Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

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qwertzy

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Guten Morgen zusammen,

bin heute zufällig auf folgendes Video gestoßen:
http://www.youtube.com/watch?v=cuA9qPaR2Ds

Was wurde daraus? Gibt's inzwischen erste Anzeichen für ein öffentlich-rechtliches Talkradio? Wenn ja, wo? Und wenn nein, warum traut sich das, wie Patrick Lynen hier sagt, wirklich niemand?

Ich z.B. wäre endgültig an einem Punkt, an dem auf die immergleiche Musik und das allzu kommerzielle, sich kaum unterscheidende Programm in ganz Deutschland sofort verzichten könnte. Ich hätte gern etwas mehr Wort im Programm, etwas sehr viel mehr Wort :p

Eure Meinungen würden mich interessieren.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Ich glaube in den deutschen Radioprogrammen ist der Wortanteil mit Talksendungen sehr hoch. Ich denke da an Programme wie Deutschlandfunk, DKultur oder WDR 5, aber auch an die Sendung Arena auf WDR 2, wo jeden Donnerstag 2 Stunden lang über ein Thema gesprochen und diskutiert wird. Ich halte ein gutes Musikradio für wichtiger.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Mehr Wort bedeutet nicht automatisch mehr Qualität. Manchmal bedeutet mehr Wort auch nur: mehr Wörter... ;)
Nicht unwahrscheinlich, dass ein kommerzielles Talkradio in Deutschland ein unerträgliches pseudojournalistisches Gemisch aus Promi-Talk, bezahlten PR-Beiträgen, Esoterikmist, Astroshows, Verschwörungstheorien, Spiritueller Lebensberatung und gefakten Gewinnspielen in den Äther schicken würde. Patrick ist da meines Erachtens etwas zu optimistisch. Aber das ist alles Spekulation, denn natürlich wird sich hierzulande kein Privater trauen, die ausgelatschten Pfade, so matschig und eklig sie auch sind, zu verlassen - da hat Patrick Lynen ganz recht.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Es käme auf einen Versuch an.

Ich sehe da durchaus Potenzial. Deutschlandweit über Kabel, Sat, DVB, dazu noch Hörerstarke UKW-Funzeln. Da sollte zumindest eine Hörerreichweite jenseits des 197. Dudelhitmixradios drin sein.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

hörerstarke UKW-Funzeln:

möglich in Berlin, Hamburg, München, Köln oder Frankfurt.
nicht möglich in: Norden-Norddeich, Uecker-Randow, Artern - Stadt der Träume am Kyffhäuser und auch nicht auf Helgoland.

Ich hoffe, du verstehst, was ich damit ausdrücken wollte
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

hörerstarke UKW-Funzeln:

möglich in Berlin, Hamburg, München, Köln oder Frankfurt

Das kann dann aber nur über DAB+ sein, dass in den genannten Städten noch UKW-Frequenzen frei werden könnten, ist ja eher unwahrscheilich und bevor in Köln ein UKW-Talk-Radio auf Sendung wird eher der Kölner Dom zur Moschee umgebaut.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Hat es in Berlin nicht auch schon mal ein Talkradio gegeben?

Ja, gab es: NewsTalk auf der 93,6. Da war nach nichtmal zwei Jahren wieder Schluss, trotz UKW-Frequenz. Der Nachfolger aus dem Hause FAZ hat auch nicht länger durchgehalten, obwohl das FAZ-Radio nicht nur in Berlin sondern auch in Frankfurt (95,1) und München (92,4) ausgestrahlt wurde und somit eine durchaus beachtliche technische Reichweite hatte.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

In den USA soll es doch einige von dieses Talkradios geben, oder stimmt das nicht?

Ist denn das Hör(er)-Verständnis dort drüben so anders?
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Zum Einen ist das Verhältnis der Amis zum Radio ein anderes. Die hören da auch noch knallhart das LW-Band, was du in Schland völlig vergessen könntest. Da drüben ist das normal. Zum Anderen sind dort die Strecken, die per Auto zurückgelegt werden sehr viel größer, sodass ohnehin länger Radio gehört wird. Und dann darf auch nicht vergessen werden, dass es einen Unterschied macht, ob ich in einer 3 Mio-Stadt ein Talkradio starte und mir aus diesem Pool meine Hörer zusammensuchen muss, oder ob ich 14 Mio in einer Stadt beschallen kann. Da bleibt insgesamt einfach mehr über.

Übrigens: Lynen meint übrigens nicht zwingen ein 24 Stunden Dauertalkradio. Er meint, dass es möglich sein muss, einen Sender wie BBC Radio 1 zu etablieren, der sich nicht davor scheut lange Wortstrecken zu haben, wenn diese sinnvoll gefüllt sind.

Ich denke, am Ende würde es für Deutschland schon reichen, wenn man einem Thema einfach mal die nötige Zeit geben könnte, die man bruacht um etwas klar zu machen. Es gibt auch bei privaten und privat angelegten Öffi-Sendern gute Talkformate mit prominenten Gästen oder dergleichen. Dass diese Gespräche aber immer wieder nach 2 Minuten von 2-3 Songs unterbrochen werden ärgert mich dann immer. Warum nicht zum Beispiel eben diesen Talk 1 Stunde durch senden oder meinetwegen vom Service um halb und 2 Songs unterbrechen?

Das wäre schon mal ein interessantes Konzept.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Weiß jemand von euch, wie viele Hörer / welchen Marktanteil NewsTalk 93,6 ("Hier spricht Berlin") hatte?
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

In den USA sind die News/Talk-Formate wahnsinnig erfolgreich, besonders auf Mittelwelle kann man überall mindestens fünf von denen hören. Allerdings würde speziell dieses Format in Deutschland m.E. nicht funktionieren, weil die News/Talk-Stationen von der polarisierten politischen Lage profitieren und selbst zu dieser Beitragen.

Was allerdings in Deutschland aufgebaut werden könnte, waren längere Wortstrecken innerhalb von populären Programmen. Inwiefern reine oder fast reine

Das deutsche Problem ist ein selbstverursachtes und sich selbst verstärkendes, und der Grund, warum es Talkradio in Deutschland so schwer hat, ist im Grunde der gleiche, warum es intelligentes Musikradio so schwer hat.

1. Haben die Privatsender im Schleptau mit den meisten öffentlich-rechtlichen Programmen den Deutschen die Vorstellung, dass populäres Radio auch intelligent gemacht werden könnte, ausgetrieben. Aus Sicht eines naiven Beobachters scheint es nur dumpfe Musiksender (Schlager, AC, CHR, Rap) auf der einen Seite und E-Sender (Nachrichten, Klassik, Wort) auf der anderen zu geben. Wenn man heute auf einer Party Leute kennenlernt und später am Abend auf die Frage, was für Musik man höre, antwortet, man höre gerne Radio, kommt fast immer ein "Ich-hätte-Dich-eigentlich-für-intelligent-gehalten"-Blick zurück. Will sagen: Die Zielgruppe, die in anderen Ländern Europe 1, Cadena SER, BBC Radio 1,2,4 oder 5 oder P3 hört und diesen Programmen Topquoten bereitet, ist in Deutschland angesichts der Dummfunkerei auf allen Kanälen gegenwärtig für das Medieum Radio überhaupt verloren, und müsste erst mal für das Medium Radio und das, was es leisten könnte, wieder gewonnen werden.

2. Der deutsche Privatradiomarkt ist viel zu wenig auf Wettbewerb ausgerichtet. Die Einflüsterer vom Verlegerfunk haben die Landesrundfunkanstalten erfolgreich "überzeugt", den Wettbewerb im Privatradiomarkt streng zu begrenzen, um den Verlegerhitradios genug finanziellen Spielraum zu lassen. Vorgeblich sollte damit die Qualität gesichert werden, tatsächlich werden damit Innovationen behindert und Gewinne abgeschöpft. Zwei Privatradios ohne Konkurrenz und Anspruch in einem Acht-Millionen-Bundesland wie Niedersachsen sind ein Witz, und zwar ein extrem schlechter.

3. Die öffentlich-rechtlichen suchen ihre Legitimation im dualen Rundfunksystem in der Quote, und da die beim Radio in der MA gemessen wird, optimiert man die Programme - wie es die Privaten machen - auf die MA, und verwendet dafür die gleichen Strategien und Berater wie die Privaten. Mit dem Ergebnis, das man klingt wie die Privaten.

4. Gut gemachtes Radio kostet Geld. Einen neuen Sender aufzubauen kostet Geld. Etwas zu wagen, was es noch nicht gibt, und von dem man nicht weiß, wie groß die Zielgruppe ist (und ob es sie überhaupt gibt), ist ein unternehmerisches Risiko. Unter diesen Umständen als Radiomacher Gelder bei privaten Investoren einzusammeln oder als öffentlich-rechtliche Führungspersönlichkeit die Geschäftsführung und den Rundfunkrat von Investitionen in diesem Bereich zu überzeugen, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.

5. Fähnchen mit dem Hitradio-Senderlogo drauf sind einfach günstiger.

Aber wenn man es versuchen möchte, dann muss man es jetzt versuchen. Dank DAB+ werden gerade viele Sendekapazitäten neu ausgeschrieben. Eine solche Chance wird es so schnell nicht wieder geben. Auf geht's! Den Mutigen gehört die Welt.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Wie ist talkradio zu verstehen? Sender mit reinem Wort oder Sender mit Diskussionsrunden und Erörterungen?
Für letzteres sehe ich kaum Chancen.
LBC in Großbritannien hatte reichweitenstarke Mittelwellen und kam nur schwer über die Runden. Im Moment firmieren sie unter London's Biggest Conversation auf 96,3.
Ich sehe es auch so, daß dafür in Deutschland kein Markt vorhanden ist. Wenn, müßte ein solches Radio unter öffentlich-rechtlicher Ägide gefahren werden. Kommerziell und privat müßte es unweigerlich auch Boulevardthemen und viel Sport behandeln um für die Werbewirtschaft attraktiv zu sein.
Und haben wir nicht bereits ein talkradio? Wenn es reines Wort betrifft? Und ich mir b5 aktuell anhöre?

obwohl das FAZ-Radio nicht nur in Berlin sondern auch in Frankfurt (95,1) und München (92,4) ausgestrahlt wurde

Zu diesem Thema muß man wissen, daß die Zeitungsgruppe ihre Verluste mehr im Printbereich eingefahren hatte. Durch die mit enormen Aufwand lancierten Werbeblätter Sunny und Sunday wurde ein millionenschwerer Verlust eingefahren. Durch diesen konnte man das Radioengagement auch nicht mehr aufrecht erhalten.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Natürlich gibt es Talkradios, also Sender, die ausschließlich Wort senden.

Vielmehr geht es aber um die Zielgruppe, die diese Sender bestrahlen. Schauen wir uns doch z.B. die Zielgruppe von BBC Radio 1 an. Ich zitiere Wikipedia: "BBC Radio 1 ist ein Hörfunkprogramm der BBC, das hauptsächlich auf eine junge Hörerschaft von 15 bis 29 Jahren zielt." (http://de.wikipedia.org/wiki/BBC_Radio_1) Von reinem Wortprogramm kann hier nicht die Rede sein, denn jede Stunde wird unterbrochen durch 3-4 Songs. Aber genau das ist es meiner Meinung nach, was Patrick Lynen meint. Das Wort-Musik-Verhältnis dahingegend verändern, dass wir statt viel Dudelmusik eben mehr Wort haben. Wäre doch interessant. Und die Themen könnten breit gefächert sein, kann man nicht auch über Musik reden? Akutelle Nachrichten? Sport (nicht nur Fußball)? Trends? Interessantes, Wissenswertes? Interviews? Hörtertalk? Ganze Hörershows? Eben so wie die Engländer.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Zum einen entdecke ich nirgends etwas, was der Kollege Lynen gesagt haben soll?

Zum anderen ist talkradio eben talkradio. Das ist pures Wort und nichts als Wort. Aber deutlich mehr als das zitierte b5 aktuell. talkradio bedeutet in hohem Maße die Einbindung von Hörern für Meinungsäußerungen. Sowie
qwertzy schrieb:
Und die Themen könnten breit gefächert sein, kann man nicht auch über Musik reden? Akutelle Nachrichten? Sport (nicht nur Fußball)? Trends? Interessantes, Wissenswertes? Interviews? Hörtertalk? Ganze Hörershows? Eben so wie die Engländer.

Genau so.

Wenn es öffentlich-rechtlich ist kann es gelingen. Privatrechtlich sehe ich da wenig Interesse. Und wahrscheinlich auch nicht die hier unterschwellig gewünschte redaktionelle und journalistische Aufbereitung?
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Berry schrieb:
Ich glaube in den deutschen Radioprogrammen ist der Wortanteil mit Talksendungen sehr hoch. Ich denke da an Programme wie Deutschlandfunk, DKultur oder WDR 5, aber auch an die Sendung Arena auf WDR 2, wo jeden Donnerstag 2 Stunden lang über ein Thema gesprochen und diskutiert wird. Ich halte ein gutes Musikradio für wichtiger.

Als gäbe es nicht Musikradio im Überfluss. Der Vorschlag lautet ja nicht, die Musikradios abzuschaffen, sondern zusätzlich dazu ein Angebot "Talkradio" zu schaffen.

Das Privatradio in seiner heutigen Eignerstruktur und MA-Abhängigkeit halte ich allerdings für unfähig und auch ungeeignet (Personal) eine solche Alternative aufzubauen. Das muss schon der öffentlich-rechtliche Rundfunk leisten, für dessen Aufgabe ich es auch halte. Vielleicht muss man sich dort nur einmal von der falschen Grundhaltung frei machen, dass Talk, Wort, qualifizierte Info und überhaupt die seriöse und kompetente Aufbereitung von Themen und Inhalten in Widerspruch zu Unterhaltung stünde. Nein! Richtig gemacht ist das die beste Unterhaltung, die es gibt. Und ich meine damit nicht das oberflächliche "Infotainment", sondern ich meine den gleichen Unterhaltungswert, wie er auch von einem guten und hochwertigen Buch, Film, Theaterabend oder einem niveauvollen Gespräch ausgeht.
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Ja, ich fände es auch schön, wenn es ein kurzweiliges Talkradio geben würde. Aber die meisten Talkgäste können nur Parolen und Allgemeinplätze in eigenen Worten nachplappern.
Die wenigsten Talkgäste können nach meinen Erfahrungen wirklich gut Geschichten erzählen, selbst wenn dem einstündigen Talk ein zweistündiges Vorgespräch vorausging.
Dieses Unwissen ist aber nur bedingt den Talkgästen vorzuwerfen. Im Radio gibt es doch kaum noch Vorbilder dafür, wie man spannend Geschichten erzählt. Im Radio herrscht neben dem Dudelfunk doch eher die an Meldungen ausgerichtete Sprache vor. Die ist zwar informativ, aber in Talks wirkt sie langweilig.

Aber ein gutes Talkradio scheitert nicht nur an den Gästen. Auch braucht ein gutes Talkradio gute Fach- und Sachkompetenz, wenn das Gespräch auf einem hohen Niveau geführt werden soll. Ich weiß nicht, welcher Sender heute noch in solche Kompetenzen investieren. Das Fehlen von Talkradios könnte aber ein Indiz dafür sein, dass solche Investitionen heute eher unterbleiben.

Padina
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Ich hole es gern nochmal aus der Mottenkiste. Vielmehr als das Angehängte gabs zu dem Berliner Talkradio auch nicht zu sagen. So also bitte nicht, falls jemand ernsthaft mit dem Gedanken spielt erneut ein Talkradioformat in D zu etabileren. :D
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Kann denn mal jemand einen Link oder eine Datei posten, die ein Beispiel für das von Lynen gemeinte Talkradio beinhaltet, also von BBC oder aus Amerika?
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

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Wenn ihr mich fragt: Ich halte das Video für einen billigen fake. Irgendwo bei einer Tagung ein Mikro reingehalten. Text verändert, Brummen drüber gelegt.
Ein Stimmendouble hat man eine starke Aussage machen lassen und jemand hat das Machwerk dann als youtubelink angeboten.

Ich halte Lynen nicht für derart debil daß er freiwillig Geld verbrennen will. Wenn doch, möge er sich melden!
 
AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?

Wieso hätte irgendwer solch starkes Interesse, ein gefaktes Video über ein Thema zu veröffentlichen, das die Allgemeinheit und die Mehrheit aller Internetnutzer wahrscheinlich gar nicht interessiert und sie gar nicht wissen, worum es wirklich geht? Ich halte eher Deine Aussage für billig.
 
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