Die menschenunwürdige Bezahlung im Radio

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Der Radiotor

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Mag sein, dass der Thread nicht der erste zu diesem Thema ist, aber aktuelle Ereignisse zwingen mich dazu dies wieder ans Tageslicht zu rücken.

Zum einen wäre da der aktuelle Beitrag im "Journalist" wonach ein Nachrichtenredakteur einer der größten Radioanbieter Deutschlands trotz unzähliger Überstunden mit indisktablen 2100 Euro im Monat brutto abgespeist wird, obwohl der Tarifvertrag ein Gehalt zwischen 3.300 und 3.600 Euro vorschreibt.

Während das schon der Hammer ist gelangte in dieser Woche die Nachricht an mich, dass Mitarbeiter einer der größten Lokalfunkketten Deutschlands, die bisher schon durch Lohnausfälle und Dumping-Löhne auffiel (1.000 bis 1.400 EUR netto kein Einzelfall) seine Mitarbeiter nun einen zusätzlichen 50-prozentigen Lohnausfall aufgrund knapper Kassen aufgebürdet hat. Das Geld werde bei besserer Lage nachgezahlt (wer das glaubt ist selber Schuld). Man muss sich nicht in den Strukturen dieses Landes auskennen um zu erkennen, dass ein Gehalt, das nicht viel über dem eines Mini-Jobs liegt, und das für einen Full-Time-Job mit Überstunden, unterhalb der Menschenwürde liegt. Und kommt mir jetzt bitte nicht mit Argumenten wie "Keiner zwingt XY dort zu arbeiten". Ich finde diese Entwicklung in jedem Fall mehr als bedenklich, das ruiniert den ohnehin schon schlechten Ruf des deutschen Radios nochmals.

Worüber ich mich aber weit mehr aufrege ist, dass Medienwächter kuschen und sich das Treiben munter mit ansehen. Und ich frage mich echt: Wozu haben wir Landesmedienanstalten?
 
Sehr zynisch könnte ich schreiben Angebot und Nachfrage. Die Aufgabe einer Landesmedienanstalt ist es aber nicht eventuelle Tarifverträge zu überprüfen. Es ist ein Irrglaube, das für jede Ungerechtigkeit in Deutschland irgendeine Behörde verantwortlich ist und einschreitet. Wenn es einen verbindlichen Tarifvertrag für den Sender gibt, ist die Lage rechtlich ziemlich klar. Da empfiehlt sich ein Gang zum Arbeitsgericht, das tendenziell immer mehr auf Mitarbeiterseite stehen. Es fallen Gerichtskosten an, jede Seite trägt ihren Rechtsanwalt. Wer Gewerkschaftsmitglied ist, bekommt i.d.R Rechtsschutz wenn der Fall begründet ist.

An meiner Lidl-Filiale hing monatelang ein Plakat, hier verdient keiner weniger als 10,00 Euro/Stunde. Aldi soll meines Wissens nach wesentlich mehr zahlen. Ansonsten gilt: garbage in - garbage out. Wer glaubt mit einem Trash-Programm kann er lokale Werbekunden überzeugen, hat in meinen Augen bewußtseinserweiternde Drogen zu häufig konsumiert. Lokalkunden hören nämlich das Programm und können sich schon ein Bild von der Qualität machen. Die tollen Lokalradio-Erfolgsgeschichten, die einem immer mal wieder zugetragen werden, sind zumeist nicht überprüfbar. Spricht man dann mit Insidern, dann hört man ganz andere Geschichten unter dem Siegel der Vertraulichkeit. Denke sich jeder seinen Teil, sagten dazu meine verehrungswürdigen Ahnen.

Die Verkäuferfluktuation bei diesen Sendern ist meist dem entsprechend. Wer ein Geschäftskonzept hat, dass auf Hungerlöhne, Volo- und Praktiausbeutung basiert, baut auf Sand. Gerade im Lokalmarkt sollte man vorsichtig sein. Kunden, Hörer können sich schnell abwenden, siehe die Causa Schlecker. TV.B in Berlin ist gerade über die Wupper gegangen. Das Geschäftskonzept: zwei höchstwahrscheinlich gut bezahlte GFs bei einer gut 30 mannstarken Bude, mit ganz ganz viel Volos und Praktis, hat vorn und hinten nicht funktioniert. Jetzt steigt der nächste "Investor" ein und neues Spiel und neues Glück. Jeder Newcomer sollte sich fünfmal überlegen sich auf solche Arbeitgeber einzulassen.

Beim Radio arbeiten ist toll, aber einige Sender empfehle ich nur meinen "Parteifreunden" als neuen Arbeitgeber.
 
Fest steht, dass die Bezahlung in etlichen radiostationen wirklich unter aller S... ist! Teilweise ist man mit € 10,00 die Sendestunde sogar schon recht gut bedient! Anders sieht das im Lokalfunk NRW aus. Da werden in der Tat noch Tariflöhne bezahlt. Ob sich das aber tatsächlich immer auf die Qualität auswirkt, sei mal dahin gestellt.
Fakt ist auch, dass bei unterirdischen bezahlungen sicherlich keine gute Leute angeworben werden können. Und DAS wirkt sich (zumindest langfristig) wirklich auf das Programm aus! Denn wo keine guten Leute arbeiten, können auch keine guten Leute ausgebildet werden (wer sollte denn die Ausbildung übernehmen?). Das wiederum hat zur Folge dass immer weniger Hörer aufgrund eines erheblichen Qualität-Mangels einschalten und das wiederum bedeutet, dass immer weniger für die Werbung bezahlt wird.
Bestes aktuelles Beispiel ist das Funkhaus Nürnberg: Da werden schon wieder(Programm-)Mitarbeiter gefeuert, die Moderatoren sollen sich mehr um die Inhalte bemühen. Am Verkauf kann man ja nicht sparen (das sind ja schließelich die einzigen, die Geld bringen). Nur das Programm kostet Geld! Aber liebe Programm-Chefs: Habt Ihr evtl auch mal daran gedacht, Euren Musik-Anteil runter zu schrauben und mehr Wort-Beiträge zu bringen? Da könntet Ihr eine Masse Geld an GEMA-Gebühren einsparen!!!!
 
Habt Ihr evtl auch mal daran gedacht, Euren Musik-Anteil runter zu schrauben und mehr Wort-Beiträge zu bringen?
Hier beißt sich die Katze wohl in ihren eigenen, sprichwörtlichen Schwanz. - Haben die Rundfunkprogramme in den letzten Jahren nicht alles erdenkliche getan, um den eventuellen Hörern "das Wort" auszutreiben? Dinge, die einmal verschwunden, sind meines Erachtens sehr schwer wieder beizubringen; zumindest bedarf es dazu einen langen Atem und damit...
 
Während das schon der Hammer ist gelangte in dieser Woche die Nachricht an mich, dass Mitarbeiter einer der größten Lokalfunkketten Deutschlands, die bisher schon durch Lohnausfälle und Dumping-Löhne auffiel (1.000 bis 1.400 EUR netto kein Einzelfall) seine Mitarbeiter nun einen zusätzlichen 50-prozentigen Lohnausfall aufgrund knapper Kassen aufgebürdet hat. Das Geld werde bei besserer Lage nachgezahlt (wer das glaubt ist selber Schuld).

Schreib doch gleich Radiogroup! Hoffentlich geht der ganze Laden bald unter!
 
10€ pro Sendestunde ist wirklich schwach! Aber man kann sich beim Radio doch auch hocharbeiten wie in einem Produktionsbetrieb z.B., oder? Ich habe mal gelesen, dass "Top-Moderatoren" bis 200€ pro Sendestunde bekommen, allerdings dürften das freie Mitarbeiter sein. Auch diese bekannten Moderatoren, die jetzt bei Radioeins ein Gastspiel haben, dürften kaum für 12€ die Stunde angelockt worden sein.

Also wenn ich das richtig deute, scheinen bei einem Sender durchaus große Gagen-Spannen zwischen Neulingen und Alteingesessenen zu sein. Zudem sitzen die alten Hasen meist zu beliebten Sendezeiten mit eigener Show vorm Mikro, während die "Anfänger" (auch gerne Prakti genannt..) für den Wetterbericht oder Verkehrsservice eingesetzt werden, bzw. an Feiertagen oder in der Nacht.

Dass aber gestandene und erfahrene Moderatoren mit wenig Geld abgespeist werden, ist ein Armutszeugnis!
 
"Keiner zwingt XY dort zu arbeiten"

Im Prinzip ist es freilich genau so. Und das wird in Zukunft dazu führen, dass sich immer mehr Menschen, die gerne Radio machen würden, doch für einen anderen beruflichen Weg entscheiden werden. Denn irgendwann möchte man auch mal Sicherheiten haben, fürs Alter vorsorgen, eine Familie ernähren, Wohneigentum finanzieren usw usf.

Dies wiederum führt dazu, dass die Programme mehr und mehr von jungen, unerfahrenen und billigen ausbeutungswilligen (man tut es für den Lebenslauf) Praktikanten, Volontären und Jungredakteuren gestaltet wird. Das sich dies nachhaltig negativ auf die Qualität auswirkt, dürfte auch kein Geheimnis sein. Ja, das Medium Rundfunk befindet sich in besonderem Maße in der Krise.
 
Worüber ich mich aber weit mehr aufrege ist, dass Medienwächter kuschen und sich das Treiben munter mit ansehen.

Was sollten sie denn machen? Eine Handhabe hätten sie nur bei einschlägigen Auflagen in den Sendelizenzen. Die gibt es ja wohl nirgends.

Und was passiert wohl, wenn einer Landesmedienanstalt ganz kühl bedeutet wird, daß man, wenn nicht dieses und jenes, dann eben sein Engagement beenden werde (auf die Tour soll ja RTL Hölle/Saale ohne jedes Ausschreibungsverfahren zu seinem zweiten UKW-Programm gekommen sein)? Bin schon ganz gespannt auf denkbares Heulen und Zähneklappern in Bezug auf ein gewisses „Spartenprogramm mit Schwerpunkt Wirtschaftsberichterstattung“.

Ansonsten sollte man vielleicht auch zugeben, selber mal dabei mitgemacht zu haben, einer Privatbude kostenlos und amüsant Sendezeit zu füllen, bis sie dort permanent zu blöd waren, die DAT-Kassetten zur richtigen Zeit einzulegen. Nun, den Laden gibt es inzwischen nicht mehr. Und den anderen Laden, der zu einer geschenkten redaktionellen Sendung (wohlgemerkt: vollkommen frei von Schleichwerbung) auch noch Geld dazuhaben wollte, raffte es schon kurz danach dahin, was einen dann selbst mit jugendlicher Naivität nicht mehr überraschte.

Naja, anderswo fragte man wenig später dann nach der Kontonummer, um einem was zu überweisen. Dank Ihrer Gebühren!
 
Das Phänomen kann man auch im Lokaljournalismus der Tageszeitungen beobachten. Rentner, Hausfrauen und andere Idealisten sind bereit, für Umme und ein Ei für ihre Lokalredaktion zu arbeiten, nur damit sie sich mal in der Zeitung lesen können.
 
Das Phänomen kann man auch im Lokaljournalismus der Tageszeitungen beobachten. Rentner, Hausfrauen und andere Idealisten sind bereit, für Umme und ein Ei für ihre Lokalredaktion zu arbeiten, nur damit sie sich mal in der Zeitung lesen können.
 
Vorallem wenn man (wie letzte Woche in Berlin) sich einen Tag nach dem tödlichen Unfall der Ehefrau
samt Reporter zum Unfallort begibt um Fotos zu machen um hinterher zu lesen "hier starb meine Frau" :wall:
 
Schlecht zu beantworten, da beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr - zumindest aber "andere" - Arbeitsteilung herrscht als bei kleinen Lokalsendern.
"Normal" ists sicherlich nicht anders als bei anderen Arbeitgebern, also 20 bis 40.
 
Es kann aber auch sein, dass wenn du sie bräuchtest, du merkst, dass die Gewerkschaft keinen Schuss Pulver wert ist
 
Unter dem Strich sollte man als Festangestellter irgendwo bei 40 Stunden landen. Allerdings gehört dazu die Bereitschaft, an manchen Tagen ohne zu meckern auch 12, 13 oder 14 Stunden durchzuziehen. Dafür dürfen es dann dazwischen auchmal ein paar freie Tage sein.
 
Wow, das ist schon doch etwas hart. Mir fällt auch bei Bremen eins des öfteren auf, dass der Moderator, der von 20 bis 24 Uhr auf Sendung ist, unter Umständen am nächsten Vormittag schon wieder um 10 Uhr antreten muss.
 
Lord Helmchen schrieb:
das ist schon doch etwas hart

bei einem Job, in dem Dein Herzblut steckt - und das gibt es zum Glück immer noch häufig im Radiogewerbe - ist das nicht hart, sondern eine Frage des Adrenalins. Allerdings muss das Programm entsprechend sein, so dass man sich damit identifiziert und dafür lebt. Aber wie gesagt: Dann braucht es dazwischen auch mal wieder ein paar freie Tage, sonst kommst Du nach einem halben Jahr auf dem Zahnfleisch daher. Ich weiß, wovon ich rede.
 
Gut, Idealismus ist nie schlecht, wenn man einen BERUF ausübt (abgeleitet von Berufung) und nicht nur einen Job. Ein Jota Towa'sche Existentialismus-Sichtweise ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen, denn irgendwann will einer nicht mehr in einer 20qm-Studentenbude leben und eine Karre lenken, die einem unter dem Arsch wegrostet, sondern eine Familie ernähren, fürs Alter vorsorgen, auch mal in den Urlaub fahren und vielleicht ein Häusle bauen. Und wenn mir eine Branche diese Perspektive spätestens in der Mitte des Lebens nicht bietet, wird sie irgendwann auch uninteressant. Das heisst: Die qualifizierten Kräfte mit Berufserfahrung springen ab. Zurück bleiben Stümper und ungelernte Praktikanten, Volontäre und Jungredakteure. Auf der anderen Seite sitzt dann irgendein BWLer oder Beamter im Chefsessel, der vom Produkt an sich keine Ahnung hat, und sich deshalb Berater ins Haus holt, mit den bekannten Ergebnissen! Ja, daran krankt das System! Es ist eine downgrading-Spirale, die immer schwerer aufzuhalten ist, je weiter sie fortschreitet und schneller sie sich dreht.
 
Es ist ein Irrglaube, das für jede Ungerechtigkeit in Deutschland irgendeine Behörde verantwortlich ist und einschreitet.

Dennoch scheint es mir nicht so abwegig, die Landesmedienanstalten und Politik hier die Pflicht zu nehmen.

Es wäre doch ein Leichtes die Vergabe von Sendelizenzen an Mindesstandards bei der Beschäftigung zu knüpfen.
Im Klartext: Nur wer seine Reporter, Moderatorinnen, Techniker und Verrmarkterinnen tariflich bezahlt, kriegt eine Erlaubnis.

Ähnliche Verpflichtungen gibt es in vielen Bundesländer für öffentliche Aufträge. Dort kommt nur zum Zuge wer seine Arbeiten OHNE Lohndumping macht.

Für die Vergabe von Sendelizenzen scheint mir das doppelt gerechtfertigt. Denn oft genug geht mit der Bezahlung ja auch die Qualität in den Keller. Und für die ist die Landesmedienanstalt sehr wohl zuständig. Schließlich schreiben die jeweiligen Lizenzen ja auch klare Programminhalte vor: Viel Regionales, entsprechende Wortanteile, fundierte Nachrichten, etc..

Warum also nicht einem Sender die Lizenz entziehen, der seine Redakteurinnen wie Praktikanten bezahlt, Volontäre zum Hungerlohn und ohne echte Ausbildung schufften lässt und schon mehrfach für mangelhafte regionale Berichterstattung gerügt wurde?

ver.di und djv haben das übrigens bereits öffentlich gefordert:
„Wir fordern die Genehmigungsbehörden dazu auf, entsprechend dem Landestariftreuegesetz Lizenzen nur noch zu vergeben, wenn die Antragsteller Tarifverträge anerkennen und anwenden.“ [Man müsse] Sozialstandards zu beachten, „wenn es um die Vergabe von Lizenzen an Unternehmen geht“.

Um was zu bewegen, müssten Radiomacher und Gewerkschafter nur endlich mal gemeinsam die große Kampagne starten.
 
Das ließe sich vielleicht mit dem ör machen, aber der Privatfunk ist nun mal PRIVAT, also jeweils eine Firma.
Es kann und darf auf dem freien Markt nicht so laufen, dass der Staat sich künftig darum kümmert wer wem wann vielleicht Dumpinglöhne bezahlt oder nicht und dementsprechend Firmen "zulässt" oder "verweigert".
Damit lautete der nächste deutsche Werbeslogan dann:
"Willkommen in der Planwirtschaft 2.0"
 
Warum also nicht einem Sender die Lizenz entziehen, der seine Redakteurinnen wie Praktikanten bezahlt, Volontäre zum Hungerlohn und ohne echte Ausbildung schufften lässt und schon mehrfach für mangelhafte regionale Berichterstattung gerügt wurde?

Wenn zu befürchten steht, daß sich dann niemand mehr finden würde, der die ach so wertvolle Sendelizenz haben will, verwundern diesbezügliche Beißhemmungen nicht weiter.

Z.B. jetzt in Frankfurt wäre es doch durchaus ein Gesichtsverlust für die LPR Hessen gewesen, hätte NRJ einfach abgeschaltet und die Lizenz zurückgegeben.Wenn ich mir die hier geposteten Andeutungen über einen Gehaltsverzicht so anschaue, den der neue Betreiber bereits seinen Mitarbeitern abverlangt habe (die sich dann allerdings auch wirklich fragen lassen müssen, warum sie das eigentlich mitmachen – finden sie wirklich nichts anderes?), dann bin ich schon gespannt, wie es da weitergehen wird.
 
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