Parteiproporz ARD

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alpe

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Hallo liebe Forenmitglieder,

Dies ist mein erster Post und ich habe mich hier bei euch angemeldet, weil ich mich für ein spezielles Thema interessiere, mit der gewöhnlichen Google-Recherche aber inzwischen irgendwie an einem Totpunkt angekommen bin und reddit sich in dieser Sache auch als wenig hilfreich herausgestellt hat.

Nach längerer Recherche zum Parteiproporz beim ZDF habe ich herausgefunden, dass es bei dem Sender traditionell eine recht klare Aufteilung zwischen CDU-nahen und SPD-nahen Personen bei der Besetzung der wesentlichen Leitungspositionen gibt. So seien Intendant und Programmdirektor typischerweise "schwarz", Chefredakteur und Verwaltungsdirektor dafür aber "rot" (Quellen u.a. http://www.haz.de/Nachrichten/Medie...gericht-verhandelt-ueber-Einfluss-der-Politik; https://www.zeit.de/kultur/film/2016-07/zdf-fernsehrat-reform).

Für die ARD insgesamt sowie ihre einzelnen regionalen Landesrundfunkanstalten fällt mir diese Recherche leider deutlich schwerer. Daher habe ich an die versammelte Medienintelligenz hier im Forum folgende Fragen und würde mich über eine kurze Aufklärung sehr freuen!

  • Gibt es einen Parteiptoporz bei der Besetzung der oberen Führungspositionen der ARD? Falls ja, welchen Parteien müssen jeweils der ARD-Vorsitzende, der Programmdirektor und der Generalsekretär nahestehen, bzw. gibt es eine feste Verteilung zwischen den Positionen nach dem Schema "wenn X schwarz, dann y rot"?
  • Und wie sieht es konkret bei der aktuellen Besetzung aus? Herr Wilhelm ist, soweit ich weiß, schwarz (CSU), Frau Pfab kenne ich nicht, und Herr Herres wird gemeinhin als SPD-nah dargestellt (Quelle z.B. https://www.fr.de/kultur/einer-optimieren-11562585.html). Ist das Zufall oder hat das System?

  • Wie gestaltet sich die Situation bei den einzelnen Landesrundfunkanstalten? Für den Fall, dass es dort von Landesrundfunkanstalt zu Landesrundfunkanstalt unterschiedlich geregelt sein sollte, interessiert mich besonders der WDR. Wie ist es da: Stehen hier traditionell der Intendant, der Fernsehdirektor und der Hörfunkdirektor jeweils einer bestimmten Partei nahe? Oder befinden sich wieder in dem o.g. wenn-dann-Schema zueinander?
  • Auch hier konkret: Wie ist es bei der aktuellen Besetzung? Welcher Partei steht Tom Buhrow nahe, welcher Herr Schönenborn und welcher Frau Weber?

Vielen Dank für euren tatkräftigen Input!

Beste Grüße

alpe
 
Offiziell muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatsfern sein, von daher wirst Du da von offizieller Seite nichts finden.

Idealerweise sollte man annehmen, dass Führungskräfte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk politisch stehen dürfen, wo sie wollen, solange sie professionelle, von politischen oder anderweitigen Interessen unabhängige Arbeit leisten. Zumindest was die parteipolitische Unabhängigkeut betrifft, ist die ARD besser als ihr Ruf, wenngleich lange nicht perfekt.

Der fakto galt beim ZDF lange ein elaboriertes Proporzsystem, wobei die mächtigsten Positionen üblicherweise der CDU nahstanden. Beispielsweise gab es, wenn ich das richtig im Kopf habe, lange neben dem schwarzen Ersten Programmdirektor früher noch einen roten Zweiten Programmdirektor, der aber nur für die weniger zuschauerträchtigen Bilsungs- und Kultursendungen zuständig war. Auch war der Chefredakteur in der Regel rot, hatte aber vergleichsweise wenig Macht, so dass sie Informationssendungen im ZDF trotzdem eine klare schwarze Schlagseite hatten.

In der ARD kam es ganz auf die Tradition des Hauses an. Beim NDR etwa kam der stellvertretende Intendant regelmäßig von der Minderheitspartei. Beim BR wurden von den Siebzigern bis zu den Neunzigern konsequent alle leitenden Positionen CSU-nah besetzt, ohne Rücksicht auf Minderheiten. Andere Anstalten hatten dagegen eine größere Tradition parteipolitischer Unabhängigkeit. So hatten etwa WDR, HR und SDR zwar Intendanten, die der jeweiligen Regierung inhaltlich nahestanden, aber sich gegen eine parteipolitische Ausrichtung bei der Postenbesetzung wehrten.

Insgesamt hat der Zugriff der Parteien auf die zweite und dritte Ebene in den Anstalten in den letzten zwanzig Jahren etwas abgenommen, wenngleich es immer noch unwürdige Spielchen gibt. Etwa als der schwarze Freundeskreis im ZDF Nikolaus Brender als Chefredakteur absägte, um über Bande Peter Hahne als Leiter des Hauptstadtstudios durchzusetzen (und mit letzterem scheiterte); oder die Deals beim Deutschlandradio (schwarzer Intendant - roter Programmdirektor, und umgekehrt).

Was den WDR von heute betrifft. Parteipolitische Zuordnungen in der Führungsebene fällt da schwer. Buhrow und Weber profilieren sich eher durch ihr fragwürdiges Verhältnis zu öffentlich-rechtlichen Werten. Fernsehdirektor Schönenborn gilt irgendwie als links, wofür ich in seiner Arbeit keinen Beleg finde, und außerdem war er in seinen Jugendtagen Mal bei der Jungen Union. Und bei Chefredakteurin Ellen Ehni weiß ich auch nicht, wo sie politisch steht.
 
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Vielen Dank euch beiden für eure ersten Antworten.

Was das ZDF angeht, das war mir bereits bekannt (siehe auch mein initiales Posting). Soweit ich weiß, gilt diese Regelung beim ZDF allerdings immer noch. Ein Blick in die Wikipedia stützt meine Einschätzung. Thomas Bellut hat zwar kein Parteibuch, soll aber wohl ein Konservativer sein, Norbert Himmler genauso. Peter Frey, der Chefredakteur, ist politisch klar links einzuordnen, ebenso Frau Brieden, die Verwaltungsdirektorin, die sogar Mitglied der SPD ist.

Was den WDR angeht: Ja, genau diese Probleme hatte ich auch. Thomas Buhrow steht war wegen einer ganzen Reihe von Dingen immer mal wieder in der öffentlichen Diskussion, aber seine politische Ausrichtung gehört nicht dazu. Ebenso Jörg Schönenborn. Dass er mal Mitglied der Jungen Union war, wusste ich nicht, aber er hat in seinen jüngeren Jahren auch einmal einen Journalistenpreis der Axel-Springer-Akademie gewonnen, welche politische Aussagekraft das auch immer haben mag.

Ich hatte mir erhofft, ihr könntet mir Einschätzungen auf Basis von in der Vergangenheit erfolgten Besetzungen der betreffenden Positionen geben. Mir fällt das nämlich ziemlich schwer. Fritz Pleitgen war ein Mann der SPD, Frau Piehl würde ich auch eher als links einschätzen, Friedrich Nowottny aber z.b. kann ich gar nicht einordnen.

Ich finde es spannend zu hören, dass es auch beim Deutschlandfunk bzw. Deutschlandradio eine solche Proporzregelung geben soll. Wie genau sieht die aus? Beim DLF gibt es also einen schwarzen Intendanten und einen roten Programmdirektor. Ist das immer so? Oder dreht sich das auch je nach aktueller Bundesregierung? Wie ist es beim Deutschlandfunk Kultur? Und bei Deutschlandfunk Nova?

Vielen Dank und beste Grüße

alpe
 
Thema Vergangenheit: empfehlenswert aus meiner Sicht ist die Beschäftigung mit der Abwicklung des DDR-Rundfunks und Fernsehens. Der MDR war zu Beginn CDU pur. Sein Pendant aus Potsdam, der ORB war nicht ganz so dreist parteipolitisch, aber ein deutlicher sozialdemokratischer Einschlag erkennbar - so wie die damaligen Landesregierungen in den neuen Ländern. Von Staatsferne konnte damals wirklich keine Rede sein. Rudolf Mühlfenzl (CSU) hat bei der Gründung des MDR Schaden angerichtet, von dem sich das Image des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Osten bis heute nicht erholt hat. Erhellend ein Spon-Artikel von 1991. http://m.spiegel.de/spiegel/print/d-13488000.html
 
Thomas Bellut hat zwar kein Parteibuch, soll aber wohl ein Konservativer sein, Norbert Himmler genauso. Peter Frey, der Chefredakteur, ist politisch klar links einzuordnen, ebenso Frau Brieden, die Verwaltungsdirektorin, die sogar Mitglied der SPD ist.
Man muss aber aus meiner Sicht mehrere Dinge unterscheiden: Zum einen die persönliche Haltung einer Person von der Loyalität dieser Person zu politischen Kreisen. Es gab und gibt Menschen, die zwar persönlich eine pointierte politische Meinung vertreten und/oder Parteimitglied sind, aber sich gegen Einmischungsversuche ihrer Parteifreunde in der Regierung zur Wehr setzten. Mir fallen hier zum Beispiel die ehemaligen Intendanten Hanns Bausch (SDR/CDU) und Hartwig Kelm (HR/CDU) ein. Umgekehrt gibt es vorgebliche "Mitte-"Journalisten, die aber tatsächlich nur auf der Populismus-Welle reiten oder gar Propaganda für eine bestimmte Sache machen, nur eben etwas subtiler. Ich denke da etwa an Frank Plasberg oder Günter Jauch. OK, das sind jetzt keine Führungskräfte, aber gerade deshalb gute Beispiele dafür, dass das Verhältnis von Parteipolitik und Journalismus komplizierter ist als eine bloße Verbindungslinie.

Zum anderen sagt die persönlich Haltung einer Person noch nichts darüber aus, ob sie auch genau wegen dieser Haltung auf ihren Posten gelangt ist. Die ehemalige RBB- Chefredakteurin und -Programmdirektorin Claudia Nothelle sitzt im Zentralrat der deutschen Katholiken. Dass sie in ihrer Amtszeit Propaganda für die katholische Kirche gemacht hätte, ist mir nicht zu Ohren gekommen.
 
Staatsferne ist ungleich Parteienferne.

Das vorausgesetzt, ergibt sich in der Wirklichkeit etwas anderes: Über die Parteibücher ist der ör-Rundfunk natürlich mit Exekutive und Legislative verknüpft.

In der Vergangenheit war meines Erachtens die Profilierung deutlicher: Der WDR schmückte sich geradezu mit der Kohl-Aussage, er sei quasi "Radio Moskau", während sich der Bayerische Rundfunk aus allem ausblendete, was nicht in den Herrgottswinkel passte. Der SWF hatte meiner Erinnerung nach einen erkennbar liberalen Einschlag.

Das ZDF ist allerdings von vornherein eine CDU-Anstalt gewesen -- schon weil Adenauer bei der damaligen ARD eine "rote" Mehrheit sah (NWDR) und der große BR nun mal aus CSU-Land kam. Eigentlich wollte Adenauer das Zweite schon als Privatfunk haben.

Heute haben wir den Privatfunk, und wer will, kann bei einigen der Eigentümer eine politische Färbung erkennen. Oft ist diese bürgerlich, auch wenn die SPD natürlich an einigen Verlagen beteiligt ist und Bertelsmann sozusagen Leib- und Magenmedienhaus mächtiger Sozis war. Das aber widerspricht ja nicht der Bürgerlichkeit...
 
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Steffen Seibert war mal ZDF Redakteur und jetzt Merkels Regierungssprecher.Ulrich Wilhelm war mal Merkels Regierungssprecher und jetzt BR Intdendant.

..................................................
Wer Näheres wissen möchte muß sich den ZDF Verwaltungsrat anschauen oder aber die die Verwaltungsräte und die zusätzlichen Rundfunkräte der einzelnen ARD Anstalten.
Überdurchschnittlich aus Zählpersonen mit Postenvielfalt, mit Parteibuch und Kaderkarriere,oder Funktionen in Wirtschaftsverbänden,Kammern,Kirchen oder Umwelt- und Sozialverbänden bestückt.
 
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Der SWF hatte meiner Erinnerung nach einen erkennbar liberalen Einschlag.

Wirklich? Unter dem Intendanten Willibald Hilf, dem Juristen und vormals CDU-Politiker in der Mainzer Staatskanzlei, tendierte der Sender doch eher zu schwarz. Hier sei beispielsweise auch der Bonner Büroleiter des SWF Wolfgang Wiedemeyer genannt, der vorher Pressesprecher von Helmut Kohl war.

Eine liberale Haltung sah ich da deutlicher beim SDR unter Hans Bausch (Journalist und CDU-Politiker).
 
Ja klar, @freiwild im speziellen und @alle im allgemeinen, der Unterschied zwischen Parteienähe - eventuell sogar Parteimitgliedschaft - entsprechender mehr oder weniger versteckter Einflussnahme auf das Programm und, drittens, Verwahrung gegen Einflussnahme von außen, ist mir klar.

Ich beziehe das ausdrücklich nicht auf dich, aber im allgemeinen scheint es heutzutage ja nahezuliegen, dass Parteinähe bzw. Parteizugehörigkeit einer machtvollen Person in allen möglichen Lebensbereichen in einer Art zwingenden logischen Notwendigkeit auch mit entsprechender Einflussnahme oder Entscheidungen dieser Person in ihrem Tätigkeitsbereich verbunden wird.

Diese Schlussfolgerung ziehe ich mitnichten. Weder würde ich Thomas Bellut noch Peter Frey noch sonst irgendjemandem unterstellen, dass sie ihrer parteipolitischen Affinität gemäß Einfluss auf – in ihrem Fall – ihr Programm oder Personal nähmen, und schon gar nicht, dass sie nicht Persönlichkeit genug seien, um sich parteipolitisch motiviertem Einfluss von außen welcher Art auch immer nicht erwehren zu können.

Im Gegenteil. Ich kann einer parteipolitischen Nähe von Entscheidungsträgern in den Medien sogar etwas abgewinnen. Zeigt es mir doch, dass sie zumindest politisch denkende Menschen sind (was für mich grundsätzlich ein Zeichen einer ausgebildeten Persönlichkeit ist) und ein gewisses Instrumentarium politischen Denkens zu ihrer Verfügung haben und anlegen, ob es mir jeweils schmecken mag oder auch nicht.

Ich finde zudem, dass die politische Einstellung oft recht viel über einen Menschen im allgemeinen aussagt und bin daher einfach nur neugierig. :) Außerdem interessiere ich mich grundsätzlich ein wenig für die formalen und vor allem informellen Strukturen in den Medien.

P.S. @freiwild: Welche offenbar eklatanten politische motivierten Handlungen von Günther Jauch und Frank Plasberg meinst du?

Und kannst du bei den Beiden eine parteipolitische Nähe erkennen? Ich nämlich irgendwie nicht. Und welche wäre das dann?

Ansonsten, @alle, vielen Dank für eure parteipolitischen Einschätzungen zum ZDF und den diversen Landesfunkanstalten der ARD. Ich lese aufmerksam mit. Sehr spannend und sehr erhellend. Bitte weiter so!
 
der Proporz früher hatte schon seltsame Blüten, vor allem bei den ARD-Politmagazinen montag abends. Der "schwarze" Report München im Wechsel mit dem "roten" Monitor aus Köln....
 
Auch im ZDF: Löwenthals "ZDF-Magazin" im Wechsel mit "Kennzeichen D". Wobei ersteres viel weiter rechts stand als letzteres links.
 
P.S. @freiwild: Welche offenbar eklatanten politische motivierten Handlungen von Günther Jauch und Frank Plasberg meinst du?

Und kannst du bei den Beiden eine parteipolitische Nähe erkennen? Ich nämlich irgendwie nicht. Und welche wäre das dann?

Jauch hat zum Beispiel 2012 in der letzten Sendung vor der NRW-Landtagswahl die Spitzenkandidaten von CDU und FDP eingeladen, aber keine Vertreter von SPD oder Grünen - was ein eklatanten Verstoß gegen Gleichbehandlung war. Ich weiß nicht, ob er das auch vor anderen Wahlen so gehalten hat, da ich seine Sendung meist gemieden habe. Bei vielen anderen Themen hat er oft die ewig gleichen Populisten eingeladen und sie ohne kritische Nachfrage ihre faktenfreien Parolen vortragen lassen, während andere Gäste (wie etwa Jörg Kachelmann oder Yanis Varoufakis) regelrecht vorgeführt wurden. Experten hingegen wurden oft wieder ausgeladen. Rein inhaltlich müsste man somit davon ausgehen, dass Jauch vom rechten CDU-Flügel installiert wurden wäre. Beim Plasberg ist es zwar weit weniger extrem, aber auch hier führt die Kombination aus einem Format, in dem kurze, knackige Parolen gefragt sind, einer Einladungspolitik, die hier wesentlich mehr Populisten von rechts als von links das Wort erteilt, und einer Themenwahl, die sich vor allem an rechten Diskursen orientiert, dazu, dass seine Sendung dazu beiträgt, den Diskurs nach rechts zu verschieben, statt ihn zu verbreiten und zu vertiefen - was meiner Meinung nach die Ausgabe einer öffentlich-rechtlichen Talkshow wäre.

Ich habe keine Hinweise darauf, dass Jauch oder Plasberg auf parteipolitischem Ticket ihre Shows erhalten hätten. Von der Funktion her, die ihre Shows ausüb(t)en, könnte man es aber vermuten.
 
Ich finde diese Diskussion ehrlich gesagt ziemlich panne. Solange der betreffende Redakteur etc. lediglich ein Parteibuch hat und keine weitere relevante parteiinterne Funktion, ist das eine vollkommen an den Haaren herbeigezogene Diskussion. Ist es jetzt irgendeine Art von Verbrechen, wenn man Mitglied irgendeiner Partei ist? Das ist ähnlich wie die sexuelle Orientierung schlichte Privatsache, Punkt. Es hat schon was mit schizophren zu tun, wenn man allen Angestellten und Mitarbeitern der ÖR, welche ein Parteibuch in der Tasche haben, unisono und durch die Bank weg unterstellt, dass sie nicht in der Lage wären eine Thematik wertneutral anzufassen. Wenn man der Logik hinter dem Posting von Alpe folgt, müßten dann nämlich auch alle Beamten erstmal ihre Parteibücher abgeben, denn die haben sich ebenso neutral zu verhalten, eben weil sie Beamte sind.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Besetzungen in Rundfunkräten und weiteren oberen Instanzen der Anstalten, sind wieder eine andere Sache. Das sich dort quasi überall viel zu viele Berufspolitiker tummeln, steht im Grunde ausser Frage. Andererseits muss dann aber auch die Frage gestattet sein, warum es niemanden interessiert, wie eigentlich die Parteibücher der Leute bei RTL & Co aussehen? Nur weil die Privatfunk sind, heißt das nicht, dass sie aus ihrer allgemeinen Pflicht einer möglichst wertneutralen Berichterstattung entbunden sind.

der Proporz früher hatte schon seltsame Blüten, vor allem bei den ARD-Politmagazinen montag abends. Der "schwarze" Report München im Wechsel mit dem "roten" Monitor aus Köln....
Aha.... mit Verlaub, das war das wunderbar praktizierte Vermitteln von Meinungsvielfalt. Und das war gut und richtig so. Leider vermißt man die heutzutage hier und da im Programm, denn obwohl es beide Sendungen heute noch gibt, sind sie unterm Strich dann doch eher farblos, weil es Journalisten wie Klaus Bednarz oder von mir aus auch Gerhard Löwenthal heute gar nicht mehr gibt.


Jauch hat zum Beispiel 2012 in der letzten Sendung vor der NRW-Landtagswahl die Spitzenkandidaten von CDU und FDP eingeladen, aber keine Vertreter von SPD oder Grünen
Ach wirklich? https://www.presseportal.de/pm/6694/2246776
 
Die Besetzung der Rundfunkräte ist ARD-weit recht unterscheidlich geregelt, im Faden über Helmut Markwort steht einiges dazu.
Beim BR sind die Regierungsvertreter tatsächlich qua Gesetz vorgesehen, was ich persönlich verwunderlich (und zu kritisieren) finde. Aber das ist halt Bayern, wo man Brauchtumspflege eben anders betreibt...

Die Zeit der plakativen Etikettenvergabe à la "Rotfunk" und "Schwarzfunk" ist in meiner Wahrnehmung aber lang vorbei. Das läuft alles viel subtiler, als es polternde Landesfürsten von anno Tobak zu tun pflegten.
 
@freiwild: Ich kann deine Sichtweise zu Jauch und Plasberg nachvollziehen, würde dir aber trotzdem zumindest in Teilen widersprechen. Ich glaube nicht, dass entweder die Themenwahl, die Wahl der Gäste oder die Gestaltung der Sendung als, wie du es empfindet, vorhersehbare Abfolge von überdramatisieren Filmchen und knackigen, möglichst extremen Statements, parteipolitisch motiviert sind. Ich glaube vielmehr, dass dies

a) daran liegt, wie wir als Gesellschaft insgesamt grundsätzlich glauben, wie man in einer 1:n-Kommunikation (ein Vermittler, beliebig viele Empfänger) komplizierte Themen überhaupt allgemeinverständlich aufbereiten und vermitteln kann. Das ist sozusagen vielmehr ein allgemeingültiger didaktischer Imperativ als Herrn Jauch oder Herrn Plasberg persönlich geschuldet. Nicht umsonst entspricht das Muster Jauch und Plasberg ja im wesentlichen auch dem Muster fast aller anderen Talkshows dieser Art, seien es Anne Will, Maybrit Illner, Sandra Maischberger, oder, oder, oder. (Im Gegensatz zu dir kann ich diesem Imperativ übrigens durchaus etwas abgewinnen. Ich halte die Annahme, dass man komplizierte Sachverhalte oft am ehesten über die Darstellung ihrer Extreme vermitteln kann, für nicht so verkehrt. Extreme illustrieren den Raum des Möglichen und regen zum Denken an.); und

b) ganz simpel auch an der dichten Konkurrenzsituation dieser Sendungen liegt, die ich gerade schon angedeutet habe. Jedes einzelne Format muss sich in der Aufmachung irgendwie von den anderen abheben um für den Zuschauer interessant zu sein. (Zumindest glauben dies die Macher, die in der Bewertung dessen, wie interessant ihre Sendung für den Zuschauer ist, notorisch Form über Inhalt gewichten.) Und so sind eben des einen viele kleine Filmchen des anderen tränenreiche Betroffenenbekenntnisse. Ich halte dies auch eher weniger Herrn Jauch oder Herrn Plasberg persönlich geschuldet.

Trotzdem würde mich mal interessieren, ob Herr Jauch eigentlich privat die CDU wählt, oder Frau Will, Illner etc. Ich bin eben unverbesserlich neugierig. Herr Plasberg hat dies zumindest bei einer Landtagswahl in NRW einmal getan und öffentlich zu Protokoll gegeben (https://rp-online.de/panorama/leute/frank-plasberg-ist-ein-wechselwaehler_aid-11047711), wofür er dann auch gleich einen medialen Sturm der Entrüstung geerntet hat. Sagt viel darüber aus, wie erwachsen und reif wir als Gesellschaft eigentlich sind.


@Radiokult: Genau dies habe ich oben gesagt. Ich bin versucht, diesen alten Kalauer der Bundeswehr zu verwenden, „wer lesen kann, ist klar im Vorteil“, aber das wäre gemein. Ich weiß wie das ist, ich lese auch nicht immer alles, insofern kein Problem. Aber du kannst es ja noch einmal nachlesen.

Inhaltlich sind wir uns übrigens völlig einig. Zu sagen RTL = privat = neoliberale Propagandaschleuder ist genau so absurd wie ARD/ZDF = öffentlich = linientreuer Staatsfunk. Wir befinden uns hier im gemäßigten, rechtsstaatlich geregelten Mitteleuropa, wo Menschen unabhängig denken können und dürfen und nicht in China oder Nordkorea. Insofern habe ich auch überhaupt kein Problem damit, dass die verschiedenen Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender mit Leuten aus der Politik besetzt sind. Die werden ja nicht plötzlich, nur weil sie in eine Partei eintreten, zu böswilligen und arglistigen Unmenschen, die alle Welt täuschen und zum Vorteil ihrer Ideologie instrumentalisieren wollen. Ein Parteibuch ist ja keine Hirnwäschepille wie in einem Science-Fiction-Film.

@Funkminister (Danke!) und alle: Danke für euren Input! Ich freue mich schon auf mehr.
 
Gibt es einen Parteiptoporz bei der Besetzung der oberen Führungspositionen der ARD?

Aber wo denkst du hin! Niemals! Völlig absurder Gedanke. Nichts ist unabhängiger, neutraler und ausschließlicher vom Fachkönnen des Führungspersonals geprägt, als die Führungspositionen bei der ARD. Schon die Frage zu stellen ist ungebührlich, um nicht zu sagen "ziemlich panne". Lass Dir das gesagt sein:

ist das eine vollkommen an den Haaren herbeigezogene Diskussion.
 
Ich bin mal wieder ein wenig entsetzt, @Mannis Fan . Eigentlich bin ich von dir mehr Sachlichkeit gewohnt. Es ist zwar durchaus dein Recht, mein Posting so zu mißbrauchen oder sagen wir mal aus dem Zusammenhang zu reißen und so zu verkürzen, dass sein Sinn in das Gegenteil verkehrt wird. In Ordnung finde ich es aber trotzdem nicht. Ich habe mich ganz bewußt dagegen ausgesprochen, sämtliche Medienschaffenden in den ÖRs, welche irgendein Parteibuch besitzen, pauschal zu verurteilen. Das ist nämlich schlichtweg unanständig. In #16 hat Alpe dann glücklicherweise anhand weiterer Meinungen hier etwas konkreter ausgeführt, was er mit dem Eingangsposting meinte. Das machte dann einige Anmerkungen von mir im Grunde überflüßig.
Das der Parteienklüngel in den oberen Etagen der ÖRs ein Ende haben muss, steht und stand nie ausser Frage. Das habe ich hier auch schon an anderen Stellen kund getan. Das ist ausserdem eine ganz andere Kategorie. Dort sind es in der Regel Berufspolitiker, welche in den Gremien mal mehr mal weniger direkt reingrätschen und ungefragt ihren Senf dazu tun. Das ist etwas völlig anderes als ein Cutter, Redakteuer oder von mir aus auch ein Kabelträger, der schnödes Mitglied irgendeiner Partei ist. Eine Differenzierung ist diesbezüglich mehr als angebracht, finde ich. Ansonsten denunzieren wir uns irgendwann alle gegenseitig zu Tode.
 
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Erstmal vielen Dank für eure Einlassungen. Auch wenn die Diskussion darüber, wie schlimm oder nicht schlimm der Einfluss der Parteien auf die Führungspositionen in den ÖR-Sendern ist, ein wenig von meiner Ausgangslage Weg fürs, finde ich sie sehr interessant.

Grundsätzlich sind wir uns erst einmal einig. Dass es diesen Einfluss gibt und gegeben hat, ist unbestreitbar. Das ist in zahllosen Dokumenten belegt und im Laufe der Jahrzehnte tausendfach rauf- und runterdiskutiert worden (wie gerade ja auch wieder hier in diesem Thread).

Ich stelle mir aber die Frage, wie gravierend dieses Problem eigentlich (noch) ist. Meine These: Ich halte es für nicht oder nicht mehr sonderlich schwerwiegend. Warum? Dazu ein paar spontane Gedanken:

1. Wenn es wirklich zu einem Fall des direkten Einflusses der Politik auf die Berichterstattung eines der ÖR-Sender kommen würde, so nach dem Motto „Politiker X ruft bei Sender Y an um sich über einen Bericht zu beschweren“, würde das doch heutzutage sofort öffentlich und käme einem absoluten Publicity-GAU für diesen Politiker gleich. Tagelange Empörungsberichterstattung in der Presse wäre garantiert. Wenn ich mich recht erinnere, musste das z.B. Markus Söder vor einigen Jahren mal erfahren. Allein die Tatsache, dass ich das noch aus meinen Hirnwindungen hervorkramen kann, spricht Bände. Ich halte diese Methode der direkten Einflussnahme der Politik auf die Sender daher für mehr oder weniger ausgeschlossen. So dämlich fahrlässig und blatant kann sich heute kein Politiker mehr leisten zu sein.

2. Wenn direkter Einfluss also eher unwahrscheinlich ist, kann die Politik natürlich immer noch indirekten Einfluss auf das Programm des ÖR nehmen, z.B. über die auch hier bereits thematisierte Besetzung von Chefposten etc. Stimmt, das kann sie und das tut sie und diese Tatsache lässt sich wohl auch nicht bestreiten. ABER: Einerseits glaube ich nicht daran, dass in einem solchen riesigen bürokratischen System wie einer Rundfunkanstalt mit tausenden von Mitarbeitern und einer komplexen Struktur fest definierter Abläufe, Arbeitsprogrammen und Vorgehensregeln ein einzelner Mensch, und sei er auch der Intendant oder Programmdirektor oder Chefredakteur, sozusagen als Ein-Mann-Show die Richtung des ganzen Ladens einfach so, mir nichts, dir nichts, von heute auf morgen auf eine bestimmte politische Linie bürsten kann.

Und andererseits, selbst wenn er das könnte und das ganze Haus plötzlich „rot" oder „schwarz“ funken würde, wäre es heutzutage bestimmt so, dass dies immer und immer wieder von den einschlägigen Konkurrenzmedien in der Presse, im Rundfunk und nicht zuletzt solch kritischen Beobachtern wie euch hier im Forum thematisiert würde. Welcher Programmverantwortliche sähe sein Foto schon regelmäßig gerne in der Presse unter dem Titel politisch fragwürdiger Einflussnahme auf sein Programm? Ich glaube, diese Gefahr würde da wirken wie ein natürliches Korrektiv.

Mal ganz von solchen Überlegungen abgesehen, sind diese hohen Entscheidungsträger ja auch hochgebildet und haben sicherlich eine gewisse persönliche und berufliche Selbstachtung, weshalb die meisten von ihnen ihren Auftrag der politischen Neutralität sicher ernst nehmen dürften. Diesen Leuten zu unterstellen, sie wären quasi willenlose Marionetten im Dienste einer übergeordneten politischen Macht, ist intellektuell meines Erachtens, gelinde gesagt, zumindest unterkomplex.

3. Selbst wenn wir annehmen, wir lebten in einem Staat, in dem politische Einflussnahme der Politik auf das Programm der Öffentlich-Rechtlichen gang und gäbe wäre und die Öffentlich-Rechtlichen nichts anderes als willenlose Exekutoren der politischen Macht, stellt sich für mich doch die Frage, wie problematisch das eigentlich wirklich heutzutage noch wäre? Erstens leben wir in einem Rechtsstaat mit Grundrechten auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit und jeder deutlich als Staatsfunk erkennbare Sender würde sofort öffentlich kritisiert und wäre schnell komplett diskreditiert; und zweitens kommt doch das Zeitalter der klassischen öffentlich-rechtlichen Medien langsam an sein Ende. Lineares Fernsehen und lineares Radio nehmen in ihrer Bedeutung zunehmend ab (das gleiche Problem haben übrigens auch die privatrechtlichen, gedruckten Erzeugnisse), und statt einer großen Öffentlichkeit, die ARD und ZDF bequem erreichen (und indoktrinieren) könnten, gibt es inzwischen immer mehr „multiple Öffentlichkeiten" in den sozialen Medien und im Internet, wohin ein Großteil der medialen Aufmerksamkeit vieler Menschen mehr und mehr wandert. Wer guckt heute noch um 20:15 Uhr abends die ARD? Wer wartet für seine News noch auf die morgendliche Zeitung? Ich jedenfalls habe weder einen Fernseher noch eine Zeitung im Abonnement, ich informiere mich ausschließlich online und per Podcasts (mein Favorit). Lineares bzw. zeitlich terminiertes Programm erreicht mich gar nicht mehr. Klar bin ich damit wohl noch die Ausnahme, aber es wird meiner Einschätzung nach noch allerhöchstens eine Generation dauern, bis wir von den klassischen Medien wie wir sie noch im 20. Jahrhundert kannten, nichts mehr sehen werden. Die heute fünfjährigen sind dann 35 und reife Medienkonsumenten und für die wird die Vorstellung einer einmal am Tag auf Papier (was ist das?) geupdateten Nachrichtenlage oder einmal monatlich am Dienstagabend um 21 Uhr ausgestrahlten Sendung wahrscheinlich ziemlich kurios sein.

Insofern halte ich das Bedrohungspotenzial selbst eines in der Wolle gefärbten traditionellen öffentlich-rechtlichen Rundfunks für relativ überschaubar und die entsprechende Empörung nachvollziehbar, aber glücklicherweise schon bald für überflüssig.

Gegenthesen? Kritische Meinungen? Her damit! 🙂

P.S. @Mannis Fan: Vielen Dank dafür, dass du dich, obwohl, wie du sagst, allein schon die Frage zu stellen „ziemlich Panne“ ist, doch zu einer Antwort an mich herablässt. Das ehrt mich!
 
ABER: Einerseits glaube ich nicht daran, dass in einem solchen riesigen bürokratischen System wie einer Rundfunkanstalt mit tausenden von Mitarbeitern und einer komplexen Struktur fest definierter Abläufe, Arbeitsprogrammen und Vorgehensregeln ein einzelner Mensch, und sei er auch der Intendant oder Programmdirektor oder Chefredakteur, sozusagen als Ein-Mann-Show die Richtung des ganzen Ladens einfach so, mir nichts, dir nichts, von heute auf morgen auf eine bestimmte politische Linie bürsten kann.
Das ist auch nicht so ohne weiteres möglich.
Die oft gescholtene föderale Struktur der Anstalten macht das ziemlich schwierig.
Dazu die Rundfunkstaatsversträge, die klar regeln wer (inhaltlich) wo wem was vorschreiben kann - oder eben nicht.
Beispiel NDR: die Landesfunkhäuser hocken nicht unter einer Weisungsbefugnis aus der Zentrale und handeln autonom, was die Inhalte betrifft. Festgelegt sind die Anzahl an Programmen und die Ausstrahlungswege.
Personalentscheidungen unter einer gewissen Hierarchiestufe werden selbständig und unabhängig getroffen. Erst ab Redaktionsleitern aufwärts ist der Rundfunkrat einbezogen.

Einen Staatsvertrag zu ändern ist noch schwieriger. Dazu müsste beim NDR in vier Länderparlamenten eine Mehrheit für die Kündigung und Neufassung gefunden werden. Das hat es noch nie gegeben, wenngleich es schon mehrmals einseitige Kündigungsdrohungen gab, zuletzt von Christian Wulff als er Ministerpräsident war. Das war tatsächlich der Versuch einer Einflussnahme, Herrn Wulff behagte die Berichterstattung seinerzeit nicht. Er forderte „mehr Niedersachsen“ im Programm.
 
@Radiokult und @alpe
Einer von euch beiden hat ja weiter oben selbst formuliert: "Wer lesen kann, der ist im Vorteil". @alpe hat überhaupt nicht von den Cuttern, Redakteuren und sonstigten normalen Mitarbeiter gesoprochen, die @Radiokult dann so vehement verteidigt hat. Das hier hat @alpe gefragt:
Gibt es eine recht klare Aufteilung zwischen CDU-nahen und SPD-nahen Personen bei der Besetzung der wesentlichen Leitungspositionen? So seien Intendant und Programmdirektor typischerweise "schwarz", Chefredakteur und Verwaltungsdirektor dafür aber "rot"

Anstatt diese Frage zu beantworten, hat @Radiokult erklärt, diese Frage überhaupt zu stellen sei "voll panne".

In diesem Kontext habe ich mich zu meinem posting provoziert gefühlt. Und das habt ihr dann genauso beherzt falsch verstanden (oder verstehen wollen). Unterm Strich: Alles gut, ihr habt euch ja gegenseitig justiert und korrigiert.
 
@Funkminister (und @alle): Was die rechtliche und formale Seite angeht, hast Du sicherlich Recht. Kein hoher Verantwortlicher in den ÖR wird im redaktionellen Arbeiten eines Senders par ordre du mufti eine politische Linie durchdrücken können. Ich glaube, der etwas subtilere Einwand, den der fachkundige Kritiker hier zu machen geneigt wäre, wäre der des informellen Einflusses durch das Wissen der inhaltlich verantwortlichen Redakteure um die politische Einstellung ihrer Vorgesetzten. Wenn der Boss ein unverhohlener Konservativer ist, von dem man weiß, dass er z.B. kritische Berichterstattung über die Kirche so gar nicht leiden kann, dann überlegt man sich als gemeiner Redakteur vielleicht doch zweimal, ob man den kritischen Bericht über veruntreute Spendengelder in der örtlichen Pfarrei in die Lokalnachrichten hebt oder nicht. Schließlich hat man zu Hause auch noch eine Familie zu ernähren und förderlich für die eigene Karriere ‚geht anders‘ (wie es heute so schön heißt).

Wenn also ein Ministerpräsident wie Christian Wulff sagt, er hätte gerne mehr Niedersachsen im Programm, dann ist das prima facie erst einmal harmlos. Wenn er das aber nur oft genug wiederholt und vielleicht sein Nachfolger auch, und wenn die oberen Etagen des Landessenders vielleicht ebenso ticken, dann setzt sich das langsam in den Köpfen der Mitarbeiter fest und bevor man sich's versieht, hat die Wohlfühl-„unser Niedersachsen ist so schön"-Lokalzeit von heute nichts mehr mit der kritischen Aufdecker-Lokalzeit von vor 10 Jahren gemein, die seinerzeit regelmäßig den Finger in die Wunde der regionalen Missstände legte.

Das ist dann die berühmte Schere im Kopf. Es bedarf keiner direkten Anweisung, aber jeder ist trotzdem mehr oder weniger auf Linie. (Und das ist auch völlig nachvollziehbar und ich meine das ganz ohne Vorwurf. Jeder hat zu Hause eine Familie zu ernähren und muss sich über seine Karriere Gedanken machen. Und Karrieren blühen erfahrungsgemäß dann am ehesten, wenn es am wenigsten Konflikte mit dem Chef gibt.)

Ich habe daher die Leute von der AfD und der radikalen politischen Rechten nie verstanden, die immer von „Staatsfunk" und „staatlich kontrollierten Medien" sprechen und suggerieren, die Kanzlerin oder ihr Regierungssprecher würden bei den Sendern und Zeitungen anrufen und eine bestimmte staatsnahe Berichterstattung verlangen. Das ist natürlich vollkommener Unsinn und passiert so nicht. Wenn die Damen und Herren von der AfD auch nur jemals ein halbes Semester Soziologie oder Medienwissenschaften studiert hätten oder vielleicht einfach nur im Grundkurs Sozialkunde in der Mittelstufe besser aufgepasst hätten, dann wüssten sie, dass politische Einflussnahme auf Medien – zumindest in westlichen Rechtsstaaten – wenn sie denn schon erfolgt, dann wenigstens viel subtiler und schleichender vonstatten geht als über plumpe Telefonanrufe, nämlich eher so, wie ich es oben mit der Schere im Kopf beschrieben habe. Steter Tropfen höhlt den Stein, Selbstzensur etc.

In vielen Fragen bedarf es für die Wirkung dieser Schere nicht einmal eines expliziten oder vermuteten Wissens darüber, was die oberen Herrschaften denn gerne hören würden. Viele Dinge verstehen sich von selbst und manifestieren sich vollkommen unbewusst, einfach weil sie unhinterfragter Bestandteil unserer gesellschaftlichen Kultur sind. So würde z.B. kein ernstzunehmender Journalist jemals mehr als nur scherzhaft die Geltung der Menschenrechte für ALLE Menschen in Deutschland in Zweifel ziehen, auch Flüchtlinge, und einen Leitartikel in der SZ oder einen Kommentar in den Tagesthemen platzieren, in dem er handfeste politische Entscheidungen fordert, die genau eine solche Beschneidung zum Ziel haben oder in Kauf nehmen („die Polizei sollte darüber nachdenken, alle frei herumlaufenden Flüchtlinge festzunehmen und sofort einzusperren“). So etwas würde diesem Mann gar nicht einfallen. Und wenn doch, dann würde man ihn (oder zumindest das, was er sagt) verlachen und nicht ernstnehmen, weil er die fundamentalen kulturellen Grundsätze dessen in Frage stellt, worauf unsere Gesellschaft überhaupt aufbaut. Für diese Art der „Zensur" (in ganz dicken Anführungszeichen!) bedarf es keinen Anruf der Kanzlerin beim Chefredakteur, in dem sie fordert, „ihr dürft in euren Beiträgen keine Gewalt gegen Flüchtlinge als legitimes Mittel staatlichen Vorgehens propagieren“.

Aber gut. Jetzt sind wir schon tief in der Diskussion über den Einfluss einer Kultur mit ihren impliziten und expliziten Wertvorstellungen, Normen, Bräuchen und Sitten auf ihre Gesellschaft und das, was diese gutheißt, wertschätzt und erlaubt. Das führt hier zu weit.

Vor diesem Hintergrund mag man es ja fast schon als einen Segen betrachten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland eben gerade öffentlich-rechtlich und nicht privatrechtlich organisiert ist. Beim Focus unter Helmut Markwort z.B. mag man sich ein Szenario vorstellen, in dem ein Redakteur geschasst wird, weil er einen missliebigen Beitrag, der der Chefredaktion nicht gefällt, ohne Rücksprache veröffentlicht hat. Bei den ÖR wäre das wahrscheinlich nicht so einfach. Denn wie wir alle wissen, zählen in öffentlichen Behörden bei der Frage der Karriere nicht nur das Wohlgefallen des personalverantwortlichen Chefs, sondern auch solche Prinzipien wie Seniorität, Dienstalter etc. So mancher ist vielleicht sogar noch Beamter und damit ohnehin quasi unkündbar.

Insofern ist die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vielleicht sogar geradezu ein Segen für die politische Neutralität und Unabhängigkeit medialer Berichterstattung in Deutschland – und nicht ein Fluch. 🙂
 
@alpe Dein Schlussatz lässt mich etwas verwundert zurück - ich dachte, das wäre bei aller kontroverser Diskussion um die hiesige Medienlandschaft und den Ö.-R. Rundfunk Konsens ;)

Inhaltlich muss ich auf einen kleinen Widerspruch hinweisen. Ein nicht-staatlicher Rundfunk kann natürlich keine Beamten als Mitarbeiter haben.
Und so weisungsbefugt ein Redaktionsleiter oder Chefredakteur auch sein mag, eine Entscheidung die die Entlassung eines (ob seiner inhaltlichen Arbeit) missliebigen Mitarbeiters zur Folge hat, kann er allein nicht treffen. Dazu müsste besagter Mitarbeiter schon derbe Bolzen schiessen, die arbeitsvertragliche oder andere Dienstvereinbarungen verletzen. Wohl aber kann er den Mitarbeiter daran hindern, weiterhin in seiner Redaktion in bisheriger Form das zu tun, was er tat.

Auch das ist ja ein Modus operandi um eben die berühmte "Schere im Kopf" zu verhindern, indem solche direkten Abhängigkeiten verhindert werden, die Redakteure oder (freie) Autoren dem Redaktionsleiter nach dem Munde berichten lassen weil sonst der Kühlschrank leer bleibt.
Wenn der örtliche Pfaffe in die Kasse greift, muss der erzkatholische Chefredakteur den Beitrag darüber im eigenen Programm gefälligst aushalten, ja sogar unbedingt ins Programm heben.
Das siebte Gebot sollte es ihm allein schon wert sein...
 
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