Gefährdet Mindestlohn Radiopraktika?

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ACHTUNG - ich bin der erste, der gegen die Meinung aller spricht. Leider geht ihr immer von schwarzen Schafen aus, die Menschen ausbeuten. Offenbar hat aber niemand von euch jemals in der Situation gesteckt, einen Volontär einstellen zu müssen. Ein Praktikum ist dazu da, dass man "in einen Job reinschnüffelt" und BEIDE Seiten schauen, ob es passt: der Praktikant schaut, ob ihm die Arbeit gefällt, der Chefredakteur (oder je nach Zuständigkeit) schaut, ob der Praktikant die Leistungen erbringt, ins Team passt und "das gewisse Etwas" hat.
Die künftige Regelung schaut so aus, dass nur noch Praktikanten genommen werden dürfen, die es für ihre berufliche Ausbildung (wie Studium) machen müssen. Die Maximalzeit beträgt sechs Wochen, danach ist der Mindestlohn von 8,50 Euro fällig. Das heißt, dass man bei einer 40 Stunden Woche im Monat bei 1360 Euro ist - für ein Praktikum. Das heißt auch, dass der Praktikant wesentlich mehr verdienen wird, als Auszubildende im Sender (sowohl Volontäre als auch Bürokaufmänner etc.).
Ich hätte NIEMALS unter diesen Umständen meinen Job beim Radio bekommen, denn in den 90ern habe ich zwei Praktika gemacht, wo es Taschengeld gab. Ich habe nicht studiert, also wäre ich komplett abgelehnt worden. Die wirklichen (wenigen) Radiotalente, die wir in Deutschland haben, sind allesamt Quereinsteiger. Sowas wird es künftig nicht mehr geben!
Ich halte die Entscheidung für verheerend. Dass fast alle Vorredner die Regelung toll finden, weil den "privaten Dumm-Billig-Funkern" nun mal gezeigt wird, wo der Hammer hängt, wird katastrophale Folgen haben. Schon jetzt ist es kaum möglich, einen talentierten und wirklich guten News-Anchor zu finden. Jeder, der auch nur ansatzweise Einblick hat, wird das bestätigen. Das liegt aber nicht an irgendwelchen Beratern oder der Absicht Menschen auszubeuten, sondern daran, dass es wahnsinnig schwer ist, Talente zu finden. Wie soll das ohne Praktikum gehen? Ich kenne nicht einen einzigen gut-ausgebildeten Redakteur in der gesamten Radiobranche (vom Jugendprivatradio bis zum ÖR-Kulturprogramm) der sein Volontariat OHNE Praktikum bekommen hat.
Warum hat man nicht strenge Regeln geschaffen? Ein Praktikum wird mit 450 Euro im Monat vergütet (wie ein 450-Euro-Job), darf nicht 35 Stunden die Woche übersteigern, darf keine "Redakteursarbeit" ersetzen etc. Das wäre doch möglich gewesen. Die Quintessenz wird meiner Meinung nach seien, dass noch mehr Fremdeingekauft wird, dass noch weniger selbst gemacht wird in den Sendern und dass Abteilungen gar keine Praktika mehr anbieten werden. Die Leidtragenden werden diejenigen sein, die in den Job "hineinschnuppern" wollen und es nicht mehr können, wie ich es damals getan habe.
Bevor jetzt gleich die Hass-Antworten kommen: ich unterstütze keinesfalls Praktiken von windigen Radiomachern, die hart am Rande der Legalität Menschen ausbeuten. Aber ich sorge mich um diejenigen, die einfach Lust haben, sich nach der Schule oder nach dem Studium einen seriösen Radiosender anzuschauen. Ich wäre für eine Lösung "in der Mitte" gewesen, zwischen "nichts" und "Mindestlohn".
 
Die Maximalzeit beträgt sechs Wochen, danach ist der Mindestlohn von 8,50 Euro fällig
Diese sechs Wochen sind mehr als ausreichend, um sich ein Bild über den Praktikanten zu verschaffen.

Ich hätte NIEMALS unter diesen Umständen meinen Job beim Radio bekommen
Warum nicht?

Die wirklichen (wenigen) Radiotalente, die wir in Deutschland haben, sind allesamt Quereinsteiger. Sowas wird es künftig nicht mehr geben!...es wahnsinnig schwer ist, Talente zu finden
Tatsächlich? Ich finde, das Leben ist voller intelligenter, kreativer, witziger, sprachgewandter Menschen. Nur stellt die leider kein kommerzieller Sender mehr ein. Was die wollen sind Sprachpüppchen, die sie leicht beeinflussen können, und die keine Widerworte geben. Und die am besten anspruchslos sind, was die Bezahlung angeht.

Es gibt andererseits in jedem Sender Leitende, die nicht am Hungertuch nagen müssen, und die nicht selten überbezahlt sind. Deshalb kann ich die Leier, wir haben kein Geld für Praktikanten, nur mit Unverständnis quittieren.
 
...Was die wollen sind Sprachpüppchen, die sie leicht beeinflussen können, und die keine Widerworte geben. Und die am besten anspruchslos sind, was die Bezahlung angeht...

Es gibt halt nicht mehr viel zu verteilen, auch wenn das ungern jemand zugibt. Das bisschen Rendite ist schnell verfrüstückt, schließlich sind viele (Gesellschafter-)Mäuler zu stopfen - wer denkt unter solchen Umständen noch an Investitionen? Wer in die Zukunft invstieren will muss den Markt beobachten, Risikokapital in die Hand nehmen, neue Pflöcke einschlagen und bestehende Geschäftsmodelle adaptieren - da all dies unterbleibt kann man davon ausgehen, dass das derzeitige, zukunftsuntaugliche Geschäftsmodell ausgeschlachtet und abgewickelt wird. Man kann nur hoffen dass die Konkursmasse verantwortungsvollen und flexiblen Unternehmern in die Hände fällt.

Und die ängstlichen Verleger versuchen ihr Glück im E-Paper- und Versandhandelsgeschäft ?!? Man wird sehen.
 
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@Yannik

Fakt ist aber, dass es so nicht weitergehen kann. Praktikanten muss auch meiner Meinung nach (auch wenn es nicht 8,50 EUR /Stunde sind) eine angemessene Vergütung gezahlt werden.

Ich spreche aus eigener Erfahrung. Anlässlich der 11. Klasse auf der Fachoberschule war ein Jahrespraktikum vorgeschrieben. Gearbeitet habe ich 8 Stunden an 3 Tagen die Woche bei einem namhaften deutschen Unternehmen. Überwiegend war es die Arbeit, auf die keiner Bock hatte, die aber dennoch essenziell war.

"Gedankt" wurde es mit einem feuchten Händedruck. Seit dieser Zeit unterstütze ich sämtliche Vorschläge, die die Bedingungen der Praktikanten verbessern sollen. Ein Praktikant ist kein Sklave. Prinzip Leistung (Arbeitskraft) und Gegenleistung (Lohn) muss auch bei vorgeschriebenen Schul- und Studiumspraktika gelten.

Gerade WEIL diese vorgeschrieben sind, also unfreiwillig gemacht werden müssen, umso eher!
 
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Solange es Sender gibt, die ganze Programmstrecken ausschließlich mit "Praktikanten" bestreiten, kann mich kein Argument davon überzeugen, dass derartigen Ausbeutern der Zahn gezogen werden muss. Am Ende sind sie bei den neuen Regeln nicht mehr in der Lage, einen Sendebetrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Was soll's? Dann sind sie eben weg vom Markt und hinterlassen eine Lücke, die sie voll und ganz ersetzt.
 
Yannick91 schrieb:
Das liegt aber nicht an irgendwelchen Beratern oder der Absicht Menschen auszubeuten, sondern daran, dass es wahnsinnig schwer ist, Talente zu finden. Wie soll das ohne Praktikum gehen? Ich kenne nicht einen einzigen gut-ausgebildeten Redakteur in der gesamten Radiobranche (vom Jugendprivatradio bis zum ÖR-Kulturprogramm) der sein Volontariat OHNE Praktikum bekommen hat.
Dass Sender Praktika anbieten, weil sie damit Talente sichten wollen, ist mir neu. Das ist nicht ihr Interesse. Wäre es so, würden die Sender völlig anders vorgehen und sich auch nicht scheuen, dafür Geld auszugeben. Denn unterm Strich würde sich das lohnen. Kleines Geld für Praktikanten, ein gutes Auge für die Praktikanten, einen Mitarbeiter, der mit Menschen umgehen und Talente erkennen kann - und wenn man eins findet: Fördern, nach vorne bringen und dadurch Geld machen. Das würde die Investitionen sicher wieder reinholen. Aber so geht kein Sender vor. Gefundene Talente sind reine Glückssache und die wenigsten Sender sind in der Lage, diese Talente zu erkennen, zu fördern und mit ihnen zu verdienen. Talente arbeiten in dieser Branche praktisch undercover.
 
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Ich finde, man muss unterscheiden zwischen einer (meist max. 6 Wochen dauernden) Hospitanz (das, was Yannick beschreibt) und Praktika, die sechs Monate und länger dauern und dann nochmal verlängert werden, weil es ja so schön billig ist.
 
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Laut heutigen Meldungen ist ein unbezahltes freiwilliges Praktikum nun doch für drei Monate (statt 6 Wochen) möglich. Darauf hat sich die große Koalition wohl geeinigt.
 
Im Idealfall ist kein Praktikum "unbezahlt", denn der Sender, der Praktika anbietet, gibt etwas: Erfahrungen, Einsichten, Kontakte, Praxis, Einstiegsknow-how. Das ist - richtig gemacht - deutlich mehr wert als drei- oder vierhundert Euro im Monat. Hinterlegt man diese Leistungen mit einem geldwerten Vorteil, zum Beispiel, indem man dagegenrechnet, was es kostet, an entsprechenden Journalisten- und Radio für Anfänger-Seminaren teilzunehmen, so kann sich kein Praktikant beklagen, er bekäme zu wenig.
Allerdings gilt das nur für Sender, die ein Praktikum auch als solches verstehen und organisieren. Leider gibt es aber viel zu viele schwarze Schafe, die Praktikanten lediglich als Billigsaisonaushilfen ansehen und entsprechend behandeln.
 
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