Ist heute wirklich alles besser? - Wenn ja, warum?

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Lieber Herr Geheimrat,
es ist keine Legende. Verantwortliche Redakteure waren in den 60er Jahren mitten im Studio dabei und nahmen vorab Moderationen ab. Oder sie sprachen sie durch, wenn für das schriftliche Fixieren keine Zeit mehr blieb. Das galt nicht für alle Sendungen und im wesentlichen ging es darum, sich einer gehobenen Sprache zu bedienen. Alle Ausreisser sollten ausgemerzt werden.

In den 70er Jahren litten zaghafte Versuche wie die hr toptime unter derart unerträglichen Reglements, dass vier ehemalige Kollegen damals dankend abgelehnt haben. Unter diesen Vorgaben war kein frisches, freches Popradio zu machen. Ich kenne diese Ex-Kollegen persönlich.
Beim br konnte man aber schon mal von einer Zensur sprechen, es ist nichts Neues. Auch musikalisch, Satisfaction von den Stones fand bei diesem Sender nicht statt.

Eine oder zwei Anekdoten werde ich demnächst mal beisteuern.

Zur Ausgangsfrage: Alles begann mit Popradio!
Im Gegensatz zu den USA kämpfte Europa mit Vorurteilen und Befürchtungen, dass Radio wieder missbraucht werden könnte. Goebbels und Lord Haw-Haw steckte vielen noch in den Knochen.Privatradio war also undenkbar.

Der andere Punkt war, dass Pop eben nicht dem Kulturverständnis der einstigen Programmverantortlichen entsprach. Und diese kannten auch keine Sender oder Wellen, die den ganzen Tag über einfach nur Musik mit Nachrichten und angereicherten Informationen spielten.
Sowas durfte es auch bei dem Lehr- und Belehrungsauftrag nicht geben, vollkommen undenkbar.
Deshalb gab es nur stundenweise Pop. Zwei Stunden die Woche oder mittwochs, donnerstags eine Hitparade. Hört euch doch mal die Morgenprogramme aus diesen Tagen an, wenn es irgendwo noch Mitschnitte gibt!

Beim Frankfurter Wecker spielten live Big Bands auf, Willy Berking haute in die Tasten und stiess ins Horn, irgendjemand trällerte etwas und das war es. Dafür würde heute keiner mehr aufstehen und in die Veranstaltung gehen und die Einschaltquoten würden sich in DLF-DLR-Regionen bewegen.
Gut, es waren eben andere Zeiten und etwas anderes kannte man nicht.
Der frühe Erfolg des sich ständig ausweitenden deutschsprachigen Programms von Radio Luxemburg lässt sich damit erklären, dass sie Musik spielten, nichts als Musik. Auch wenn es nach heutigen Regeln eher eine schlagerlastige Welle wie Arabella war.

Popradio, das wissen wir nun durch zahlreiche Beiträge, brach sich illegal und dann schliesslich legal den Weg. Legal seien als Vorreiter S3 Melodi Radion aus Schweden, Hilversum III ab Oktober 1965 und BBC Radio One ab Oktober 1967 erwähnt.
Ab 1971 führten unter dem Deckmantel einer Autofahrer-Servicewelle dann auch die deutschen öfftl-rechtlichen Sender ihre dritten Programme ein, die Popwellen. Es war eine späte und schwere Geburt.

Was ich sagen möchte: Es wäre unausweichlich zu dieser Entwicklung gekommen. Mit Einführung von Stunden- und Musikuhren, mit der Definition einer Zielgruppe und eines adäquaten Formates, mit Jingles, trailern und und und. In Deutschland hat es eben länger gedauert.
Und ich bin noch stolz auf die Phase, als wir den deutschen Alleinfunkern mal so zeigen konnten, wie man Radio macht.Ha!
Das war in etwa 1985-1995, danach änderte sich die Situation erneut, Stichwort Nebenbeimedium.

P.S.: Gerade noch als Aussage entdeckt

onkelOtto schrieb:
Wohl aber gab es - und gibt es immer noch - Moderationen, die schriftlich fixiert waren, die in Zusammenarbeit mit einer ganzen Redaktion entstanden oder die schlicht im Vier-Augen-Prinzip vom Redakteur oder Producer noch einmal gegengelesen wurden, damit keine inhaltlichen Klöppse drinne waren. Das war und ist ein guter Brauch


Das habe ich gemeint.

Das war und ist ein guter Brauch
Immer noch? Heiliger Bimbam. Manchmal angebracht, im Prinzip bremst es die Dynamik ab. Bei komplizierten Sachverhalten kann ich es mir noch vorstellen, sonst nicht. Beim Privatradio muss der zustänige Redakteur bewandert sein und die Verantwortung tragen, zunächst. Manchmal geht der Schuss allerdings auch nach hinten los, zugegeben.
Man kann nicht alles haben.
 
@laser558
Deine Argumentation stellt Dynamik, Effizienz und Pragmatismus in den Vordergrund, da kann so eine "Bremse" wie Qualitätskontrolle doch nur lästig und unprofessionell sein.
Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus. Die heiligen fetische Dynamik, Effizienz und Pragmatismus sind ein Ausweis von Unprofessionalität. Der Glaube, ein "bewanderter Redakteur beim Privatradio" könne dies alles irgendwie in Eigenregie und alleiniger Verantwortung stemmen, würde ja bei der Einstellung von "Redakteuren" im Privatradio Qualitätsstandards unterstellen, die weit über jene Anforderungen hinausgingen, die beim ÖR (noch) gelten. Die Praxis sieht leider anders aus. Die Kriterien, nach denen einer in der privaten Radiolandschaft zum Redakteur erhoben wird, stehen nicht selten in der Reihenfolge: tolle Stimme, freches Auftreten, cooles Aussehen (für die Homepage und die Promotion), Selbstfahrerkönnen, Bereitschaft, eigene Meinung auszuschalten, keine Ahnung oder kein Interesse an Tarifverträgen und anderen Arbeitnehmerrechten. Und erst dann kommt irgendwann einmal: Sprachsicherheit, Allgemein- und Fachbildung, journalistisches Handwerk!
Deshalb hören sich viele Radioprogramme ja auch an, wie sie sich anhören. Jetzt kann ich mich über die Betulichkeit mancher öffentlich-rechtlichen Sender auch mokieren, aber eines ist dann doch gewiss: Das, was sie verbreiten, ist inhaltlich geprüft, fachlich fundiert und handwerklich gut umgesetzt. Das würde ich nur ungern einer irgendwie gearteten "Dynamik" opfern wollen.
 
Lieber Laser,
ich neige nicht dazu, journalistische Qualität als "Heiligen Bimbam" zu bezeichnen. Wir scheinen tatsächlich aus zwei diametralen Radio-Wirklichkeiten zu kommen. Aber das ist ja auch gut so. Sei Du weiter dynamisch und lass auch mal Schüsse nach hinten los gehen; mein Job ist es vielmehr, letzteres möglichst zu vermeiden und dabei vielleicht auch ein bisschen betulicher zu sein. Deine Auffassung von Radio hat genauso ihre Berechtigung wie die meine. Wir bedienen unterschiedliche Segmente. Manche Hörer freuen sich eben über journalistische Klöppse, die durch ausgebliebenes Gegenlesen und fehlende Recherche über den Sender gehen - oder hören gar nicht hin, weil sie auf die nächste Musik warten. Meine rufen schon an, wenn man "Sarkozy" am Anfang mit stimmhaftem s ausspricht. Alles gut.
Übrigens: Ich hatte mit Jörg Eckrich (Chef der von Dir zitierten Toptime) relativ wenig zu tun, insofern kann ich nicht sagen, ob er in Moderationen hineinregiert und -redigiert hat. Wenn deswegen Moderatoren resignierten, ist das traurig, zeugt aber auch nicht gerade von Standing und Verteidigungsbereitschaft gegenüber dem eigenen Sermon.
Und dass Toptime (für die Zeit der 70er) kein frisches, freches Popradio gewesen wäre, sei mal in Abrede gestellt. Aus der damaligen Zeit heraus betrachtet, war es das sicherlich.
Der Frankfurter Wecker schlussendlich lebte nicht nur durch trällernde Soubretten und Berkings Mannen, sondern vor allem durch die - wieder aus der Zeit heraus - witzigen Moderationen von Frankenfeld, Kulenkampff oder Heinz Schenk. Die hattest Du vergessen zu erwähnen.
 
Ich denke, das Fundament - im Sinne von OnkelOtto - muss erst einmal stimmen, unabhängig davon, ob es um Information oder Unterhaltung geht. Für alle Sendeformate gilt: Ein Moderator ohne Stimme oder gute Aussprache geht gar nicht. Dann muss unbdingt Originalität und Athentizität durchblitzen. Ein Programm wie DLF und WDR 5 muss sicher - vom Aufwand der Qualitätssicherung her - ganz anders behandelt werden, als wie FFH. Aber auch der Moderator bei FFH muss in allem, was er sagt, präzise sein. Auch ein guter Gag kann schlecht erzählt werden. Er hat zudem die erhöhte Anforderung, besonders entspannt zu klingen. Kuhlenkampff ist ein schönes Beispiel. Hinter ganz viel Disziplin steckt eines der größten Talente der deutschen Nachkriegsgeschichte, und ganz ehrlich sehe ich heute keinen zweiten Moderator, der ihm das Wasser reichen könnte. Zudem: Was er sich alles an Spitzen in den 70ern und 80ern im Fernsehen erlaubt, setzte die Aufsichtsgremien heftig unter Strom. Und es ging ihm als symphatischen Idealisten sicher nicht nur um Geld, die Krankheit unserer Zeit.
 
Ein schöner Beitrag von OnkelOtto, da werde ich aber nicht weiter darauf eingehen.
Ich achte allerdings ebenfalls sehr auf korrekte Aussprache. In diesem Zusammenhang fiel mir gestern ein Bericht in hrInfo positiv auf. Es ging um die elfstedentocht in den Niederlanden und ich mußte erstaunt vermerken, daß holländische Stolpersteine richtig ausgesprochen wurden.
Telegraaf mit dem kehligen "ch" und die Stadt Leeuwarden mit dem für deutsche Zungen schwierigen "Le-e-eu-waarden".
by gosh, würde der Yankee sagen. amazing!
 
Ja, ein schöner und fairer Beitrag von OnkelOtto. Das mit Kulenkampff habe ich gewusst. Unerwähnt blieb, wie sehr Kuli in seinem eigenen Laden sich Freiräume und freie Moderationen erkämpfen musste. Gegen die Betonfraktion der kulturbeflissenen Programmdirektion, der jede Form von Unterhaltung sowieso suspekt war.
Und diesen Umstand haben wir alle vergessen und wissen nichts davon!

Jörg Eckrich, ja. Hausintern wird er von den älteren hr-Mitarbeitern als grösste Fehlbesetzung vom Verres angesehen, der ihn erst auf den Stuhl gehoben hatte. Ich habe im Laufe der Jahre mit einigen gesprochen. Auch mit den erwähnten Bewerbern bei top time. Hier ging es um Präsentation, Jingles und Pop an sich. JE war als einer bekannt, die sehr auf Instrumentierung und so Sachen wie Notenlesen setzten. So billiger 08/15-Pop wie etwa Sweet, die Glitterband oder Smokie waren mit ihm fast nicht zu machen. Die erwähnten Mannen wollten einfach kein rocklastiges, leicht elitäres Musikprogramm gestalten "dürfen" und kamen alle aus der Radiodiscjockey-Szene. Sie hatten wohl alle ihren eigenen kleinen UKW- oder MW-Sender betrieben und dadurch ganz andere Vorstellungen von Radiomachen. Und sie hatten alle den Selbstfahrerbetrieb drauf.

Allein für sich betrachtet war top time schon eine Revolution. Aber nur für die Leute, die nichts anderes kannten, mangels entsprechender Empfänger und Auswahl. Hallo Twen vom Sexauer auf der Europawelle Saar war da Jahre seiner Zeit und die des hr voraus.

Ja, wir beide kommen wohl aus sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten zum Radio und zum Thema Radio. Zum besseren Verständnis: Ich bin auch für korrekte Informationen und korrekte Betonungen und Aussprache. Das aber nicht nur bei redaktionellen Inhalten, sondern auch bei der Musik. Ich bekomme das grosse Grauen, wenn nachgesungene neue Titel als angebliche Originale verkauft werden.
Bei den Nachrichten sehe ich es entspannter. Man kann und darf sie mit Live-Zuschaltungen und O-Tönen gestalten, das ist die erklärte Linie im Privatradio. Nicht nur, um sich zu unterscheiden, sondern auch von der Lebendigkeit des Mediums..
Bei schwierigen Sachverhalten ist eine Nachfrage bei bewanderteren Kollegen oder eine Recherche sinnvoll. Wenn es zum Beispiel um eine politische talk- bzw. Interviewrunde geht.
Da habe ich noch eine Sendung in Erinnerung, in der die Bürgermeisterbewerber vorgestellt werden sollten. Der unglückliche Moderator ordnete die fünf Bewerber den falschen Parteien zu, sprach sie dann auch mit dem falschen Namen an und wusste nichts Näheres zu dem angesagten Thema auszusagen. Es hatte sich eine neue Liste gebildet, die sich gegen Zahlungsbescheide wegen Kanalrestaurierungen und Strassensanierungen wandte. Eine Liste der betroffenen Anrainer, die mit fünfstelligen Summen, zahlbar binnen 14 Tagen, zur Kasse gebeten werden sollten.
Und dann entglitt dem armen Mann auch noch die Gesprächsführung. Alle Bewerber redeten aufeinander ein, schrien sich an und schliesslich wurde Musik eingeblendet.
Schwamm drüber. Mir standen die Haare zu Berge und OnkelOtto wäre es sicher ähnlich ergangen.
Ein anderer Radiokollege pflegte bei solchen Sachen immer "shit happens" zu sagen. Punktgenau getroffen.

Beim nächsten Mal ein anderer Schwank aus der wundervollen, weiten Welt des Radios.
 
Hey, Laser, das macht ja richtig Spaß, mit Dir zu disputieren...:)

Nochmals zu Toptime: Der hr war in den frühen 70ern in der "klanglichen Anmutung" recht konservativ. Ja. Da stach Toptime doch schon raus - wie eine Chilischote aus der Schweinshaxe. Aber, zugegeben: Im Vergleich zum SR, der u.a. die Sexauerschiene fuhr, war die hr-Abendleiste doch relativ harmlos und "pädagogisch wertvoll". Ich habe sie auch später nie verstanden, diese Beißhemmung in Richtung Innovation und - vor allem - Mut. Wen hatte man Angst zu verschrecken? Erst Ende der 80er (!) kam mit Hertle, Fenslau, Väth u.a. die wirkliche Öffnung zu einem jungen Publikum (wobei das Dreigestirn Reinke/Hecht/Koschwitz auch manches ablieferte, was großartig gegen den Strich gebürstet war).
Andererseits fanden sich - vor allem in der "Unterhaltung Wort" - innovative Elemente bereits in den späten 60ern mit den Eilert-Gernhardt-Knorr-Episoden oder natürlich auch mit "Funk für Fans" (wobei wir dann wieder bei Sexauer und - don't forget - Werner Klein/Helge Heynold sind). Die hatten durchaus ihre Experimentier-Oasen im Programm. Aber jetzt wird's zu speziell.
Um den Bezug zum Topic zu kriegen: Das waren Sendungen, die belegen, dass nicht nur heute alles besser ist, sondern - um im schiefen Sprachbild zu bleiben - auch damals...
 
empire1970 schrieb:
Es ging um die elfstedentocht in den Niederlanden
Die ist übrigens abgesagt. Bevor Du den hr über den grünen Klee lobst: Es war sicher eine Zuspielung von Deinem Lieblingssender WDR. Und da müssen sie wissen, wie man es korrkt ausspricht!
 
Für manchen "Linken" in Bayern war früher West-Berlin eine "Traumradiolandschaft"...

Überhaupt: West-Berlin war für einige eine große Spielwiese, wie ja die Fanseiten der RIAS und des SFB beweisen.
 
Berlin war die Stadt, in der drei nichtkommerzielle, stattlich geförderte Rundfunksysteme miteinander konkurrierten. Das gab es später oder sonstwo nie wieder.
 
Mal etwas OT: Kann jemand mir sagen, ob man früher - als es noch analoges Antennenfernsehen gab - über den TV-Sender Bungsberg im Nordosten Holsteins in Dänemark deutsches Fernsehen reinbekam? Ein möglicher positiver Faktor wäre das Spiegeln durch das Ostseewasser.
 
Auch die meinsten anderen Privaten machten in der Startphase einfach mehr Spaß. Antenne Bayern, FFH, Regenbogen, ffn - die fand ich alle mal recht gut. Heute höre ich nur mal rein, um mitreden zu können. Emotional erreicht mich da fast nichts mehr. Schade, aber nicht so schlimm, denn ich habe heute ja die beste Richtantenne der Welt, meinen Internetbrowser.
Ob die Privaten am Anfang wirklich so gut waren, kann ich gar nicht beurteilen, zumindest inhaltlich, da damals noch zu jung. Allerdings haben sie mit Aktionen und Werbung zumindest eine Menge Aufmerksamkeit generiert, die man von den Öffis wohl nicht gewohnt war. Gutes Radio ist oder war eben auch immer gutes Marketing.
 
Nur durch gutes Marketing wird das Programm nicht besser.
Da gebe ich dir recht. Was ich meinte, ist gelungenes Marketing, mit dem potenzielle Hörer erst auf das Produkt aufmerksam gemacht werden. Private sind meiner Meinung nach eben sehr gut darin, mittels Werbung, Aktionen etc. auf ihr Programm aufmerksam zu machen. Dass das Programm gut sein muss ist klar, aber bei vielen Privaten zeigt die Quote ja, dass das der Fall ist (wenn man gut mit erfolgreich gleichsetzt).
 
Kleiner Einspruch: Gefallen ist nicht gleichbedeutend mit gut.
Gefallen bei einer gewissen Mehrheit, gut in Hinblick auf journalistische Inhalte oder Reichhaltigkeit des Programms.
 
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