiner Zahlungsverpflichtungen - von den Problemen bei der Neukreditaufnahme ganz zu schweigen.
Cumulus schiebt seit der Akquisitiion von
Citadel und
Westwood One ebenfalls einen beachtlichen Schuldenberg vor sich her und
CBS Radio kann seine Verluste im insgesamt profitablen Mischkonzern verstecken.
Und so ist es kein Wunder dass bei der Programmgestaltung keine großen Freiräume mehr bestehen. Am Beispiel von "Country Radio", der Sparte die mir am vertrautesten ist, erkennt man das engmaschige Netz der Zwänge und Abhängigkeiten. Amerikas Radiobetreiber treffen sich z.B. beim jährlichen
Country Radio Seminar (es gibt ähnliche Veranstaltungen für andere Genres), wo die großen gemeinsamen Richtlinien festgelegt und Ziele abgesteckt werden. Das ganze Jahr über begegnet man sich zudem bei Dinner Partys und exclusiven Meetings, um die Strategien der Plattenfirmen zu verinnerlichen und Promotionsorder für bestimmte Interpreten entgegenzunehmen Die Radiobetreiber sehe ich hier in der Rolle des Befehlsempfängers, während die Musikindustre über die Inhalte entscheidet.
War vor 15 Jahren noch ausschlaggebend wie gut ein Song beim Radiopublikum ankommt und die Musikindustrie dahingehend in der Pflicht, entscheiden heute allein die industrieseitigen Verkaufsinteressen. Ähnlich wie bei den hörerschwachen Rocksendern bereits in der Vergangenheit entscheidet heute bei fast allen Formaten was beim Plattenkäufer und Downloader ankommt, dessen Interessen sich von denen des normalen Passivhörers in der Regel erheblich unterscheiden. Gespielt wird nur, was Industrieumsätze generiert - eine Entwicklung, die sich logischerweise in von Jahr zu Jahr dramatisch zurückgehenden Hörerzahlen niederschlägt und die Verbindlichkeiten wachsen lässt.
Die lachenden Dritten sind der Satellitenradiobetreiber
Sirius/XM und, zumindest was Wachstum und Hörerzuwachs betrifft, alle großen Musikplattformen im Internet - also
Pandora, Slacker, Spotify, Rhapsody, Google Play etc. Sirius hat trotz seiner verhältnismäßig geringen Gesamtreichweite neuerdings sogar eine bedeutende Machtstellung gegenüber der Musikindustrie inne - was ich am Beispiel von John Marks illustrieren möchte, der den New-Country-Mainstream-Sender "The Highway" programmiert. Der Sender genießt so viel Aufmerksamkeit, dass seine Neuentdeckungen umgehend zu Youtube-Hits werden und die Plattenfirmen zur strategischen Neupositionierung zwingen - immerhin haben die Sirius-Radios wesentlich mehr Reichweite als die stärksten terrestrischen Power-Stations in den großen Ballungsräumen. Somit ist Sirius nicht nur freier in seinen Programmentscheidungen, industrieunabhängig, finanzstark und autark, sondern immer wieder im Stande Stars und Verkaufswunder zu kreieren, die das terrestrische Radio ignoriert hat, am Ende aber doch in die Hot-Rotation aufnehmen muss (z.B. die Band "Florida-Georgia-Line").