Geplanter Streik in MV für mehr Schlager im Radio

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Klassische Musik, die sowohl bei jungen Hörern, als auch in der Gesamtbevölkerung kaum noch Akzeptanz findet, wird hofiert, deutsche Schlager, die sich einer ungleich größeren Beliebtheit erfreuen, werden dagegen regelrecht geächtet.
Diese und die Aussagen von @Skywise zeigen, wie sehr und sogar bewusst die ÖRs am Interesse ihrer Hörer vorbeisenden. Die Aussage von NDR1MV-Landesfunkhaus-Direktorin Elke Haferburg "Dass diese Menschen NDR 1 Radio MV hören, sei ein Zeichen dafür, dass auch sie mit der Musikauswahl leben könnten." spricht Bände. Sich so angreifbar zu machen, zeugt von wenig Klugheit. Der Sender soll seine Informations- und Unterhaltungspflicht gemäß Staatsvertrag erfüllen und gut. Dies umzusetzen bedarf tatsächlich gut ausgebildeter Redakteure. Die sollen ihre Arbeit machen statt teuer erkauften, "wissenschaftlich fundierten Medien- und Marktforschungen" zu folgen, die besagen, das Helene Fischer grundsätzlich polarisiert. Egal, dann tut sie es eben. Damit muss der Sender "leben". Nicht der Hörer.
 
Und - ebenfalls klar: die allermeisten Besucher von Klassik-Veranstaltungen dürften im Schnitt ihre Jugend bereits deutlich hinter sich gelassen haben. Ich würde die Klassik trotzdem nicht unterschätzen.

Im Radio spielt bewiesenermaßen (soweit man den MA-Zahlen Glauben schenken darf) Klassik so gut wie keine Rolle, verglichen mit dt. Schlager. Aber als man deswegen die Klassikwelle in die Digitalwelt abschieben wollte, gab es einen riesen Aufschrei und es mußte erstmal verschoben werden. Daß Bayern 1 mit der zehnfachen Hörerzahl schlagerfrei gemacht wurde, das wurde einfach hingenommen und trotz stetiger Hörerproteste auch schnell umgesetzt.

Und man wird es niemals erleben, daß sich jemand rühmen wird, klassische Musik verbannt zu haben, eine Verbannung des Schlagers hingegen wird immer als große Errungenschaft dargestellt.
 
@exhörer: Dieser ganze Vergleich Klassik und Schlager hingt so derart, dass es kaum schlimmer geht.
Klassik ist Kultur und Schlager ist ... naja.
Die Öffis senden noch immer, auch wenn man es der Mehrzahl der Programme nicht mehr anmerkt, um Kultur und Bildung auch aufs flache Land zu bringen, dort wo die Angebote weit weniger und schwerer zu erreichen sind als in der großen Stadt. Die Kulturwellen mit ihren Klassikstrecken kann man daher nicht einfach so loswerden, nur um ein paar Schlagerfuzzis zu bespaßen.
Außerdem ist Klassik gerade in gebildeteren Schichten eher gefragt als dümmliches Schlagergestampfe.
 
Wenn das mit der Klassik so überaus genial ist, weshalb hat z.B. dann SWR2 nur ca. 310.000 Hörer, das Schlagerprogramm SWR4 Baden-Württemberg aber etwa fünfmal so viel? Nur an der regionalen Berichterstattung kann es doch nicht liegen, denn der Schlageranteil ist ja mit ca. acht Titeln pro Stunde schon außerordentlich hoch.

Klassische Musik wird als Bildung und Kultur gesehen, schön und gut. Aber worin besteht eigentlich diese Bildung? Darin, ein 15 Minuten-Stück von Brahms 15 Stunden lang auseinander zu nehmen? Darin, in eben solche Werke Intuitionen der Komponisten hineinzuinterpretieren, über die objektive Zeugnisse überhaupt nicht existieren? Darin, dem Musiker bei der Aufführung so oft jedwede Möglichkeit zur Improvisation und damit zur subjektiv-geistigen Weiterentwicklung von Musikstücken zu verbieten? Schließlich darin, infolge eines Konzerts mit klassischer Musik einen zweiseitigen Bericht in die Zeitung setzen zu können, der mit so vielen Fachausdrücken gespickt ist, dass man Musik studiert haben muss, um noch am Ball bleiben zu können?
Was gibt der Klassik diesen ewigen Freibrief des Intellektuellen, den sie schon so lange innehat? Ich behaupte überhaupt nicht, Schlager sei von der Machart, von der Melodik, vom Text her grundsätzlich gebildet. Aber ist der Inhalt des Textbuches zu Mozarts Zauberflöte wirklich gebildeter? Meiner Meinung nach ist das eine ziemliche Kitsch-Story, die ihresgleichen sucht.

(Ich höre mir ja auch gerne mal klassische Musik an. Aber nicht, weil ich die besonders kompliziert gebaut finde oder mich dann intellektuell fühlen kann, sondern einfach, weil sie mir gefällt. Und dieses Gefallen ist für mich ein psychisch-emotionaler Empfindenszyklus, den kann ich aber bei so manchem Schlagermachwerk gleichermaßen verspüren. Beispiele kann ich gern liefern.)
 
@dramaking: ich bin dafür, hier bitte völlig ohne Wertung zu diskutieren.
Klassik ist Kultur, bitte. Schlagermusik ist ein Teil zeitgenössischer Kultur. Das ist ebenfalls unbestritten.
ÖR-Programme sollen doch gar nicht, "schwer zu erreichende" Kulturangebote "auf dem flachen Land" ersetzen. Sie sollen darüber informieren und sie vielfältig und umfassend in den Programmen berücksichtigen.
Es muss schon gar nicht darüber nachgedacht werden, "Klassikstrecken" zugunsten anderer Strecken loswerden zu wollen, denn da erfüllt der ör-Rundfunk seine Aufgabe. Für andere Aufgaben gibt es andere Programme. Dort muss nachgearbeitet werden.

Sollen doch die Sender ihre teuren wissenschaftlichen Studien dahingehend beauftragen, zu erheben, welche kulturellen Angebote der Gegenwart in der Gesellschaft relevant sind und sie im entsprechenden Verhältnis im Programm berücksichtigen. Wenn dann der Hauptanteil der Programme, die Musik, auf die entsprechenden Wellen aufgeteilt ist, dann muss die Frage, ob Helene Fischer polarisiert, gänzlich unerheblich sein. Sie - und viele andere sind damit gleichzeitig gemeint - hat stattzufinden, egal, ob irgend ein Hörer mit nervösem Finger an die Skip-Taste tippt.
 
ZAPP... jetzt gesehen. Und alle haben sie irgendwo Recht. Die Intendantin damit, daß die meisten Hörer sofort abschalten, wenn Schlager läuft...Glücklich ist aber auch damit keiner und Phil Collins ist natürlich auch ein Abschaltfaktor - allerdings für weniger Leute.

Das sind doch alles nur billige Propagandasprüche, die diesen fremdbestimmten und leicht manipulierbaren Wellenleitern von den Brandsupportern eingetrichtert werden und in der Öffentlichkeit bei jeder Gelegenheit wiedergekäut werden. In Wahrheit dienen diese dümmlichen Floskeln nur als Vorwand, um die idiotischen Vorgaben aus Hamburg zu rechtfertigen. Dort will man nämlich alle NDR1-Wellen nach schleswig-holsteinischem Vorbild in maximal 15 Minuten durchhörbare Autofahrerwellen umbauen, weil sie bei der MA "reichweitenbedingt" mächtig abräumen sollen und weil senderintern niemand mehr damit rechnet dass sich diese heruntergewirtschafteten Billigdudler noch lange im Heimempfang halten können.

Der Gipfel der Frechheit ist es aber zu behaupten dass man bei der "Hörerforschung" "wissenschaftlich fundierte Methoden" anwende. Dieser ganze Beratemurks beruht nur auf den Geschmacksidealen einiger kultisch verehrter Vordenker, die diesen unbeweglichen und per Zwangsvollstreckung durchgedrückten Mumpitz für alle Zeit als Formatideal festschreiben wollen (d.h. bis ihnen die Geschäftsgrundlage endgültig entzogen wurde). Hörerforschung wird dort schon lange keine mehr betrieben, man testet nur ein paar neue, angeteaste Musiktitel per Telefon-"Research" und das war's.

Solange der neuere Schlager sogar bei den 18-24 Jährigen auf 30% Zustimmung stößt (bei der klassischen Schlagerzielgruppe zwischen 30 und 65 dürften es ungleich mehr sein) kann man sich angesichtsi dieser ideologischen Nebelkerzen aus Schwerin nur an den Kopf fassen. Auf welche Zustimmungswerte kommen in dieser Altersgruppe eigentlich die Altrocker? Hat NDR1 MV überhaupt Hörer, die jünger als 45 sind?

Und überhaupt: Wo haben sich die Hörer versteckt, die diese Reformen gut finden und den Sender hochleben lassen?
 
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@exhörer: Dieser ganze Vergleich Klassik und Schlager hingt so derart, dass es kaum schlimmer geht.
Klassik ist Kultur und Schlager ist ... naja.

Bingo! Eindrucksvoller hättest Du das, was ich kritisiert habe, nicht bestätigen können.

Außerdem ist Klassik gerade in gebildeteren Schichten eher gefragt als dümmliches Schlagergestampfe.

Scheuklappen, die Schlager auf Discofox-Müll (wer kam eigentlich auf die Idee, das als "Schlager" zu bezeichnen? Und warum überhaupt?) reduzieren, machen das Leben einfach. Und dann noch als Totschlagsargument die Bildungskeule.

Siehe oben, danke für die eindrucksvolle Bestätigung dessen, was ich (und nicht nur ich) kritisiere!
 
Schlagerfoxmüll? Zum Glück haben wir Hitradios mit richtig guter Musik:


Na Frau Haferburg, wie wär's?
 
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Wenn das mit der Klassik so überaus genial ist, weshalb hat z.B. dann SWR2 nur ca. 310.000 Hörer, das Schlagerprogramm SWR4 Baden-Württemberg aber etwa fünfmal so viel? Nur an der regionalen Berichterstattung kann es doch nicht liegen, denn der Schlageranteil ist ja mit ca. acht Titeln pro Stunde schon außerordentlich hoch.
Ich kenne keine Statistiken, aber ich vermute, daß die meisten Antworten sich um folgende drei Faktoren drehen:
bei klassischer (im Sinne von "E-Musik") benötigt man in der Regel
a) mehr Ruhe. Kaum etwas ist mehr Perlen vor die Säue als ein inniges Adagio oder Largo in der Hintergrundbeschallung des Tagesgeschäfts.
b) eine größere Aufmerksamkeitsspanne. Nicht nur, weil einige Stücke länger dauern, sondern auch weil sich Themen im Regelfall anders entfalten, teilweise über mehrere Sätze eines Konzerts/einer Sonate/einer Sinfonie/usw. hinweg.
c) eventuell Hintergrundwissen. Man sollte nicht vergessen, daß unsere "Klassik" einen Zeitraum von etwa 1.000 Jahren abdeckt, angefangen bei den Gregorianischen Gesängen des 10. Jahrhunderts bis hin zur Zwölftonmusik oder den Klangexperimenten des 20. Jahrhunderts. Manche Sachen kann man heutzutage nur verstehen, wenn man sie aus der Zeit heraus betrachtet oder wenn man mit den vertonten Themen vertraut ist. Bei Musikveranstaltungen gibt es häufig noch die Möglichkeit, mittels Programmheft kurzfristig diese Wissensbasis zu schaffen, bei Radiosendungen geschieht das in der Regel durch eine kurze Einleitung vor dem Beginn eines Stückes. In beiden Fällen ist das "spätere Einsteigen" natürlich ein Problem. Insofern schätze ich, daß die meisten (potentiellen) Klassikhörer sich gezielt Sendungen aussuchen und weniger "zappen" als die Schlagerhörer. Ich hab' mich auch schon mit Internetradiobetreibern kurzgeschlossen und ich habe zumindest oft genug mitbekommen, daß diejenigen, die Pop, Rock oder Schlager im Angebot hatten, oft mehr Hörer hatten als Klassik-Streams, daß diese Hörer allerdings im Schnitt auch deutlich kürzer blieben als bei den Klassikern.

Klassische Musik wird als Bildung und Kultur gesehen, schön und gut. Aber worin besteht eigentlich diese Bildung? Darin, ein 15 Minuten-Stück von Brahms 15 Stunden lang auseinander zu nehmen? Darin, in eben solche Werke Intuitionen der Komponisten hineinzuinterpretieren, über die objektive Zeugnisse überhaupt nicht existieren?
Sagen wir mal: die Diskussion kann man auf vielen Ebenen führen. Ich habe bis heute auch nicht kapiert, warum André Rieu tendenziell zur "Klassik" oder zur "E-Musik" gezählt wird, ebenso wie diverse Variationen des Trios der Fünf Verschmalzten Tenöre, während ich jemanden wie Björk oder Bob Dylan unter "U-Musik" finde.

Darin, dem Musiker bei der Aufführung so oft jedwede Möglichkeit zur Improvisation und damit zur subjektiv-geistigen Weiterentwicklung von Musikstücken zu verbieten?
Autsch, da wäre ich vorsichtig. Erstens gibt es nun wirklich genügend Stücke, bei denen die Komponisten den Solisten Freiheiten einräumen oder in denen sich die Solisten selbige nahmen (Stichwort: "Kadenz"), zweitens gibt es enorme Unterschiede bei der Auslegung, sprich: der Interpretation eines Notentextes. Ein Karl Richter bringt Händels "Messias" völlig anders zu Gehör als ein Helmuth Rilling, Bachs "Goldberg-Variationen" sind in der Interpretation von Glenn Gould und Daniel Barenboim zwei Stücke, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, und eine Operettenaufnahme aus den 40er oder 50er Jahren setzt im Regelfall andere Schwerpunkte als eine von heute.

Was gibt der Klassik diesen ewigen Freibrief des Intellektuellen, den sie schon so lange innehat? Ich behaupte überhaupt nicht, Schlager sei von der Machart, von der Melodik, vom Text her grundsätzlich gebildet. Aber ist der Inhalt des Textbuches zu Mozarts Zauberflöte wirklich gebildeter? Meiner Meinung nach ist das eine ziemliche Kitsch-Story, die ihresgleichen sucht.
Die Einschätzung ist schon korrekt. Allerdings muß man auch anerkennen, was Mozart aus den billigen Texten mit Hilfe seines melodischen Einfallsreichtums gemacht hat.
Klassik ist nicht "intellektuell". Vieles entstand zwecks der Pädagogik, aus kommerziellen Gründen oder schlicht zur Unterhaltung oder Hintergrundbeschallung, gegebenenfalls auch als Gottesdienst. Auf dem Schuttabladeplatz der Zeit sind auch unendlich viele klassische Stücke gelandet, weil sie einfach nichts Besonderes waren, zur falschen Zeit am falschen Ort entstanden/erschienen, schlicht Pech hatten, oder, um einen Schritt weiter zu gehen, weil sie intellektuell waren und aus genau diesem Grund ein zu kleines Publikum hatten. In dieser Hinsicht nehmen sich alle Formen der Kunst nicht viel.
"Klassik" ist nichts Anderes als eine Quintessenz aus Stücken oder Komponistennamen, die nicht unbedingt "intellektuell", sehr wohl aber so prägend oder einprägsam waren, daß sie sich - vielleicht auch mit Unterbrechungen - bis heute gehalten haben, plus ein bißchen Wildwuchs links und rechts davon. Das "Intellektuellste" an der Klassik ist wahrscheinlich das Wissen darum, worauf man zu achten hat, in der Regel auf die Feinheiten. Unter diesem Gesichtspunkt ist "Klassik" nicht mehr oder weniger intellektuell als Musik aus Fernost ...

(Ich höre mir ja auch gerne mal klassische Musik an. Aber nicht, weil ich die besonders kompliziert gebaut finde oder mich dann intellektuell fühlen kann, sondern einfach, weil sie mir gefällt. Und dieses Gefallen ist für mich ein psychisch-emotionaler Empfindenszyklus, den kann ich aber bei so manchem Schlagermachwerk gleichermaßen verspüren. Beispiele kann ich gern liefern.)
Ist ja auch gut so, Vielseitigkeit schadet nimmer nicht. Und solang's gefällt und man nicht damit anfängt, die eigenen Vorlieben als Evangelium zu predigen, isses doch in Ordnung.

Gruß
Skywise
 
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