Klassik, nichts als Klassik !

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Von Frank Kaspar

22. September 2003 Wer sagt eigentlich, daß Radiohörer, die sich für Kultur interessieren, unbedingt klassische Musik hören möchten? Das ungeschriebene Gesetz scheint unverrückbar, denn auch für das zum 1. Dezember geplante neue Kulturradio des Rundfunks Berlin Brandenburg, dessen Konzept intern auf heftige Kritik stieß und heute im Programmausschuß des Rundfunkrats diskutiert wird, steht eines fest: Tagsüber zwischen sechs und 18 Uhr wird ausschließlich klassische Musik zu hören sein. Auf einem Markt von dreißig terrestrisch zu empfangenden Radioprogrammen müsse die neue Welle auf Anhieb eindeutig identifizierbar sein, sagt die Hörfunkdirektorin des RBB, Hannelore Steer. "Wenn der Hörer Klassik hört, eine Viertelstunde lang zuhört, und er hört immer noch reine Klassik, dann soll er wissen: Das ist das RBB-Kulturradio."

Musikfarbe als Alleinstellungsmerkmal. Man kann es auch anders ausdrücken. Als der Medienjournalist Lutz Meier auf einer Podiumsdiskussion über die RBB-Pläne am letzten Donnerstag Zweifel am Sinn der "Zwangsgemeinschaft" von Kulturradiohörern und Klassikliebhabern anmeldete - zumal man sich jüngere Hörer wünsche -, gab der (einundvierzigjährige) Musikchef von Radio Kultur, Christian Detig, zurück: Er gehöre zwar selbst einer Generation an, die mit mehr als klassischer Musik sozialisiert worden sei, aber seine Generation habe auch etwas anderes gelernt: "Wo Nutella draufsteht, muß auch Nutella drin sein."

Entscheidend ist die Marke

Entscheidend ist, daß man sich unterscheidet. Auf anderen Wellen in Berlin und Brandenburg kommt schließlich auch Kultur vor. Und einerseits möchte man die Klassik-Hörer der alten RBB-Programme Radio Kultur und Radio 3 nicht verlieren, zugleich werden andere Unterscheidungsmerkmale als die Musik künftig nicht mehr so deutlich ausfallen wie bisher. Denn das Konzept für das neue Kulturradio sieht vor, daß der Tag von vier je dreistündigen Magazinflächen geprägt wird, in denen Live-Charakter und kurze, aktuelle Information im Vordergrund stehen. Wortbeiträge sollen zehn Minuten Länge nicht überschreiten, für am Vormittag neu eingeführte Kurzfeatures und -hörspiele gilt ein "Richtwert" (Steer) von fünf Minuten. Damit wendet das Programm sich an Nebenbeihörer und nähert sich strukturell anderen RBB-Wellen wie dem Inforadio, dem Stadtradio 88acht oder dem kulturorientierten Radio Eins an, das mit dem Wahlspruch "Nur für Erwachsene" um Angehörige der Nutella-Generation wirbt, und das, laut Media-Analyse (MA), mit Erfolg: Der durchschnittliche Radio-Eins-Hörer ist 34,7 Jahre alt. Der Altersschnitt der Hörer von Radio Kultur ist seit 1998 von 45 auf 63 Jahre gestiegen. Für Radio 3 liegt er bei 61 Jahren.

Wie immer man zur Strategie des RBB steht, die in ähnlicher Form bei vielen anderen ARD-Kulturradios zum Tragen kommt, eines macht der Nutella-Satz deutlich: Der Jargon, in dem über die Zukunft des Kulturradios gesprochen wird, hat sich grundsätzlich verändert. Was immer man tut oder läßt, es muß mit Markenbewußtsein geschehen. Selbst diejenigen, die sich dem Trend zum "Tagesbegleitprogramm" widersetzen, sehen sich gezwungen, ihr Terrain mit dem Vokabular des Marketing zu verteidigen. "Der Deutschlandfunk ist eine Marke", sagt der Programmdirektor des Senders, Günter Müchler. Nachdem der DLF, wie Müchler betont, seit Anfang der neunziger Jahre alle Moden gemieden habe, nach denen sich die ARD-Kulturwellen in Reformen und Reförmchen verrenkten - von zunehmender Formatierung bis zur Aufgabe klassischer Nachrichten zugunsten von News-Shows mit Originaltönen -, segelt er heute unter der Flagge eines "Programmklassikers". Ein Label, wie es auch Mineralwässer und Zahncremes tragen, um geltend zu machen, daß sie sich seit Jahrzehnten nicht verändert haben.

SWR 2 will neue Zielgruppen

SWR 2 will sich mit einer "Programmoptimierung" von Oktober an "neuen Zielgruppen öffnen" und diese durch einen "Radio Club" an sich binden, der - nach dem Vorbild des österreichischen Kulturradios Ö1 - von Rabatten auf Theater- und Konzertbesuche, Musik-CDs oder Hörbücher bis zu eigenen Veranstaltungen manches bietet. Und der für Bayern 2 Radio verantwortliche Hauptabteilungsleiter Kultur des Bayerischen Rundfunks, Christoph Lindenmeyer, wie die SWR-2-Wellenchefin Hildegard Bußmann entschiedener Verfechter anspruchsvoller Sendungen für Zuhörer auch am Tage, führt das "Image des Vertrauens" und die "Medien- und Kulturkompetenz" ins Feld, die dem öffentlich-rechtlichen Kulturradio im dualen Rundfunk einen "Wettbewerbsvorteil" verschafften. Lindenmeyer denkt laut über "zukunftsfähige Beispiele einer intelligenten Kooperation mit externen Kulturpartnern" nach, wie sie WDR 3 mit etlichen NRW-Kultureinrichtungen praktiziert.

Daß Kategorien des Marktes die Diskussion über das Kulturradio beherrschen, sagt allerdings nichts über richtige oder falsche Lösungen. Der Leiter der SWR-Medienforschung, Walter Klingler, hat in einer Studie die Fernseh- und Hörfunknutzung von Kulturinteressierten untersucht. Seiner Ansicht nach findet ein Programm die Akzeptanz der Hörer, wenn es gelingt, eine "positive Erwartungshaltung" aufzubauen. Diese sei "zunächst formatneutral". Entscheidend sei nicht die grundsätzliche Alternative "Begleitprogramm" oder "Einschaltradio", sondern die Frage, ob die Hörer die Programmstruktur durchschauen und gewünschte Inhalte zuverlässig finden.

Ausgeprägte Special Interests der Hörer

Günter Müchler sieht den Erfolg des DLF gerade im Prinzip der Themensendungen zu festen Einschaltzeiten begründet: "Wir glauben, daß unsere Hörer ein begrenztes Zeitbudget und ausgeprägte Special Interests haben und das, was sie interessiert, nicht eher zufällig in einem Musikteppich finden möchten. Angesichts des ausufernden Informationsangebots wächst heute das Bedürfnis nach gezielten Zugriffen." In den letzten Jahren konnte der Deutschlandfunk seine Reichweite kontinuierlich steigern, auch dort, wo regionale Nachrichtenradios wie NDR 4 oder MDR Info ihm Konkurrenz machen. Das Altersmittel seiner Hörer liegt bei 57 Jahren, die Gruppe der Zwanzig- bis Neunundzwanzigjährigen wächst. Das Einschaltprogramm, sagt Müchler, sei kein Auslaufmodell. Daß die "Zeit des alten Redakteursradios, in der der Redakteur und nicht das Publikum das Maß des Angebots war", vorüber sei, wie die Medienforschung des RBB Redakteuren beschied die den Programmentwurf kritisierten, hält er für "eine waghalsige Gegenüberstellung". Selbstverständlich müsse ein Programm sich bewähren, aber das heiße nicht, "um jeden Preis die Quote hochzutreiben. Wir müssen das hervorheben, was unsere Stärken sind: Gründlichkeit, Kompetenz, Schnelligkeit, Originalität."

Auch Hildegard Bußmann, deren Welle bei der jüngsten MA auf 2,1 Prozent kam, macht geltend, "daß die Rezeption von Kulturprogrammen mit hohem Wortanteil und klassischer Musik wie bei SWR 2 anders zu bewerten ist als die eines formatierten Programms, das auf die Nebenbeinutzung hin konzipiert ist". Wieviel Relevanz darf man der Quote überhaupt beimessen, wenn es um ein öffentlich-rechtliches Minderheitenprogramm geht und man weiß, daß die Fehlermarge der Media-Analyse bei zwei Prozent liegt? "Es gibt eine Quote nach unten", meint der Programmchef von BR 2, Klaus Kastan, "unser Programm kostet soviel wie die anderen vier Wellen des BR zusammen. Wenn wir weniger als 1,5 oder wenigstens ein Prozent Marktanteil erreichen, ist das nicht mehr zu rechtfertigen." Mit 2,9 Prozent nach der jüngsten Media-Analyse steht BR 2 derzeit gut da, innerhalb der letzten zehn Jahre hat die Welle aber dreißig Prozent ihrer Hörer verloren. Der Altersschnitt steigt und liegt bei rund 59 Jahren.

Was einmal zerstört ist

Christoph Lindenmeyer betont dennoch, daß die Akzeptanz einer Kulturwelle nicht allein an der Quote zu messen sei: "Zu berücksichtigen sind auch Imagewerte von Programmen, etwa das Ansehen von Kulturleistungen des Hörfunks im aktuellen kulturellen Diskurs." Er ist "mehr denn je davon überzeugt, daß innerhalb der jeweiligen Programmfamilien von Massen- und zielgruppenorientierten Programmen die Chance zukunftsfähig ist, ein ,anderes Radio' anzubieten: ein Medium für Entdeckungen, für Originalproduktionen, nicht nur ein Medium für Sekundärberichterstattung und die Befriedigung breit ermittelter Bedürfnisse." In diesem Sinne hat die Berliner Akademie der Künste einen Appell an die Geschäftsleitung des RBB gerichtet. "Gewachsene Programmstrukturen, die zugunsten eines ,Formatradios' einmal zerstört" würden, seien nicht mehr aufzubauen, so die Akademie, die den "Anspruch jener Hörer, die das Radioprogramm als Kulturfaktor und kulturelles Angebot ansehen, gegenüber der zweifellos größeren Gruppe der ,Nebenbeihörer'" einklagt. Eine der eingestellten Sendungen, die "Galerie des Theaters", habe zuletzt freilich nicht mehr als zweitausend Hörer gehabt, gibt die Hörfunkdirektorin Steer zu bedenken.

Die Verhältnisse hätten sich auf merkwürdige Weise verkehrt, meint Christoph Lindenmeyer. Einst innovative Radiomacher sähen sich in die Rolle von Wertkonservativen gedrängt, "weil sie über den Tag und die Etats hinaus denken". Beim RBB hat sich die Diskussion an der herbeigeredeten Frontlinie "Modernisierer" versus "Traditionalisten" verkeilt. Der Programmchef einer aktuell orientierten RBB-Welle stellte hämisch den "Aufbruch aus der selbstverschuldeten Unerhörtheit der alten Kulturprogramme" in Aussicht. Doch die eigentlichen Fragen werden jenseits solcher Kampflinien liegen: Was traut man seinen Hörern zu? Womit will man sie überraschen? Wie kann Kulturradio selbst Themen und Akzente setzen und nicht nur auf angenommene Hörgewohnheiten reagieren, sondern neue prägen? Im Programmausschuß des Rundfunkrats wird darüber heute das letzte Wort gesprochen. Dann ist es an den Mitarbeitern und Leitern der neuen Welle, im neuen Format auch Experimenten Raum zu geben.

Text: FAZ , 22.09.2003, Nr. 220 / Seite 38


:rolleyes:
 
Zugegeben: ich habe nur den ersten Absatz gelesen, aber die Kernaussage verstanden.

Die Frage ist meiner Ansicht nach berechtigt. Einige Kulturprogramme (z.B. hr2) stehen ja kurz vor oder hinter einer Programmreform und ändern dabei auch ihr Musikprogramm. hr2 setzt nun vermehrt auf Jazz. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber immer noch nicht so der Knaller.

Wie wäre es, wenn man in Kulturprogrammen nicht nur Jazz sondern auch andere "Randgruppenmusik" in der normalen Rotation hören könnte? Ich denke da v.a. an Chill Out oder Klangkompositionen. Natürlich kann dann auch ruhig mal Klassik kommen (SWR2 Abendkonzert - super!), aber eben nicht nur. Das macht es schwer, dranzubleiben.
 
@mistoseb:
Ich bin der Radio-Schiri und pfeife alles, was Mist ist :))

Nee Quatsch. Keine Ahnung mehr, wie ich darauf gekommen bin.
So halt.
Aber freut mich, wenn's Euch gefällt.
 
Also, allen, die diesem akustischen Medium Radio hier fröhnen sei gesagt, dass GELB die für den Menschen schrecklichste Farbe überhaupt ist!

Lieber/Liebes GELB,
nimm mir das nicht übel, aber es ist so.
 
Original geschrieben von Gelb


Wie wäre es, wenn man in Kulturprogrammen nicht nur Jazz sondern auch andere "Randgruppenmusik" in der normalen Rotation hören könnte? Ich denke da v.a. an Chill Out oder Klangkompositionen. Natürlich kann dann auch ruhig mal Klassik kommen (SWR2 Abendkonzert - super!), aber eben nicht nur. Das macht es schwer, dranzubleiben.

Was die Musikmischung betrifft, bin ich deiner Meinung. Ich habe ja schon oft genug über die Vorteile von Musik-Mischprogrammen philosophiert.

Aber: beim Wort ROTATION in Zusammenhang mit Kulturprogrammen wird mir schlecht!!!!!! :mad:

Gruß postit
 
@RayShapes
Es ist mir komplett egal, ob Dir die Farbe gefällt oder nicht. Mir gefällt die Kombination grau/Rot auch nicht :p

@postit
Naja, "Rotation" im Sinne von "die Musik, die bei diesen Programmen gespielt wird". Natürlich keine Rotation wie bei den Mainstream-Programmen, um Gottes Willen! Mißverständnis. Ich meinte damit, daß diese Musik, die ich angesprochen hatte, die Musik werden sollte, die diese Sender im Tagesprogramm in ihren "normalen" Flächensendungen spielen sollten.
Keine "Rotation" (und schon gar keine Hot!)
 
@ Gelb

Tausend mal Entschuldigung, ich wollte Dich damit nicht treffen! Wirklich!

Das war nur so eine kleine Anektdote, weil ja viele denken, Feuerwehrrot wäre die eindringlichste Farbe, oder anderes...

Also: Es hat nichts mit Radio und Deiner Meinung zui tun, Entschuldige nochmals!
 
@RayShapes
Jetzt sei nicht gleich beleidigt, Herrgott! Es ist ein Nick, mehr nicht.

Mich interessiert viel mehr Deine Meinung zum Thema.
 
Okay sorry, ich bin nicht beleidigt! Ich will nur nicht andere hier beleidigen.

Zum Thema denke ich noch nach, okay? Muss ja auch mal was Schlaues schreiben.
 
Mich interessiert bei der ganzen Debatte um Klassik oder nicht die Frage, welche Klassikliebhaber überhaupt das Radio zum Hören von Klassik einschalten. Ich stelle mir das inhaltlich und technisch ziemlich kompliziert vor.

Inhaltlich:
Klassik umfaßt ja doch mindestens so drei Jahrhunderte Musikmaterial. Dazu kommen unheimlich viele Interpretationen. Bei Vivaldis "Vier Jahreszeiten" gibt es sogar eine Fassung mit Originalinstrumenten aus der Zeit, als Vivaldi lebte, die nicht so süßlich klingen. Der Klassikfan denkt sich zu einer x-beliebigen Zeit, machen wir doch mal das Radio an und hören, was die so für Stücke bringen? Chormusik? Orgelmusik? Streichquartett? Oper? Synfonie? Mozart oder Schönberg? Da liegen doch Welten dazwischen. Beethovens Neunte von Karajan oder Kurt Masur? Das ist schon ein Unterschied. Wie Beatles, Elton John oder Cocker.

Also wird doch prinzipiell zur Zeit nur für den Klassikfreund Radio gemacht, der entweder sehr, sehr tolerant ist oder der eine Wundertüte will. Der sehr festgelegte Klassikfan wird sich Ärgern, wenn er wie beim Klassikradio irgendein Britisches Orchester serviert bekommt. Daher wird der Klassikliebhaber sowieso ein großes Klassik-Tonarchiv sein eigen nennen, um sich seiner Tagesstimmung, dem Rhythmus und Geschmack entsprechend mit Klassik zu versorgen, weil eben Klassik sich allgemein nicht zur Soundtapete eignet und nicht einfach beim Radio auf Knopfdruck abrufbar ist.

Technisch:

Klassik über UKW? Kann man in Berlin doch glatt vergessen, wenn man nicht am Scholzplatz wohnt. Etwas übertrieben, sicher, aber Radio 3 und RADIOkultur sind nicht die stärksten Frequenzen. Klassikradio ist ja nun völlig unakzeptabel, wenn der Bolero von Anfang bis Ende gleich laut klingt. Über Kabel? Selbst da rauscht RADIOkultur (zumindest bei mir). Über ADR - ist es erträglich, aber der Gedanke an die Daten-Kompression und gelegentlichen Aussetzer zeigt auch hier die Brenztheit. Über DAB? Solange in Berlin die Leistung des DAB-Sender so schwach bleibt, hat auch das keinen Sinn. Und mit 192 KBit-Strom wie zur IFA MDR Klassik sollte man gar nicht anfangen.

Bleibt die Schallplatte und CD oder als Alternative das Konzert im Fernsehen. Oder Klassikfreunde? Hat das Radio für die Klassik nicht längst ausgedient?
 
Was traut man seinen Hörern zu? Womit will man sie überraschen? Wie kann Kulturradio selbst Themen und Akzente setzen und nicht nur auf angenommene Hörgewohnheiten reagieren, sondern neue prägen?
Das sind für mich die entscheidenden Fragen. Das "normale" Radio erzieht seine Hörer zu dem, was es als Werbeopfer braucht. Und nun gibt es noch die Gruppe der "schwer Erziehbaren", die sich durchaus im Kulturradio wiederfinden könnten. Diese Gruppe will Neues erfahren und hören. Diese Gruppe ist interessiert. Und diese Gruppe hat möglicherweise sogar einen breit gefächerten Musikgeschmack. Aber er wird nicht vom Radio bedient. Die Tendenz zu "Klassik und nichts als Klassik" spricht mich nicht an. Ich möchte gerne auch mal was Klassisches hören - vorzugsweise mit Informationen dazu. Aber ich will mich nicht dauerhaft damnit beschäftigen. Ich möchte also ein Kulturradio, dass auch das abbildet, was in einer Stadt wie Berlin als Kultur vorhanden ist. Neben Theater ist das im Musikbereich besonders das, was in kleinen Kneipen und Clubs gespielt wird - Folk, Rock, Rhythm´n´Blues usw. Ich möchte Empfehlungen, wo ich am Abend hingehen sollte - auch wenn ich kein Konzertgänger oder Theaterbesucher bin. Für mich persönlich ist auch die o.g. Musik "Kultur". Aber sie findet im Radio nicht statt. Wer, wenn nicht das Kulturradio, bedient eigentlich die Mittvierziger, die nicht mehr streng erzogen mit Geigenunerricht aufgewachsen sind? Wenn ein Kulturradio sich verjüngen will, dann sollte es mal nachfragen, was denn die Altersgruppe zwischen 40 und 50 braucht. Denn diese Leute sind demnächst 60 - und dann ist die aktuelle Kundschaft bereits fast 80 und im günstigsten Fall auf ein Hörgerät angewiesen.
 
P-S.: Was gibts eigentlich Neues zur Namensgebung des fusionierten RBB-Kulturradios? Habe gerade dehoört, dass Frau Steer irgendwas so ähnlich wie "Karacho" vorgeschlagen haben soll......:confused:
 
Karacho?!

Will man MDR-Figaro noch unterbieten?

Zur Klassik: Inhaltlich scheint es durchaus Tendenzen in Richtung "die größten Hits des 17., 18. und 19. Jahrhunderts" zu geben. Klassik-Radio mit seinen zweiten Sätzen schießt natürlich den Vogel, aber in der ARD scheint es auch nicht ganz unbekannt zu sein, daß es nach Möglichkeit schön klingen sollte.

Was die technische Seite betrifft, so ist es hr-klassik, das mit seinen UKW-Kleinsendern den Vogel schießt. In einer hessischen Großstadt garantiert eines immer große Heiterkeit bei rundfunktechnisch interessierten: Ihnen den Empfang des Ortssenders von hr-klassik vorzuführen. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, daß das außerhalb des Bereiches 100, 200 Meter um den Sender irgendjemand hört.

Ansonsten kursieren hartnäckig Gerüchte, daß hr2 sich künftig zum Lumpensammler für Sendungen entwickelt, die bei hr1 im Zuge einer Durchformatierung rausgekehrt werden. Schwer zu sagen, was da dran ist; man müßte zunächst einmal wissen, seit wann dort an "vielseitiger - offener - lebhafter" (erinnert mich an "aktuell - informativ - europäisch" ...) gebastelt wurde.

Und zu dem Stichwort "was einmal zerstört ist" kommt mir unweigerlich die Frage in den Sinn, was Sie denn glauben, ist Kultur?!
 
@ berlinreporter:

Die Tendenz zu "Klassik und nichts als Klassik" spricht mich nicht an. Ich möchte gerne auch mal was Klassisches hören - vorzugsweise mit Informationen dazu. Aber ich will mich nicht dauerhaft damnit beschäftigen. Ich möchte also ein Kulturradio, dass auch das abbildet, was in einer Stadt wie Berlin als Kultur vorhanden ist. Neben Theater ist das im Musikbereich besonders das, was in kleinen Kneipen und Clubs gespielt wird - Folk, Rock, Rhythm´n´Blues usw. Ich möchte Empfehlungen, wo ich am Abend hingehen sollte - auch wenn ich kein Konzertgänger oder Theaterbesucher bin.
Wenn man dann auch noch Jimi Hendrix, Glenn Miller, die neue Jazzrock-CD von Prince und was-weiß-ich-noch-alles unter "Kultur" subsumiert (ich jedenfalls würde das tun), stellt sich die Frage, inwiefern so ein Kulturradio überhaupt MÖGLICH ist? Ich bekomme, je mehr ich mich mit den diesbezüglichen Threads hier auseinandersetze, den Eindruck, daß ein wirklich umfassendes Kulturradio der eierlegenden Wollmilchsau nahekommt - es muß alles können und alle ansprechen, ohne jemanden zu verschrecken. Kann das funktionieren?

Übrigens, berlinreporter: Wenn ich mir Deine obige Aufzählung so anschaue, denke ich automatisch an Radio EINS. Sind die vielleicht schon mehr Kulturradio, als die ganzen öffentlichrechtlichen Klassiksender?
 
Ja, der Wollmilchsau-Einwand ist sicher berechtigt. Aber Radio Eins ist da sicherlich auch limitiert - denn der Sender will mich wohl kaum auf die Spuren von Mozart oder Brahms bringen.

Wie schon geschrieben - ein Kulturradio sollte nicht vorwiegend belehren, sondern abbilden. So gesehen wäre es für mich die altersgerechte Weiterentwicklung des Lokalradios.:D Gerade in einer Stadt wie Berlin gibt es genug zu entdecken - leider macht sich niemand auf die Suche danach. Ich habe zuhause Platten stehen von Slainte oder Johnny Heartsman - also von Künstlern, die kaum ein Mensch kennt, die aber mehr Menschen kennen sollten. Diese Platten habe ich vor Ort gekauft, weil ich per Zufall auf die Veranstaltungen gelangt bin - und ich wünsche mir einfach, dass mich ein Radiosender zu solchen Veranstaltungen hinführt. Sei es über Plattenvorstellungen oder einfach über die kompetente Beurteilung, ob ein Künstler etwas kann, oder ob er nur gut im Marketing ist.
 
@K6

hr Klassik hat deshalb diese kleinen Frequenzen, um überhaupt existzieren zu dürfen. hr Klassik wird von seinen Hörern hauptsächlich über ADR gehört.
Was hr2 und hr1 angeht, so kann ich mir das kaum vorstellen. Zumahl hr2 seine Reform bereits hinter sich hat. Die haben seit dem 01.09. schon ein neues Programm, und das klingt nicht nach hr1. Was sich bei hr2 (und sicherlich auch bei anderen Ö/R-Kulturprogrammen) ändert, ist, daß das Programm "massentauglicher" werden soll.

Und das finde ich sehr gut, weil ich dann davon ausgehen kann, daß ich nicht ständig diese nervige Klassik höre, wenn ich ein Kulturprogramm einschalte.

Davon ab sind die meisten Kulturprogramme mit ähnlich guten Frequenzen ausgestattet, wie ihre Mainstream-Kollegen (SWR3, Bayern 3, hr3, NDR2...), so daß es #empfangstechnisch keine Probleme geben dürfte.
Die fahren halt ohne Optimod, aber der Grund dafür dürfte sich ja wohl von selbst erklären.
 
@ K13

Zitat: "Der Klassikfan denkt sich zu einer x-beliebigen Zeit, machen wir doch mal das Radio an und hören, was die so für Stücke bringen? Chormusik? Orgelmusik? Streichquartett? Oper? Synfonie? Mozart oder Schönberg? Da liegen doch Welten dazwischen."

Das schöne an den Kultursendern ist eigentlich, dass sie (zumindest war das bis jetzt so) nicht zum "Durchhören" gedacht sind. Da gab es immer so etwas wie ein Programmheft. Da konnte der geneigte und mündige Hörer sogar einen Monat im Voraus die Sendeliste einsehen und genau vorplanen, welches Stück er hören (oder mitschneiden) wollte. Das war für viele sehr wichtig, weil die Eigenproduktionen der Klangkörper eher selten auf Tonträger veröffentlicht werden.

Das führt zum zweiten Punkt:
"Klassik umfaßt ja doch mindestens so drei Jahrhunderte Musikmaterial. Dazu kommen unheimlich viele Interpretationen. Bei Vivaldis "Vier Jahreszeiten" gibt es sogar eine Fassung mit Originalinstrumenten aus der Zeit, als Vivaldi lebte, die nicht so süßlich klingen."

Musik ist nicht statisch. Die Aufführungspraxis ist dem Zeitgeist unterworfen. Das geht von den Tempi bis zu den Instrumenten. Seit einigen Jahren pflegt man den "Originalklang". Die "historische Aufführungspraxis" ist aber bestenfalls historisierend, weil wir niemals in der Lage sein werden, die exakten äußeren Bedingungen von Vivaldis Waisenhaus-Mädchenorchester herzustellen. Die Moden ändern sich. Früher romantischer Orchesterklang mit modernen Instrumenten, heute lieber die Kiekser von Naturhörnern. Jedesmal wieder eine neue Bearbeitung und damit ein eigenes Kunstwerk. Und jede Interpretation hat ihre Berechtigung. Wenn allerdings die Renner überrepräsentiert sind (wie das bei den Seasons der Fall ist, ich glaube über 60X im Bielefelder), dann sollte man die Plattenproduzenten fragen, ob ihr Konzept tatsächlich greift.

Die klassischen Plattenlabels machen immer weniger Umsätze. Also versuchen sie, mit Stars die "Greatest Hits" aufzunehmen. Jahreszeiten: vor 4 Jahren mit Anne Sophie Mutter, heute mit Nigel Kennedy (die diesen Renner übrigens beide mehrmals eingespielt haben). Angeblich sollen mit den Überschüssen weniger gängige Titel finanziert werden. Da lachen doch die Hühner! Es ist eine bessere Kooperation von Plattenindustrie und Radio gefragt. Wenn jetzt auch die ÖfRe-Kulturradios dazu übergehen, nur noch den gängigen Wohlklang in stargarnierten Häppchen darzubieten, sehe ich schwarz für die Nachwuchsförderung (auch eine wichtige Funktion des Kulturradios).

Gruß postit
 
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