Zwei ö.-r. Kulturprogramme in Berlin und Brandenburg ab 1997?

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Auf folgenden Wikipedia-Auszug bin ich unlängst gestoßen:
wikipedia schrieb:
Im Kulturbereich ging der SFB neben dem ORB auch eine Zusammenarbeit mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) ein. Vom 3. Oktober 1997 bis 2000 war Radio 3 die gemeinsame Klassik- und Kulturwelle von SFB, ORB und NDR. In Radio 3 ging das bisherige Programm SFB 3 auf. Nach 2000 wurde Radio 3 von NDR und ORB noch bis 31. Dezember 2002 und danach vom ORB alleine weitergeführt.
Gleichzeitig mit Radio 3 startete am 3. Oktober 1997 als weitere Kooperationswelle zwischen ORB und SFB Radio Kultur (anfangs *radio kultur, später RADIOkultur geschrieben) unter der Federführung des SFB, das Programmteile des ehemaligen SFB 3 übernahm. Dieses Programm bot neben einer breiten politischen Berichterstattung Klassische Musik, Neue Musik, Jazz und Weltmusik.

Wie muss ich mir das genau vorstellen? Wurden die Brandenburger und Berliner ab 1997 tatsächlich mit zwei separaten Kulturprogrammen beschallt?
Oder übernahm hier ein Programm große Teile des anderen?

Vielen Dank schon mal für Eure Hilfe!
 
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, wurde Radio Kultur nur von Berlin aus ausgestrahlt. Ich glaube, das war damals die 92.4.
 
Soweit ich mich erinnere, lief es bei SFB und ORB so ähnlich wie bei SDR und SWF: Nachdem der erste Anlauf zur Fusion gescheitert war (bei SDR/SWF 1990, bei SFB/ORB 1997), wurden jeweils beide Anstalten zur Kooperation verdonnert, die aber in den Anstalten selbst keiner wollte. Ab 1997 veranstalteten SFB und ORB zusammen fünf Kooperationsprogramme: Radio Kultur, Radio 3, Inforadio, Fritz, Radio Eins. Zuvor waren es nur zwei gewesen, Fritz (vom ORB, Nachfolger von Rockradio B) und Radio B2 (vom SFB, Nachfolger von SFB 2). De fakto war Radio Kultur nur ein umbenanntes SFB 3 und damit - wie das neu gegründete Inforadio - ein SFB-Programme, das lediglich im ORB-Gebiet durchgestellt wurde, wenn auch nur auf Kleinsendern in Frankfurt und Cottbus und alles andere als flächendeckend, und im Berliner Speckgürtel auf den SFB-Frequenzen zu hören war. Umgekehrt waren Radio Eins und Fritz ORB-Programme, die nun auch die Berliner offiziell hören durften. Bei Radio 3 ist es noch komplizierter, das war das umbenannte NDR 3, das nun vom ORB durchgestellt und stundenweise durch ein Berlin-Brandenburg-Fenster (nur auf den ORB-Frequenzen) ergänzt wurde. Radio Kultur und Radio 3 unterschieden sich ziemlich stark: während Radio Kultur einen hohen Wortanteil (und darunter viel aktuelles Wort) hatte, war Radio 3 weitgehend ein Klassiksender.

Ich könnte jetzt noch erwähnen, dass in den 60er-Jahren der SFB schon einmal beide NDR 3s (das Radioprogramm und das Fernsehprogramm) in Berlin durchgestellt hatte, weswegen es eine gewisse Ironie hatte, dass dies nun abermals der ORB, aber nun gegen den Wunsch des SFB tat. Hintergrund war die in Berlin verbreitete Sorge, der NDR könnte den ORB fest an sich binden (neben dem Hörfunk bestand auch das ORB-Fernsehen in den 90ern zu weiten Teilen aus Übernahmen von N3) und auf diese Weise de fakto zu einem zweiten Hauptstadtsender werden. Außerdem hatte der NDR über seine Tochter Studio Hamburg einen Gutteil der DDR-Fernsehstudios in Berlin-Adlershof gekauft.

Im Jahr 2000 stieg der SFB bei Radio 3 auch offiziell wieder aus (er war hier bis dahin sowieso nur nominell Partner gewesen), das Brandenburg-Fenster wurde nun allein vom ORB getragen. Nachdem 2002 die ORB-SFB-Fusion beschlossen wurde, benannte der NDR Radio 3 zum 1.1.2003 wieder in NDR Kultur um, die Brandenburg-Version lief aber noch bis November 2003 als Radio 3 weiter. Am 1. Dezember fusionierten Radio 3 und Radio Kultur zu "Kulturradio vom RBB"; man könnte auch sagen, der RBB beendete die Durchschaltung des Hamburger Programms in Brandenburg und ersetzte sie durch eine Durchschaltung des Berliner Programms, wo im Gegenzug zahlreiche Wortstrecken gestrichen und das Programm v.a. am Tag zu einem "Klassikdudler mit nur kurzen, moderierten Wortbeiträgen umgebaut wurde.

Kulturradio läuft seitdem in Berlin auf der 92,4 (auf der zuvor Radio Kultur gelaufen war) und auf den Brandenburger Frequenzen von Radio 3. Die Berliner Frequenz 96,3 von Radio 3 ging an Radio Multikulti (und nach dessen Einstellung an Funkhaus Europa), das umgekehrt seine 106,8 aufgab, die an den Privatfunk abgegeben wurde (an Motor FM, Radio Teddy und schließlich Jazzradio). Die Brandenburger Funzeln von Radio Kultur gingen meist ans Inforadio, das im Gegenzug seine vorangegangenen, noch schwächeren Funzeln aufgab, auf die Multikulti, dann Funkhaus kam, bis der RBB sie mangels Hörern aufgab und dem Privatfunk widmete.

Nachtrag: Beitrag nochmal deutlich umgestellt und erweitert.
 
@ freiwild:​
Vielen Dank für diese ausführliche, aufklärende Abhandlung!​
Was lief dann ab Januar 2003 auf Radio 3? Quasi NDR Kultur mit einem eigenen Brandenburg-Fenster oder stämmte der ORB ein alleiniges Programm ohne NDR-Hilfe?​
 
Der ORB/RBB machte in diesen elf Monaten das gleiche wie zuvor, er übernahm das Hamburger Programm, nur unterbrochen von stundenweisen eigenen Fenstern. Seitens des ORB/RBB wurde das Programm bis zum Schluss als "Radio 3" geführt, obwohl das Hamburger Mutterprogramm diesen Namen zum 31.12.2002 abgelegt hatte. Wie sich das konkret on air angehört kann, kann ich Dir allerdings leider nicht sagen, da es für das Brandenburger Radio 3 nie einen Livestream gab.
 
Danke, freiwild, für diese Komplett-Aufklärung. Das beste Kulturprogramm in meinen Augen war allerdings immer noch "Radio Brandenburg" vom ORB, das ja dann in Radio Eins aufging. Ein Kulturprogramm OHNE Klassik und weitgehend OHNE sog. "Hochkultur". So etwas gab es seither nirgendwo wieder. Am ehesten erinnern noch manche Sendestrecken bei FM4 an dieses Programm.
 
Das Nordwestradio auch – ein bisschen zumindest. Aber Radio Brandenburg übertrug doch nachts auch das ARD-Nachtkonzert, oder irre ich mich hier?
 
Sehr gut beschrieben, Freiwild. Im folgenden Punkt muss ich dich allerdings ein wenig korrigieren.

Bei Radio 3 ist es noch komplizierter, das war das umbenannte NDR 3, das nun vom ORB durchgestellt und stundenweise durch ein Berlin-Brandenburg-Fenster (nur auf den ORB-Frequenzen) ergänzt wurde.

Die Federführung für den Berlin-Brandenburger Teil von Radio 3 lag in den ersten Jahren beim SFB. So kamen z. B. auch die Nachrichten während der regionalen Auseinanderschaltung aus der Berliner Masurenallee (damals meist noch die selben wie auf Radio Kultur und Multikulti). Erst als der SFB aus Radio 3 ausstieg übernahm der ORB den Anteil des SFB, bzw. produzierte das Programm schließlich nach dem Ausstieg des NDR (bzw. dem Start von NDR Kultur) bis zum Sendestart von Kulturradio auf eigene Faust weiter.

Übrigens war auch Inforadio (Sendestart 28.8.95, siehe hier http://web.ard.de/ard-chronik/index/3464?year=1995&month=8) ein offiziell von beiden Sendern veranstaltetes bzw. kooperiertes Programm, wenn auch vom SFB (wie Radio B2) alleine produziert. Wenn mich nicht alles täuscht, gab es anfangs auch gar keine Brandenburger Frequenzen, sondern nur die Berliner 93,1.
 
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