AW: Die Ostperten vom mdr
Allein Thüringen ,verliert jeden Tag über 30 junge Leute in Richtung Süd und West.
Rückkehrer sind sehr selten.
aber aus gutem GRUND!
Eben. Ich erlebe seit 11 Monaten, was Rückkehrern nach Thüringen blüht, wenn sie nach Jena gehen, um einen weiteren Großbetrieb mit aufzubauen. Ich bin da inzwischen so ein kleiner Abteilungsleiter. Und hier und jetzt verrate ich mal, wie promovierte Mittdreißiger in Jena leben. Das ist meine derzeitige Unterkunft:
Und das war die davor:
Davor gab es wenigstens nen Schrank, dafür aber auch Motten und Fruchtfliegen in der Küche sowie chronisch genervte Mitbewohnerinnen. Daß die mit der Welt nicht klarkamen, wundert mich nicht bei den Zuständen, in denen sie ganz selbstverständlich hausten.
Davor - das übelste bislang - harrte ich in einem Zimmer aus, in dem ich jeden Morgen dick verquollene Augen vom Schimmel an der Wand und den Milben in der Matratze hatte.
Gekostet haben die Absteigen teilweise beinahe soviel wie eine sanierte, saubere kleine 2-Raum-Wohnung in einem ruhigen Stadtteil von Ostberlin. Die muß man sich dann aber nicht mit überforderten und genervten schmuddeligen Studenten teilen.
Was es in fast ganz Jena nicht gibt (nicht geben darf), ist freier Zugang zu Informationen. Satschüsselaufstellen ist weitgehend verboten, freiheitlich denkende Menschen werden diskriminiert und bekommen so lange eins drauf, bis sie sich in die graue Standard-Masse einreihen. Klasse Leistung für ein Kaff, das sich "Stadt der Wissenschaft" nennt.
Münchner Mietpreise, ostzonaler Wohnwert, absolut unprofessioneller Auftritt vieler Wohnungsgeber und teilweise (nicht immer!) drecksarrogante Vermieter / Makler - 11 Monate verbranntes Leben reichen mir wirklich. Ich habe keine Lust mehr, den Kopf für eine verfehlte Wirtschaftspolitik hinzuhalten.
Ich bin ja nicht der einzige. Einer unserer Technologen haust seit 12 Monaten in einer schmuddeligen WG, ein Konstrukteur zahlt sich seit November im Hotel dumm und dämlich, ein Senior-Experte (nenne ihn jetzt mal so) fährt jeden Tag wieder zu Mutti nach Saalfeld, während die Familie in Niedersachsen ausharren muß, weil er keine geeignete Wohnung findet. Einer, der nahe am Bahnhof arbeitet, fand eine Wohnung in Weimar - um dann feststellen zu müssen, daß, wenn er abends nach Hause kommt, kein Bus mehr vom Bahnhof dorthin fährt und er ein Taxi nehmen muß.
Wir sind alles Leute, die auch anderswo bestimmt schnell nen Job bekommen würden. Was uns hält, ist die Freude an der Arbeit und "unser" Unternehmen, das zumindest mir riesigen Spaß macht. Auf Dauer muß ich aber auch auf meine Gesundheit achten und die psychische Gesundheit ist schon weitgehend hin. Das sieht leider nicht so aus, als ob ich noch ewig so weitermachen kann und will. Und dann schreien sie wieder, weil Fachkräfte wegrennen.
Ab morgen bin ich mal wieder obdachlos und übernachte in den Geschäftsräumen eines Freundes. Heute hat mich ein Makler vor die Tür gesetzt, nachdem ich versucht hatte, ihm meine bescheidenen (in ostberliner Plattenbau-Maßstab) Wünsche vorzutragen. Ich solle doch nach Berlin zurückgehen. Vielleicht ist der Vorschlag gar nicht so übel. Berlin ist zwar völlig krank, aber man kann sich dort immerhin eine Nische suchen, in der man seine Würde behalten kann. Bloß gut, daß ich meine Wohnung dort nie aufgegeben habe.
Ich hoffe, Jena verschluckt sich mal an seiner selbstgerechten Arroganz. Hier muß sich jedenfalls keiner wundern, wenns nicht läuft. Entweder die Landstriche sind wirtschaftlich plattgemacht und man begegnet an jeder Bushaltestelle Gestalten mit der Intelligenz von zwei Pfund Hackfleisch (hatte heute früh erst wieder solche in der Bahn) oder man mästet eine einzige Stadt, bis sie platzt. Wir wollen noch paar hundert Leute einstellen. Deren Schicksal steht bereits fest: Pendler. Und nebenan in Gera wartet eine Stadt auf Arbeit und bietet Arbeitskräfte, Industrieflächen und Wohnungen in anständiger Qualität.
Die, die hier die Wirtschaftspolitik machen, haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!