Neue Orientierung bei Kulturradios

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Wunderbares Zitat - Danke dafür!

Besonders gestolpert bin ich über den Satz: Das Leben geht weiter, als wäre er gar nicht da Und ich hatte zuerst gelesen: "Das Leben geht weiter, als wäre es gar nicht da." Zeichen der Zeit von Siegmund Freud - oder doch nur optische Täuschung.......
 
@ berlinreporter

ER - der Dauergast halt ... Leben oder nicht leben - ist das die Gretchenfrage des Radios? ;)

Eine Frage hätte ich noch an dich: was genau meinst du mit
"beispielsweise haben etliche Rockmusiker auch Klassik nahe Stücke produziert "? "Klassik nahe" verstehe ich nicht ganz. Meinst du damit die Interpretation "klassischer" Musik durch "Popmusiker", oder Popausflüge etablierter Künstler (z.B. Nigel Kennedy)?

Absolute Zustimmung für "ein Kulturradio sollte mir die Dinge bieten, die ich nicht in den Schubladen finde". Letztendlich halte ich die Dichotomie von "Hochkultur" und "Popularkultur" für überholt. Ich sehe auch eine wichtige Funktion darin, dem Hörer neue, unerwartete Anregungen zu geben (-> Horizonterweiterung). Aber wie soll man diese Inhalte verpacken, um möglichst viele Hörer anzuziehen? Zu große Überraschungen könnten auch zum "Kulturschock" führen und vergraulen (besonders die älteren Stammhörer).

Gruß postit
 
Das wäre (theoretisch) der Vorteil des öffentlich-rechtlichen Radios: Man müsste keine Angst haben, auch mal einzelne Hörer zu vergraulen. Denn diejenigen, die von einer Sache verschreckt werden, sind ja möglicher Weise intelligent genug, das Andere hinzunehmen und zu ertragen - oder zumindest demnächst wieder einzuschalten.

Zu "Klassik nah":Weder noch! Ich meinte in diesem Fall Musiker, die sich auf der Rock/Pop-Ebene etabliert haben und sich dennoch trauen, Musik zu komponieren und aufzuführen, die sich eher an der Klassik orientiert. Klassik nicht unbedingt im Sinne von Mozart und Wagner - ich hatte in dem Moment, als ich den Beitrag schrieb, zum Beispiel Jon Lords "Sarabande" im Sinn.

Auch fallen mir jetzt gerade Stücke von Vangelis O. Papathanassiou ein, z.B. zusammen mit Jon Anderson von Yes.
 
Na ja, das ist schon einigermaßen ausgelutscht - aber ich habe hier z.B. noch ein Album liegen von den Beiden namens "Short Stories". Beim Blättern bin ich auch noch auf eine alte Jackson-Browne-Scheibe mit dem Titel "Lives in the Balance" gestossen - auch ein Titel, der meiner Meinung nach mal wenigstens eine Viertelstunde verdient....
 
OK, ich habe hier meine "fatale Vorliebe für Trash" geäußert. Aber du scheinst eine interessante Plattensammlung zu besitzen ...;)
Kennst du "Del Nuevo Cieclo" von Luis di Matteo & Uljanowsk Chamber Orchestra?
 
Sehr spannende Diskussion, in die ich mich anderen Tages weiter einklinken werde. Zu dieser späten Stunde sei verwiesen auf einen weiteren Pop/Wave-Künstler, der die nötigen Qualitäten und den nötigen Mut hatte, alte Wege zu verlassen und neue zu gehen. Musik, die einer gründlichen Auseinandersetzung bedarf und lohnenswert ist. JOE JACKSON mit Alben wie "Night music", "Heaven and Hell", "Symphony No. 1". Musik, die einer Kulturwelle würdig ist, weil sie Schritte geht, die eine echte Weiterentwicklung bedeuten und ein Vortasten in unbekannte Musikbereiche.
db
 
Im Jazz-Bereich kenne ich mich leider nicht aus. Ich bin (was meine Sachkenntnis betrifft) schon ziemlich auf "Klassik" eingeschossen. Jacques Louissier und Ekzeption mag ich wegen ihrer Bach-Interpretationen. Aber ich bin für neue Anregungen dankbar. Joe Jackson war ein guter Tipp! :)

Habe ich das richtig verstanden, dass man die Musik eines Kulturkanals nicht auf ein Genre (-> Klassik, was auch immer man darunter versteht) festlegen, sondern eher nach Qualitätskriterien selektieren sollte? Aber wie soll "Qualität" definiert sein - und wer legt das fest? Da spielen sicher auch Geschmacksfragen eine große Rolle.

Wie innovativ darf so ein Sender sein, oder besser: was ist machbar? Die Klassikfans regen sich doch schon über Jazz im Tagesbegleitprogramm auf. Dieses Publikum ist sehr konservativ. Neue Musik (ich meine jetzt nicht New Classics) ist schon lange eine Abendveranstaltung. Und höchstens eine Stunde geduldet. Die Ansprüche des alten Publikums (das nur Altbekanntes goutiert) zu erfüllen und gleichzeitig eine neue Hörerschaft zu gewinnen, die das Schnarchsack-Image von "Kultur" ablehnt, scheint mir fast unmöglich. Sollte man eher auf kulturelle Vollversorgung in EINEM Programm verzichten und stärker auf Spartenprogramme setzen? Wenn eine Erweiterung der Frequenzen der ÖR nicht erwünscht ist, könnte das eine Chance für private Anbieter sein, allerdings unter der Voraussetzung eines bundesweit einheitlichen Zulassungsverfahrens. Wenn die Chancen der Finanzierbarkeit als zu gering eingschätzt werden, dann vielleicht als Auflage an die großen Medienkonzerne (wie RTL Radio), im Zuge der Expansion auch bestimmte andere Zielgruppen abzudecken, als nur die mit den Hitradios erwünschten. Also Jürgen Filla: sie wollen auch in Hessen und Schleswig-Holstein Kohle machen und ärgern sich über das Bundeskartellamt und die Landesmedienanstalten. Dann betreiben Sie etwas Kultursponsoring (ist ja auch PR) und initiieren ein ein anspruchsvolles, innovatives ARTE-Radio.

Ok, ist etwas blauäugig.
 
Aber eine bezaubernde Idee!

Dein Hinweis, postit, ist sehr richtig und kommt mir dennoch völlig durchgeknallt vor, da ich offensichtlich ein falsches Klischee im Kopf habe: Ich denke immer, wer bewusst Kultur im Radio hört, ist ein aufgeschlossener und interessierter Mensch, der sich mit sehr vielem auseinandersetzt, weil er eben Interesse an Kultur hat. Wenn die "alten" Kulturwellenhörer aber schon wegschalten, wenn etwas Jazziges läuft, was aus meinem musikalischen Hintergrund noch reichlich "harmlos" ist, dann sind sie ja genauso konservativ wie die Hitradiohörer, die wegschalten, wenn nicht IHR Hit läuft. Nichts ist es dann mit Aufgeschlossenheit der kulturell Interessierten.
Für einen Kultursender, der nicht nur Kultur sendet sondern auch schafft und damit "zwangsinnovativ" ist, sollten solche Hörer aber nicht das Gesetz des Handelns diktieren, weil sie sonst ihren Auftrag nicht erfüllen und statt dessen claimen können "RBBkultur - die größten Hits des 17., 18., und 19. Jahrhunderts". Dann wären sie lediglich ein breiter gefächertes Klassikradio.
Weiterdenken, -diskutieren, -blicken ist ein wesentlicher Teil von Kultur als Bildung. Und daraus Anstöße für neues Schaffen zu geben. Jaja, eine satte Intellektuellendiskussion... ;)
db
 
@db

Die "Klassisch Kulturinteressierten" sind tatsächlich so. Sie sind dem früheren "klassischer Bildungsbürger" sehr ähnlich. Sie sind einerseits durch ein hohes Interesse am kulturellen Geschehen gekennzeichnet, das sich auf den Kanon etablierter Kulturgüter konzentriert. Auf der Grundlage eines sehr konservativ geprägten Weltbildes sind sie offen und selbstbewußt und über Kultur hinaus sehr stark an allgmeinen Fragen zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft interessiert. Die Konzentration auf Hochkultur bedeutet andererseits Distanz zu kulturellen Hervorbringungen in Musik, Kunst und Literatur, die eher neueren Datums sind und von Form und Inhalt her Werte verkörpern, die mit ihrem eher traditionellen Wertevertsändnis nicht übereinstimmen.

Zitat db:" Für einen Kultursender, der nicht nur Kultur sendet sondern auch schafft und damit "zwangsinnovativ" ist, sollten solche Hörer aber nicht das Gesetz des Handelns diktieren, weil sie sonst ihren Auftrag nicht erfüllen und statt dessen claimen können "RBBkultur - die größten Hits des 17., 18., und 19. Jahrhunderts". Dann wären sie lediglich ein breiter gefächertes Klassikradio."

Jaja, ganz recht. Aber dies ist das bisherige Publikum der Kulturwellen. Auch die müssen im Zuge der Vollversorgung berücksichtigt werden. Mal ganz abgesehen davon, dass mir immer noch nicht klar ist, welche Art von "Kultur" von den "Kulturwellen" verbreitet und geschaffen werden soll.

Andere Kulturinteressierte findet man bei den (Übergeraschung!) "Leistungsorientierten" Sie gehören zu den kulturellen Grenzgängern, interessieren sich für E-Musik, Jazz und auch Pop- und Rockmusik. Sie frequentieren die Szene-Kultur ebenso wie das Theater oder den Konzertsaal. Neben der Entspannungs- und Anregungsfunktion des Kulturkonsums steht hinter der Kulturrezeption eher nüchternes Kalkül: Es geht um die Vermehrung des kulturellen Kapitals im Interesse des eigenen gesellschaftlichen und beruflichen Fortkommens.

Die "Neuen Kulturorientierten" sind durch Merkmale wie kreativ, weltoffen, intellektuell oder geistig beweglich gekennzeichnet. Sie zeigen ein originäres und vitales Interesse an den unterschiedlichen Ausprägungen traditioneller und zeitgenössischer Kultur. Ihre Interessen und ihre Rezeptionsbereitschaft beziehen sich dabei auf einen sehr breiten Kulturbegriff: Neue kulturelle Formen und Angebote ebenso wie die klassische Kultur gehören selbstverständlich zum Repertoire. In diesem Milieu sind eigene musische Aktivitäten zudem am ausgeprägtesten.

Ziel sollte es also sein, die "Leistungsorientierten" und die "Neuen Kulturinteressierten" zu erreichen, und vielleicht auch in dem Revier der "Jungen Wilden" zu wildern. Nur sagen dann die die "Klassisch Kulturinteressierten: "BWV 82".

Die Diskussion über Strategien der Akzenptanzsteigerung der Kulturprogramme dreht sich weniger um Inhalte und Anspruch, als vielmehr um Vermittlungsfragen und Strukturprobleme. Und natürlich um Musik. Bei Kulturwellen ist Authentizität gefragt, nicht modisches Patchwork oder Popularisierung von Kultur-Musik. Was auch mit einem breiten Musikspektrum geleistet werden kann. Vielfalt setzt Offenheit, Toleranz und Hörerfahrung voraus und auch die Bereitschaft, Schwellenängste zu überwinden. Mischprogramme haben eine Menge Vorteile: sie gewähren mehr Abwechslung, sie binden und evozieren Emotionen, sind anregend und sinnlich, sie lassen die Unterscheidung von E- und U-Musik obsolet erscheinen, sie befreien Musikgenres aus ihren Ghettos und sie schaffen eine neue Ästhetik und damit neue Relexionsebenen.

Zum Thema "Fachliteratur":
Ruth Blaes, Arnd Richter und Michael Schmidt (Hrsg.): Zukunftsmusik für Kulturwellen. Neue Perspektiven der Kulturvermittlung (2002)

Was das Thema Klassikradio betrifft: dort spielt man nicht die "größten", sondern die "kürzesten" Hits (übrigens innerhalb eines musikalischen Mischprogrammes, wenn natürlich auch mit anderem Anspruch als die ÖR-Wellen). Wie das Programm allerdings im Moment aussieht, kann ich nicht sagen. Ich gehöre nicht zu den Stammhörern.

ARTE-Radio von RTL: ich denke tatsächlich, dass innerhalb des Konzentrationsprozesses auf dem Radiomarkt die (großen) Unternehmen mehr in die Pflicht genommen werden sollten, sich gesellschaftlich zu engagieren.

Gruß posit
 
Postit, Du sprichst da ein Problem dieser Diskussion an: Reden wir von Kultur oder von Klassik? Für mich ist Klassik nur eine Facette von Kultur - dementsprechend kann es natürlich Klassikradios geben und Kulturradios, wobei letztere aber eben einen wesentlich größeren Bereich abdecken. Ob sie damit dann auch einen größeren Hörerkreis erreichen - das ist natürlich die Frage, denn Puristen (z.B. in puncto Klassik) fallen dann evtl. wieder raus.
 
Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Endlich verstehen wir uns! :) Genau darauf wollte ich hinaus! "Kulturradio" ist mehr als Musik. Und mehr als eine Musikrichtung.

Wobei man die die Diskussion mit der Frage auf die Spitze treiben könnte, was dann nun genau "Klassik" ist. Nach allgemeinem Verständnis sicher nicht nur die Wiener Klassik (also Haydn, Mozart, Beethoven), sondern alles, was sich irgendwie "alt" anhört - oder mit mindestens einer verirrten Geige unterlegt ist. Damit kommen wir aber nicht auf die von mir geforderte Qualität. Du kannst Purist sein und auf Stilreinheit bestehen oder in sorgfältig ausgewählter Opulenz schwelgen - wenn du erst einmal die Fähigkeit dieses Genusses erlangt hast. Das schließt auch die Entdeckung von Neuem ein. Ich (ganz persönlich) finde es wichtig, dass dem Rezipienten vermittelt wird, dass Kultur nicht nur eine Sache des Kopfes ist, sondern auch hochemotional erlebt werden kann. Neugierde wecken ist eine Aufgabe des Kulturradios, du kannst ja eine Statue oder ein Gemälde nicht auditiv erfahrbar machen. Aber du kannst mit deiner Wortwahl und Stimme Impulse geben, deine Eindrücke nacherleben zu wollen. Also wirkt Radio hier nicht nur bildend (im Sinne von Hintergrundinformation), sondern anregend. Mit dem Hörerlebnis ist die Kulturerfahrung nicht abgeschlossen.

Also müssen Kulturradios auf mehr "Sinnlichkeit" setzen. (Das wird jetzt garantiert wieder falsch verstanden .... nicht im Sinne von "Musik für gewisse Stunden"...)
 
Oder, um es privatfunkerisch verkürzt zu sagen: Während das Nebenbei-Radio das Unterbewusstsein ansprechen will, soll Kulturradio das Bewusstsein - sprich die Sinne - ansprechen.
 
@ berlinreporter

Genau. Damit will ich die Diskussion hier für meinen Teil beenden, bin wohl von der radioszene thematisch etwas abgedriftet. (sorry, aber das Temperament ... wenn ich einmal ins Dozierschwafeln gerate ...) Obwohl ... mich würde noch die Meinung des neuen Akademikers im Forum, Dr. Beurmann, brennend interessieren.

Gruß postit :)
 
Kulturradio Angebot in Berlin

Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze brechen für das wirklich exzellente Angebot in Berlin.

Folgende Sender bieten ein ziemlich großes Spektrum (Hörspiel, Klassik, Information, Jazz
und andere Bereiche der Kunst/Kultur) :

- Radio 3
- Radio Kultur
- Jazz Radio
- Deutschlandfunk
- Deutschlandradio

Es kommt extrem selten vor, daß auf keinem dieser 6 Sender irgend etwas interessantes läuft.
Meine Lieblingssender sind Radio Kultur und Jazz Radio.
Vor allem die Big Band Sendung auf Jazz Radio am Sonntag nachmittag ist der absolute Hit.
 
Tja Professor, mit dem Zählen wird es ja bald einfacher. Aber um die Inhalte wird offenbar deftig gestritten, so schreibt es zumindest die FR:
Noch ein Angebot zum Nebenbeihören
Unmut vor dem Start der Hörfunk-Kulturwelle des Rundfunks Berlin-Brandenburg
Von Rainer Braun

Thomas Mann im Radio
Gut drei Monate nach der Fusion des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) nimmt das Programm erste Konturen an. Der Sender will Anfang Dezember mit der gemeinsamen Kulturwelle im Hörfunk starten. Die Entwürfe, soeben den RBB-Gremien präsentiert, dürften für Diskussionsstoff sorgen. Denn der Erwartungsdruck in der Hauptstadtregion ist so hoch wie die Unruhe an den Standorten Berlin und Potsdam, einst Domizile des Senders Freies Berlin (SFB) und des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB).

Das neue Kulturradio muss mit hohem Anspruch - gerade auch an die Quoten - fertig werden und erfolgreicher sein als die Vorgänger. Die erzielten mit durchaus selbstbewussten Redaktionen in den vergangenen Jahren permanent Marktanteile von einem Prozent - auch eine Folge der verunglückten Hörfunk-Kooperation von SFB und ORB Ende der 90er Jahre.

Im Zuge der Veränderungen wurden die in ihren Sendegebieten erfolgreichen Wellen Radio Brandenburg und SFB 3 durch RadioKultur (SFB / ORB) und Radio 3 (ORB / NDR) ersetzt. Das denen vordem gewogene Publikum fand an der Spree neue Heimat beim Deutschlandfunk (Marktanteil: 2,8 Prozent), dem DeutschlandradioBerlin (1,9 Prozent) oder der kommerziellen Konkurrenz von Klassikradio (4,7 Prozent). Wie die verlorenen Marktanteile zurückzugewinnen sind, diskutiert die neue alte Sendeleitung unter der Doppelspitze Wilhelm Matejka (bisher Wellenchef von RadioKultur) und Jörg Hildebrandt (Radio 3). Sie setzen künftig auf ein "Tagesbegleitprogramm mit Niveau" und ein Wort-Musik-Verhältnis von 40 zu 60 Prozent.

Bislang liegt nur ein Konzept-Gerüst für das Programm der Welle vor, Details sollen noch diskutiert werden. Was intern bereits kommuniziert wurde, stieß nicht nur bei den Mitarbeitern auf vehemente Kritik. Inner- und außerhalb des Hauses zirkuliert seit Ende August ein offener Brief von Redakteuren der beiden noch bestehenden Kulturwellen. Darin wenden sich die Journalisten vor allem gegen die Einführung eines streng formatierten Tagesbegleitprogramms zwischen 6 und 18 Uhr. Sie sehen im vorgelegten Schema allenfalls ein Angebot zum "Nebenbei- und nicht zum Zuhören". Würde etwa klassische Musik nur noch in kleineren Portionen gesendet, würden die Klassikliebhaber verprellt - aber kaum jüngere Hörer gewonnen. Schließlich wird die RBB-Geschäftsleitung gefragt, "wie ein neues Kulturradio erfolgreich starten kann, wenn die Mehrheit der festangestellten Redakteure und Redakteurinnen von Radio 3 und RadioKultur das vorgelegte Schema ablehnt".

Die Antwort kam prompt, von der Medienforschung des RBB. Dezent wurde darauf hingewiesen, dass sich das Durchschnittsalter der Hörer von RadioKultur und Radio 3 in den vergangenen fünf Jahren von 45 auf über 60 Jahre erhöht habe. Angesichts der Veränderungen des Marktes und der Wettbewerber wird eine notwendige Kurskorrektur und Verjüngung angemahnt. Denn "die Zeit des alten Redakteursradios, in der der Redakteur und nicht das Publikum das Maß des Angebots war, ist vorbei."
Warum aber nun die Zukunft der Kulturwelle strenger Formatierung und Übernahme der Konzepte anderer RBB-Wellen liegen soll, diese Antwort bleiben die hauseigenen Medienforscher schuldig. Dass sich die Neuausrichtung eines öffentlich-rechtlichen Kulturradios an den Ergebnissen der Marktforschung zu orientieren habe, ist etwa mit Blick auf die Datenerhebung der Media-Analysen ein Treppenwitz.

Stattdessen wäre eher zu analysieren, inwieweit das neue Schema die regionale Kompetenz der Kulturwelle mit schärferem Profil versieht, wie man die Beliebigkeit anderer Formatradios konsequent vermeidet und die Bedürfnisse eines aufgeschlossenen, urbanen Publikums anspricht, die von den Mitbewerbern nicht adäquat bedient werden.
 
Schließlich wird die RBB-Geschäftsleitung gefragt, "wie ein neues Kulturradio erfolgreich starten kann, wenn die Mehrheit der festangestellten Redakteure und Redakteurinnen von Radio 3 und RadioKultur das vorgelegte Schema ablehnt".
Tja, liebe kulturbeflissene RBBler, willkommen im realen Leben! Oder glaubt Ihr, woanders würden die Mitarbeiter gefragt, ob ihnen die von der Chefetage vorgegebene Ausrichtung des Programms (oder, in anderen Bereichen der Wirtschaft, der Produktion) zusagt?

Höchste Zeit, daß diese größenwahnsinnigen Beamtenjournalisten aus ihrem Wolkenkuckucksheim geholt werden...
 
@makeitso: da bin ich ganz deiner meinung.

außerdem gilt in diesem land berufsfreiheit. die unzufriedenen beflissenen rbb kulturredakteure können sich ja jederzeit für alternative jobangebote entscheiden. frau reim wird es sicherlich danken. *g*
 
Wie sieht es denn nun aus, das Konzeptgerüst? Die Feststellung
Würde etwa klassische Musik nur noch in kleineren Portionen gesendet, würden die Klassikliebhaber verprellt - aber kaum jüngere Hörer gewonnen.
dürfte nämlich ganz zutreffend sein.

Und hat eigentlich mal jemand eine Einschätzung zu den neuen "Mikado"-Sendeflächen auf hr2 (für Mitarbeiter des Hauses natürlich: in hr2)? Was läuft denn da nun so für Mucke?
 
@ K6
Neu in der Frankfurter Rundschau zum Thema hr2:


An den Stäbchen feilen
Die Kulturwelle hr 2 hat ihr Programm umgebaut: Neu ist das Magazin "Mikado"
Von Wilhelm Roth

Viele Radionutzer sind Gewohnheitshörer, manche organisieren sogar ihren Tagesablauf im Hinblick auf bestimmte Sendungen. Wer zum Beispiel zu den happy few der Stammhörer von hr 2, der Kulturwelle des Hessischen Rundfunks gehört, konnte sich bis vor kurzem darauf verlassen, morgens um 7.30 Uhr eine Frühkritik von einer Kulturveranstaltung in Hessen zu hören, und abends um 18.05 Uhr in 25 Minuten einen Überblick über das überregionale kulturelle Geschehen des Tages zu bekommen.

Das hat sich nun geändert. Am 1. September hat hr 2 sein Programm umgebaut, um mehr und vor allem auch jüngere Hörer an sich zu binden. Am auffallendsten ist die Veränderung der Musik-"Farbe". So werden die Hörer von sechs Uhr bis acht Uhr nicht mehr nur allein mit klassischer Musik geweckt, sondern auch mit Songs oder Chansons.

Außerdem hat sich der Wortanteil im Frühprogramm deutlich erhöht, es gibt jetzt mehrere Berichte aus Politik und Kultur, es ist sogar eine Art "Vollversorgung" angestrebt, sagt Angelika Bierbaum, die Wellenchefin von hr 2. Die Hörer sollen nicht auf andere Wellen oder Sender ausweichen müssen, um sich zu informieren.

In diesen frühen Stunden hört man ein solches Programm eher nebenbei, im Badezimmer, in der Küche, am Frühstückstisch. Da war ein Fixpunkt wie 7.30 Uhr sehr nützlich, weil man darauf achtete, nicht gerade in diesem Moment unter der Dusche zu stehen.

Jetzt ist es eher Zufall, ob man um 6.30 Uhr mitbekommt, dass Daniel Libeskind ein Haus auf Mallorca gebaut hat, oder um 7.15 Uhr, dass Rudolf Schmitz eine Ausstellung in Wiesbaden nicht so richtig gut fand.

Diese Veränderung hat auch ihre Vorzüge. Wenn in Hessen nichts los war, kann zum Beispiel die Frühkritik entfallen, es sind aber auch drei Beiträge möglich, wenn sich am Vortag die Premieren oder Vernissagen häuften.

Die folgenden zwei Stunden von 8 bis 10 Uhr haben sich gegenüber der bisherigen Sendung Die Alternative wenig geändert. Die Kulturpresseschau, Wissenswert, die Bibellesung und die Lesung aus einem literarischen Werk gibt es wie bisher, nur die Anfangszeiten haben sich zum Teil verschoben.

Das neu gestaltete Magazin von 6 bis 10 Uhr hat den schönen Titel Mikado, es ist um eine Mittelachse herum gebaut, eine 15-minütige moderierte Nachrichtensendung um 8 Uhr, hr 2 kompakt, die Aktuelles aus Politik und Kultur zusammenfassen soll und der das auch weithin gelingt. "Wir sind bei der Morgenausgabe von Mikado guter Dinge2, sagt Angelika Bierbaum, und man kann ihr zustimmen.

Bei der Nachmittagausgabe von Mikado (17 bis 19 Uhr) fallen die Stäbchen noch nicht so schön. Die Schwierigkeiten liegen vor allem darin, dass die Vorgängersendung Kultur aktuell um 18.05 Uhr insgesamt gelungen war. Jetzt muss man das Gerät zwei Stunden laufen lassen, um die gleiche Menge an Information (zugegeben: manchmal auch etwas mehr) zu bekommen.

In zwei Stunden lassen sich natürlich wichtige Ereignisse oft ausführlicher behandeln als bisher. So gab es einen längeren, zweigeteilten Beitrag zum Tod von Leni Riefenstahl, obwohl der vorgesehene Studiogast Hilmar Hoffmann nicht erschienen war; er kam dann am nächsten Morgen zu Wort, und am Vorabend des 11. September wurde das Thema Verschwörungstheorien in Kommentar und Gespräch von verschiedenen Seiten beleuchtet. Aber die Auswahl scheint bisher, abgesehen von Pflichtbeiträgen (etwa zum Tod von Johnny Cash), etwas beliebig, ein Beitrag über eine Gemüseorchester ist nicht mehr als eine Kuriosität.

Auch das Nachmittags-Mikado enthält um 18 Uhr ein hr2 kompakt von 12 Minuten Dauer, in dem aber die Kultur bisher eher kümmerlich vertreten ist. Wer also von 17 bis 19 Uhr nicht zwei Stunden Radio hören kann oder will, wird von der Kulturwelle gerade über ihr eigenes Thema unzureichend informiert, der Zeitvorsprung, den man vor den Tageszeitungen hat, wird kaum genützt. Auch Angelika Bierbaum weiß, dass hr 2 kompakt um 18 Uhr noch nicht ausgereift ist, "daran feilen wir noch." Aber diese Einsicht muss für das Nachmittags-Mikado insgesamt gelten.

Alle Kulturprogramme in Deutschland sind derzeit im Umbruch begriffen, sie wollen heraus aus dem Ein-Prozent-Hörer-Ghetto. Begleitet wird dieser Umbau von einem Grundsatzstreit auch in den Sendern selbst: Wird das Kulturradio zu bestimmten Zeiten eingeschaltet um bestimmte Sendungen zu hören oder läuft es nebenbei? Sind Kulturhörer bewusste Rundfunknutzer, die nicht einfach stur einem Programm folgen, sondern je nach Interessenlage zwischen verschiedenen Programmen und Sendern wechselt ?

Auch hr 2 ist ein Einschaltsender, sagt Angelika Bierbaum. Das gilt natürlich vor allem für die festen Abend- und Wochenendtermine. Wie die Hörer aber Mikado annehmen, das wird die Marktforschung in einigen Monaten wissen.
 
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