Medientreffpunkt Mitteldeutschland

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Radiowaves

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Ist mir erst heute aufgefallen: es gibt keinen Thread zum Medientreffpunkt 2009. Dabei finden sich inzwischen herrliche Pressemeldungen aus Leipzig hier im Forum.

Heute früh lernten wir, daß nicht nur Michael, sondern auch Marcel Schiewack beim MDR arbeitet. Er ist sogar Jump-Chef - offenbar eine Doppelspitze. ;)

Etwas später war dann auch Michael Schiewack vor Ort.


Eine völlig neue Erkenntnis dann am Nachmittag: Radio braucht neue Ideen und lebendige Menschen am Mikrofon. Oha! Da haben die Damen und Herren Berater sicher lange in ihren Büros gebrütet, Studien betrieben, Umfragen gemacht und hunderte Powerpoint-Folien vollgekleistert. Das war sicher alles ganz spannend...

Herrliche Aussagen finden sich da, ich will nur mal einige wenige herauspicken.


Es ist leichter, Kultur ins Formatradio zu bringen, als ein Kulturprogramm für neue Hörergruppen zu öffnen.

Kann ein sehr böses Zeugnis für die Nutzer der Kulturprogramme sein. Die Hörer der Kulturwellen werden offenbar als intolerant gegenüber inhaltlichen Erweiterungen, beispielsweise durch Popkultur-Sendungen eingeschätzt. Liegt hier möglicherweise ein Grund dafür, daß Sendungen wie "Rebell" und "Der Ball ist rund" beim hr nicht auf hr 2 weiterlaufen dürfen?

Und selbst ich als jemand, der bei Klassik Aggressionen bekommt (und sich inzwischen sicher ist, daß dies mit seiner frühkindlichen Entwicklung und Erziehung zu tun hat, die eben genau das Gegenteil bewirken sollte) muß widersprechen. Es ist sehr einfach, Kulturprogramme für neue Hörerschichten zu öffnen. Man muß die ursprünglich von diesen Hörerschichten genutzten Programme nur so weit inhaltlich abbauen, daß nur die Wahl Ausschalten oder Kulturprogramm bleibt. Ja, schon vor Jahren kannte ich Punks, die D-Kultur hörten, weils nix anderes mehr gab.


Dr. Heinz-Dieter Sommer, Programmdirektor Hörfunk und stellvertretender Intendant des Hessischen Rundfunks: „Wir müssen Menschen für diese Inhalte begeistern, sonst verschwinden diese Inhalte irgendwann.“

Gut erkannt. Das heißt aber noch lange nicht, daß Kulturprogramme zwangsläufig eingestellt werden müssen. Kultur ist mehr als die Bachkantate und das Klassik-Wunschkonzert am Mittag. Böse Zungen behaupten, das wäre nicht einmal Kultur, sondern in der Form, in der es zelebriert wird, schlicht und einfach Ramsch.


Möglicherweise könne sich künftig auch nicht mehr jede ARD-Anstalt den Luxus eines Kulturprogramms leisten.

Seltsamerweise denkt ofenbar niemand darüber nach, auch mal bei den Popwellen zusammenzustreichen. Warum sollte es nicht einen Einheitsbrei für Deutschland geben statt von fast jeder Anstalt einen? Das wäre genauso schlimm, aber billiger. Vielleicht blieben da noch paar Cent für etwas mehr Kultur übrig.


Die Lanze für das Formatradio brach MDR-Hörfunkdirektor Johann Michael Möller: „Es erreicht die Hörer in ihren Lebenssituation, es hilft ihnen, die Notwendigkeiten des Lebens zu bewältigen.“

Meine Fresse, ich dachte, wir wären weiter beim MDR. Aber gut, für die Notwendigkeit des Lebens im Osten (Schlafen, Essen, Autofahren, Notdurft verrichten) reichen Programme wie Jump vielleicht. Komplexer gestrickte Menschen werden mit heutigem Formatradio jedenfalls kaum erreicht, behaupte ich weiterhin.


Die junge Generation sei gut ausgebildet und vielseitig interessiert, aber vielleicht gerade nicht in der klassischen Kultur zu Hause. „Wir müssen vielleicht damit leben, dass Kulturgut auch einmal untergeht“, sagte der MDR-Hörfunkdirektor.

Eine bittere Wahrheit. Die klassische (Musik-)Kultur muß dabei ja nicht einmal untergehen, wie "Jugend musiziert" oder auch diverse in Chören singende oder Kirchenorgel spielende Freunde und Bekannte beweisen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte kommt halt nur immer mehr Kultur dazu, so daß der Stellenwert der klassischen Kultur ganz automatisch abnehmen muß. Mehr Optionen - breitere Verteilung auf diese.


Auch Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul gab zu bedenken, dass die ARD die moderne Radio-Welt verschlafen hat. „Es waren die Privaten, die die Interessen der Hörer entdeckt haben“, sagte er.

Einspruch! Nicht "die Interessen der Hörer", sondern "den Wunsch der Mehrheit". Es gibt darüber hinaus weitere Bevölkerungsteile, die brav GEZ zahlen, aber inzwischen nicht einmal mehr von den öffentlich-rechtlichen erreicht werden, da die auf der Suche nach den Hörern sind, die bei den Privaten ihren Drang nach Belanglosigkeit und Tinnitus-Ersatz stillen. Doch selbst dieser ist meiner Meinung nach kein Interesse. Nebenbei-Radio benötigt und befriedigt kein Interesse. Das sagt schon sein Name aus.


Die Ansprechhaltung zum Beispiel sei oft hochnäsig und arrogant, als wolle man unter sich bleiben. „Das ist ein Umschaltfaktor“, betonte Steul.

Für mich noch mehr: das ist mein genereller Ablehnungsgrund in Sachen Klassik. Solange diese als Mittel der "Disziplinierung" und Fremdbestimmung mißbraucht wird, lehne ich dankend ab. Ich erlebe das hin und wieder im täglichen Umgang, also außerhalb des Radios. Es sind so Dinge wie das Selbstverständnis, daß nur Klassikhörer "Kulturmenschen" oder gar Menschen wären. Daß man "im Alter automatisch zur Klassik käme". Daß Kinder zur Klassik gezwungen werden müßten. Daß man sich für was besseres hält, wenn man im Supermarkt statt Chartspop eben Klassik dudelt. Ich sehe da einen schweren Imageschaden, an dem auch die Kulturwellen zu knabbern haben. Aber vielleicht ist das auch nur meine ganz spezielle Wahrnehmung.
 
AW: Medientreffpunkt Mitteldeutschland

Das Panel war ein ziemliches Trauerspiel und es wundert nicht, dass es ohne anschließende Fragerunde (sic!) freundlich lächelnd und Schulter klopfend zu Ende gebracht wurde.

Dabei hatte Herr Bollinger als Moderator tatsächlich zu Beginn glaubhaft Feuer für mehr Mut im Radio versprüht, verlangte sowohl von Kulturradio als auch Popwelle mehr Experimente und bessere Wahrnehmung der Aufträge "Information und Bildung"..

Meine Lieblingsstelle war, als Herr Bollinger vorschlug, Auslandskorrespondenten der Infosender auch für Beiträge zu Jugendkulturen aus anderen Ländern in den Popwellen zu nutzen und dabei als Beispiel (!!) auf einen Korrespondenten des SWR in Ägypten verwies, der Beiträge über die dortige Jugendkultur produziert habe. MDR Mann Möller dazu schlicht: "Wer will denn sowas hören? Also ich jedenfalls nicht!"

Am Ende wurde eh nur die ganze Zeit darüber gesprochen, ob man nun als Kulturradio verpflichtet sei, zeitgenössische Klassik ("Chaos ohne Noten") zu spielen oder nicht und wenn ja wie lange und wann..

Das war Formatpanel galore! Vorhersehbar, ohne laute Töne, ein Schmunzler hier, ein Klassiker da...Traurig!
 
AW: Medientreffpunkt Mitteldeutschland

Radiowaves schrieb:
Aber gut, für die Notwendigkeit des Lebens im Osten (Schlafen, Essen, Autofahren, Notdurft verrichten) reichen Programme wie Jump vielleicht. Komplexer gestrickte Menschen werden mit heutigem Formatradio jedenfalls kaum erreicht, behaupte ich weiterhin.
:wow::wow::wow:
 
AW: Medientreffpunkt Mitteldeutschland

Meine Lieblingsstelle war, als Herr Bollinger vorschlug, Auslandskorrespondenten der Infosender auch für Beiträge zu Jugendkulturen aus anderen Ländern in den Popwellen zu nutzen und dabei als Beispiel (!!) auf einen Korrespondenten des SWR in Ägypten verwies, der Beiträge über die dortige Jugendkultur produziert habe. MDR Mann Möller dazu schlicht: "Wer will denn sowas hören? Also ich jedenfalls nicht!"

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Und für solche Personen zahl ich GEZ???
 
AW: Medientreffpunkt Mitteldeutschland

Die Hörer der Kulturwellen werden offenbar als intolerant gegenüber inhaltlichen Erweiterungen, beispielsweise durch Popkultur-Sendungen eingeschätzt.

Das lässt sich auch sehr gut sozialwissenschaftlich erklären. Kulturrezeption ist nicht nur Genuss und Entspannung - sondern auch ein Mittel, sich sozial abzugrenzen. Bourdieu nannte unter anderem das "kulturelle Distinktion". Die (sich intellektuell wähnende) obere Gruppe versucht, sich möglichst umfassend von der nächstunteren abzugrenzen. Und das zieht eine ziemlich geringe Toleranz gegenüber jener "Kulturgüter" nach sich, die nicht zum eigenen Gruppenverhalten passen. Ist ein uraltes Dilemma der Kulturwellen (äußert sich zum Beispiel auch in der hier bemoserten Arroganz), das lässt sich kaum durch geschickte Formatierung lösen.
 
AW: Medientreffpunkt Mitteldeutschland

Dr. Heinz-Dieter Sommer, Programmdirektor Hörfunk und stellvertretender Intendant des Hessischen Rundfunks: „Wir müssen Menschen für diese Inhalte begeistern, sonst verschwinden diese Inhalte irgendwann.“
DAS hat der Sommer gesagt?

Ausgerechnet unter seiner Regie liegt die Priorität doch eindeutig auf dem Verschwinden und wohl kaum auf der Begeisterung. Aber man darf solchen Statements ohnehin nie glauben. Allenfalls ist in Wahrheit das genaue Gegenteil gemeint - so wie auch hier.
 
AW: Medientreffpunkt Mitteldeutschland

Er befürchtet wohl, daß seine Inhalte irgendwann verschwinden könnten. Heinz-Dieter Sommer gehört zur Hochkulturfraktion und hat sich, bevor er Hierarch wurde, mit E-Musik beschäftigt.

Wie schon bei früherer Gelegenheit bemerkt: Ich vermute, das justament ein Posting weiter oben angesprochene Phänomen spielt beim Dornbusch-Drama eine nicht unwesentliche Rolle.
 
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