Medien und ihre Superlative: Jahrhundertflut

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Format C:

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Da die norddeutschen Elbufer durch unerwartet hohe Wasserpegel überflutet werden:
Immer wieder hört man: "Der Wasserstand ist höher als bei der Jahrhundertflut 2002."
Man darf doch wohl annehmen, dass das "Präfix" Jahrhundert-... eine Art Superlativ darstellen soll. Wie kann also etwas noch höher sein als das Höchste?
Tja, seltsame Formulierung - und vor allem kein Ruhmesblatt: da waren 2002 die Redaktionen wohl - gerade mal eineinhalb Jahre nach Beginn des neuen Jahrhunderts - viel zu voreilig mit der Einordnung der Elbeflut.

Der Hintergrund scheint mir die Sensationslust und -gier in den Journalistenstuben zu sein. Ein bisschen Flut reicht nicht, ein bisschen Streit, ein bisschen dies und jenes. Ich erlebe es ja selbst zuweilen: Da bietet man der Redaktion ein Thema an, etwas Kommunalpolitisches zum Beispiel, was durchaus zahlreiche Einwohner betrifft, aber schon lange in der Verwaltung debattiert wird, und ein Bericht darüber wird abgelehnt, weil die Redaktion der Auffassung ist, die Herren Beamten und Politiker würden sich nicht laut genug oder heftig genug in den Haaren liegen.

Durch so etwas gehen Themen unter (unabhängig von der Flut), das ist schlecht. Und gleichzeitig machen sich das die Cleveren zunutze, indem sie lauthals zetern, protestieren und poltern angesichts einer Nebensächlichkeit - aber irgendeinem Redaktionsleiter wird das schon auffallen: "Du, da gibt es ordentlich Zoff, da sollten wir mal was drüber machen."

Unterm Strich: Ich bin der Meinung, auch Hörfunkredaktionen sollten künftig viel häufiger auf den Superlativ sowohl in der Wort- als auch in der Themenwahl - verzichten. Sie und wir können es in den seltensten Fällen tatsächlich überblicken, ob diese Einordnung zutreffend ist.

Irgendwelche Anmerkungen?

Angemessene Grüße,
FC
 
AW: Medien und ihre Superlative: Jahrhundertflut

Format C:\ schrieb:
Tja, seltsame Formulierung - und vor allem kein Ruhmesblatt: da waren 2002 die Redaktionen wohl - gerade mal eineinhalb Jahre nach Beginn des neuen Jahrhunderts - viel zu voreilig mit der Einordnung der Elbeflut.
Ich will Dir nur teilweise Recht geben. Man kann es auch so sehen, dass Jahrhundert nicht unbedingt das Jahrhundert meint sondern auch, seit 100 Jahren. Bei uns gab es öfter auch diese Formulierung in den Nachrichten.
Format C:\ schrieb:
Ich bin der Meinung, auch Hörfunkredaktionen sollten künftig viel häufiger auf den Superlativ sowohl in der Wort- als auch in der Themenwahl - verzichten.
Ein Wunsch, dem ich mich sehr gerne und rückhaltlos anschließe. Es wird jedoch dabei bleiben, fürchte ich.
 
AW: Medien und ihre Superlative: Jahrhundertflut

Format: So sehr ich auch deiner Meinung bin:
Sie und wir können es in den seltensten Fällen

Fange doch gleich bei dir an, mein wohlgemeinter Rat. Ohne Zorn. Ist es denn nicht so, das wir alle den Superlativ inflationär verwenden? Es fängt schon damit an, das wir einiges "grottenschlecht" oder "super" finden. Super heißt ja eigentlich "über".
Und es wird dabei bleiben, denn wie will man denn das Rad zurückdrehen, angesichts der Tatsache, dass Nachrichtensender sofort eine griffige Marke brauchen, die bei Ereignissen rechts oder links oben am Bildschirm eingeblendet werden? (Nur so als Beispiel).
 
AW: Medien und ihre Superlative: Jahrhundertflut

Jawoll! Es gibt viel zu viele Superlative im Radio - bzw. in den Medien allgemein! Ohne diese blieben uns nicht nur Krankheiten wie "die größten Hits" usw. erspart, sondern auch so unsägliche Konstruktionen wie damals der "Super-GAU", als der "größte anzunehmende Unfall" plötzlich nicht mehr groß genug war.

Gruß TSD
 
AW: Medien und ihre Superlative: Jahrhundertflut

Letztlich haben wir das schon mehrfach diskutiert. Politik und eine bestimmte Presse gehen hier Hand in Hand und gedankenlose Journalisten und die Leut' übernehmen das dann. Daher kommen ja auch die vielen Tautologien. Keine Bundestagsdebatte ohne "zurück erinnern", "Zukunftsprognosen und -pläne" und ähnliche Unsinnigkeiten. Aber, das hatten wir hier ja schon.
 
AW: Medien und ihre Superlative: Jahrhundertflut

Qualiton schrieb:
Man kann es auch so sehen, dass Jahrhundert nicht unbedingt das Jahrhundert meint sondern auch, seit 100 Jahren.
Was wohl sogar noch untertrieben ist. Wenn ich das auf die Schnelle richtig sehe, dann führte die Elbe im sächsischen Bereich zuletzt 1432 mehr Wasser. Und aus der Zeit um 700 gibt es vage Andeutungen über Elbhochwasser, gegen das 1432 und 2002 völlig harmlos gewesen sein müssen. Das alles, wie gesagt, ganz auf die Schnelle und ohne Schußwaffe.

Gibt es übrigens Meinungen dazu, wie das Hochwasser von 2002 als „Flutkatastrophe“ verkauft und dieses schöne Wort dann vorletztes Jahr für den Tsunami in Asien rationell und effektiv zweitverwertet wurde?
 
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Davon abgesehen, daß auch das Wort "Katastrophe" viel zu häufig benutzt wird, ist es aber aber schwierig zu beurteilen, wann ein bestimmtes Wort gebraucht werden "darf", weil ein absoluter Maßstab fehlt. Natürlich können jeder Katastrophe schlimmere folgen.

Gruß TSD
 
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Am schlimmsten fand ich in diesem Zusammenhang den rbb. Dieser war im südlichen Brandenburg eine Woche lang vor Ort, um die "Fluten zu begutachten". Eine halbe Woche davon benötigte man, um sich klar zu machen, dass der Wasserstand in Dresden nicht derselbe ist wie im südbrandenburgischen Mühlberg. Hochwertiger Journalismus, bezahlt von meinen Rundfunkgebühren... :mad: :wall:
 
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Sicherlich, wann immer wir eine "Katastrophe" ausmachen, sollten wir uns wohl Gedanken machen, wie wahrscheinlich, absehbar oder denkbar es ist, dass ein ähnlicher Fall erneut eintreten und ggf. heftiger ausfallen wird. Ergo: Tschernobyl war eine Katastrophe, der Tsunami ebenfalls. Überschwemmungen wie derzeit die der Elbe sind es nicht. Zumindest nicht im Ganzen betrachtet. Dass die einzelne betroffene Familie den Begriff "Katastrophe" noch für einen Euphemismus hält, worin ich nicht widersprechen möchte, ist etwas ganz anderes.
Ich verwende diesen Ausdruck deshalb in diesem Zusammenhang nicht. "Jahrhundertflut" auch nicht. Mir fällt aber auf, dass von der jetzigen Flut nicht als "Jahrhundertflut" gesprochen wird, während die 'schwächere' von 2002 eine ist. Ich denke, in diesem Fall hat sich der Begriff als eine Art Name durchgesetzt. Mehr ist es nicht.
 
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Nun, die "Berliner Morgenpost" spricht durchaus von der "neuen Jahrhundertflut", was den Unsinn noch unsinniger macht. Daß "die Flut" im Jahr 2002 "schwächer" gewesen sei, kann man auch nicht ohne weiteres behaupten, denn Sachsen und Brandenburg waren damals wesentlich schwerer betroffen als in diesem Jahr, in dem es allerdings Niedersachsen schlimmer erwischt hat.

Im übrigen ist ein Hochwasser keine Flut - aber dieser Unterschied scheint ohnehin niemanden mehr zu interessieren...
 
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der beobachter schrieb:
Tschernobyl war eine Katastrophe, der Tsunami ebenfalls. Überschwemmungen wie derzeit die der Elbe sind es nicht.
Falls nicht bekannt, weil möglicherweise nur in Sachsen registriert: Milbradt hat sich für exakt diese Aussage über das Podium des 1044-Kilohertz-Landtags wegen möglicherweise verletzter Gefühle entschuldigt, nachdem ihm die Kugeln um die Ohren pfiffen. War nur am Thema vorbei, weil es in diesem Zusammenhang nicht um Moral und Emotionen, sondern knallhart um Zaster ging.

Was übrigens das Hochwasser von 2002 anging, so waren die Korrespondentenberichte des MDR für die Tagesschau jenseits von gut und böse.
 
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Die Sache mit der Flut und dem Hochwasser, da liegt er richtig, der Makeitso.

K6, das ist allerdings bitter. Aber so ist das eben. Wer zu einer differenzierten Sprache bzw. zu differenziertem Hören nicht mehr fähig ist, explodiert an den beklopptesten Stellen. Dumm, wenn man die Differenzierungen der Sprache nicht mehr nutzt. Sie bieten an sich so ungemein viel. Aber eine verkürzende Schlagzeile "kommt eben auch phatter".
 
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Jeder muß lauter schreien als der andere, sonst wird er nicht gehört. Ist das wirklich so, oder glaubt das nur jeder? Welche Auswirkungen das haben kann, sieht man am Beispiel Vogelgrippe. Nur, weil Journalisten nicht fähig oder willens sind, das Thema richtig einzuordnen und angemessen zu behandeln, bricht ein Großteil der Menschen in Panik aus, wenn sie irgendwo einen toten Vogel finden, bringen aus Angst ihre Haustiere ins Tierheim. Hier wurde aus einem Nicht-Thema ein Medienereignis, nur weil jeder glaubt, den anderen in seiner Sensationsmeldung übertreffen zu müssen.
 
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Meines Erachtens liegt es weniger daran, dass der eine den anderen durch Superlative etc. überbieten will. Diese Perspektive habe ich jedenfalls nirgendwo konsequent und deutlich ausgeprägt gesehen. Dass oberflächliche Massensender eher dramatisieren und dem BILD-Stil manchmal sehr nahe kommen, liegt wohl weniger an der Konkurrenzbeobachtung, als vielmehr an der Eigendefinition. "In unseren Nachrichten landen nur Sachen, die krachen."

Was die Superlativierung von Kleinigkeiten an sich angeht und das Hochziehen drittrangiger Meldungen von einer berechtigten Drei auf die Eins, liegt, glaube ich, zu einem Großteil an der Befürchtung, nicht "dabei" zu sein.

"Wenn alle darüber berichten, müssen wir auch. Und zwar so wie alle anderen, sonst werden wir unglaubwürdig. Wenn die Hörer bei den Konkurrenten xy über das Thema hören, und bei uns z, dann halten sie uns für das schlechter informierende Medium." Äußerungen, wie diese, befinden sich außerhalb der Spekulation. Hinzu kommt manchmal der Mangel an Kompetenz. Bei der "Vogelgrippe" habe ich nur bei äußerst wenigen Sendern den Hinweis gehört, dass es sich im Prinzip um die Krankheit handelte, die vor einigen Jahren zum Absperren eines Hofes am Niederrhein führte und damals noch unter "Geflügelpest" firmierte. Man erinnert sich. Allein dieser Hinweis hätte vieles erleichtert. Offenbar ist aber weder der Zusammenhang klar gewesen, noch hat das Erinnerungsvermögen seinen Dienst getan. Also geht's mit der Masse Richtung Panik. Mainstream rules.

Was ich sonst noch sagen wollte... aber nein, nicht hier. :)
 
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musicology schrieb:
bricht ein Großteil der Menschen in Panik aus, ... aus einem Nicht-Thema ein Medienereignis...

Nun ja, diese beiden Aussagen sind wohl ihrerseits auch übertrieben formuliert, oder?
Weder hat eine absolute Mehrheit der Bundesbürger panisch reagiert, noch ist die Vogelgrippe an sich überhaupt nicht berichtenswert. Aber so ist das mit den Superlativen.

@db
"Nachrichten, die krachen müssen" und die Angst, etwas im Vergleich zu Mitbewerbern zu verpassen, das ist es, was ich mit meinem Eröffnungsbeitrag umschreiben wollte. Der gefühlte Konkurrenzdruck und die Furcht, im Nachrichtengeschäft zeitlich hinterher zu hinken, gehört in einem gewissen Maß zum Journalismus dazu. Aber offenbar fehlt dann manchmal das Augenmaß, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden.

Und damit kommen wir dann wohl schon zu nächsten Aspekt, speziell was das Krachen von Meldungen angeht: Da Emotionen bei vielen Stationen eine entscheidende Rolle in der Anmutung spielen sollen, wirkt sich auch das auf den Gehalt der Nachrichten aus - auch in diesem Fal in negativem Sinne.
Die Trennung von Nachricht und Kommentar wird zuweilen aufgehoben bzw. deren Grenzen zum Beispiel durch zahlreiche bunt schillernde Adjektive verwischt. Zu gern würde ich an dieser Stelle ein Beispiel einfügen. Aber jetzt fällt mir natürlich gerade auf Anhieb nix Konkretes ein. Grmblfjx - zum Glück ist das nicht live hier....

Verwischte Grüße,
Fc
 
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Darf ich behilflich sein, FC?
Hier findet sich so ein Beispiel, welches eigentlich aus einem völlig anderem Grund mitgeschnitten wurde, dann aber zu unrühmlichen Ehren kam...
 
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Gern! Danke!

Das Beispiel ist in jeder Hinsicht erschütternd.

Springende Grüße,
FC
 
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Haben wir nicht gelernt, dass das Adjektiv (vor allem) in Nachrichten möglichst zu vermeiden ist, sobald die Gefahr besteht, es könnte der reinen Sachlichkeit Abbruch tun? Mir scheint, sprachliche Präzision gehört nicht mehr zum Erwünschten. Wünschenswert, weil dringend notwendig, ist sie deshalb umso mehr.

Meiner Erfahrung nach fällt es Mitarbeitern auch zunehmend schwer, präzise zu formulieren. Nicht nur, weil manchmal das sprachliche Handwerk fehlt, oftmals auch, weil Zusammenhänge und der Kern der Sache überhaupt nicht verstanden werden und in der Folge nicht mehr klar gefasst werden können.
 
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Gern genommen ist ja auch mal immer der Quantensprung, auch spitzen sich Situationen bisweilen von Nachrichten-Stunde zu Nachrichten-Stunde derart zu, dass sie im Grunde asymptotisch nach links an den Y-Balken verlaufen müssten. Bis sie dann eskalieren. Etwas in die eher untertreibende Richtung hingegen habe ich auch neulich in den Nachrichten gehört. Da sagt ein Polizist glatt: "Ja, es gab ein Kapitalverbrechen zum Nachteil einer männlichen Person" und meinte damit, dass ein Mann erschossen wurde.
 
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Wird der Quantensprung wirklich immer noch gern genommen? Ist mir seit Jahren nicht mehr untergekommen. Geradezu ausgestorben, wie die Datenautobahn.
 
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Unlängst im rbb-Inforadio-Wetter: "...heftiger Starkregen.":wall:
 
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Eben in hr1 eher das Gegenteil: "Die Gewittergefahr ist extrem gering."

no_shakinghead.gif


Gruß TSD
 
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"Hühner- bis tennisei große Hagelkörnerklumpen durchschlugen mit apokalyptischer Wucht während unwetterartiger Platzstarkregen tausende von Kühlerhauben perforationsartig. Aus Gewittersuperzellen donnerten geschossartig verkeilte Graupellawinen und knallten auf die zerschreddernden
Granitpflaster der Fußgängerzonen...!"
"Mensch, Riebesehl", stöhnte Gathi, "kannste nich mal 'nen Sommerregen beschreiben wie jeder andere auch?"
 
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