Zum Thema Besuch im Sender habe ich auch eine Geschichte.
Es war um das Jahr 2000, als ich einen despektierlichen Beitrag ins hr3 Gaestebuch (das gab es damals) schrieb. Ich beschwerte mich über die belanglose Musikauswahl der noch im Programm namentlich genannten italienischen Musikredakteurin. Die fuehlte sich ungerecht behandelt und meldete sich bei mir per E-Mail. Nach einem kurzen Schriftwechsel wurde ich von ihr ins Studio eingeladen.
Da stand ich dann eines späten Nachmittags nach meinem Feierabend (und wie ich vermutete auch nach Dienstschluss der Musikredakteurin) mit einem Blumenstrauss in der Betramstrasse 8. Die italienische Musikredakteurin hatte aber zunächst gar keine Zeit fuer mich und lud mich in einer Redaktion ab, wo Beitraege gebaut wurden. Ich wurde einem jungen Redakteur zugeteilt, der am PC seinen Text und die O-Toene zu einem typischen Radiothema (zwischen banal und interessant) zusammenstellte. Das war ganz interessant zu sehen, aber nicht der Grund meines Besuchs.
Nach einer Weile holte mich die Musikredakteurin dann ab und "wir" stellten am Computer das Pop-und Weck-Programm des nächsten Morgens zusammen. Genaugenommen machten wir fast nichts, denn die Playlist wird komplett vorgeschlagen. Man kann zwar Titel austauschen, aber der Ersatz muss engen Kriterien entsprechen und kommt (glaube ich) aus einer Vorschlagsliste. Was da drin ist, ist nicht wirklich origineller. Wir hatten aber Spass daran und die Musikredakteurin wurde irgendwann mutig und warf einen unpassenden Titel (ich glaube es war 'Lily was here' von Dave Stewart) komplett aus dem Pool fuer die Morgensendung, was ich nachvollziehbar fand. All diese Änderungen werden geloggt und man muss sich unter Umständen einer Inquisition beim Musik- oder Wellenchef unterziehen, wenn man es zu bunt treibt. Also laesst man es. Als wir damit fertig waren, musste sich die Musikredakteurin verabschieden wegen mehr Arbeit (Abends gegen halb sechs, wow).
Sie lud mich aber im hr3 Studio bei JR, einem notorisch gut gelaunten Moderator im Selbstfahrer-Studio ab. Da konnte ich mir eine Weile den Sendebetrieb ansehen. JR machte im Prinzip alles selbst. Er hatte mich zum Gluck, um die Gewinner für die gerade verloste 'Lion's King' CDs am Telefon abzufragen. Hinter der Glasscheibe sass noch eine Technikerin mit Piercings und 1mm Frisur. Ihre Hauptaufgabe schien zu sein, die zugelieferten Nachrichten an JRs Programm nahtlos anzudocken. Nach einer Stunde denke ich, habe ich mich nett bedankt und bin nach Hause gegangen.
Also der Besuch war spannend und ernüchternd zugleich. Da sind eine Menge kreative und nette Leute (die un-netten, die es garantiert auch gibt, hatten wohl gerade frei) am werkeln, aber der Kreativität sind doch harte Leitplanken gesetzt. Interessant war auch das offensichtliche Arbeitspensum der Beteiligten. Auch wenn man das Endprodukt persönlich nicht so sehr mag, es macht viel Arbeit und ist offenbar kein 40 Stunden 9 to 5 Job.
Ach ja, die italienische Musikredakteurin sagte mir noch mit traurigem Gesicht, dass das Nennen der Namen fuer die Musikauswahl auf der Kippe stünde, das interessiere doch eh keinen mehr, sei der Tenor. Ich denke, das ist inzwischen auch lange abgeschafft worden. Mir hat die Namensnennung zumindest einen sehr interessanten Nachmittag verschafft. Ich weiss nicht, was besagte Musikredakteurin heute macht, da sie ja nicht mehr genannt wird. Ich hoffe, es geht ihr gut.