ARD entschuldigt sich für Berichterstattung

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AW: ARD entschuldigt sich für Berichterstattung

Bravo, Leyendecker schreibt von mir ab. Ich zitiere mal:
Das Verb "heucheln", darauf weisen etymologische Wörterbücher hin, wurde früher in der Bedeutung "schmeicheln", aber auch im Sinne von "sich biegen, sich bücken, sich ducken" verwendet. Das Wort beschreibt das Verhalten der Fernsehgewaltigen im Ersten ziemlich gut.

Die ARD-Funktionäre haben sich in der vergangenen Woche weggeduckt und gleichzeitig einen ihrer Journalisten öffentlich vorgeführt. Nachdem der Doping-Experte Hajo Seppelt, 45, eine Meldung über einen Doping-Verdacht im Zusammenhang mit Ereignissen in einer Wiener Blutbank gefertigt hatte, distanzierte sich das System ARD Tage später von der Meldung: "Nicht vertretbar (...) mit Berufsauffassung nicht vereinbar (...) Pauschalverdächtigungen" - was normalerweise nur Angegriffene so sagen.

Es ging erkennbar nicht um Journalismus, sondern ums Geschäft. Sieben Millionen Euro zahlt das Erste jährlich an den Deutschen Skiverband, und in der Meldung von einem Wiener Dopinglabor waren auch deutsche Skilangläufer und Biathleten als potentielle Kunden aufgetaucht. Das Fernsehen erzielt mit Biathlon-Übertragungen so gute Quoten, dass am vergangenen Samstag um 20.15 Uhr sogar noch ein fröhliches Unterhaltungsschießen mit Jörg Pilawa abfiel.

Entschuldigung ja, aber bitte richtig

Weil Geschäfte auf dieser Welt nie von Seitenwinden gestört werden sollen, war es kaufmännisch gesehen nur konsequent, dass das Erste eine Entlastungs-Offensive startete. Vielleicht aber war der Zeitpunkt der Schelte nicht ganz klug gewählt. Seppelt soll am Montagabend dieser Woche bei einer Veranstaltung Unter den Linden zu Berlin zum "Sportjournalisten des Jahres" gekürt werden. Das ist eine Auszeichnung, auf die auch ARD-Leute stolz hingewiesen hatten.

Dass man jetzt der Meinung ist, sich beim Publikum entschuldigen zu müssen, ist sehr sympathisch - dann aber bitte mal richtig. Anlässe gibt es reichlich. ...
... Weil aber mit soviel Willen zur Reinigung nicht zu rechnen ist, stellt sich die Frage, warum sich die ARD ausgerechnet bei Seppelt auf die Hinterbeine stellt. Dass Skilanglauf oder Biathlon dopingfreie Zonen seien, glaubt niemand. Bei der WM 2001 flog die finnische Mannschaft wegen des Gebrauchs von Blutplasma-Expandern auf, ein Jahr später bei Olympia der für Spanien startende Johann Mühlegg sowie einige Russinnen. Bei den Winterspielen 2006 in Turin wurde in einem Quartier der österreichischen Langläufer und Biathleten ein Blutdopinglabor ausgehoben.

Handwerklich ist Seppelt vorzuwerfen, dass er sich von der Konkurrenz des Wiener Blattes Kurier treiben ließ, dessen Doping-Berichterstattung er toppen wollte und deshalb eine Agenturmeldung zu früh auf den Weg brachte. Aber es passiert Tag für Tag Schlimmeres in der ARD und anderswo.

"Sprich ihn nicht auf Doping an"

Nach den Kriterien der Verdachtsberichterstattung, die ein aus dem Artikel 5 des Grundgesetzes abgeleitetes Privileg der Medien ist, war seine Berichterstattung zulässig. Es bestand ein besonderes öffentliches Interesse, es gab einen Mindestbestand an Beweistatsachen, und die verdächtigen Athleten konnten aus dem Gemeldeten nicht identifiziert werden.

Warum also stöhnt die ARD ausgerechnet bei einem wie Seppelt Mea culpa? Der Verdacht liegt nahe, dass man so einen, der im Schlamm wühlt, für ein Schmuddelkind hält. Man schmückt sich mit den Enthüllern, aber man misstraut ihnen. Kritischer Sportjournalismus lässt den üblichen Betrieb ahnen, dass er nur Teil der Unterhaltungsindustrie ist. Da beschädigt einer die Ware Sport, ist nicht teamfähig, krankhaft investigativ.

Als der ZDF-Mann Jörg-Michael Junginger 2002 bei den Winterspielen in Salt Lake City den Langläufer Mühlegg befragen wollte, bekam er den Rat: "Jörg-Michael, Du als Interviewer, sprich ihn nicht auf Doping an, sonst läuft er dir weg". Kurz darauf flog der Doping-Skandal um Mühlegg auf.

Preisträger Seppelt, der als freier Journalist arbeitet, wird von einem der ARD-Obersten "Eiferer" genannt. Schon Ende der neunziger Jahre hatte ihm ein Vorgesetzter den Tipp gegeben: "Es wäre vielleicht günstig, wenn du nicht mehr so investigativ, recherchierend an Themen rangehst. Es würde völlig reichen, wenn du nur beschreibst, was da gerade passiert". ...
 
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