Neuer Bitter Lemmer: "Öffi-Heuschrecken"

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Oh, kürzlich war es noch der böse, aufgeblasene, hoffnungslos überdimensionierte Apparat des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Jetzt ist er plötzlich das böse Kapitalistensystem, das niemanden mehr einstellt. Sparen die Öffis nicht, isses Mist, versuchen sie zu sparen, isses das auch. Merkwürdige Logik...

Das es Einzelfälle gibt, die auf jeden Fall kritikwürdig sind, wird niemand bestreiten können, aber dieses fast grotesk anmutende Geschreibsel von Ihenen, ist diesmal wirklich bitter, Herr Lemmer.


Und jetzt dürft ihr mich, dank Abwesenheit meinerselbst, zerreissen. Schönes Wochenende allerseits. :D
 
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Da hat er schon nicht Unrecht. Aber was sollen die "Anstalten" denn machen, wenn die Sender niemanden mehr fest einstellen dürfen. Das machen die ja nicht aus Lust und Laune.

Ich frage mich jedoch, weshalb die Leute unbedingt einen "Vertrag" haben wollen. Was diese Arbeitsverträge wert sind, erfährt man spätestens bei der Kündigung, notfalls auch bei Antenne Bayern.
 
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Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, lieber Kulti. Wer nicht alles nur mit der öffentlich-rechtlichen Brille liest, erst recht.

Was Lemmer anprangert, sind nicht etwa Sparmaßnahmen der Öffis, sondern erstens ihre Hire-and-Fire-Mentalität, die Freie Mitarbeiter als Verfügungsmasse erscheinen läßt, der der Zugang zur Festanstellung möglichst verweigert werden soll, und zweitens die Doppelzüngigkeit der Öffi-Redakteure, die solches Verhalten in der Privatwirtschaft stets als "Profitmaximierung" geißeln, ihren eigenen Arbeitgeber betreffend aber schön die Schnauze halten.

Aber solches Doppeldenk ist nicht auf ARD und ZDF beschränkt: Wer mag, kann ja mal nachschlagen, wie hoch die Ausbildungsquote bei jenen Gewerkschaften ist, die den Arbeitgebern am lautesten vorwerfen, sie bildeten zu wenig aus. Die Ergebnisse sind zwar wenig überraschend, doch sehr aufschlußreich...
 
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Ein wichtiger Aspekt ist, dass diese Art der Personalpolitik negative Auswirkungen auf die Programme hat.

Leute mit fundierter Musikkompetenz beispielsweise sind bei den Popwellen der ARD inzwischen aussterbende Dinosaurier. Aus diesem Grund kommen beim vielgelobten NDR2 die zahlreichen inhaltlichen Schwächen in den Moderationen zustande.

Dann fällt mir noch ein Programm wie Jump ein, bei dem sich das Personal wohl inzwischen täglich die Klinke in die Hand gibt. Auch hier hört man es dem Programm auf negative Weise an, dass es hohl ist, weil es nicht mehr von Persönlichkeiten sondern von Söldnern gemacht wird.
 
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...worin sich die Privaten ja löblich von absetzen, nicht wahr? Da findet man das alles, kompetente und festangestellte, glückliche Mitarbeiter mit vielen kreativen Ideen, die ein informatives und gleichzeitiges unterhaltendes Wortprogramm gestalten. Soll das ein Witz sein? Bei den Privaten gibt es nur deshalb keine freien Zulieferer von Inhalten, weil dort kein Bedarf an Inhalten besteht.

Es wäre interessant, mal eine Art Rentabilitätsstudie für den Rundfunk aufzustellen, wieviel Mitarbeiter benötigt eine durchschnittliche Sendestunde bei WDR2, HR1, DLF, die hässlichen ör-Popwellen, Ostseewelle, FFH, FFN und Antenne Bayern. Dann kann man noch zwischen Freien und Festen und Festen Freien unterscheiden, gucken, ob sich die Sender auch an die Gesetze halten und ihren Freien Urlaubsgeld zahlen und die Fortbildung finanzieren, unter welchen Umständen diese Mitarbeiter reisen müssen und ob sie dabei versichert sind und überprüfen, ob sie überhaupt wirklich noch frei sind und nicht etwa scheinselbstständig. Das wäre wirklich aufschlussreich, würde allerdings etwas länger dauern als die Arbeit an so mancher Kolumne.
 
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Nun ja, ein fester Arbeitsvertrag ist durchaus nichts Schlechtes. Im Gegensatz zu einer freien Beschäftigung ist vor allem die soziale Absicherung erheblich besser. Eine unverschuldete Krankheit kann jeden treffen. Eine harte Grippe von knapp 3 Wochen Dauer haut bei einem Freien schwer ins Kontor, auch bezahlter Urlaub ist eine wirklich erholsame Sache. Und auch dein Geldinstitut mag dich mit einer festen Anstellung wesentlich mehr ...

Dass man auch den festen Job loswerden kann, das steht auf einem anderen Blatt, aber welcher Job geht schon bis zur Rente? Aber in der Festanstellung gibt es gewisse Regularien für Entlassungen o.ä., Fristen, Abfindungen usw...

Im Privatfunk hat man durchaus gute Chancen, einen festen Vertrag zu bekommen. Beim ÖR ist das als Journalist inzwischen völlig unmöglich.

Dieser Zustand ist durchaus kritikwürdig, zumal die Verfahren meiner Meinung nach schon gewisse Merkmale von Berufsverbot haben. (überspitzt gesagt)
In welcher Branche bekommt man nach einer gewissen Zeit die Ansage: Du darfst jetzt nicht mehr für uns arbeiten! Mit fällt ausser den ÖR Funkhäusern da niemand weiter ein.
 
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divy schrieb:
Ich frage mich jedoch, weshalb die Leute unbedingt einen "Vertrag" haben wollen.
Beim Wechsel von Uwe Fischer und Thomas Böttcher weg von Radio PSR hatte sich Antenne Sachsen als der gute Sender positioniert, indem ersterer sofort den Arbeitsvertrag bekam, den er bei Radio PSR nicht hatte. Da denkt man sich auch seinen Teil dabei.

Sicher kann man diskutieren, ob nicht das Konzept „fester Freier“ schnöde Scheinselbständigkeit ist. Dann sollte man aber auch die Frage stellen, ob denn im privaten Bereich alles, was über den Sender geht, bezahlt wird. Ich habe da meine Erfahrungen gemacht, aus denen heraus ich mich außerstande sehe, mich über die ARD aufzuregen.
 
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Pauschal gesagt: Bei den Honorarsätzen der ÖR-Anstalten ist es dem Mitarbeiter zuzumuten, daß er auf gewisse Sicherheiten verzichtet. Ich weiß nicht, was man beim Privatfunk für einen 2'30"-Beitrag bekommt, ich bekomme 160 €.

Man kann nicht beides haben - dicke Kohle und soziale Absicherung, wobei auch das von Öffi zu Öffi unterschiedlich ist. Krankengeld gibt es beispielsweise durchaus auch für "freie Freie". Kommt auf den Sender an.

Was Herr Lemmer auch anprangert, ist diese merkwürdige "Prognosen"-Geschichte oder die Befristung der Auftragsvergabe auf ein paar Jahre. Dazu meine ich, daß man sich halt während dieser Arbeitsphase ein paar Gedanken über die berufliche Zukunft machen sollte. Wenn man die Chance hat, beispielsweise 4 Jahre bei einem Sender gutes Geld zu verdienen, muß man rechtzeitig schauen, wie es danach weiter geht.

Allgemein sind im Medienbereich die Festanstellungen schon immer eher die Ausnahme gewesen. Ist so. Man kann natürlich auch lieber beim Finanzamt arbeiten, wenn einem die Absicherung so wichtig ist.
 
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Verstehe ich das richtig: Die ganzen Sesselpupser im ARD- Apparat sind festangestellt, und die, die die eigentliche, hörbare Arbeit machen, also Beiträge abliefern oder moderieren, werden schlechter gestellt??

"Das ist schon deshalb skandalös, weil die gesamte deutsche Öffentlichkeit mit ihren Gebühren und der gesetzlichen Entwicklungs- und Bestandsgarantie die Existenz der Sender quasi für die Ewigkeit absichert. Als Gegenleistung gibt es schädliches und asoziales Verhalten. Nicht nur Privateigentum verpflichtet, sondern erst recht Gemeinschaftseigentum."

Aha. Privateigentum verpflichtet laut Lemmer doch. Wieso wurde im Nachbarthread dauernd das Gegenteil behauptet? Oder ist mit dieser Verpflichtung nur jene gegenüber den eigenen Mitarbeitern gemeint und nicht, wie von mir geschrieben, eine inhaltlich- programmliche Verpflichtung?
 
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@ToWa

Wie denn nun, kennst du die Honorarsätze des ÖR oder nicht? Wenn du sie nicht kennst, dann solltest du auch nicht darüber fabulieren, was dem Freien beim ÖR zuzumuten ist, bzw. eben nicht.
Und wenn du die Sätze kennen würdest, dann würdest du nicht von "Fetter Kohle" palavern. Zudem sind Honorarsätze immer relativ. Deine 160 Euro für eine 2.30 mögen dir schön vorkommen, beim ÖR Fernsehen steht dafür niemand auf. Es ist eine Frage des Arbeitsumfanges der hinter dem Beitrag steht, aber das führt jetzt zuweit. Deiner Logik nach müssten die FS Leute praktisch jeden Tag eine Kündigung bzw. den Rauswurf bekommen - weil sie ja soviel verdienen??!!

Egal, deine Ansichten - Zitat:
"Man kann nicht beides haben - dicke Kohle und soziale Absicherung"

sind, mit Verlaub gesagt, gefährlicher Quatsch. Wer gut verdient, der muss dafür Leistung zeigen bzw. Verantwortung tragen - die Qualität der sozialen Absicherung hat mit der Gehaltshöhe absolut nichts zu tun. Ich möchte mal wissen, wer dir diesen Quatsch eingeblasen hat. Ich weiss ja nicht, für wen du arbeitest - aber stell dir vor, diese Station würde dich nur 4 Jahre haben wollen, und dann, trotz exzellenter Arbeit, wirst du an die Luft gesetzt. Dann will ich sehen, ob du das schön findest - und natürlich vorher schon einen neuen Job hast.
Dann will ich sehen, ob du lachend ganz easy zur nächsten Station wechselst, ach ja, und am Ausgang den Funkhauses kommt gerade der fest angestellte Kollege vom Dreh zurück (der die ganzen vier Jahre identische Arbeit geleistet hat) und widmet dir nochmal einen kurzen Blick ... und geht weiterhin seiner Arbeit nach. Während du als Freier Mitarbeiter eben Pech hast.
Mir ist sowas glücklicherweise noch nie passiert, aber wirklich gute Freunde von mir haben sowas schon durch. Und das waren exzellente Journalisten.

Ach ja, Festanstellungen sind im Medienbereich übrigens nicht die Ausnahme sondern durchaus gängige Praxis, informier dich einfach mal beim DJV darüber.

UNd nochmal zur Wiederholung: Eine Festanstellung strebt man eigentlich nicht an um dann in der sozialen Hängematte einzuschlafen und mit 35 Jahren die Rente auszurechnen.

Es geht einfach um eine vertraglich und rechtlich sicherere Position gegenüber den Funkhäusern. Als Freier kannst du jeden Tag Pech in der Abnahme haben und rausfliegen, je nachdem wer gerade CvD ist, Diskussionen sind sinnlos! Du hast nicht einmal das Recht nachzufragen, warum du plötzlich keine Themen mehr bekommst.
Ein fest angestellter Reporter bzw. Redakteur kann an Themen auch mal kritischer aufgreifen - ohne dass gleich der Job auf dem Spiel steht.

Einen absolut sicheren Arbeitsplatz hat ein fest Angestellter auch nicht. Wenn jemand gehen soll, dann geht der irgendwann auch, allerdings mit Abfindung, Zeugnis und einigen weiteren Goodies.

Ach ja, wenn du wirklich Freier bist dann zahlt kein Sender dein Krankentagegeld, nirgendwo, das musst du mit deiner Krankenversicherung vorab selber vertraglich vereinbaren, dementsprechend erhöht sich aber dann auch dein Beitrag zur Krankenkasse.

ToWa, nimms mir nicht übel, aber du bist der Rethorik der Funkhausverwantwortlichen (die immer fest angestellt sind) voll auf den Leim gegangen.

Gruß
 
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Auch im Bereich des Printjournalismus bekommt man keine Festanstellung mehr. Daran muss man sich doch mittlerweile gewöhnt haben. Warum soll man sich auch dauerhaft an Mitarbeiter binden? Um sie behalten zu müssen, wenn sie nicht mehr so gut beim Hörer oder Zuschauer ankommen oder nich mehr so gute Arbeit leisten? Mein Gott, wer nicht mehr zum Sender oder zum Unternehmen passt, den kann man doch nicht noch Ewigkeiten mit durchziehen? Das Geschäft kann sich nun mal keine Almosen mehr leisten.
 
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Informier Dich mal Thoma, Du weißt nicht, wovon Du redest. Google mal nach den Kürzeln KSK.

Bevor ich mich und Hörer auf der Suche nach einem informativem Programm mit einem der vielen privaten Musikdudler mit Vertrag und ToWas 2,30 langeweile, ziehe ich die Autoren-Tätigkeit im ÖR vor. Vielleicht muss ich auch älter werden, aber dass Journalismus nicht bequem ist und man auch nicht reich dabei wird, das wusste ich schon mit 16.

In meinem Bekanntenkreis wimmelt es von mehreren arbeitslosen Rechtsanwälten und solchen mit einem eher schlecht gehenden Büro, freien Verlagslektoren mit Niedrigsthonoraren, einigen Doktoren ohne Job. Es gibt Schlimmeres als die ARD, fest oder frei.
 
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Also, ich finde die aktuelle Kolumne des Kollegen Lemmer "irgendwie nicht gut". Warum? Weil sie meiner Alltagswahrnehmung widerspricht. Die schwarzen Bretter in den Rundfunkanstalten sind immer noch gut voll mit internen Stellenausschreibungen, auch für den redaktionellen Bereich. Ok, die meisten Angebote sind befristet, manche nur für halbe Stellen, aber damit nutzen die Anstalten schlicht den gesetzlichen Spielraum. Und viele dieser Stellen werden dann auch entfristet. Denn auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk betreibt so etwas wie eine langfristige Personalplanung. Bei der Vergabe der Stellen werden langjährige feste Freie in der Regel bevorzugt, wenn sie halbwegs auf das Anforderungsprofil passen.
Außerdem, beim Radio gibt es nun mal vielfältige Tätigkeiten. Und nicht jede taugt zur lebenslangen Festanstellung (Moderatorin für eine Jugendwelle wäre da nur das naheliegende Beispiel).
Des weiteren habe ich mir hierbei "Als Gegenleistung gibt es schädliches und asoziales Verhalten. Nicht nur Privateigentum verpflichtet, sondern erst recht Gemeinschaftseigentum." auch an den Kopf gegriffen! Sind die Rundfunkanstalten ein zweiter oder dritter Arbeitsmarkt oder müssen auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihrem Geld über die Runden kommen und damit vor allen Dingen erst mal eines machen: Programm veranstalten? Sogar hörbar gutes Programm? Und dafür braucht es auch eine gelegentliche Rotation bei den Machern. Besonders bei den Moderatoren. Nicht umsonst zieht ja das Argument "programmprägend" bei der Abwehr so manch einer Festanstellungsklage vor den Arbeitsgerichten. Im übrigen sind aber fast alle festen Freien Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, mit ihrem Status so zufrieden, dass sie gar nicht fest angestellt werden möchten.
 
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Hallo Nomos,

ich bin völlig bei Dir, wenn es darum geht, dass feste und freie Mitarbeiter heute zu großen Teilen eine zumindest sehr ähnliche Arbeit haben und dafür unterschiedlich behandelt werden. Nur traut sich da niemand ran. Die Freien nicht, die Gewerkschaften, tja, die sowieso nicht.
In einem Punkt möchte ich Dir allerdings energisch widersprechen: Du beschreibst den Journalisten, der völlig überraschend gekegelt wird, weil er seine Jahre eben rum hat- aber zuvor exzellente Arbeit abgeliefert hat. Sorry, aber das ist für mich ein Widerspruch in sich. Journalismus hat viel damit zu tun, Situationen, Strukturen, Prozesse analysieren zu können. Jemand, der das nicht mal in seinem eigenen Markt auf die Reihe bringt, kann vieles sein. Aber ein exzellenter Journalist nicht.
Wir wissen seit mindestens fünf Jahren, wie es der Branche geht. Wir wissen genauso gut, dass alle journalistischen Bereiche diese angebliche oder tatsächliche Flaute nutzen, um Entscheidungen durchzudrücken, mit denen sie seit Jahren liebäugelten. Wer heute - aus welcher Position auch immer - gekündigt wird und trotzdem noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung hat, was er sich für die Zukunft vorstellen könnte, der ist selber dran schuld. Wie kreativ kann seine Arbeit gewesen sein?!
Hinzu kommt: Freier Mitarbeiter zu sein, hat auch Vorteile. Man muss sie nur erkennen und nutzen. Ich kenne eine Menge Leute, die sich auf diese Weise mehrere Standbeine aufgebaut haben - und wesentlich besser und entspannter leben als viele Angestellten.
Viele Grüße
Die Hexe
 
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Nomos schrieb:
In welcher Branche bekommt man nach einer gewissen Zeit die Ansage: Du darfst jetzt nicht mehr für uns arbeiten! Mit fällt ausser den ÖR Funkhäusern da niemand weiter ein.
Mir schon: frag mal das wissenschaftliche Personal, das im öffentlichen Dienst angestellt ist. Kaum jemand bekommt da eine feste Stelle, und befristete Stellen sind laut Hochschulrahmengesetz nur bis zu maximal 6 Jahren möglich. Damit will man eigentlich erreichen, daß die Leute sich nicht von Stelle zu Stelle hangeln müssen und unbefristet eingestellt werden. Man erreicht aber das Gegenteil und faktisch ein Berufsverbot im öffentlichen Dienst. Denn um nach dieser Zeit eine neue Stelle zu bekommen, muß man die Fachrichtung wechseln (!!!) und ohne Erfahrungspunkte von vorne anfangen. So kann man auch Kompetenz zunichte machen - genau wie bei der ARD, wo halt beim NDR z.B. mit Paul Baskerville die Musikkompetenz ein Jahr Zwangspause machen mußte.
Also klammern sich die Wissenschaftler an die Hoffnung, doch mal unbefristet angestellt zu werden, habilitieren in Hoffnung auf eine Professur sinnlos vor sich hin und sitzen dann doch draußen. Glück hat, wer den Absprung in die Industrie schafft. Da ists zwar Essig mit der wissenschaftlichen Narrenfreiheit, aber man hat üblicherweise geregelte Arbeitszeiten und fast durchweg mehr Gehalt als im öffentlichen Dienst, wo ein promovierter Forscher, single, Anfang 30, mit maximal etwa 1700 Euro netto am Monatsende dasteht. Für mich sind solche Summen viel Geld, für nen 24-jährigen Jungspund mit FH-Abschluß in ner gutgehenden Firma aber einfach nur lächerlich.
Gut - es gibt schon Unterschiede zu freien Journalisten: der Forscher hat die Garantie, daß sein Gehalt die kommenden 3 Jahre stabil ist und immer gezahlt wird. Auch das ist heute schon was wert...
 
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Hier wird häufiger die Frage gestellt, warum ein Freier sich fest anstellen lassen sollte. Nun gut - die Antwort ist einfach: Weil nicht jedes ÖR-Funkhaus die Arbeit seiner 'Freien' gleichermaßen einschränkt. So machts der WDR über eine bestimmte Anzahl an Arbeitstagen pro Monat, die nicht überschritten werden dürfen, in denen sich aber gutes Geld verdienen läßt. Der NDR beispielsweise löst das Problem dadurch, daß nach einer offiziellen Obergrenze von 15 Jahren - in der Praxis liegt diese Grenze längst bei 10, siehe den Fall JMA - die Freien erst eine lange Weile gar nicht mehr und dann nur noch bis zu einer bestimmten, sehr niedrig gehaltenen finanziellen Obergrenze arbeiten dürfen.
Das kann man - angesichts beispielsweise des NDR-Sendegebiets - in einigen Regionen durchaus als Quasi Berufsverbot verstehen. Denn sind wir doch mal ehrlich - daß man im HF und im FS nur für eine Station im Sendegebiet arbeiten kann, ist ja nun auch unter Privatfunkern mehr als selbstverständlich. Und wenn man dieses Metier ernst nimmt und tatsächlich journalistisch betreibt, dann hat man nicht allzuviel Zeit für das Aufbauen von weiteren Standbeinen. Der Vergleich mit den Absolventen hinkt etwas; denn normalerweise gibt es bei den ÖRs kaum Freie ohne Studium - und ohne Volontariat oder eine langjährige gleichwertige Ausbildung.

Guts Nächtle
 
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So doof ich Lemmers Kolumne sonst immer finde: Hier hat er voll und ganz recht!
 
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@Hexe

Das Rauskegeln kommt nicht überraschend, schließlich kann man mit einem Kalender umgehen, insofern wussten die Kollegen schon, was auf sie zukommt, und hatten auch entsprechend vorgesorgt. So hatte ich das auch nicht formuliert. Ich hatte auch nicht geschrieben, dass "... gekündigt wird und trotzdem noch nicht einmal den Hauch einer Ahnung hat, was er sich für die Zukunft vorstellen könnte, der ist selber dran schuld. Wie kreativ kann seine Arbeit gewesen sein?!"
Hexe, es ging nicht um irgendwelche Schnarcher, sondern darum, dass der terminliche Rauswurf ohne jegliche Rücksicht auf die vorherigen Leistungen der Kollegen kommt, das ist nun mal Fakt.

Die Geschichte mit den vielen Standbeinen klingt immer sehr schön, in der Realität ist es ein ziemlich blöder Zustand. Da man dabei als Journalist überall nur etwas "schnuppert" - sich aber nie richtig in eine Schiene reinfuchsen kann. Das ist doch das Problem in der Zusammenarbeit mit dem ÖR. Die Funkhäuser verlangen eine 100%ige Abstimmung des Freien Journalisten auf sämtliche Abläufe, Bestimmungen und Planungen des ör Funkhauses, bis zu Details der Aufnahmetechnik. Ein Arbeiten für Konkurrenzsender ist dabei sehr schwer machbar, zumal man ja doch voll in die Arbeit des jeweiligen Funkhauses eingebunden ist. Wenn du dem CvD aber dann sagst, ähhh, nächste Woche kann ich nicht, da arbeite ich für yxz - was meinst du was dann passiert? Dann bist du im schlechtesten Fall raus! Ganz einfach! Oder aber, du bekommst eine nach einer vierwöchigen "Bedenkzeit" ganz langsam wieder Themen.

Es wird immer gern gesagt, dass man die Chancen der freien Mitarbeiterschaft nur erkennen muss. Diese Chancen sind aber oft nur theoretischer Natur, die Praxis sieht anders aus. Freie Verträge und feste Anstellungen - beides hat Vor- und Nachteile, man sollte es immer für sich persönlich abwägen. Ich habe auch lange Zeit (3 Jahre) fest Frei gearbeitet, es war keine schlechte Zeit, ich will mich nicht beklagen. Ob ich es heute nochmal machen möchte- wohl eher nicht! Das ist für mich aber eher eine Frage der Fokussierung, man entwickelt im Laufe der Jahre eine Spezialrichtung - als Freier Journalist ist man wiederum mehr ein Generalist, denn nur mit einer gewissen Vielfältigkeit stimmt dann auch die Kasse.

Gruß
 
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Makeitso schrieb:
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, lieber Kulti. Wer nicht alles nur mit der öffentlich-rechtlichen Brille liest, erst recht.

Was Lemmer anprangert, sind nicht etwa Sparmaßnahmen der Öffis, sondern erstens ihre Hire-and-Fire-Mentalität, die Freie Mitarbeiter als Verfügungsmasse erscheinen läßt, der der Zugang zur Festanstellung möglichst verweigert werden soll, und zweitens die Doppelzüngigkeit der Öffi-Redakteure, die solches Verhalten in der Privatwirtschaft stets als "Profitmaximierung" geißeln, ihren eigenen Arbeitgeber betreffend aber schön die Schnauze halten.
Rosarote Brillen sind doch was schönes...
Es ist nunmal billiger, etwas extern produzieren zu lassen. Insofern ist das sehr wohl ein Sparen der Öffis. Alleine was man auf die Weise an Lohnnebenkosten sparen kann, ist schon beachtlich. Ansonsten wurde hier ja bereits erwähnt, dass das nicht nur im ÖR längst gängige Praxis ist. Insofern hat Lemmer nichts weiter getan als die Nadel im Heuhaufen gesucht und das eigentliche Problem, was es gibt und womit er durchaus Recht hat (!), wieder einmal einseitig und in BILD-Niveau-Manier aufbereitet. Journalistisch wertvoll ist die Kolumne jedenfalls nicht. Vor allem Privatradioveranstalter müssen von Doppelzüngigkeit gegenüber dem Personal reden... was mir darauf als Antwort einfällt, würde in die Kategorie Tiername oder Schimpfwort fallen.
 
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Hallo Nomos,

nochmal, um Missverständnisse zu vermeiden: ich halte es für ebenso ungerecht, dass freie Mitarbeiter völlig unabhängig von der geleisteten Arbeit nach ihrem Status behandelt werden. Nun gibt es aber nur zwei Möglichkeiten:

1. Wir gehen alle auf die Straße, zeigen, dass wir Arsch in der Hose haben, legen die ö.r.-Funkhäuser solange lahm, bis sich was ändert.
2. Man versucht, sich in der Realität einzurichten.

Letzteres ist eine Frage dessen, in wievielen Dimensionen ich zu denken in der Lage bin. Natürlich kommt eine Arbeit für zwei Sender im gleichen Sendegebiet nicht in Frage. Aber der Medienbereich besteht nicht nur aus Radio. Und er besteht auch nicht nur aus einem Bundesland. Es gibt sehr wohl auch als Fest-Freier die Möglichkeit, seinen Einsatz auf eine bestimmte Zahl Tage festzulegen und in der übrigen Zeit für wen anderes zu arbeiten. Das tun vor allem Leute, die langfristig frei arbeiten wollen und nicht eine fest-freie Tätigkeit als Festanstellung zweiter Klasse empfinden.
Moderatoren von Eins live moderieren auch bei You FM. Meine Kollegin bietet zusätzlich Themen für TV-Produktionen an und arbeitet als Diplom-Psychologin gelegentlich für Fachzeitschriften. Es geht ja nicht darum, seinen Lebensunterhalt zu jeweils gleichen Teilen mit allen Auftraggebern zu bestreiten. Es geht um die Kontakte, die man kurzfristig ausbauen kann, wenn der Haupt-AG abspringt. Oder zumindest um Perspektiven.
Doch wenn ich mir so die Diskussionen im Forum durchlese, habe ich oft das Gefühl, dass eine Reihe der Diskutanten die Bandbreite ihrer Branche nicht im Ansatz überblicken. Und sorry: Da fehlt mir einfach das Mitleid.
Viele Grüße
Die Hexe
 
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Vielleicht liegt das an den Umgebungsvariablen. Als Freier in einem Regionalstudio - z.Bsp eines Flächensenders wie dem NDR oder dem BR - hat man schon 70 bis 80 Stundenwochen, um mit Radio- oder TV-Beiträgen über die Runden zu kommen, mangels der lukrativeren Moderations- oder Schichteinsätze dort. Da können auch Prognoseregelungen nichts dran rütteln, da den 4 Minuten des Einspielens eines fertigen Stückes ja oft Stunden, wenn nicht Tage der Produktion vorangegangen sind. Da gehts um Hühnerzüchtervereine und regionale Festaktivitäten, vielleicht auch mal um eine lokale Polit-geschichte. Und da noch nebenbei andere Sender/Medien bedienen? Wen in Köln, Berlin, Frankfurt interessiert das Seestegfest in Neppermin?
Hexe, frag doch mal Deine Kollegin vom TV, wieviel sie mit ihren Artikeln verdient, und ob sie davon leben könnte und gegen wieviele Kollegen sie dabei ankämpft. Und dann schaust Du bitte mal auf der Landkarte nach, wie weit es z.Bsp. von Flensburg nach Köln, Frankfurt, Potsdam oder Berlin ist. Das hat nichts mehr mit Bandbreite zu tun.
Kann es sein, daß Du in einem medialen Zentrum Deiner Arbeit nachgehst? In einem Betrieb, in dem eine Prognoseregelung Anwendung findet? Da sind die Wege kurz und die Themen weit gefächert - und in Abhängigkeit von der 'Nettigkeit' der Assistenz auch gute Verdienstmöglichkeiten trotz zeitlicher Einschränkung. Aber das Gros der von diesen Regelungen betroffenen haben dieses Glück eben nicht. Und diese Menschen dürfen sich dann mitsamt der oft in diesen Altersklassen bereits vorhandenen Anhängsel (die das zu verdienenende Monatsmindesteinkommen oft deutlich in die Höhe schrauben) auch (und wie oben beschrieben weitaus unberechenbarer vorhersehbar) eine neue Heimat suchen. Wenn sie denn eine finden. Denn auch im ÖR ist es nicht so einfach, irgendwo als Freier eben mal so anzufangen. Im Privatfunk können Reporter so und so kaum was verdienene. Und nicht jedem gehts so glückvoll wie einem E-ON-Chef.
Liebe Hexe, ich schätze Deine Beiträge ansonsten sehr, da von viel Fachwissen getragen. Immer ist es auch erheiternd, den Ausführungen zu folgen, da oft auch mit einem Augenzwinkern präsentiert.
In diesem Fall könnte es aber sein, daß Du die Situation vieler Kollegen aus Dir möglicherweise fremden Funkhäusern mit möglicherweise auch anderen Regelungen als bei Dir - es tut mir außerordentlich leid - ein bisschen zu blauäugig einschätzt.
Nichts für ungut und trotzdem nette Grüße
kk
 
AW: Neuer Bitter Lemmer: "Öffi-Heuschrecken"

Hallo KK,

danke für Deine Antwort. Aber Du liegst falsch: Ich arbeite in der Provinz. Es gab Zeiten, da war ich in einer Provinz unterwegs, deren Zentrum knapp 17 000 Einwohner hat. Ich mag die Provinz. Weil ich denke, dass dort eben weit mehr passiert, als Stegfeste und Markttage. Aber das ist Erfahrungssache. Und ein anderes Thema.
Nur beobachte ich mein Umfeld ganz genau. Und ich habe Leute kennen gelernt, die ums Verrecken nicht auf den Gedanken kommen, regionale Themen mit überregionaler Bedeutung ans nächste "mediale Zentrum" zu melden - wäre ja zusätzliche Arbeit. Leute, bei denen dies nicht geht, und das nicht geht. Und jenes schon gar nicht. Und dann kommt noch das dazwischen. Versteh mich nicht falsch: Ich halte ein ausgedehntes Privatleben für unabdingbar, um in dem Beruf gut zu sein. Aber es kotzt mich an, Tag für Tag zu beobachten, wie diese Leute ihre Zeit und Kreativität mit nebensächlichen Befindlichkeiten verplempern, und einfach nicht auf die Reihe bekommen, das Produkt zu sehen und auf irgendein Ziel hinzuarbeiten. Ich habe da schon haarsträubende Sachen erlebt.
Und komischerweise sind es diese Leute, die ständig über die Unzulänglichkeit ihrer Situation jammern müssen. Ich habe Leute kennen gelernt, die seit Jahren unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation sind und niemals den Arsch hochbekamen, als noch was ging. Jetzt haben sie erkannt, dass der Zug für sie abgefahren ist - und weinen.
Ich sehe aber auch Menschen, die für ihr berufliches Glück etwas getan haben und noch immer zufrieden sind. Die Perspektiven haben. Die sich gekümmert haben, statt Zeit verstreichen zu lassen - und heute immer noch weiter kommen. Nur: Das trägt einem eben keiner hinterher. Wir gehen da vielleicht von verschiedenen Grundannahmen aus. Aber ich glaube schon, dass der Mensch in der Regel seine Situation weit stärker in der Hand hat, als er oftmals glaubt. Ich habe mich jedenfalls ziemlich bewusst für die Freiberuflichkeit entschieden.
Viele Grüße
Die Hexe

PS: Meiner Kollegin geht es gut, glaube ich. Ich höre sie jedenfalls nicht oft jammern.
 
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Hallo Radiohexe, wie heißt es doch: Solange wir noch jammern können, geht´s und doch gar nicht so schlecht. ;)
Habe da was zum Thema "Jammern" gefunden und hoffe der Inhalt hilft weiter.

ISI
 
AW: Neuer Bitter Lemmer: "Öffi-Heuschrecken"

Dass langjährige und qualifizierte freie Mitarbeiter plötzlich vor die Tür gestellt werden, habe ich vor einigen Jahren bereits bei etlichen Tageszeitungen erlebt. Äußerer Anlass war damals das neue Scheinselbstständigengesetz, bei dem es im Kern darum geht: Wer formal zwar "Freier" und "nicht Angestellter" ist, in Wirklichkeit aber seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch die Arbeit für eine Zeitung verdient, der gilt als Scheinselbstständiger. Der Gesetzgeber akzeptiert deshalb die für Selbstständige geltenden steuerlichen Vergünstigungen für diesen Personenkreis nicht sondern vertritt die Auffassung, dass diese Personen in einem faktischen Angestelltenverhältnis zu ihrer einen Zeitung stehen. Daraus leitet sich ein Anstellungsanspruch ab. Um zu verhindern, dass zahlreiche altgediente Freie diesen Anspruch einklagen, haben die Zeitungen sie einfach nicht mehr beschäftigt.
Das ähnliche Verfahren beginnt nun bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern zu greifen. Betroffenen mit einer langjährigen Mitarbeiter-Vergangenheit ist deshalb auf jeden Fall zu raten, bevor sie sich ohne Gegenwehr abservieren lassen, auf Festanstellung zu klagen.
 
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