Farin Urlaub: Formatradios haben das Medium Radio zerstört

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Dazu schrieb hilde in einem anderen Thread heute was sehr treffendes:
Solang Berater keinen Schaden anrichten und niemandem wehtun, sollen sie meinetwegen auch Geld verdienen. Das Problem ist nur: Sie richten Schaden an, und sie tun weh. Aber sie erfüllen auch einen Zweck: Sie sind die Rübe-Hinhalter. Sie halten den PDs, die keine Eier in der Hose haben, selbst Programmentscheidungen zu treffen, den Rücken frei. Läuft's schief, war's der Berater. Mein Fazit: Berater sind nicht nur überflüssig, sie sind sogar schädlich. Ich finde, wir brauchen wieder eine Kultur des echten Wettstreits, in der jeder Radiosender versucht, mit seinen (eigenen) Ideen die Hörer zu gewinnen.
Das was Bruder0815 beschreibt ist die (inzwischen) typische "Wozu soll ich mich noch etwas trauen, wenn jemand mir sagt was ich tun soll?"-Kultur, die von einigen wenigen als "perfekt" bestimmt und von anderen kopiert wird.

Es ist nunmal am bequemsten der Herde hinterher zu rennen, anstatt ein eigenes Konzept auf die Beine zu stellen.
 
Man sollte die Aufmerksamkeit vielleicht mehr auf die bedingungslosen Verteidiger der Hitradios richten und nicht so sehr auf die gedankenlosen Konsumenten.
Was ist ein gedankenloser Konsument? Hat nicht jeder das Recht das zu hören, was er möchte?
Hat nicht ein Mensch nach einem harten Arbeitstag das Recht im Radio Musik zu hören? Nicht jeder möchte dann anspruchsvolle Diskussionen über Gott und die Welt im Radio hören.
 
Wie sollen sich aber unterschiedliche Musikgeschmäcker herausbilden, wenn überall dasselbe läuft? Da gibt es nur eine Alternative, ab ins Netz...
 
Wie sollen sich aber unterschiedliche Musikgeschmäcker herausbilden, wenn überall dasselbe läuft? Da gibt es nur eine Alternative, ab ins Netz...
Die Alternativen gibt es auch im Radio. Man muss sie nur suchen, z.B. die Sendung Resonanzen auf WDR 3, wo Jazz, Blues und alternative Musik gespielt wird.
 
Ja, es gibt noch ein paar öffentlich-rechtliche Inseln und in dieser Hinsicht ist der WDR nicht schlecht aufgestellt. Anderswo dudelt nur noch der verordnete Mainstream.
 
Berry schrieb:
Hat nicht ein Mensch nach einem harten Arbeitstag das Recht im Radio Musik zu hören?

Na ja, bei der Aufzählung der Menschenrechte würde mir das sicher nicht als Erstes einfallen, zumal wir
a: nicht sicher sein können, dass hinter den treuen Hörern eines Hitdudlers vorwiegend Menschen mit einem hinter ihnen liegenden "harten Arbeitstag" stehen,
b: sich jedermann auch ohne Radio dieses "Recht" sichern kann, z.B. durch CD, Web- oder i-phone-Musik
c: das noch lange nicht bedeutet, dass 95,5 Prozent aller Radiosen der die gleiche Musik spielen müssen.
 
Lasst mich die These mal umstellen:
Nicht "Formatradios haben das Medium Radio zerstört",

sondern "Privatradios haben das Medium Radio zerstört"!!!

Wenn die Privatradios nicht so ein grottiges Niveau hätten, und damit auch noch erfolgreich sein würden, dann müssten die Öffis sich auch nicht immer an das schlechtere Niveau anpassen!!!
Es gibt natürlich auch Ausnahmen wie z.B. FluxFM, aber die Mehrheit sind leider nun mal die Chartdudler!
 
Weshalb "müssen" sie sich dem denn anpassen?
Aufgrund dessen, dass die Hörer abwandern? - Quatsch! - Qualität hat sich bisher auf Dauer noch immer durchgesetzt.
Weil die "bessere" Musik läuft? - Quatsch! - Die kann doch durchaus auf einem der ÖR-Programme ebenso laufren, aber anders als beim Privatfunk verpackt.

Daraus ergeben sich zwei neue Thesen:
1.) Die selben Berater, die ihre Finger beim Privatfunk im Spiel hatten, hatten sie dann auch beim ÖR-Rundfunk im Spiel.
2.) Man ist nicht durchhaltefähig/durchhaltewillig und gab bei der kleinsten Veränderung der Quote direkt nach, was die Anpassung erklären würde.
 
Angenommen, die Privatsender würden machen, was sie heute tatsächlich machen, aber die öffentlich-rechtlichen würden das machen, was sie früher gemacht haben: würden wir dann davon sprechen, dass das Medium Radio tot wäre? Ich glaube nicht. Wer sich bedummfunken möchte, würde fündig, und wer das nicht möchte, auch.
 
Angenommen, die Privatsender würden machen, was sie heute tatsächlich machen, aber die öffentlich-rechtlichen würden das machen, was sie früher gemacht haben: würden wir dann davon sprechen, dass das Medium Radio tot wäre?
Ich kann mich dieser Untergangsstimmung nicht anschließen. Das Radio ist nicht tot. Heute hat man eine wesentlich größere Auswahl als früher, von Radio RSH bis zum Deutschlandfunk, von Funkhaus Europa bis Bayern 2, von SWR 3 bis zum Nordwestradio. Für jeden Hörer ist etwas dabei. Man muss es nur suchen.
 
Nenne mir einen Ort in Deutschland, abgesehen davon daß sich zumindest die von Dir genannten Dudler kaum unterscheiden, in denen Du all die von Dir genannten Programme via Antenne reinbekommt. Für mich ist im deutschen Radio nichts dabei, aber für Dich bin ich wahrscheinlich auch kein Hörer.
 
Ich habe nur einige Rundfunkprogramme aufgeführt, die zeigen wie abwechslungsreich die Rundfunklandschaft in Deutschland ist, wenn man nur bereit ist zu suchen.
 
@ Barry:
Es ist zwar löblich, alle möglichen Sender aufzuführen, letztendlich zählen aber nur dieSender, die mir mein Radio am Standort X zwischen 87 und 107 MHz ohne drehbare Richtantenne auf dem Dach mit deutschsprachigem Programm anbietet. - Und da gibt es doch signifikante Unterschiede in Deutschland: Hier im Nordwesten ist die Auswahl deutlich geringer, als in der Gegend meiner Jugend, wo Programme aus Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt einstrahlen. Erschwerend kommt auch noch hinzu, dass sich trotz einer relativen Vielfalt an Programmen die Inhalte nur marginal unterscheiden. Das war vor 20 Jahren noch anders.
... und jetzt komme mir niemand mit den Empfangswegen Internet, SAT oder Kabel!
 
Und welche Programme kannst Du terrestrisch empfangen?
An meinem Wohnort kann ich über Antenne empfangen:

WDR 1Live
WDR 2
WDR 3
WDR 4
WDR 5
WDR Funkhaus Europa
DLF
DKultur
Campus Radio
Lokalradio

Ich finde dieses Angebot ist abwechslungsreich.
 
Ja, was kann ich denn hier ohne großen Aufwand in akzeptabler Qualität empfangen? - Fangen wir von unten nach oben an (fett sind die Sender, die ich regelmäßig höre):

88,3 Nordwestradio
91,1 NDR 1 Niedersachsen
92,9 N-Joy
93,5 N-Joy
93,8 Bremen Eins
94,4 NDR Kultur
95,8 NDR 1 Niedersachsen
96,4 NDR Info
96,7 Funkhaus Europa
95,8 NDR 1 Niedersachsen
98,1 NDR 2
98,6 NDR Info
99,3 Ems-Vechte-Welle
99,8 NDR 2
101,2 Bremen Vier
101,8 DLF
102,3 FFN
102,8 DKultur
103,1 FFN
103,7 NDR Info
104,1 Radio 21
104,9 Hitradio Antenne Nds
105,7 Hitradio Antenne Nds
106,5 oldenburg eins
107,1 DLF
 
Für Berry ist der Inhalt der Wellen völlig schnuppe, er guckt nur aufs Papier und sieht daß in der Theorie verschiedene Formate angeboten werden. Daß der NDR lieblose und inhaltsleere, sich gleichende Dudler produziert und die niedersächsische Privatradioszene es gleichtut bzw. vormacht ist dabei nur nebensächlich, daß kann man diesem Troll tausendfach erklären, verstehen (wollen) wird es es doch eh nicht. Radio Bremen ist zwar hin und wieder eine kleine Alternative aber insgesamt leider auch zu langweilig.
 
Lasst mich die These mal umstellen:
Nicht "Formatradios haben das Medium Radio zerstört",

sondern "Privatradios haben das Medium Radio zerstört"!!!

Wenn die Privatradios nicht so ein grottiges Niveau hätten, und damit auch noch erfolgreich sein würden, dann müssten die Öffis sich auch nicht immer an das schlechtere Niveau anpassen!!!

Leider ist da viel wahres dran. Genau das, was wir hier im Forum ständig kritisieren, trifft offensichtlich voll den Geschmack der Mehrheit der deutschen Hörer. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland nie gute und abwechslungsreiche Musikprogramme gegeben hätte, nur wurden sie durch den Erfolg der Hitdudler im Laufe der Zeit nahezu völlig verdrängt. Eigentlich ist der Hörer also selbst Schuld. Aber warum sind die Deutschen mit so wenig Auswahl dermaßen zufrieden? Umso weniger Titel ein Sender in der Rotation hat, umso erfolgreicher ist er. Warum ist das so? Ich verstehe es absolut nicht, wie man mit einer dermaßen beschränkten Einfalt zufrieden sein kann. Mir hängt es schon nach kurzer Zeit zum Halse heraus, wenn ich ständig die selbe Musik hören muss.
 
Deutsche Formate sind halt überwiegend zu breit angelegt. Ich denke oft an meine Reisen quer durch die USA. Da dudelten auf den UKW-Wellen auch immer wieder die selben Titel, dies aber auf wirklichen Formatsendern. Wenn man gerne Dance gehört hat, dann gab es in jeder großen Metropole einen Dance-Sender. Macht einem solche Musik Spaß macht, kann man neue Titel auch gern in der Power-Rotation ständig wiederhören.

Unser deutsches Problem sind die Mini-Rotationen in Breitband-Formaten. Dieses Problem lässt lässt sich nur lösen, wenn man in jedem Bundesland mindestens vier landesweite private Ketten koordiniert, die alle mit gleicher Abdeckung funken, also ohne Funzel-Ketten wie bei HARMONY FM oder NORA oder RADIO 21 oder usw. Ich bin mir sicher, dann würde sich zumindest musikalisch was ändern, weil nicht mehr jeder auf den Spitzenplatz schielt, sondern auch mit einer auskömmlichen Marktlücke zufrieden wäre.

Aber das sind Träume, die in der deutschen Radio-Beamtenwelt utopisch sind. Wie dies allerdings gut funktioniert, zeigt mal wieder der Blick über den Gartenzaun nach Holland.
 
Wenn FAZ und Süddeutsche vor zwanzig, dreißig Jahren angefangen hätten, die BILD-Zeitung zu kopieren, würdet Ihr dann auch sagen, die BILD hätte den Journalismus zerstört? Oder hätten dann FAZ- und SZ-Chefredakteure den Journalismus zerstört, weil sie gemeint hätten, sich durch Auflage statt durch Inhalte legitimieren zu müssen?
 
Leider ist da viel wahres dran. Genau das, was wir hier im Forum ständig kritisieren, trifft offensichtlich voll den Geschmack der Mehrheit der deutschen Hörer. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland nie gute und abwechslungsreiche Musikprogramme gegeben hätte, nur wurden sie durch den Erfolg der Hitdudler im Laufe der Zeit nahezu völlig verdrängt. Eigentlich ist der Hörer also selbst Schuld.

Da bringst du was durcheinander. Zu Beginn der 90er-Jahre klangen die Hitradios wesentlich besser als die teilweise arg sperrigen Bürokratenradios öffentlich-rechtlicher Machart, ein Extremfall war WDR1. Unter Boetzkes spielte B3 sogar noch den einen oder anderen Schlager, obwohl B1 voll davon war. Es gab schon damals keine echte Formatvielfalt, aber immerhin existierten noch eine vitale Deutschschiene und ein zusätzliches Oldiesegment, die dem Gros der Erwachsenen echte Alternativen boten.

Heute haben wir nichts weiter als ein teenieversessenes Top-40-Mainstream-Dudelradio, das schön langsam niemanden mehr interessiert. Die Printmanager versuchen damit verzweifelt die Zielgruppen anzugraben, die ihre Druckerzeugnisse links liegen lassen. Weil diese Leute den Radio-Werbemarkt beherrschen und ein teils schwer durchschaubares Beziehungsgeflecht mit den ÖR Wellen unterhalten, beugen sich auch immer mehr ARD-Radiso den stringenten Vorgaben der Radiobranche.

Seit Beginn der 90er-Jahre hat sich der internationale Musikmarkt stark verändert ohne dass das deutsche Radio diesen Entwicklungen Rechnung getragen hätte. Der pubertäre Top-40-Mainstream ist schon meist jenseits der 30 nicht mehr vermittelbar, nach einer R&B-Welle Mitte der 90er mischen sich immer mehr Hip-Hop- und Techno-Elemente in die moderne Popmusik. Diese Musik ist definitiv nicht mehrheitsfähig.

Die hochgeschätzte Rockmusik erlebte Anfang der 90er-Jahre einen nie dagewesenen Niedergang; allseits anerkannte Stilrichtungen wie New Wave und Glam Rock waren tot, an ihre Stelle traten harte Rockvarianten, teilweise stark vom völlig mainstreamuntauglichen Grunge durchsetzt. Andererseits etabliette sich eine weichere, alternative Szene, die aber lange Zeit keine Crossovers produzierte und kein großes Hörerfundament hatte. Erst in neuerer Zeit wird "Alternative" gefälliger produziert und ist hin und wieder erfolgreich in den Top-40-Charts vertreten.
 
Forts.: All diese Musikrichtungen untereinander inkompatiblen Musikrichtungen mischt das deutsche Radio mit massenkompatiblen Klassikern aus den 80ern und verstört die verschiedenen Geschmäcker erst recht.

Fazit: Das kann auf lange Sicht nicht gut gehen, schon gar nicht in einer Zeit, in der individualisierte Musikstreams auf dem Vormarsch sind und die meisten Leute mit der "Grütze" im Radio nichts mehr anfangen können.

Deutsche Formate sind halt überwiegend zu breit angelegt. Ich denke oft an meine Reisen quer durch die USA. Da dudelten auf den UKW-Wellen auch immer wieder die selben Titel, dies aber auf wirklichen Formatsendern.

Aber die Formattiefe ist so groß, dass für jeden was dabei ist, zumal das terrestrische Radio heute nur noch eine Brückenfunktion zwischen verschiedenen Medien hat und zeitlich begrenzt genutzt wird. Dazu kommt, dass man in US-Formatradios mit Neuerscheinungen geradezu bombardiert wird und gröbere Grenzverletzungen ausbleiben.

Das US-Musikradio dient heute in erster Linie der Promotion, das gilt sogar für retrospektive Formate wie "Classic Rock". Aber immerhin bleibt der Musikmartkt in Bewegung und alle großen Musikrichtungen können sich kontiniuierlich weiterentwickeln. Wer ein bestimmtes Genre genauer erschließen möchte trifft im Internet auf eine Masse von Streamingseiten, die zu einem großen Teil von den Radioketten eingerichtet wurden, um dem zunehmenden Hörerabfluss ins Netz zu begegnen.
 
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