Radio Neckarburg startete 1990 etwas verspätet in der ersten Lizenzierungsperiode des baden-württembergischen Privatfunks. In dieser wurden einzelne Frequenzen ausgeschrieben.
Im diesem Fall handelte es sich dabei um die Frequenz 103.7 am Standort Rottweil mit einer Strahlungsleistung von 100 Watt. Die Frequenz hatte im südlichen Versorgungsgebiet schon mit enormen Störungen durch DRS3 auf 103.8 vom Standort Rigi zu kämpfen, was sich schon bei den Versuchssendungen zeigte.
Für einen kommerziellen Anbieter war es schon ein ziemlich mutiges Unterfangen, über diese eine Mickerfrequenz, die das Potential hatte, keine 100.000 Einwohner in stereo zu versorgen, ein Lokalradio zu starten.
Von den Verlagen oder anderen üblichen Beteiligungsgesellschaften hatte keiner Interesse an dieser Funzel in der Vorpampa. Da hatte der Einzelunternehmer Gerd Kieninger, selbst Elektroanlagenbauer (AFAIR) und Plattensammler, eben gute Chancen.
Er entschied sich für das einzig richtige unter diesen Voraussetzungen: Absolut lokal, absolut low budget und absolut "gutbürgerlich". Denn neben lokalen Informationen fehlte vor allem ein Programm mit Volksmusik, Schlagern und traditioneller Unterhaltungsmusik. Wir erinnern uns: S4 Baden-Württemberg startete erst ein halbes Jahr später und war zunächst in dieser Region nur auf Mittelwelle zu empfangen. Aufgrund der sowieso marginalen Reichweite der Frequenz entschied man sich für zwei Kuriositäten: Verzicht auf Stereoabstrahlung und Abschaltung des Sendersin der Zeit, in der kein Live-Programm produziert wurde (dies war ausschließlich von 16-21 Uhr der Fall, danach wurde der Sender abgeschaltet). Ich kenne nur noch ein anderes Programm, das seinen Sender abschaltete, und das war bis vor einigen Jahren der Wochenendlokalsender R. Mergelland in den Niederlanden.
Noch während der Lizenzierungsperiode kam noch die Frequenz 101.2 in Villingen-Schwenningen hinzu.
Mit dieser waren weitere 100.000 Hörer im benachbarten Schwarzwald-Baar-Kreis erreichbar.
Nun wurde nicht mehr abgeschaltet, sondern in der programmfreien Zeit das Programm von Stadtradio aus Stuttgart (m.W. mit der gesamten Verpackung, also ohne lokale "Drop-ins") übernommen, nachdem sich deren Format in Richtung Schlager und Oldies bewegte. Zur Neuvergabe der Frequenzen 1994 stiegen dann, das Sendegebiet wurde ausgebaut, die Frequenz 102.0 war sogar mit 10kW in der Planung, sogar der Standort Plettenberg (1005m ü. NN) war angedacht, weitere Investoren ein, darunter auch der Schwarzwälder Bote und die erwähnte SWMH.
Ich kann nur mutmaßen, wieso jene Kieninger weiterhin freie Hand ließen, sein Programm nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Vielleicht waren sie davon überzeugt, dass er schneller schwarze Zahlen schrieb als viele andere Privatfunkanbieter durch sein konsequentes "Low-Budget"-Prinzip, vielleicht war es als Abschreibungsprojekt gedacht, eventuell war auch Konkurrenzverhinderung im Hinterkopf dabei.
Der SWR bemühte sich fortan auch, die Region Schwarzwald-Baar/Oberer Neckar in der SWR4-Regionalisierung abzuilden, was ihm mit einem Fensterprogramm von Radio Südbaden aber nur wenig gelang.
Radio Neckarburg verfügte immer nur über einen festangestellten Redakteur, der programmliche Ausbau zu einem 24h-Vollprogramm war nicht möglich. Zuletzt wirkte das Programm, in mono und ohne RDS-Signal, gefahren weitgehend von Bandmaschinen in analoger Technik und mit Verzicht auf eine moderne Verpackung, Crossfading oder Ramptalk und ähnliches, schon etwas skurill und antiquiert, irgendwie aber auch, vor allem angesichts der absolut breiten und unformatierten Musikauswahl, liebenswert.