Transformation des US-Formatradios in deutsche Verhältnisse daneben geraten

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XXLFunk

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Aus einem Abdruck eines Artikels von Jürgen Stark in
"Rock World":

Konnten sich in der Vergangenheit noch kritische Journalisten öffentlich Gedanken
über eine Geschmacksmafia im hiesigen Show- und Sender-Elend machen, so gerät
jetzt zunehmend der anonyme Herr Computer ins Zielfernrohr. "Und zu welcher Zielgruppe
gehören Sie?" Die Formatierung von Sendern und Hörern ist bei uns bislang hauptsächlich
zu einem Frontalangriff auf anspruchsvollen Musikjournalismus, musikaliasche Vielfalt und
Innovation sowie auf Glaubwürdigkeit im Sinne eines authentischen Musikgeschehens daneben
geraten. Während man in den USA Country-, Hardrock-, Oldie-, Easy-Listening-, Black-Musik- und
sonstige Formate hat, wird bei uns zunehmend ein seltsam-synthetischer Mainstream-Müll zum
werbe- und verkaufsträchtigen Nonplusultra erhoben. Dieser formatierte Dummfunk wird unter-
stützt und begleitet von einer Fülle von Umfragen und Untersuchungen, angepeilt wird eine
bestimmte Zielgruppe und/oder eine lukrative Marktnische.

Die Mehrheit der Privaten strickt mit der Werbewirtschaft an einer fatalen selfulling Prophecy:
Der Hörer wird solange verarscht, bis er selbst daran glaubt gut versorgt zu werden. Heran-
gezüchtet werden unmündige Fast-Food-Mutanten, die man nur noch mit vordergründiger
Action von der Couch herunterkriegt.

"Gefragt ist heute nicht mehr die große musikjournalistische Aufbereitung einer Sendung,
sondern gefragt sind Moderatorenqualitäten." Die Musikkellner dieser Art haben eigentlich
nichts mehr zu sagen. Sie bekommen selbst serviert, was man pro Stunde häppchenweise
unters Volk streut. Diese vollinhaltliche Nulldiät treibt jetzt seltsam-skurile Blüten.

"Es ist heute Rockinterpreten meist nur noch mit einer getragenen Schmeichelballade
möglich, ins Radio zu kommen und damit in die Single-Charts. So kriegt manch Ahnungs-
loser heute erst im Konzert mit, dass er Rock im schmuseligen Schafspelz gekauft hat."


Quelle: KURIER Nr. 23-24/92, Seiten 12 + 13.
 
AW: Transformation des US-Formatradio in deutsche Verhältnisse daneben geraten

Tja XXL Funk, das kommt daher, weil man in Deutschland aberwitzigerweise in Altersgruppen denkt und nicht in musikalischen Vorlieben und Musikrichtungen. Die allermeisten Sender stürzen sich auf die unscharfe "Zielgruppe" der 14-49-Jährigen und versuchen einen möglichst großen Höreranteil aus dieser grauen Masse an sich zu binden. Die älteren Zuhörer wiederum gelten als werbetechnisch irrelevant, obwohl sie bekanntlich jede Menge Geld zu verteilen haben.

Das echte Formatradio steckt bei uns ohnehin noch in den Kinderschuhen. Sender wie JAM FM oder Truck Radio stagnieren oder scheitern aufgrund mangelnder Reichweite und hoher Kosten und steuern zunehmend auf den Mainstream zu, um nicht gänzlich in der Nische zu verschwinden. Außerdem gibt es in den USA keine musikalischen Ausgrenzungsversuche - wer Bluegrass, Blues oder Country liebt wird genauso respektiert wie jemand, der auf R&B, Jazz oder TexMex abfährt. Typisch deutsche Musikgattungen wie Schlager oder "Volksmusik" haben jedoch immer noch ein Imageproblem, man kann generell sagen, dass deutschsprachige Musik im kommerziellen Umfeld immer noch nicht gern gesehen wird. Im Bereich der Popmusik gibt es in Deutschland keine klare Spartentrennung, stattdessen werfen die Sender einfach Kraut und Rüben durcheinander ("Pop- und Rock der 70er-, 80er-, 90er-Jahre"), meist in Form der "besten Hits aller Zeiten".

Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann nur die Digitalisierung (z.B. DAB) bieten, weil die Sender dann mit schärfer umrissenen musikalischen Stilrichtungen experimentieren können, ohne ein allzu großes finanzielles Risiko einzugehen. RPR und SR deuten diese Entwicklung mit ihrem Webradio bereits an.
 
AW: Transformation des US-Formatradio in deutsche Verhältnisse daneben geraten

Das Marketing-Konzept "Me-too" funktioniert leider nur wenn etwas billiger ist. Nachdem Radio freiempfangbar ist kann man nur durch bessere Abdeckung der Erwartung von Zuhöreren punkten. Verschiedenste Analysen ergeben, das die absolute Anzahl an Zuhöreren sich reduziert. Die Kombination von "Me-too", Kostenreduktion, einfacher Verfügbarkeit von Alternativen und Abbau der Alleinstellungsmerkmale (z. B. Serviceleistung, wie Nachrichten, Beiträge mit echter Information, echt aktuelle Meldungen/ Warnungen oder auch das vorstellen von Titeln die der Zuhörer nicht kennt) führt genau dazu wo wir heute im Radio sind.
 
AW: Transformation des US-Formatradio in deutsche Verhältnisse daneben geraten

Das echte Formatradio steckt bei uns ohnehin noch in den Kinderschuhen. Sender wie JAM FM oder Truck Radio stagnieren oder scheitern aufgrund mangelnder Reichweite und hoher Kosten und steuern zunehmend auf den Mainstream zu, um nicht gänzlich in der Nische zu verschwinden.

Interessanter Aspekt und leider nur allzu wahr. Als kleiner "Nischensender" hast du in Deutschland praktisch keine Möglichkeiten Werbekunden zu bekommen, wegen einer zu geringen Reichweite. Klare Folge der Rundfunkhoheit der Ländern. Wenn man bundesweit senden könnte, wäre sicherlich vieles einfacher. Wenn Sender wie SSL, Truckradio, Motor-FM, Teddy oder auch Jam-FM könnten sicherlich besser überleben, wenn sie grössere Reichweite hätten. Wohlgemerkt über UKW. Alles andere bringt eh nichts.
 
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