SWR: Orchesterfusion

Status
Für weitere Antworten geschlossen.

Mannis Fan

Benutzer
SWR Intendant Boudgoust will die beiden Orchester des SWR Fusionieren, um damit Kosten einzusparen. Das löst hier in der Region heftige Diskussionen aus. Hier eine Passage aus der Stuttgarter Zeitung, die den Fall beschreibt:

Gewiss ist Peter Boudgoust überzeugt, dass er recht hat. Weil bei mittelfristig zurückgehenden Gebühreneinnahmen die allgemeinen Kosten weiter stiegen, müsse der SWR, so sagt sein Intendant, nicht nur sparen, sondern auch kürzen, und zwar mindestens 166 Millionen Euro bis 2020. Das bedeutet eine regelmäßige Reduzierung des jährlichen SWR-Etats um etwa 15 Prozent, die anscheinend in mehreren Kürzungsschritten erreicht werden soll.
Das verlange, so Boudgoust, dass alle Bereiche des SWR zum angestrebten Ergebnis beitragen müssten, wenn auch in unterschiedlichem Umfang. So sollen die teureren Sparten mit 25 Prozent überdurchschnittlich gekürzt werden, nämlich das Fernsehen und im Hörfunk das Kulturprogramm SWR 2. In dem sind als nennenswerter Faktor die Kosten der Sinfonieorchester des SWR in Stuttgart und Freiburg etatisiert, und das ist der Grund, dass Boudgoust und der Hörfunkdirektor Bernhard Hermann den Fortbestand der beiden Orchester prinzipiell infrage stellen. Sie entschieden sich, die Fusion der Orchester von 2016 an als den geeignetsten Weg zum Kürzungsziel zu propagieren. Boudgoust geht theoretisch eigentlich noch weiter. Orchester zu unterhalten gehöre nicht zu den Kernaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sagte er in einer Internetdiskussion. Aus zweien eines zu machen und nicht gleich beide ganz abzuschaffen, erscheint damit sogar als eine eher kulturfreundliche Tat.
 
" Aus zweien eines zu machen und nicht gleich beide ganz abzuschaffen, erscheint damit sogar als eine eher kulturfreundliche Tat."
Jetzt wird's ja heftig! Wenn man zu den Anfängen des Rundfunks zurückgeht, waren die Orchester freilich DER essentielle Bestandteil der Anstalt in Sachen Musik. Da wurde jene nämlich live im Sendesaal gespielt. ;)

Heute mag man sich natürlich diese Berechtigungsfrage neu stellen, wenn über 95% der Sendezeit mit Tonträgern bzw. gespeicherter Musik bestritten wird.
Zwei SINFONIEorchester (es gibt daneben als Klangkörper ja noch das RUNDFUNKorchester für eher leichte Musik und das Vokalensemble) in einer Anstalt zu unterhalten, lässt sich auch nach meinem Dafürhalten schwer rechtfertigen, wenn es um Kosteinsparungen geht. Sicher ist es schade um die Arbeitsplätze (ich habe z.B. im Bekanntenkreis eine Violinistin, die darüber gar nicht begeistert ist) und auch um den Standort Südbaden, wenn wir mal annehmen, dass das fusionierte Orchester am Hauptsitz in Stuttgart stationiert wird. Andererseits ist die Doppelung auch ein Relikt der Fusion und eigentlich hat es mich schon damals gewundert, dass beide Sinfonieorchester in vollem Umfang erhalten wurden. Andererseits wundert mich auch, dass die Fusion anscheinend ihr Hauptziel, nämlich KOSTENEINSPARUNGEN, ganz und gar nicht erfüllt hat.

Von Boudgoust hätte ich trotzdem etwas gemässigtere Töne in Sachen Kulturförderung erwartet. Dass er mit einem solchen Spruch die E-Musik-Szene (und letztendlich auch Multiplikatoren in der gesamten Kulturbranche) mächtig brüskiert, sollte ihm auch klar sein.
 
Ein Klangkörper ist ein Individuum. Jedes Orchester klingt anders, hat eine andere Spielkultur, eine andere "Klanggeschichte". Man vergleiche nur die Aufnahmen ein und der selben Sinfonie von verschiedenen Orchestern. Die teils fundamentalen Unterschiede liegen nicht nur an den Dirigenten oder der Aufnahmetechnik. Klänge jedes Orchester gleich, würde munteres Fusionieren gar nicht weiter auffallen; es gäbe höchstens eine Arbeitsverdichtung für die verbliebenen Musiker (und Kopfzerbrechen bei denen, die vielleicht plötzlich auf der Straße stünden). Dem ist aber doch nicht so. Stirbt ein Orchester, stirbt ein spezieller Klang, ein Repertoire, ja, stirbt auch ein Stück (über-)regionaler Kultur.
 
Ich finde es in Ordnung, solange es sozialverträglich gemacht wird. Den Luxus von 2 Orchestern kann sich heute keine Sendeanstalt mehr leisten.
 
Jetzt wird's ja heftig! Wenn man zu den Anfängen des Rundfunks zurückgeht, waren die Orchester freilich DER essentielle Bestandteil der Anstalt in Sachen Musik. Da wurde jene nämlich live im Sendesaal gespielt. ;)

Macht DKultur mindestens einmal im Monat immer noch. Zur Freude der Programmchefs von WDR, SWR & Co. Die E-Musik und "Kulturliebhaber" werden hinter vorgehaltener Hand an den nationalen Hörfunk verwiesen, während man die eigenen Kulturwellen gnadenlos auf "Durchhörbarkeit" bürstet.
Ich prognostiziere SWF II mittelfristig das gleiche Schicksal, welches NDR III bereits ereilt hat und WDR III demnächst droht. :mad: Die Orchesterfusion ist hierzu nur das medienpolitische Fanal.
Nur in Bayern scheinen die Uhren (noch) anders zu gehen.
Jetzt warte ich auf den Tag, ab den "mein" Dradio mit DLF und DKultur auch den Bach runtergeht und auf Durchhörbarkeit kaputt reformiert wird. Es ist zum kotzen! :mad:
 
Dieser ominöse Rotstift schlägt aber fast ausschließlich bei den Grundaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu und nicht bei den kommerziellen Auswüchsen. 25% weniger für SWR2 ist eigentlich ein Hammer, bei dem allein es schon zu Proteststürmen kommen müßte.

Für überflüssige und nur einmalig nutzbare Fußballrechte werden immer fantastischere Unsummen ausgegeben. Irgendwie gerät da was aus der Balance.
 
Die Frage, ob eine Sendeanstalt für Sportübertragungen, Hörerreisen, Fanevents und dergleichen mehr Gebührengelder ausgeben solll/kann, für den Unterhalt eines quotenirrelevanten Klangkörpers aber nicht, rührt eben doch an das Grundverständnis vom gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sagen wir mal so: Ein SWR3-Programm liefert mir mehr oder weniger gleich auch die private Rundfunklandschaft, das brauche ich eigentlich nicht öffentlich-rechtlich. Ein SWR-2-Programm liefert aber niemand, wenn es nicht das Öffentlich-Rechtliche tut. Darin liegt doch überhaupt nur seine Existenzberechtigung. Und dann ist es schon zu hinterfragen, ob in diesem Bereich gnadenlos weggespart werden darf, um den quotenträchtigen (aber eigentlich überflüssigen, weil auch privat angebotenen) Bereich des Massenprogramms so zu erhalten, wie wir ihn heute haben?
 
Dieser ominöse Rotstift schlägt aber fast ausschließlich bei den Grundaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu und nicht bei den kommerziellen Auswüchsen. 25% weniger für SWR2 ist eigentlich ein Hammer, bei dem allein es schon zu Proteststürmen kommen müßte.

Für überflüssige und nur einmalig nutzbare Fußballrechte werden immer fantastischere Unsummen ausgegeben. Irgendwie gerät da was aus der Balance.

Was die Fußballrechte betrifft, kann ich das Marketingebahren der ö.R. Anstalten ja noch nachvollziehen. Ohne die Sportschau kommt den Menschen die Identifizierung mit "ihren" Sendern womöglich noch völlig abhanden und damit der politische Wille zur Sicherung der Grundversorgung gleich mit.
Was mich allerdings die Wände hochgehen läßt, sind die absurd hohen Ausgaben für Gottschalk, Jauch und wie diese ganzen Talk-Hampel heißen. Davon könnte man einen Klangkörper ein paar Jahre lang finanzieren.
 
Tweety schrieb:
Das Publikum und die Kulturszene in München ist eine andere als in Freiburg.

Eine andere? Ja! Eine höherwertige? Vorsicht! Die Kulturszene ist von Stadt zu Stadt und von Region zu Region immer verschieden. Aber soll das etwa heißen: Die blöden Südbadener brauchen bestimmte Dinge nicht? Oder soll die Qualität und Menge des Angebots etwas über die Qualität und den Geschmack des Publikums aussagen?
Theater- Musik- und Literaturfreunde (und Kenner) gibt es in Südbaden ebenso wie in München. Sie machen höchstens vielleicht keine so große Show daraus. Das akademisch-feuilletonistische Publikum in Freiburg genießt etwas subtiler als die Grölhansl in München, das mag schon stimmen. Aber daraus eine unterschiedliche Berechtigung von Ansprüchen abzuleiten finde ich schon recht gewagt.
 
In der Sache bin ich ganz bei Euch. Nur kommt der Protest hier wirklich zu spät. Die Sparvorgaben (25% für SWR2, zu dessen Etat die Orchester gehören) gibt es seit 2009, die Fusionspläne wurden Ende Januar dieses Jahres offiziell bekanntgegeben. Der Protest hat sich im ersten Halbjahr organisiert, es wurde hin- und hergestritten, aktuelle und ehemalige SWR-Verantwortliche haben sich zu Wort gemeldet und nahezu die gesamte Kulturszene in BaWü, die Oberbürgermeister haben sich eingeschaltet, alles in Hinblick auf die entscheidende Rundfunkratssitzung im Juni. Aber diese hat die Fusion offiziell bestätigt. Als Zuckerl für die Besorgten gab es eine theoretische Widerrufsoption für die Fusion, falls sich an der finanziellen Lage doch kurzfristig noch etwas ändern sollte, aber daran glaubt so ziemlich niemand. Die Orchester dürfen jetzt eine dreijährige Abschiedstournee spielen. Die Musiker haben zwar eine Arbeitsplatzgarantie bekommen (Einsparungen durch "natürliche Fluktuation" usw.), und die werden vor allem diejenigen Musiker in Anspruch nehmen, die in den nächsten drei Jahren keine Stelle außerhalb des SWR bekommen. Das neue SWR-Orchester wird also keine "Best-Of"-Veranstaltung werden, sondern eher ein misslauniges, tendentiell überaltertes und - im Vergleich zu anderen Orchestern - eher schwach besetzes Sozialprojekt. Was wiederum ohnehin geringen Einsparungen in Frage stellt, von der qualitativen und kulturellen Tendenz zu den Vorgängerorchestern, die der Onkel angesprochen hat, ganz zu schweigen.

Was mir aber massiv auffällt, wie sehr die kulturellen Spannungen zwischen den beiden Landesteilen hier wieder hochgekocht sind. In Baden wirft man den Schwaben vor, den Badenern ihr Orchester wegzunehmen, weil das neue Fusionsorchester aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Sitz in Stuttgart haben würde. In Württemberg sieht man dagegen wieder ein Stück SDR-Identität schwinden, kaputtgemacht durch SWF-Apparatschiks. Und die Rheinland-Pfälzer stehen am Rande und rufen: "Nur gerecht das ganze, unser Orchester (das aus Kaiserslautern) habt ihr ja schon vor fünf Jahren mit Saarbrücken wegfusioniert! Jetzt seid Ihr dran".
 
Ganz ehrlich: ich habe den Eindruck, daß die Verantwortlichen für das SWR-"Sparprogramm" keinen blassen Schimmer haben, wie sich die Gebührensituation in den nächsten 10 Jahren entwickeln wird. Dennoch wurde das Ziel "-10%" ausgerufen. Man kann aber durchaus annehmen, daß die Gebühren konstant bleiben oder sogar leicht steigen werden, denn der Haushaltsabgabe entgeht niemand mehr. 40 Millionen HH * 12 Monate * 18 EUR = 8,6 Mrd./Jahr, also 1 Mrd. mehr als heute (wirklich nur ganz überschlägig, aber ich glaube nicht, daß die tatsächlichen internen Abschätzungen viel genauer sind). Ich frage mich ständig, woher kommen diese ominösen 10%? Zumindest ich habe dafür noch nie eine konkrete Erklärung gehört. Ich könnte mir nur zwei echte Ursachen vorstellen: dramatisch schrumpfende Bevölkerung oder dramatische Abmeldungen aller Geräte eines HH (Radio + TV) werden erwartet. Letzterem könnte man mit einem besseren Programm durchaus entgegensteuern.
 
Eine andere? Ja! Eine höherwertige? Vorsicht! Die Kulturszene ist von Stadt zu Stadt und von Region zu Region immer verschieden. Aber soll das etwa heißen: Die blöden Südbadener brauchen bestimmte Dinge nicht? Oder soll die Qualität und Menge des Angebots etwas über die Qualität und den Geschmack des Publikums aussagen?
Theater- Musik- und Literaturfreunde (und Kenner) gibt es in Südbaden ebenso wie in München. Sie machen höchstens vielleicht keine so große Show daraus. Das akademisch-feuilletonistische Publikum in Freiburg genießt etwas subtiler als die Grölhansl in München, das mag schon stimmen. Aber daraus eine unterschiedliche Berechtigung von Ansprüchen abzuleiten finde ich schon recht gewagt.

Ich denke, dass Freiburg aufgrund seiner guten Universität schon akademisch sehr gut gebildet ist - zudem mit einem grünen Oberbürgermeister ein Vorbild in Ökologiefragen sein kann - und die Nähe zu Frankreich und zu der Schweiz eine gewisse Internationalität aufweisen kann...

Mannis Fan muss ich Abbitte leisten, wenn er sich durch meine Formulierung auf den Zeh oder gar den ganzen Fuß getreten gefühlt hat.
 
Ich denke, dass Freiburg aufgrund seiner guten Universität schon akademisch sehr gut gebildet ist - zudem mit einem grünen Oberbürgermeister ein Vorbild in Ökologiefragen sein kann - und die Nähe zu Frankreich und zu der Schweiz eine gewisse Internationalität aufweisen kann...

Also München hat sicher eine grössere Internationalität, aber das ist auch eher zweitrangig. Tatsache ist, dass es in München ein anderes Umfeld gibt als in Freiburg . Studenten schön und gut, aber gehen die jetzt unbedingt massenweise ins klassische Konzert? Wohl nur ein kleiner Bruchteil. 'Trotzdem würd ich den Breisgauern ja ihr Orchester gönnen, aber wenn es eben finanzielle Engpässe gibt, dann muss eben überlegen wie man das am Besten hinbekommt. Man kann doch auch nach einer Fusion weiterhin Konzerte in Freiburg geben, das schliesst sowas ja nicht aus. Nur hat man dann eben kein ständiges Orchester mehr in Freiburg.
 
Wie zu erwarten war, präsentierte der SWR-Intendant im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz die eingegangenen Alternativmodelle als „nicht belastbar“. Dabei beließ es Boudgoust aber nicht, sondern machte die vom Freiburger Freundesverein am Mittwoch übergebenen Absichtserklärungen aus der Region (siehe nmz Online vom 27.9.) durch süffisantes Verlesen lächerlich. Erschreckend, dass einige der Zuhörer dies mit verhohlener Erheiterung zur Kenntnis nahmen.

http://www.nmz.de/online/schwarzer-...h-rechtlichen-rundfunk-fusion-der-swr-orchest
 
Der Rundfunkrat hat ja jetzt auch den förmlichen Beschluss gefasst. Jetzt wird zwischen Stuttgart, Baden-Baden und Freiburg das große Hauen und Stechen um den Standort einsetzen. Mein Tipp - auch unter Berücksichtigung von Boudgousts Herkunft und Vernetzung - ist Stuttgart.
 
Die Orchesterfusion sehe ich im Gegensatz bspw. zum Abbau der Regionalsendungen in SWR4 sogar noch als einigermaßen sinnvoll an. Im Wesentlichen geht es hier ja um ein paar Arbeitsplätze von Musikern. Um die tut es mir Leid, genau so wie um die zigtausenden Schlecker-Mitarbeiterinnen! Aber der Nachteil für den Konsumenten der SWR-Programme dürfte sich hier wirklich noch in Grenzen halten. OK, ein paar Konzerte in der Region weniger, aber das müsste man doch verschmerzen können?
 
Status
Für weitere Antworten geschlossen.
Zurück
Oben