Occupy WDR

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Mannis Fan

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Unter dem Titel "Occupy WDR" verfasste Erika Fuchs auf den Online-"Nachdenkseiten" von Wolfgang Lieb eine vernichtende Zustandsaanalyse des WDR. Hier der Einstieg im Wortlaut:

Im WDR gärt es, und zwar seit langem. Ob es um die schleichende Boulevardisierung des Fernseh-Nachrichtenmagazins Aktuelle Stunde geht oder den Abbau von lokaler Berichterstattung im Hörfunk: vor allem die Mitarbeiter des Senders, die ihre Aufgabe als kritische Wächter in Nordrhein-Westfalen noch ernst nehmen wollen, fragen sich, ob sie den richtigen Beruf gewählt haben. Die größte ARD-Anstalt verliert unter der Ägide ihrer Intendantin Monika Piel (Jahresgehalt 2009: 308.000 Euro) immer mehr an Anspruch und journalistischem Profil. Gleichzeitig scheint es, als räume Monika Piel als derzeitige ARD-Vorsitzende auch noch bundesweit wichtige Bastionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zugunsten der privaten Verleger.

Der ganze Artikel hier:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=12301#more-12301
 
Hans“, geboren 1948, ist angestellter KFZ-Meister. „Leicht übergewichtig und mit hohem Blutdruck“ lebt er mit Hund („Molli“) und Frau („Brigitte“) in einem Reihenhaus in Hagen. Seinen Partykeller hat er schon lange nicht mehr benutzt. Allerdings fährt er einen Opel Vectra (Stufenheck) und geht kegeln. In der Erotik mit seiner Frau Brigitte (die 57-Jährige ist im Übrigen „topfit“, hat aber „gelegentlich Migräne“) ist er „aufgeschlossen, aber diskret“. Hans und Brigitte gibt es nicht wirklich. Aber sie sind – kein Witz – die prototypischen Hörer der Hörfunkwelle WDR4. Für diese Zielgruppe gilt es Programm zu gestalten.

Geil. Dann wundern mich die teilweise schlechten Programme des WDR allerdings nicht mehr. :thumbsup:
 
Danke!

Und nachdem ich das nun komplett gelesen habe, sage ich: WDR ist überall. Schon sehr lange. Alles, was da drin steht, kennt man auch aus anderen Anstalten. Und etwas weiter gefaßt: man kennt es auch aus den Printmedien (zumindest Teilen davon), in denen z.B. aus einst kritischen Magazinen inzwischen belanglose, unterhaltende, "Emotionen ansprechende" Anzeigenträger geworden sind (die ganze HiFi-Presse ist z.B. so hinweggeschieden). Man kennt es auch aus völlig anderen Branchen, aus der Industrie, aus dem Umgang mit Kunden. Es geht nur noch um vermeintliche Wohlfühlimpulse, aus Angst vor Ablehnung im anderen Fall. Daß bei solchen Dingen Wahrheit, Authentizität und Realitäsbezug nichts mehr zu suchen haben, versteht sich von selbst. Daß damit z.B. auch Kultur als etwas zutiefst authentisches nicht mehr berücksichtigt werden kann, ebenso.

Kann es vielleicht sein, daß sich im Mainstream längst eine Verabschiedung von allen realen Dingen und ein Hinwenden zu diversen Scheinwelten vollzogen hat, in der Hoffnung, das Leben möge frei von Realität etwas behaglicher sein?
 
@Radiowaves

Ich gebe Dir Recht. Unterschiede bestehen nur noch darin, wie offen (oder offensiv) diese Entwicklung bei den Einen bereits eingeräumt wird, während sie bei den Anderen noch schamhaft versteckt oder mit leicht durchschaubarer Modezeitgeistmodernitätsklimbimrhetorik als notwendige Entwicklung verkauft wird.
 
Als Autorin dieser Nachdenkseiten wird eine "Erika Fuchs" angegeben. Informationen über diese Frau, wer sie ist, konnte ich im Internet nicht finden.
Ich habe nur Informationen über eine verstorbene Erika Fuchs gefunden, welche Geschichten von Walt Disney übersetzt hatte.
 
Nicht mehr Bildung, Information und Unterhaltung (wie die BBC das definiert) für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger ist der Auftrag, obwohl er so im Gesetz steht.

Das Problem bei jeder öffentlich-rechtlichen Welle, ob nun WDR 4, SWR 3, Deutschlandfunk oder radioeins: Es wird nur noch in Zielgruppen gedacht, aber nicht mehr an die Öffentlichkeit. Entweder sind die Programme völlig banal oder für den Normalhörer nicht zugänglich, weil die Inhalte völlig grauenhaft aufbereitet werden.
 
Es wird nur noch in Zielgruppen gedacht, aber nicht mehr an die Öffentlichkeit.

Die Öffentlichkeit besteht doch aber vor allem aus Leuten wie "Hans", geboren 1948. 'tschulligung, aber das sind noch die treuen Radiohörer! Und die gilt es zu halten und notfalls bis ins Grab hinein zu beschallen. Wer hört denn sonst noch Radio? Die Generation der Smartphone-Besitzer ist doch längst weg. Nicht wegen des miesen Programmes, sondern weil sie ihr Leben nicht danach ausrichten, wann mal welcher Sender ihren Lieblingssong spielt. Lieblingssongs bekam man früher mit etwas Glück im Radio, aber darauf wartet doch niemand mehr. Die klickt man an und lädt sie runter, und dann hört man den Song, wann immer man will. Früher hat eine Single 6 D-Mark gekostet. Heute kostet ein Song ein paar lausige Cent (oder gar nichts). Das Radio als Jukebox braucht niemand mehr.
 
Die Öffentlichkeit besteht doch aber vor allem aus Leuten wie "Hans", geboren 1948. 'tschulligung, aber das sind noch die treuen Radiohörer!
Im schlimmsten Fall besteht die Gesellschaft zahlenmäßig mehrheitlich aus diesen Leuten, aber es gibt eben nicht nur diese. Die "Smartphone-Besitzer", die Du über ihre Motivation charakterisiert hast, die zählen leider aus meiner Sicht genau in die gleiche Gruppe (siechte Berieselung, Abtauchen in nicht-reale Welten). Es gibt andere "Smartphone-Besitzer", genau wie es generell auch andere "Leute" gibt: Menschen, die an einer innerlich gesunden Gesellschaft interessiert sind. An einer progressiven Weiterentwicklung oder wenigstens noch an einer Bewahrung des Bewahrenswerten. An authentischer Kultur, an Wahrheit, an Klarheit. Und eben nicht am Verfall hin zu einer verlogenen, sich immer wieder bauchpinselnden Seichtgesellschaft, in der nichts sein darf, was nicht "easy" und "wellness" ist. Nicht, daß ich etwas gegen "easy" und "wellness" hätte, aber doch nicht auf dem fauligen Polster von in den Keller gesteckten und unter den Teppich gekehrten Leichen. So richtig "well" wird es doch erst, wenn das Leben im weiteren Sinne aufgeräumt und klar ist.

Für die, die so empfinden, muß auch Programm gemacht werden, und zwar nicht nur für die momentan noch vorhandene Zahl dieser "Leute", sondern vor allem dafür, daß deren Zahl künftig wieder wachsen möge. Das könnte aus meiner Sicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk - aber nicht so, wie er sich seit Jahrzehnten aufgestellt hat. Er will es gar nicht mehr, er reitet aus Angst vor einem Bedeutungsverlust (er definiert "Massenattraktivität" als "Bedeutung", das wird sein Tod werden angesichts des Zustandes der "Masse") genau in diesen Bedeutungsverlust hinein. Du lieferst mit Deinem Beispiel selbst den besten Beweis: wer nur auf seine Lieblingssongs wartet, braucht den Rundfunk sowieso überhaupt nicht mehr.

Nachdem vorhin ein gerade auf dem Kriegspfad wandelnder Kollege mit diesen köstlichen Link aufwartete (ursprünglich als Satire mit ernstem Hintergrund gedacht), mache ich mir aber keine großen Hoffnungen mehr...
 
Danke! Und nachdem ich das nun komplett gelesen habe, sage ich: WDR ist überall. Schon sehr lange. Alles, was da drin steht, kennt man auch aus anderen Anstalten.

Aber soweit ich weiß, ist das tatsächlich bei vielen Sendern der Fall. Hier im Norden sind mir zumindest zwei bekannt, die diese "typischen" Hörer auch aufgezeichnet haben, damit die Mitarbeiter sie immer vor Augen haben.
 
Mein ehemaliger Chef hat mal gesagt "wir machen Radio für Leute mit Hauptschulabschluss". Denn wenn wir mehr beim Hörer voraussetzten, schlössen wir potentielle Hörer vom Programm aus.
 
Freiwild schrieb:
Mein ehemaliger Chef hat mal gesagt "wir machen Radio für Leute mit Hauptschulabschluss". Denn wenn wir mehr beim Hörer voraussetzten, schlössen wir potentielle Hörer vom Programm aus.

Der hat nicht zufällig als Pressesprecher bei Schlecker gearbeitet?
 
„Wir wollen nicht zu viel voraussetzen und Fremdwörter meiden.“

So tönen also Anweisungen im WDR? Nun, es wird sich vielleicht nicht bis hinter nach Kölle herumgesprochen haben, daß das der altbekannte Tonfall der Argumentationen aus dem Großen Haus ist. Da nimmt die Ähnlichkeit mit den Praktiken in der DDR Ausmaße an, bei denen es einem eiskalt den Rücken runterläuft.

Mich würden ja mal die Musterhörer von WDR 3 interessieren, das also noch weiter figaromäßig plattgewalzt werden soll. Könnten noch mehr Brechreiz auslösen als die von WDR 4.

Was Monika Piel angeht, so redet die allem Anschein nach grundsätzlich nicht mit Journalisten, die ihr durch zu kritische Fragen aufgefallen sind. Spricht im Grunde Bände über ihr Verständnis von Rundfunk. (Ich möchte das jetzt nicht konkret ausführen, obwohl ich von der inzwischen wiederholten Verweigerung von Interviews nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern über den Sender hörte.)


Kann es vielleicht sein, daß sich im Mainstream längst eine Verabschiedung von allen realen Dingen und ein Hinwenden zu diversen Scheinwelten vollzogen hat, in der Hoffnung, das Leben möge frei von Realität etwas behaglicher sein?

Es sieht ganz danach aus.
 
Auf den übermässigen Einsatz von Fremdwörtern zu verzichten, ist m.E. eine goldene Regel des Journalismus. Wenn es ein passendes deutsches oder umgangssprachliches Wort dafür gibt, dann nimm dieses. Ich bin sogar bei sämtlichen wissenschaftlichen Arbeiten so verfahren, was mir mal die Bemerkung eines Professors einbrachte, ich würde sehr journalistich formulieren...ich habe es als Kompliment aufgefasst. ;)
Daran krankt die Sache also nicht, aber ingesamt wird die Sprache im Hörfunk und Fernsehen schon immer einfallsloser und lapidarer, passend zu den gebotenen Inhalten. Beim WDR ist der Qualitätsverfall halt besonders auffällig, da man bis vor einigen Jahren noch recht hoch angesiedelt war und mittlerweile den Fahrstuhl konsequent nach unten bewegt.
 
Kann es vielleicht sein, daß sich im Mainstream längst eine Verabschiedung von allen realen Dingen und ein Hinwenden zu diversen Scheinwelten vollzogen hat, in der Hoffnung, das Leben möge frei von Realität etwas behaglicher sein?
Und welchen Musikgeschmack muss jemand haben, welcher ein Leben mit Realität führt?

Ich glaube, dass eine Verbindung zwischen Musikgeschmack und realitätsfremden Leben, welches Du versuchst herzustellen, so nicht existiert. Auch ist der Musikgeschmack bei den meisten Menschen vielseitig. So gehe ich gerne in die Oper oder zu einem Symphoniekonzert, auf der anderen Seite höre ich gerne Mainstream im Radio, was keine Schande ist. Deshalb führe ich doch kein realitätsfremdes Leben!!!

Das ist doch Quatsch, solche Thesen mit Scheinwelten und Verschiebung von allen realen Dingen in Verbindung mit Musik aufzustellen.
 
Ich bin kein WDR-Hörer. Das ist auch gar nicht nötig, um mir ein Bild machen zu können. Wie Radiowaves schon schrieb: "WDR ist überall".

Und wenn ich schon ein Interview mit Andreas Lukoschik, der bekannlich das erste "Klatsch und Tratsch - Magazin" im deutschen Fernsehen moderierte, hier anbringe, dann ist das schon irgendwie schlimm. Der Mann hat aber einfach Recht.


Und zur Erinnerung: Zwei überaus bekannte "WDR-Gewächse" äußern sich zur Verflachung des Fernsehens:
http://www.radioforen.de/index.php?threads/ich-schäme-mich-für-die-ard.22259/page-15#post-375630
 
Den Tonfall der internen Anweisungen und die zynischen Vorstellungen, die man sich in diesem Hause von seinen Hören macht, sind unabhängig vom ausgestrahlten Programm bewertet. Dort erbrachte kürzlich eine Stichprobe bei WDR 2 das Ergebnis, es den Dudelsendern zuzuordnen und sich folglich nicht weiter damit zu befassen.

Die seinerzeitige Diskussion um WDR 3 ist bekannt. Und Kritik am medienpolitischen Wirken der Intendantin kann man nun wirklich nicht unterbinden, indem man den fraglichen Artikel nur das treue Stammpublikum diskutieren lassen will. Manchmal geht es eben nicht nur darum, welche schönen Platten ihr Mann doch immer auflegt, wenn ich mir abschließend noch eine kleine Unsachlichkeit gestatten darf.
 
Ich kann an solchen Hörertypologien nichts Schlimmes erkennen. Das mit den Fremdwörtern ist von Radiocat sehr zutreffend kommentiert worden. Ansonsten kann ich den WDR mit allen seinen Radioprogrammen guten Gewissens gegen einen Occupy-Vorstoß verteidigen.
 
Und welchen Musikgeschmack muss jemand haben, welcher ein Leben mit Realität führt?

Ich glaube, dass eine Verbindung zwischen Musikgeschmack und realitätsfremden Leben, welches Du versuchst herzustellen, so nicht existiert. Auch ist der Musikgeschmack bei den meisten Menschen vielseitig. So gehe ich gerne in die Oper oder zu einem Symphoniekonzert, auf der anderen Seite höre ich gerne Mainstream im Radio, was keine Schande ist. Deshalb führe ich doch kein realitätsfremdes Leben!!!

Das ist doch Quatsch, solche Thesen mit Scheinwelten und Verschiebung von allen realen Dingen in Verbindung mit Musik aufzustellen.
Ich muß doch Deinen Eintrag als Komplettzitat übernehmen.

Du hast was in den falschen Hals gekriegt. Ich habe jetzt nochmals meine beiden Einträge gelesen und nicht wirklich etwas über Musik gefunden. Schon gar nicht im von Dir zitierten ersten Eintrag. Dann wurde es mir klar: Du beziehst Dich auf das Wort "Mainstream". Ich meinte es absolut nicht musikalisch, sondern im Sinne von "die Mehrheit der Gesellschaft".

Um Deine Frage dennoch zu beantworten: der Musikgeschmack ist schlichtweg nicht angebbar. Warum, führst Du selbst eindrucksvoll aus.
 
Obwohl mir manchmal schon der Verdacht kommt, dass es einen Zusammenhang zwischen den Anhängern von Trash-Musik (Bohlen, Tecno, Elektro-Sounds, Ballermann-Schlager) und deren Lebensgestaltung gibt.
 
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