Radio M94,5 München, SZ vom 04.01.2014

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Habe einen interessanten Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende über den Sender Radio M94,5 München gefunden:
München City
Mach mal!
Die Mitarbeiter von M94.5 produzieren Radio abseits des Mainstreams und greifen ihm manchmal auch vor. Nun zieht der Studentensender um

München – Allein schon dieser Geruch. Er fällt einfach auf, steigt sofort in die Nase, sobald man die schwere Eisentür hinter sich zufallen lässt und in das Treiben aus Stimmengewirr, Telefongeplärre, Gelächter und Musik eintaucht. Es ist schwer zu beschreiben, was ihn eigentlich ausmacht: Wohl eine Mischung aus altem Gemäuer, unzähligen Mittagessen, deren Düfte jeden Tag durch die Räume waberten, und auch ein bisschen Angstschweiß vor dem bedrohlichen, roten Lämpchen. Bald jedoch gehört er der Vergangenheit an. Denn „afk M94.5“, der Münchner Radiosender, der von Studenten betrieben wird, zieht um. Am kommenden Dienstag, 7. Januar, wird er den Betrieb in einem Bürogebäude an der Rosenheimer Straße 195 in Ramersdorf aufnehmen.
Zeit also, um ein letztes Mal die Eisentür in der Schwere-Reiter-Straße in Schwabing zu öffnen, den Blick schweifen zu lassen und herauszufinden: Was bringt junge Menschen eigentlich dazu, einen Großteil ihrer Freizeit in einem quadratischen Betonklotz zu arbeiten, ohne auch nur einen Cent dafür zu sehen? Und wieso müssen sie jetzt mit Sack und Pack umziehen?
Für Wolfgang Sabisch, Programmleiter von M94.5, ist die Antwort auf die erste Frage klar: „Wir geben immer die Chance, Fehler zu machen.“ Sabisch – durchdringender Blick, tiefe Stimme und graue Haare auf dem Haupt – sitzt bequem auf seinem Stuhl in dem großen Konferenzraum. Die Wände sind kahl, Plakate, die hier jahrelang hingen, sind schon verstaut, bereit für den Umzug. Sabisch hat sich gelassen zurückgelehnt, die Hände liegen im Schoß, die Finger sind ineinander verhakt. „Wosa“, wie er hinter mehr oder minder vorgehaltener Hand genannt wird, hat Zeit mitgebracht. Wenn es um M94.5 geht, die jungen Leute, die mitmachen, und die Arbeit, die sie verrichten, gerät er in Plauderlaune.
Was M94.5 ausmacht, ist auch die Tatsache, dass hier „Schmerzgrenzen ausgetestet“ würden, sagt er. Man muss die Regularien des Studentensenders kennen, um das zu verstehen. Denn diese bestehen hauptsächlich aus einem Grundsatz: Mach’ mal! Und zwar einfach drauflos. Bei M94.5 werden die Mitarbeiter ins kalte Wasser geworfen, sie arbeiten selbständig und machen so auch selbständig viel falsch: sekundenlange Stille, weil vergessen wurde, das Mikro einzuschalten. Gesendete Flüche, weil vergessen wurde, das Mikro auszuschalten. Nachrichtensprecherinnen, die minutenlang nicht mehr aus dem Lachen herausfinden. Skurrile, lustige, peinliche Momente, die zu M94.5 gehören wie das „M“ im Namen und die bisweilen funktionsuntüchtigen Kopfhörer im Sendestudio.

Und wie immer, wenn junge, erlebnishungrige Menschen aufeinandertreffen, werden nicht nur journalistisches Können und Erfahrung ausgetauscht. Amouröse Verwicklungen und Entgleisungen, eine brodelnde Gerüchteküche, langjährige Freundschaften, Spaß und Erinnerungen, die währen – dies alles kommt ganz nebenbei im Kielwasser der journalistischen Ausbildung angeplätschert.

Was die Hörer von dieser Experimentierfreude haben, ist laut Michael Gehrig eines: „Unsere Musik.“ Gehrig, strubbelige Haare, ein Hipster par excellence, ist in der Musikredaktion tätig. Die ist in einem kleinen Zimmer direkt neben dem großen Redaktionsraum untergebracht. Überall stapeln sich CDs, die Wände sind mit verschiedenen Band-Plakaten und anderem Krimskrams beklebt, als solle das Querdenken durch Anarchie befördert werden. Die Umzugskartons dazwischen fallen gar nicht weiter auf. Während Gehrig spricht, lässt er nur selten den Blick von dem Bildschirm vor ihm, er plant die Musik der nächsten Tage.

Die Songs, Bands und Künstler, die auf M94.5 laufen, hätten eines gemeinsam, so der Student: Sie liegen abseits jeglichen Mainstreams. „Wir orientieren uns nicht an Charts und wir versuchen immer, die Schnellsten zu sein“, sagt Gehrig. Die Schnellsten zu sein – bei M94.5 bedeutet das, die guten Musiker vor allen anderen zu spielen. Wenn dann die großen, massentauglichen Radiostationen auf den Zug aufspringen, wenn die Künstler „überall präsent werden“, dann setzt der Studentensender sie wieder ab. Ein Beispiel: Milky Chance, ein Newcomer–Duo, dem man als Radiohörer seit gut drei bis sechs Monaten nicht mehr aus dem Weg gehen kann. „Milky Chance war bei uns schon im Dezember 2012 zu Gast“, erklärt Gehrig und grinst. Stolz schwingt in seiner Stimme mit. „Das sind dann die schönen Momente.“ Amy Winehouse, Mumford & Sons: nur zwei weitere große Namen, die M94.5 vor den meisten anderen entdeckte. Winehouse war sogar einmal beim Sender zu Gast.

Ins Leben gerufen wurde der Aus- und Fortbildungskanal im Juni 1996. „Seitdem haben wir rund 1900 Leute hier gehabt“, weiß Sabisch. Darunter waren auch Namen, die in den Medien durchaus an Bekanntheit gewonnen haben: Jochen Breyer, Moderator des Aktuellen Sportstudios im ZDF, Mike Hager, der als Studiotechniker Nullinger durch das Programm von Antenne Bayern albert, oder Philipp Walulis, Grimme-Preisträger des Jahres 2012: Sie alle lernten einen Teil ihres Handwerks in den Räumen von M94.5.

Für den Umzug von Schwabing nach Ramersdorf gibt es einen einfachen Grund: Der Mietvertrag ist ausgelaufen. Eine Verbesserung sei dieser Umzug, sagt Sabisch, schließlich ist afk M94.5 damit direkt neben afk tv, dem Pendant auf Fernsehebene. „Mehr Austausch“ erhofft sich der Programmleiter davon, nicht nur an Wissen, sondern vielleicht sogar an Redakteuren. Und dank Ekke Uhr, dem Technikspezialisten von M94.5, sind auch technische Verbesserungen eingeplant, die Kabelschächte wie in den alten Räumen teilweise überflüssig machen. Vieles soll künftig über das Internet laufen, so auch beim Umzug. Im günstigsten Fall bekommen die Hörer daher von diesem gar nichts mit. „Einige Stunden senden wir parallel und dann wird einfach umgesteckt“, erklärt Sabisch.

Neben den Verbesserungen gibt es für Leute von M94.5 einen Wermutstropfen: die Hundehütte, das Vereinsheim, wie die alten Räumlichkeiten liebevoll genannt werden, zurückzulassen und damit auch die Erinnerungen, die an und in den Zimmern hängen. „Aber wir werden auch in den neuen Räumen durch die schiere Präsenz der Redaktion ein buntes und lebendiges Umfeld schaffen“, versichert Sabisch. Die Redaktion, dazu noch ein bisschen Essensduft und Angstschweiß – und bald dürfte alles wieder beim Alten sein. Susanne Hartung
Quelle
Verlag Süddeutsche Zeitung
Datum Samstag, den 04. Januar 2014
Seite 53
 
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