AW: "Neu 96,7" testet in Berlin
Ich kenne das ehrlich gesagt nicht. In Berlin gibt es ja nun schon andere Angebote, die auch ältere Zielgruppen ansprechen und weder beim Berliner Rundfunk noch bei Spreeradio kann ich feststellen, dass sie sich klammheimlich in Popwellen verwandeln.
Was sollen diese Programme anderes sein als "Popwellen"? Spreeradio ist ein lupenreiner AC-Sender und der "Berliner Rundfunk" eine beispielgebende deutsche Oldiewelle.
Es gibt in Berlin weder reinrassige Rockformate noch klar ausgerichtete Spezialformate abseits der teilweise ineinander übergreifenden Pop/Oldie-Schienen, von deutschen Musikangeboten ganz zu schweigen. Irgendwie klingt in Berlin innerhalb einer fest vorgegebenen Bandbreite ein Sender wie der andere.
Dass deutsche Musik Potential hat dürfte eigentlich jedermann klar sein. Wenn man mit einer spritzigen, gekonnten und zeitgemäßen Musikauswahl die Über-30-Jährigen in größeren Scharen anziehen könnte, verfügte man über eine Demographie, die Konsumfreudigkeit, wirtschaftliche Leistungskraft und Ausgabebereitschaft wiederspiegelt wie keine andere. Dass man mit diesem Pfund nicht zu wuchern weiß, ist ein Grunddilemma des deutschen Radiobusiness und die entscheidende Ursache, die das Ansehen des Mediums gewaltig ramponiert und die Musikbegeisterung der Deutschen bis zum Überhandnehmen breitbandiger Internetanschlüsse dahinschwinden ließ. Wahre Musikleidenschaft zeigten Ende der 90er-Jahre nur noch einige überschaubare Grüppchen von Idealisten und Exzentrikern, die sich einer bestimmten Stilrichtung verschrieben haben, während im Äther längst Konformität herrschte.
Wenn mündige Bürger keine Wahl zwischen unterschiedlich orientierten und klar abgrenzbaren Musikangeboten mehr haben macht sich Resignation breit und das Radio verliert auf diese Weise seine treuesten Anhänger an die mehr und mehr erstarkenden Konkurrenzmedien. Das Verhalten der Renditehaie, die das Radiogeschäft zunehmend beherrschen, erinnert mich an die Shareholder-Value/Private-Equity-Mentalität angelsächsischer Länder, nur dass die Eigner deutscher Dudelwellen über kurz oder lang nichts mehr haben werden, das sie finanziell ausschlachten können.
Der Grundkonflikt entzündet sich ja schon am Begriff "Schlager", der bei einigen irrationale Abwehrgefühle, bei anderen zwiespältige oder verklärende Reaktionen auslöst. Es gibt in Deutschland kein klar definiertes
deutschsprachiges Musikformat, das auf die breite Mitte der Gesellschaft abzielt. Statt dessen drangsalierte die straff organisierte Werbearmada alle progressiv-ambitionierten kommerziellen, deutschsprachigen Musiksender, konterkarierte ohne Unterlass deren wirtschaftliche Zielesetzungen und hintertrieb jeden Versuch, ein junges, dynamisches deutschsprachiiges Musikformat zu etablieren, das sich mittelfristig zweifelsohne als Goldgrube erwiesen hätte. Statt dessen agierte die Werbebranche geblendet von einer aberwitzigen, ungesunden und wirtschaftlich widersinnigen Verjüngungseuphorie, lange Zeit wie im Rauschzustand. Der Rausch ist mittlerweile Apathie gewichen, was um keinen Deut besser ist.
Wer die neueren Entwicklungen im Randbereich der deutschen Populärmusik verfolgt, kommt nicht umhin, den vielen großartigen Talenten Respekt zu zollen ob der Selbstaufgabe, die sie an den Tag legen, obwohl ihnen die fehlgeleitete Radiobranche keinerlei Publizität zu verschaffen breit ist. Die Deutsche Musikszene konnte nie einem größeren Publikum gegenübertreten, weil deutsche Musik ausschließlich in biederen öffentlich-rechtlichen "Seniorenwellen" stattfand, die ihrer betagten Hörerschaft nicht allzuviel "Innovatives, Rockiges oder Rhythmisches" zumuten wollten, nie auf echte Nachwuchsförderung bedacht waren und alle Qualitätskriterien über Bord warfen. Ein öffentlich-rechtlicher Schlagerkanal kann getrost am Markt vorbeisenden, seine Demographie in schwindelerregende Höhen abdriften lassen und die Werbeeinnahmen als kleines Zubrot abtun. Wen wundert's dass die Hauptströmung des Gegenwartsschlagers trotz beachtlicher Stimmbegabungen weithin zur Trashfabrik verkam (ich spreche nur von der fernsehsubventionierten Hauptströmung, nicht von den quirligen, vor Talenten geradezu überquellenden Nischen)?
Nur kommerzielle Sender hätten die Spreu vom Weizen abgesondert, deutsche Musik auf der Höhe der Zeit gehalten und auf die echten Bedürfnisse der jüngeren und mittleren Generationen geachtet, ohne die Gefolgschaft der reiferen Hörer allzu stark in Frage zu stellen. Nur sie hätten eine echte Fanbindung erzeugt und Geld in die Kassen der Produzenten gespült, um immer wieder von Neuem gehaltvolle, mitreißende und kommerziell erfolgreiche deutschsprachige Musik mit Massenappeal hervorzbringen und die Begeisterung der zahlenstarken, mittlerweile völlig vernachlässigten mittleren Generationen fürs Radio immerzu neu zu entflammen.
Die deutsche Musik könnte heute prosperieren und besonders den Radiobetreibern immense Einnahmen bescheren, hätte man beizeiten auf die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit Rücksicht genommen. Im Spannungsfeld von Schlager, Rock, Pop, Volksmusik, Country, Soul, Blues oder Jazz wären viele kreative Entwicklungsformen denkbar, aber das deutsche Radiokartell hat sich für die Abwicklung auf Raten entschieden. Das gegenwärtige Berliner Radiospektrum könnten mühelos 3-4 Popwellen abbilden, den Rest könnte man folgenlos wegrationalisieren. Wenn erst mal die technischen Möglichkeiten da sind, ist die Ultrakurzwelle sowieso erledigt.
Nein, das kennt man nicht. Außerdem wird es langsam langweilig. Das durften wir doch schon alles in den Threads zu WDR 4 und Bayern 1 lesen. Vom ständigen Wiederholen wird es nicht wahrer.
Man freut sich über jeden treuen Leser