Internationaler Tag der Pressefreiheit

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postit

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Heute (3. Mai) ist der internationale Tag der Pressefreiheit. Bisher dachte ich immer, das beträfe uns hier in Deutschland weniger und der oft beklagte Niedergang der publizistischen Leistung der Medien hätte vor allem wirtschaftliche Gründe. Jetzt hat ein Leipziger Medienwissenschaftler (und Journalist) die These aufgeworfen, mit der Pressefreiheit stünde es in unserem Land nicht zum Besten. Wie sehen das die Journalisten unter den Radioleuten? Fühlt ihr euch behindert? Welche Auswirkungen hat das auf die Berichterstattung im Radio? Bitte antwortet jetzt nicht, dass sowieso nur die Bild-Schlagzeile verlesen wird ...

Gruß postit



Michael Haller: Deutschland im hinteren Mittelfeld bei Pressefreiheit

Als Grund gibt er "mangelnde Informationsrechte für Journalisten" an. Internationale Vorreiter im Kampf um die Pressefreiheit seien Großbritannien und die skandinavischen Länder, sagte Haller vor dem Tag der Internationalen Pressefreiheit (3. Mai).

Leipzig (dpa) - Bei der Pressefreiheit liegt Deutschland nach Einschätzung des Leipziger Journalistikprofessors Michael Haller nur im hinteren Mittelfeld. Als Grund gibt er "mangelnde Informationsrechte für Journalisten" an. "Die Auskunftspflicht öffentlicher Stellen wird mehr und mehr zur Ausnahme", sagte Haller vor dem Tag der Internationalen Pressefreiheit (3. Mai) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Gleichzeitig bleibt in den personell ausgedünnten Redaktionen weniger Zeit für Recherche." Internationale Vorreiter im Kampf um die Pressefreiheit seien Großbritannien und die skandinavischen Länder.

"Vor 10 bis 15 Jahren war es noch einfacher, Informationen von Behörden und Verbänden zu bekommen. Heute verhalten sich diese oft wie "Informationsverhinderungsstellen", die verschweigen und blockieren", sagte Haller. Anders als in anderen Staaten der Europäischen Union fehle in Deutschland bislang ein Informationsfreiheitsgesetz. Anspruch und Zugang zu Informationen soll danach jedem Bürger zustehen.

Der Internationale Tag der Pressefreiheit war erstmals 1991 von der UN-Vollversammlung ausgerufen worden. Er erinnert an die "Erklärung von Windhuk", die am 3. Mai 1991 bei einem UNESCO-Seminar zur Förderung einer unabhängigen und pluralistischen Presse in der namibischen Hauptstadt verabschiedet wurde. Darin wird die Zensur als eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte angeprangert. Die Botschaft von Windhuk lautet, dass jeder Journalist überall auf der Welt das Recht haben muss, frei und ohne Angst berichten zu können.
 
AW: Internationaler Tag der Pressefreiheit

"Vor 10 bis 15 Jahren war es noch einfacher, Informationen von Behörden und Verbänden zu bekommen. Heute verhalten sich diese oft wie "Informationsverhinderungsstellen", die verschweigen und blockieren"
In der Tat haben auch Behörden und Verbände mittlerweile perfekt gelernt, die PR-Klaviatur zu spielen und nur herauszulassen, was ihnen nützt.
"Gleichzeitig bleibt in den personell ausgedünnten Redaktionen weniger Zeit für Recherche."
Und wo ist das frühere Personal hin? Siehe Absatz 1.

Und weil gleichzeitig in ausgedünnten Redaktionen ohnehin nicht mehr so tiefgehend recherchiert werden kann wie früher, fällt es auch kaum noch auf, wenn irgendwo Informationen zurückgehalten werden. Hartnäckigkeit kostet Zeit - und welcher Journalist bekommt die heute noch?
 
AW: Internationaler Tag der Pressefreiheit

Hallo berlinreporter,

"Hartnäckigkeit kostet Zeit - und welcher Journalist bekommt die heute noch?"
-> Wohl wahr, und auch Geld ... Journalistische Ethik ist ein teurer Luxus ... Aber gottseidank gibt es noch ein paar Moralapostel. :D :)

Wie steht's denn dann mit der Rolle der Medien als "vierte Gewalt" (mal ganz abgesehen von der dünnen Personaldecke und den als billige Lückenfüller, mit der Hoffnung auf Werbeinnahmen als Folge von Willfährigkeit verbundenen, oft sehr willkommenen PR-Berichten)? Ist die Informationsblockade eine Reaktion auf das nachlassende Engagement der Medien (weil: dadurch vereinfacht)?

Gruß postit
 
AW: Internationaler Tag der Pressefreiheit

postit schrieb:
Ist die Informationsblockade eine Reaktion auf das nachlassende Engagement der Medien (weil: dadurch vereinfacht)?
Beides passiert parallel. In Behörden existieren mittlerweile komplette geschulte Abteilungen für die Pressearbeit (wie oben erwähnt, oft ehemalige Redakteure) - früher wurde einer, der halbwegs geradeaus sprechen konnte, im Bedarfsfall vorgeschickt und wurde oft genug von einem gewieften Reporter auseinander genommen. Heute hält oft genug ein Praktikant das Mikro und steht hilflos einem PR-Experten gegenüber.

Ein wenig gehässig könnte man sagen, das Mikrofon ist an derselben Stelle stehen geblieben - die Spezialisten aber haben die Seite gewechselt.

Die EU-Tagegeld-Story vom Stern ist natürlich vordergründig eine von wenigen löblichen Ausnahmen und scheint die Vitalität der "Vierten Gewalt" zu unterstreichen. Was aber wäre geschehen, wenn derAbgeordnete Hans-Peter Martin die Redaktion nicht mit selbstrecherchierten Unterlagen zugeschüttet hätte?
 
AW: Internationaler Tag der Pressefreiheit

Hallo Berlinreporter,

Dein Eindruck mag ja für die "größeren" Behörden gelten, ich sage mal: Ab Landesebene aufwärts. In den Kommunen sitzen dagegen oft einfache Beamte, mitunter haben die noch ein anderes Aufgabenfeld und/oder haben schlicht keinen Bock. Oder sie haben immer Angst davor, mit ihren Aussagen zerrupft zu werden. Das macht es natürlich alles nicht besser. Aber für viel wichtiger, als die "Zensur" durch Behörden, halte ich die "Zensur" durch die Wirtschaft. Ins eigene Nest scheißt sich der Vogel nämlich schon lange nicht mehr..... Und dabei meine ich nicht einmal, dass Informationen weggelassen werden, sondern dass Kommunikationsplattformen geschaffen werden, deren Wirkung alles andere als feierlich ist! Behörden kann man treten, die eigenen (potentiellen) Werbekunden nicht.
Viele Grüße
Die Hexe

PS: Ja, auch ich kann mit den Begriffen "journalistische Ethik" und "Ehrenkodex" etwas anfangen. Und nein: Das ist keine 180-Grad-Wende. Aber es muss im Namen der Wirtschaftlichkeit nicht alles gut und schön geredet werden. Und bei Gratis-Berichterstattung als Untermalung der Arbeit der Werbekaufleute hört auch bei mir jegliches Verständnis auf.
 
AW: Internationaler Tag der Pressefreiheit

Richtig, Hexe, auf Kommunalebene mag das noch anders sein - aber im Berliner Radio gibt es (von wenigen ör Ausnahmen abgesehen) keine journalistische Berichterstattung von dieser Ebene. Wenn ich mal die Bezirke Berlins mit Kommunen von außerhalb der Großstadt gleichsetzen darf, dann findet man höchstens Veranstaltungshinweise. Die Orte um Berlin herum, der so genannte Speckgürtel, finden praktisch nicht statt. Wenn das Radio irgendwo präsent ist, dann von der Senats-/Landesebene an aufwärts.

Das gilt übrigens auch (in abgeschwächter Form) für die Zeitungen, seit z.B. Tagesspiegel und Morgenpost die Lokalberichterstattung aus den Bezirken und Kiezen auf ein Minimum heruntergefahren haben - und auch die großen Boulevardzeitungen drucken keine Kiezgeschichten, die wirklich nur die Bewohner des betroffenen Bezirks interessieren.

Ein Kraftverlust der "Vierten Gewalt" ist in dieser Hinsicht unübersehbar - und auf den unteren Ebenen benötigt man daher auch keine PR-Experten als Pressesprecher, da die Presse sich ohnehin kaum noch blicken lässt.

Und was die Wirtschaft angeht: Da hat man eben die PR-Profis, die Informationen ganz gezielt herausgeben - und den Wunsch, diese veröffentlicht zu bekommen, gerne auch mal mit einer Werbezeiten-Buchung unterstreichen. Es ist ja sogar so, dass manch ein Radiosender einem Unternehmen, das vielleicht in PR-Problemen steckt, sogar ganz gezielt die Kooperation anbietet, um "in der Öffentlichkeit mal was gerade zu rücken". Dafür gibt es etliche Beispiele wie z.B. unsere Verkehrsbetriebe, unseren Lieblings-Energieversorger oder unsere Abfallentsorger.

Ich bleibe bei meiner Meinung, die ich hier schon mehrfach kundgetan habe: Privatradio ist Wirtschaft pur und hat mit Journalismus nichts zu tun. Auch wenn es durchaus Nachrichtenredaktionen gibt, die zumindest ein gewisses Informationsminimum verbreiten - die Arbeit beschränkt sich im günstigsten Fall neben dem Sortieren, Kürzen und Verlesen der Agenturmeldungen auf das Einholen eines O-Tons (der, siehe oben, dann auch bereitwillig von den Profis zur Verfügung gestellt wird).

Die journalistische Arbeit findet hier auf der Agenturebene statt - das Radio beschränkt sich, ähnlich wie die Druckabteilung einer Zeitung, aufs Handwerkliche.

Um auf das Eingangsthema zurückzukommen: Die Pressefreiheit muss mehr und mehr hinter marktwirtschaflichen Aspekten zurückstehen, da Sender und Zeitungen von den Marktgegebenheiten aus dem Journalismus herausgedrängt werden. Die "Vierte Gewalt" dümpelt in wenigen Oasen vor sich hin.
 
AW: Internationaler Tag der Pressefreiheit

@radiohexe + berlinreporter

Wenn ich das richtig sehe, dann kann das von Michael Haller geforderte Informationsfreiheitsgesetz wenig ausrichten, wenn von Medienseite Information nicht aktiv eingefordert wird. Neues Gesetz -> alles wie gehabt -> zurück zur Routine.

BTW (ich weiß, kein Radiobezug, aber vielleicht doch von Interesse): Der "Wächterpreis für Tagespresse" wurde an einen Reporter der Frankfurter Bild verliehen(-> Artikel aus der heutigen Welt). Boulevard + Massentauglichkeit sind offensichtlich nicht mit minderer Qualität gleichzusetzen. Ok, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer ...

Gruß postit



"Möchten Sie in einer solchen Situation der Richter sein?"
Auszeichnung für "Bild"-Recherche im Fall Metzler
von Guido Heinen

Es gibt traurige Recherchen, die beginnen wie ein abgestandener Witz, also etwa so: Sitzt ein Journalist in seiner Stammkneipe ... Und dennoch kann daraus am Ende ein journalistischer Erfolg werden. Wenn heute der Wächterpreis der Tagespresse, einer der renommiertesten Journalistenpreise des Landes, vergeben wird, ist dies Auszeichnung für einen Journalisten, dessen enthüllende Recherche vor gut einem Jahr das ganze Land bewegte. Am 17. Februar berichtete "Bild" Frankfurt, dass dem Entführer des elfjährigen Jakob von Metzler im Polizeiverhör Folter angedroht worden war. Preisträger Horst Cronauer, Leiter der Frankfurter Redaktion, hatte die Geschichte über fünf Monate recherchiert.
Im Oktober 2002 erhielt der 50-jährige Journalist in seiner Stammkneipe einen ersten vagen Hinweis. "Da bin ich drangeblieben", sagt Cronauer sehr sachlich. Die Entführung des kleinen Jungen, die Brutalität der Tat waren damals ein nationales Thema. Der damals noch mutmaßliche Täter Magnus G. führte die Polizei auf der Suche nach dem Versteck des Jungen, der noch am Leben sein konnte, immer wieder in die Irre, schickte sie quer durchs Rhein-Main-Gebiet. Wertvolle Zeit verrann.
Cronauer recherchierte aus dem geraunten, vagen "Da stimmt was nicht" eine runde Geschichte. Der renommierte und als besonnen bekannte Frankfurter Polizeivizepräsident hatte dem Verdächtigen im Verhör ausrichten lassen: "Sag ihm: Wenn Sie jetzt nicht reden, dann werden wir Ihnen große Schmerzen zufügen." Zusammen mit einem Beamten gab er dies später auch bei der Staatsanwaltschaft zu Protokoll. Das war Androhung von Folter, um eine womöglich lebensrettende Aussage zu erlangen - in Deutschland begann eine der heftigsten rechtspolitischen Debatten der letzten Jahre.
Spricht man heute mit Cronauer über den Fall, wird deutlich, wie hart diese Recherche war - nicht allein deshalb, weil alle Stellen alle Kanäle sofort verschütteten und er "nur über gute, über Jahre hinweg gewachsene Beziehungen" weiterkam. Der frühere Sportreporter und Leichtathletik-Fan, seit 1990 bei "Bild" in Frankfurt, hat diese Beziehungen auf einer sachlichen Ebene über Jahre aufgebaut. "Wichtig ist, dass Polizei und Staatsanwaltschaft wissen, dass ich sie nicht hereinlege."
Im "Fall Daschner", wie der Vorgang schnell hieß, vermied Cronauer es von Beginn an, ein Urteil zu fällen. Sein Text, mit dem er den Vorgang enthüllt, ist sachlich bis zur auf dem Boulevard geltenden Schmerzgrenze. Keine Empörung, keine Anschuldigungen, keine Parteinahme. Cronauer macht es dezidiert anders als der Berliner "Tagesspiegel"-Reporter Jürgen Schreiber, der die Geschichte einen Tag später aufgreift und den Wächterpreis ebenfalls erhält.
Der kleine Jakob von Metzler ist, als er entführt wird, einen Tag älter als Cronauers eigener Sohn. So sehr es ihn, der die Familie von Metzler auch persönlich kennt, selbst bewegt, treibt er die Recherche über Daschners Vorgehen voran. "Dass man da droht, versteht sicher jeder menschlich - aber rechtlich ist es klar verboten. Aber das menschliche Verständnis hat wohl der strengste Jurist", ist Cronauer bis heute überzeugt.
Er erhält den Wächterpreis, weil er "in besonderem Maße der verfassungspolitischen Funktion der Tagespresse entsprochen hat, als Wächter Missstände aufzudecken und zu behandeln". Dabei will Cronauer nicht Partei nehmen, bis heute. Im Kommentar, veröffentlicht am gleichen Tag wie die Enthüllungsgeschichte, formulierte Cronauer jene Frage, die vielleicht Grundlage jeder erfolgreichen Recherche ist: "Wie hätten Sie gehandelt? Möchten Sie in einer solchen Situation sein Richter sein? Ich nicht!"


Artikel erschienen am 11. Mai 2004
 
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