Beschwerdestelle für Hörer

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Heute in der FR! Ich denke, eine solche Einrichtung täte jedem Rundfunkunternehmen gut (auch den Privatradios). Gute Idee, hoffentlich nicht wieder eine Sommerlochente.

Gruß postit



Die Invasion der Unzufriedenen

Nordrhein-Westfalens Landesregierung will dem WDR das Beschwerde-System der BBC auferlegen

VON RALF SIEPMANN



Alle Berufe, mokierte sich schon George Bernard Shaw, seien Verschwörungen gegen den Laien. Als hätte sie den Spott des irischen Autors im Sinn, hat sich die um ihre medienpolitische Innovationskraft bangende NRW-Landesregierung aufgemacht, das geltende Beschwerdemanagement des WDR per Gesetz zu reformieren. Eine Beschwerdestelle soll - von Intendant und Rundfunkrat unabhängig - nach dem Modell der BBC die Akzeptanz der Anstalt bei ihrem Publikum erhöhen und die Transparenz des Verfahrens verbessern.

Die BBC hat sich unter dem neuem Führungstandem Michael Grade und Michael Thompson einem strikten Erneuerungskurs verschrieben, dazu gehört auch eine Verbesserung des Beschwerde-Managements. Eingaben auf Grund vermuteter Verstöße gegen Programmgrundsätze, Vorschriften für Werbung und Jugendschutz werden von einer eigens geschaffenen Stelle bearbeitet und entschieden. Alle drei Monate berichtet die Beschwerdestelle auf ihrer Homepage über ihre Aktivität. Nun soll das System noch gerechter, nachvollziehbarer und transparenter werden.

Berauscht von derart reinen öffentlich-rechtlichen Tugenden, adaptierte die NRW-Staatskanzlei Bestimmungen des britischen Medienrechts teilweise wortgleich in ihren Entwurf zur Novellierung des WDR-Gesetzes. Es gebe keine Beschwerden über das Beschwerdeverfahren beim WDR, findet hingegen Willi Vogt von der Gewerkschaft Verdi - allenfalls eine Debatte um eine Übertragung der BBC-Praxis. Diese Einschätzung findet - kein Wunder - die uneingeschränkte Zustimmung des WDR-Intendanten. Mehr als 20 000 Eingaben erreichen den Sender nach Angaben Fritz Pleitgens in manchen Wochen. Mit dieser Invasion von Anrufen, Briefen und E-Mails, versichert der Intendant, werde sein Haus durchaus fertig. Ein "in jeder Hinsicht funktionsfähiges" Kommunikationsmanagement sichere die zügige und sorgfältige Bearbeitung aller Eingaben. Daher sei das Modell der Landesregierung nicht notwendig und eine unnötige Belastung des Haushalts.

Pleitgens Kritik an der Konstruktion eines neuen Gremiums mit zusätzlichen Planstellen findet nun, da der öffentlich-rechtliche Rundfunk besser sparen soll, offene Ohren. Pikanterweise ist es gerade NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD), der vor einem Jahr mit den Regierungschefs von Bayern und Sachsen die Debatte um die Reduzierung der Strukturen von ARD und ZDF ausgelöst hat.


"Bessere Bindung des Publikums"

So wachsen selbst in den Regierungsfraktionen die Zweifel. Der medienpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Oliver Keymis, ging nach einer öffentlichen Anhörung zur WDR-Novelle im Landtag auf Distanz ("Watschen für die Landesregierung"). Sein SPD-Kollege Marc-Jan Eumann will nun nicht mehr unbedingt an einer autonomen Beschwerdestelle festhalten, jedoch am Ziel: "Wichtig ist, dass das Instrument zu einer besseren Bindung des Publikums an den WDR führt und zur Qualitätssteigerung beiträgt."

Dabei verdecken die Bekenntnisse Transparenz und Glaubwürdigkeit eher das Kernproblem: das Halbdunkel um das Thema. Anders als die BBC veröffentlicht der WDR eben bislang nicht, was Kritiker gegen den Sender vorbringen. Derzeit entscheidet der Intendant über Beschwerden auf schriftlichem Wege autonom. Nur wenn dagegen Einsprüche eingelegt werden, befasst sich der Rundfunkrat damit- also höchst selten. Deshalb sorgt die gegenwärtige Asymmetrie von Leitung und Aufsicht in der Beschwerdepraxis für Unmut im Rundfunkrat. "Das Aufsichtsgremium erreicht ja nur die Spitze eines Eisbergs," weiß Medienpolitiker Eumann. Art und Zahl der Beschwerden erfahre er weder vom Rundfunkrat, "noch als Medienpolitiker oder Gebührenzahler."

Der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stefan Grüll, findet es "verständlich, dass die Leitung des Senders gern Herr des Verfahrens bleiben möchte." Das steht auch im Novellierungsentwurf. Soll doch die Beschwerdestelle ihre Entscheidungen "im Einvernehmen mit dem Intendanten" treffen. Was der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (Vprt) kritisiert: Es werde lediglich ein zusätzliches Gremium geschaffen, das eine Einigung mit dem Intendanten herbeiführen müsse. Der Münsteraner Rechtswissenschaftler Bernd Holznagel plädiert für eine Streichung dieser Bestimmung: "Nur eine von den Leitungsorganen des Senders unabhängige Beschwerdestelle kann eine hinreichende Glaubwürdigkeit entwickeln."

Einen Quantensprung in der WDR-Unternehmenskultur wagt der Novellierungsentwurf nicht. Künftig soll der regelmäßige Bericht der Beschwerdestelle an den Rundfunkrat zwar veröffentlicht werden - doch lediglich in einer Fassung, "die die schutzwürdigen Belange von Betroffenen wahrt".

Dabei muss man nicht unbedingt nach London, um innovative Wege zu erkunden. Manchmal reichen schon drei Klicks im Internet. Ende April hat die mit der Aufsicht über private Anbieter beauftragte Landesmedienanstalt Saarland mit dem Onlineportal programmbeschwerde.de eine neue Kommunikationsplattform gestartet. Die virtuelle Beteiligungschance trifft auf Bedarf: In den ersten sechs Wochen verzeichnete die Website 9 500 Besucher und 100 Beschwerden.

Bei der BBC sind übrigens die Eingaben mit wachsender Publizität des Beschwerdewesens gestiegen. Demnächst will die Musteranstalt hierzu gar eine Multimediainitiative in ihren eigenen Programmen fahren.
 
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