AW: DT64 Neustart
astereix schrieb:
...
dieser Schipsel sei noch ans Herz gelegt...
Vielen Dank! Schöner Text, kürzer und besser kann man das Phänomen "DT64" wohl kaum zusammenfassen. Vor allem
Der Sender wirkte glaubwürdig, die Hörer fühlten sich ernstgenommen.
ist so ein zentrales Thema. Genau das fühle ich mich nämlich heute von keinem Sender mehr. Sie sprechen nicht meine Sprache. Sie verkörpern nicht meine Kultur. Sie wollen mir Dinge erzählen, die mit meinem Leben und meiner Realität nichts zu tun haben. Sie wollen mir einreden, ich habe mich in bestimmter Weise zu verhalten, um "unproblematisch" durchs Leben zu kommen oder "angesehen" zu sein. Selbst, wenn sie "meine" Musik spielen, sind sie mir doch Lichtjahre fern, in einer Welt der Selbstdarstellung, des sich-Verkaufens, des Anbiederns, der Show, oder in einer leblosen "Erwachsenenwelt" (Ist es eigentlich typisch deutsch, daß "erwachsen" und "leblos" so eng miteinander gehen?). Seit dem Ende von DT64 (das für mich im Nachhinein zeitlich etwa auf die Übernahme durch den MDR Anfang 1992 fällt) mußte ich akzeptieren, daß ich nicht erwarten kann, daß mich ein Radiosender durchs Leben begleitet. Es gibt diesen Sender nicht mehr. Kein Programm konnte diese Lücke stopfen, die Schreihälse in den Morgenshows ebensowenig wie die stocksteifen Hochkulturfunker (auch dann nicht, wenn sie glauben, durch Abspielen von Musik, die jünger als 10 Jahre ist, qualifizierten sie sich als "lebensnah"), auch nicht die vom SFB gekommenen Radio EINS-Aushängeschilder, die so gerne über ihre eigenen Witze lachen und vermutlich immernoch glauben, sie wären in ihrer verkopften und dennoch locker wirken wollenden Art in irgendeiner Weise glaubwürdige Tagesbegleiter: sie sind es nicht, und ich schalte sie ab.
Und ich befürchte, gäbe es DT64 plötzlich wieder, mit den alten Leuten (die dann auch wirklich 15 Jahre älter wären) und mit aktuellen Themen nach alter Art und Weise aufgegriffen - es wäre nicht das gleiche. Es könnte es nie sein, denn draußen vor dem Fenster ist schließlich auch nichts mehr wie vor 15 Jahren. Und auch ich habe abends keinen Nerv mehr, wirklich gute Radiosendungen zu verfolgen, denn mich treiben andere Dinge um. Zum Beispiel die Frage, wie ich bis zum nächsten Morgen den Kopf wieder frei bekomme für den Job. Die Schüler- und Studentenzeit ist auch lange her und die Realität des Berufslebens hat mich eingeholt. Die Vergangenheit läßt sich nicht wiederherstellen und für mich ist es gut so, wie es ist. Außer, ich muß bei einer Sachsen-Anhalt-Querung in einem fremden Auto Sputnik ertragen und kann mich mit meinem Wunsch nach irgendwas anderem, am besten nach Stille, nicht durchsetzen. So geschehen am letzten Sonntag, und ich könnte in solchen Momenten meine pazifistische Grundeinstellung vergessen. Immerhin paßten die, die das hören wollten, exakt zum Programm: sie sprechen nicht meine Sprache. Sie verkörpern nicht meine Kultur. Sie wollen mir Dinge erzählen, die mit meinem Leben und meiner Realität nichts zu tun haben. Sie wollen mir einreden, ich habe mich in bestimmter Weise zu verhalten, um "unproblematisch" durchs Leben zu kommen oder "angesehen" zu sein...