@Beyme : Vielen Dank für die Verlinkung des Artikels von
Braun et al. (1998)! Sehr interessant, und endlich einmal Fakten in dieser sonst sehr meinungsfreudigen Diskussion. Bereits in der Einleitung dieses Artikels bin ich fasziniert am Referat der Publikation von Irmen & Köhncke (1996) hängengeblieben:
> Irmen, L., & Köncke, A. (1996). Zur Psychologie des "generischen" Maskulinums. Sprache & Kognition, 15(3), 152–166.
Dieser Aufsatz ist
nicht elektronisch veröffentlicht, doch es findet sich dieses
abstract dazu, das die verwendete Methodik im Wesentlichen wiedergibt:
Studied the influence of the generic masculine (GM, the convention of using masculine nouns and pronouns to refer to both women and men in certain contexts) on mental representations (MRs) of gender. Human Ss: 45 normal male and female German adults (aged 22–51 yrs) (primarily university students) (Exp 1). 43 normal male and female German adults (aged 19–33 yrs) (university students) (Exp 2). In both experiments, the Ss were asked to read a list of GM and gender-specific sentences and to categorize the subjects of the sentences according to their gender. The Ss' MRs of gender were assessed with verbal questions in Exp 1 and with pictures in Exp 2. Yes or no answers to gender category questions and reaction time (RT) served as operationalizations of the availability of the concepts "male" and "female" after reading the target sentences. Results for GM and gender-specific sentences were compared.
Braun et al. (1998) referieren aus dieser Studie:
Um einen Einfluß des kontrastierenden Stimulusangebots (fem.-mask.) auszuschließen, führten Irmen/Köhncke das zweite Experiment mit Versuchsgruppen durch, die jeweils nur einen Stimulustyp angeboten bekamen. Darüber hinaus unterschied sich dieses Experiment vom ersten darin, daß die Vpn [= Versuchsperson] anhand von Bildern, die eine Frau bzw. einen Mann zeigten, eine Übereinstimmung von sprachlichem Begriff und gezeigtem Geschlecht beurteilen sollten. Auch hier betrug der Anteil an Vpn, die Frauen als Instantiierung für generisch maskuline Personenbezeichnungen gelten ließen, nur 49%.
Nur 49 %? Man stelle sich vor, dieses Experiment sei mit Versuchspersonen durchgeführt worden, die des Deutschen kein bißchen mächtig sind, also z. B. überhaupt nicht wissen, was die Worte „Ärztin“, „Arzt“ „Ärztinnen“ und „Ärzte“ bedeuten. Aufgefordert, eine Ja/Nein-Antwort zu geben, bleibt diesen Versuchspersonen nichts anderes übrig, als zu raten. Der Erwartungswert für die Antwort „Ja“ ist 50 %.
Wieso liegt das Resultat des o. g. zweiten Experiments von Irmen & Köhncke (1996) so nahe an diesem Erwartungswert? Weil die deutschsprechende Versuchsgruppe im Experiment ebenfalls raten mußte: Ein Wort, das im generischen Maskulinum steht, kann sowohl eine ausschließlich männliche als auch eine gemischtgeschlechtliche Personengruppe bezeichnen. Was von beidem tatsächlich gemeint ist, sagt das Wort allein nicht. Dies kann gegebenenfalls aus dem Kontext hervorgehen. Im Experiment gibt es aber einen solchen Kontext erst gar nicht. Wenn also im vorliegenden Versuch eine Personengruppenbezeichnung im generischen Maskulinum vorgelegt wird (z. B. „Ärzte“) und mit dem Foto einer in ihren nichtgeschlechtlichen Eigenschaften passenden weiblichen Person (im Beispiel: eine Ärztin) auf Übereinstimmung geprüft werden soll, so bleibt der Versuchsperson für eine im Sprachverständnis korrekte Antwort nur die Möglichkeit, zu raten. Ob die Antwort rein zufällig auf Ja oder Nein fällt oder an alltagsweltlich erlernten Wahrscheinlichkeitskriterien erfolgt, bleibt offen. Ein Fraueninstantiierungsanteil von 49 % kann im vorliegenden Versuch zumindest als Indiz sowohl für einen sauberen Versuchsaufbau als auch für eine in der Summe zufällige Entscheidung gedeutet werden.
[…] die ermittelten Reaktionszeiten. Sie waren deutlich kürzer, wenn auf den Stimulus generisch maskuline Personenbezeichnung das Antwortangebot „Mann" folgte.
Klar, denn hier muß gar nicht erst überlegt werden. Die Zuordnung von Wort und Bild ist eindeutig möglich, auch wenn der Leser nicht weiß, ob das Wort eine gemischtgeschlechtliche oder eine ausschließlich männliche Gruppe meint.
Eine weitere Schwierigkeit ergab sich bei den allgemein femininen Formulierungen, da nicht klar wurde, ob sie für weibliche Personen gelten sollten oder ob Geschlechtsabstraktion angestrebt war.
Diesem Satz müßte hinzugefügt werden: „Eine weitere Schwierigkeit ergab sich bei den allgemein maskulinen Formulierungen, da nicht klar wurde, ob sie für männliche Personen gelten sollten oder ob Geschlechtsabstraktion angestrebt war.“