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Wikipedia hat einen schönen Artikel zum Thema "
Stolz". Darin steht als Definition:
Stolz [von mnd..: stolt = prächtig, stattlich, lat.: sultitia: "Torheit"] ist das Gefühl einer großen Zufriedenheit mit sich selbst, einer Hochachtung seiner selbst – sei es der eigenen Person, sei es in ihrem Zusammenhang mit einem hoch geachteten bzw. verehrten „Ganzen“.
Erstaunlich finde ich dabei die Verknüpfung mit dem lateinischen Wort für "Torheit". Laut Wikipedia ist Stolz ein angeborenes, nicht anerzogenes Gefühl. Dieser Definition folgend ist also jemand, der stolz auf sein Land ist, mit diesem hoch zufrieden, während jemand, der dieses Gefühl nicht empfindet *möglicherweise* irgendwo im Konflikt mit seiner Herkunft nicht mehr und nicht weniger.
Dummerweise ist der Satz "ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" aber - wie vieles anderes - belastet durch den Mißbrauch einiger Gruppierungen des rechten Lagers. Wer diesen Satz sagt, wird schon fast automatisch als "rechts" eingestuft, zumindest aber kritisch beäugt. Dabei ist der Satz an sich - wie so vieles - wenn man obiger Definition folgt völlig normal und völlig harmlos. Erst wenn man die Gründe kennt, *weswegen* eine bestimmte Person stolz auf ihr Land ist, bekommt dieser Satz auch eine Wertung. Ob der Stolz dann auch berechtigt ist, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt und kann nur im Kontext von Wertesystemen bestimmt werden - wobei hier andere Maßstäbe auch ganz andere Resultate produzieren.
In jeder Nation gibt es Menschen, die aus Hochachtung vor den Errungenschaften ihrer Vorfahren einen Stolz für ihr Land entwickeln (nicht umsonst gibt es das Wort "Nationalstolz") und solche, die das nicht tun. Auch für letzteres gilt dasselbe wie für den Stolz: nur anhand der Gründe kann man im Kontext eines Wertesystems eine Bewertung vornehmen, allein das Fehlen von Nationalstolz hat überhaupt keine Aussagekraft.
Trotzdem tun sich viele Deutsche damit schwer, jemanden zu akzeptieren, der von sich behauptet, stolz zu sein, ein Deutscher zu sein oder stolz auf Deutschland zu sein. Nur deshalb konnten ihn diese Neobraunen Gruppen überhaupt mißbrauchen, weil er provoziert. Eine der Ursachen dafür ist eine Vergangenheit unseres Landes, in der vor noch gar nicht allzulanger Zeit eines der, wenn nicht das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat. Das ist nunmal ein wunder Punkt bei sehr vielen Deutschen, der dazu führt, daß sie keinerlei Stolz auf ihr Land entwickeln können.
Jeder geht nunmal anders mit dieser Situation um und eine große Problemquelle, die gerade in diesem Spannungsfeld zu Zwistigkeiten führen kann, ist das Unverständnis für die Denkweise anderer. Ein Deutscher, der stolz auf sein Land ist (ohne das braune Brimborium drum rum) kann nicht verstehen, wie sein Landsmann denn nicht stolz auf sein Land sein kann. Und genauso andersherum. Aber genau hier beginnen die Konflikte, die so leicht entarten können.
Wenn wir nur lernen würden, nicht alles an *unseren* Maßstäben messen zu wollen, sondern erkennen, daß eine abweichende Meinung nicht gleich ein Angriff auf die eigene bedeutet, wenn wir uns mit Respekt und Achtung voreinander behandeln könnten, anstatt jemandem, der in irgendeiner Weise anders ist, erstmal pauschal zu mißtrauen, dann hätte der überwiegende Teil aller Konflikte nicht den Hauch einer Chance, überhaupt jemals zu entstehen.
Warum also tun wir es nicht einfach? Ganz einfach, weil unsere Natur es uns anders vorgibt. Wir gehen instinktiv davon aus, daß das, was wir "wahr" "nehmen" auch "wahr" ist. Wir vergessen dabei nur, daß unsere Wahrnehmung immer noch subjektiv ist und von unserem Gehirn gefiltert und bewertet wird, vollautomatisch, damit wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren können. Dabei sind wir aber nicht Sklaven dieses Systems, wir müßten uns nur öfter mal die Zeit nehmen und die Dinge, die wir wahrnehmen in Frage stellen, ob möglicherweise auch andere Interpretationen zulässig wären - aber das würde Zeit kosten und die haben wir nicht oder sie ist teuer.
Ich gebe mich da keiner Illusion hin, der Mensch ist nunmal, wie er ist und ich gehe nicht davon aus, daß in meiner Lebenszeit hier ein großer Durchbruch gelingt - aber wenn man sich seine eigenen Unzulänglichkeiten immer wieder mal vor Augen führt und auch andere dazu anregen kann, ab und zu stehen zu bleiben und nachzudenken - dann kann sich das vielleicht in Ferner Zukunft mal zu einer grundlegenden Eigenschaft des Menschen entwickeln: daß er nicht nur ein großes Gehirn *hat* sondern es ab und zu sogar mal *benutzt*
In diesem Sinne: haut Euch nicht die Köpfe ein (die braucht Ihr noch), nur weil einer stolz auf Deutschland ist und der andere nicht - das allein ist noch kein Indiz dafür, daß - überspitzt ausgedrückt - der eine ein "Nazi" und der andere ein "Vaterlandsverräter" ist - das führt diese Diskussion nur ins Nichts.
Andere Gründe, die es schwer machen, als Deutscher Nationalstolz zu entwickeln wurden ja reichlich genannt. Auch ich tue mich schwer, zu sagen, stolz auf mein Land zu sein. Ich bin froh, Landsmann eines Schiller oder eines Goethe zu sein, ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem es viele intelligente Köpfe gab und gibt, die unsere Welt erleichtern. Aber ich bin gleichzeitig erschüttert, wozu meine Landsleute fähig waren und sind und auch so manche aktuelle Entwicklung stellt mir Zehennägel auf. Meine Gefühle hier sind durchaus zwiespältig und mal schlägt das Pendel mehr zur einen, mal mehr zur anderen Seite aus.
Denk ich an Deutschland... gäbe es so viel zu denken, daß ich nie zu einem Ende käme
LG
McCavity