Läuft ja super mit der Beratung im, eh, Fachhandel
Richtig. Der "Fachhandel" wurde auch teils vom Großhandel instruiert, für die "SD Radio"-Abschaltung und die Umstellung auf "HD Radio" zu beraten und entsprechende Plastedosen ohne Display und ohne standardkonformen analogen Audioausgang (eher sowas wie 4-pol-Miniklinke mit Composite und L/R) zu verkaufen. Der Link auf eine solche Großhändler-Seite liegt mir vor, ich mag ihn hier nicht online stellen, da es eine Händler-Seite ist.
Aber mich erstaunt doch, dass selbst Spitzengeräte noch um 2010/11 ohne eventuelle Codec-Aktualisierungen im Design vorzusehen auf den Markt geworfen wurden. Liege ich ganz falsch mit der Vermutung, dass damals schon übliche Standardprozessoren z.B. aus dem Smartphone-Markt für n paar Dollar mit wohl so ziemlich jedem Audiocodec klarkommen sollten?
Ob die HDTV-Spitzengeräte um 2010/2011 leistungsmäßig nicht für AAC taugen, bezweifele ich. AAC ist nicht implementiert worden, weil es für den deutschsprachigen Markt nicht nötig war und weil damit Lizenzkosten gespart werden konnten. Wenn man 250.000 Geräte absetzt und auf eine "magische Summe" (UVP) hin entwickeln muss, sind 212.500 EUR eingespartes Geld schon eine Hausnummer.
Sehr schön sieht man das bei den Geräten von Technotrend Görler. Die hatten eine Serie mit Satreceivern im 43-cm-Gehäuse mit anständiger Optik und Haptik sowie 16-stelligem Programmnamendisplay.
Es gab ab Ende Juni 2009 den TT-select S850, ein Twintuner-Gerät mit Anschlussmöglichkeit für USB-Festplatte:
Das Gerät unterstützt laut Datenblatt AAC:
Audio Dekodierung:
• ISO/IEC 13818-3 (MPEG-1/2, Layer 1, 2 & 3)
• ISO/IEC 14496-3 (MPEG-4/AAC-HE)
• Dolby AC-3 pass-through und down-mix
Das Datenblatt datiert auf den 17.5.2009.
Dann gab es ab Ende Juli 2009 den TT-select S950, ein Twintuner-Gerät mit eingebauter Festplatte:
Auch dieses Gerät unterstützt laut Datenblatt AAC:
Das Datenblatt datiert auf den 21.6.2010.
Dann kam im Frühjahr 2010 der TT-select S845HD+, ein HD+-zertifiziertes Gerät, das den entsprechenden Kartenleser nebst CA-System gleich integriert hatte und mit für 12 Monate freigeschalteter HD+-Karte ausgeliefert wurde. Damit war das Gerät auf Deutschland als Zielmarkt festgelegt, denn HD+ darf nur in Deutschland betrieben werden. Ein Verkauf im Ausland war damit von Anfang an nicht vorgesehen.
In der Bedienungsanleitung steht, dass AAC unterstützt wird:
Die Bedienungsanleitung datiert auf den 30.11.2009.
Das Datenblatt wurde später aktualisiert. Es nennt AAC nicht mehr:
Das Datenblatt datiert auf den 23.4.2010.
Man hatte also offenbar die AAC-Funktionalität entfernt oder bei diesem Gerät nie vorgesehen - war ja für Deutschland.
Der S845HD+ war bis Anfang 2014 (!) im Handel:
Genau dieser Receiver ist seit anfang 2012 mein Radio-Receiver, weil er so gut in die Stereoanlage passt.
Auch die weitgehend für D / A/ CH entwickelten TechniSat-Receiver dieser Zeit haben kein AAC (Digicorder HD-S2, Digicorder HD-S2+, Digicorder HD-K2, Digit HD8-S, Digit HD8+, Digit HD8-C). Das sind genau die Geräte, die die besten Voraussetzungen für Radio mitbringen, u.a. RDS-Auswertung, Radiotext-Anzeige etc. Die fallen auch weg.
Teilweise gab es davon auch Exportversionen für Skandinavien, interessanterweise offenbar auch ohne AAC.
In einem Katalog für den skandinavischen Markt wies TechniSat bei TV-Geräten von 2008 (!) ausdrücklich auf AAC-Tauglichkeit hin:
Norwegen hatte 2007 DVB-T (= DTT) mit AAC-Ton gestartet.
Und so haben auch die Fernseher von anderen, teils deutlich größeren, global agierenden Unternehmen AAC-Ton gehabt seit dieser Zeit - sobald ein DVB-Empfangsteil integriert war. Für Sat-/Kabelreceiver für den deutschsprachigen Markt war das nicht notwendig.
Ein deutscher Receiverhersteller ergänzte um 2011 herum seine Geräte mit AAC - für einen neuen Markt. Dürfte Skandinavien gewesen sein. Da konnte es die CPU also - heute updatet die Vodafone gerade übers Netz die Kabelradios dieses Herstellers, deren erste Version auf der gleichen CPU basiert.
Es gibt ein einziges Dokument, dass eine Berücksichtigung von AAC für im EBU-Gebiet in den Handel gebrachte Geräte erwünscht, aber nicht erzwingt. Darin werden die Hersteller "encouraged", AAC vorzusehen - für mich klingt das deutlich anders als "mandatory". Auch bezieht sich dieses Dokument nur auf HDTV-Receiver, nicht aber z.B. auf DVB-Radiogeräte (!) und DVB-UKW-Kopfstellenumsetzer. Genau da gibt es jetzt die größten Verluste. Und: das Dokument von 2009 wurde und wird von der Industrie auch nicht als verpflichtend betrachtet, denn sonst müssten z.B. auch heutige HDTV-Receiver noch 2 SCART-Buchsen mit Durchleitung des Videosignals vom Videorecorder zum Fernseher aufweisen. Steht da nämlich auch drin.
Und wie wir jetzt lernen, sind AAC-Decoder auch nicht unbedingt fehlerfrei, so dass "ältere" Geräte (für mich sind 10 Jahre alte Receiver nicht "alt", da sie das heutige deutsche HDTV von Sat oder Kabel ja komplett unterstützen) nun auch unbrauchbar sein können für ARD-Hörfunk.
Hätte die ARD vor ihrer Aktion mal recherchiert, wäre ihr das zwangsläufig aufgefallen. Hätte das IRT mal das gemacht, wofür es eigentlich da war (wissenschaftlich-technisch solide Arbeit), wäre das auch aufgefallen.
Da, wo man realitätsbezogen arbeitet, läuft der Hörfunk auch nach Neuordnung der Sat-Transponder in MP2: Schweiz, Italien (erstmals vollständig und einigermaßen ordentlich), Frankreich.
Übrigens ist ein Dreivierteljahr vor Aufnahme von AAC in die DVB-Spec DTS-Audio aufgenommen worden. Da wäre es genauso vermessen, die Anwesenheit eines passenden Decoders in den Receivern zu verlangen, nur weil die Möglichkeit, DTS zu verwenden, in der Spec steht.