Noch Journalist, oder schon "käufliche Maulhure"??

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kaninchenbau

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Mir geht da ein Thema durch den Kopf, von dem ich nicht wirklich weiß, ob es hier schonmal behandelt wurde, oder nicht. Aber ich stells jetzt einfach mal zur Diskussion und dann sehen wir ja, was passiert! Mir stellt sich die Frage, inwieweit Ihr noch daran glaubt, daß wir unabhängige Journalisten sind, die ihrer ersten Berufspflicht- eben die Hörer kompetent zu informieren- nachgehen, oder ob sich bei Euch auch schon (vielleicht viel zu oft) der Gedanke breit gemacht hat "Scheisse ...mit Journalismus im klassischen Sinne hat das hier nichts mehr zu tun"?? Nehmen wir einfach mal das sicher allseits bekannte Beispiel "Hey...mach doch mal bitte für heute Nachmittag nen Beitrag über die neuen Winterreifen von Gummi-Mayer...Du weisst ja, das ist einer unserer besten Werbekunden"!! Wie seht Ihr das?? Kollidiert da journalistischer Anspruch und Berufsethos (falls wir sowas haben) mit den wirtschaftlichen Interessen unserer Arbeitgeber?? Sollten wir immer und zwangsläufig nach dem Motto "wes Brot ich ess.." vorgehen?? Können wir uns erlauben, auch mal "Nein" zu sagen, weil wir ja alle "Künstler" sind, und damit auch die "künstlerische Freiheit" für uns in Anspruch nehmen dürfen?? Bin sehr gespannt auf EURE Meinung!!
 
Scheinbar können wir uns es nicht erlauben. Die Werbekunden stehen wohl an erster Stelle. Nicht nur, daß solche Beiträge den Vorzug bekommen, Beiträge die einen Werbekunden in ein negatives Licht rücken könnten werden einfach gestrichen.
Ich hatte mal einen Kollegen - super Journalist!! - der hatte etwas rausgefunden über einen bekannten Mann, der wohl irgendwie Dreck am Stecken hatte. Kollege hat's gemeldet. Sofort lag ein Memo von Oberboss auf dem Tisch - er soll sowas künftig lassen, da es sich um einen guten Freund des Bosses handelt. Also, nicht nur die aktiven Journalisten lassen sich kaufen. Gesellschafter und Programmdirektoren auch (die sogar wohl am ehesten!). Ich glaube jedoch, das bezieht sich hauptsächlich auf die privaten. Bei ÖR kenn ich mich nicht so gut aus.
 
Hey Angel - warst Du etwa mal bei HUNDERT,6?

Aber zum Thema: Zitat Karnickelhaus: "Können wir uns erlauben, auch mal "Nein" zu sagen...."

Da haben wir doch die Problematik: Wenn Du es Dir erlauben kannst (wirtschaftlich), dass Dich Dein Chef notfalls vor die Tür setzt oder Du (wie ehrenhaft) sogar selbst kündigst - wenn Du Dir das erlauben kannst, dann kannst Du auch journalistisch arbeiten.
Ich glaube (zurück zur Realität), dass Journalismus und Privatfunk nur eine ganz geringe Schnittmenge haben - evtl. noch in der Lokalberichterstattung. Aber da kollidiert man ja, wie gesagt, durchaus mal mit "Freunden des Hauses". Allein schon bei den überregionalen Nachrichten wird im Sender selbst doch nur Agenturmaterial verwertet und nicht selbst recherchiert - wenn man überhaupt noch eigene Nachrichten produziert. Und dass Moderatoren im eigentlichen Sinne journalistisch arbeiten, wird wohl auch niemand ernsthaft behaupten.
Blieben also noch redaktionelle Wortbeiträge - die es ja bei einigen Privatsendern noch geben soll. Die meisten dieser Beiträge sind irgendwie verkauft, kostenlos von PR-Leuten geliefert oder werden in großer Hektik zusammen geschustert. Wo soll da Journalismus eine Chance haben? Kein Vorwurf an diejenigen, die all das produzieren und senden - der Privatfunk ist eben eher mit dem Supermarkt-Prospekt vergleichbar als mit der Zeitschrift "Test".
Nein, Journalismus ist wohl beim Radio fast zwangsläufig eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit.

Ach, da fällt mir doch noch ein Berührungspunkt ein: Die meisten Privafunker haben einen Journalistenausweis.....

<small>[ 11-02-2003, 20:14: Beitrag editiert von berlinreporter ]</small>
 
Hallo Kaninchenbau,

das ist ein sehr komplexes Thema und da will jede einem schnell in den Sinn kommende Antwort gut überlegt sein.

Zunächst zum Aspekt Themen, die wegen Kunden den Weg ins Medium finden.
Hast Du früher mal bei einer (Lokal-)Zeitung gearbeitet Kaninchenbau? Bei den meisten ist es ganz normal, dass dort guten Anzeigenkunden auch mal ein redaktioneller Bericht geliefert wird. Das Autohaus, dass den Frauen-lernen-Reifenwechseln-Kurs kostenlos anbietet, bekommt ein Foto mit schönem Text und bucht dafür bei der nächsten Sonderseite zwei Spalten dreifarbig. Ist daran etwas schlimm? Nein, denn so funktioniert das System. Doch, denn normativ betrachtet, gelangt das Thema nicht durch den Informationsgatekeeper Journalist ins Blatt, sondern durch die Anzeigenabteilung. Soweit so einfach.
Im Radio und im Fernsehen, bei landesweiten und nationalen Medien ist es genauso, aber wo liegt die Grenze? Was ist Schleichwerbung, was ist Werbebotschaft im redaktionellen Bereich? Die Meßlatten liegen je nach Medium, zuständiger Medienanstalt und örtlichen Gepflogenheiten ganz unterschiedlich hoch oder tief. Jump erzählt uns gerade bei der neuen Promotion, dass "natürlich mit Schuhmann-Reisen" nach Oslo oder Sizilien gereist wird. Und das ohne Werbetrenner in diversen Moderationen. Schlimm? Wohl nicht schlimmer als das "Wetten dass" Schleichwerbung für "Disneyland Paris" macht. Aus meiner Sicht für öffentlich-rechtliche Sender aber trotzdem ein Tabu.

Ein zweiter Aspekt ist, dass Themen u.U. fallen gelassen oder modifiziert werden, um Kunden oder mächtige Personen nicht zu verärgern. Das ist eine schlimme Sache, aber hier muss sich jeder tief in die Augen schauen und sehen, wo seine Grenze ist. Es fängt u.U. ganz klein an. Z.B. habe ich erlebt, wie in einem öffentlich-rechtlichen Informationsprogramm eine Meldung über den eigenen Intendanten vom Wellenchef persönlich modifiziert wurde. Er fügt nur die akademischen Grade des Intendaten hinzu. Ein Tor der böses dabei denkt? Normalerweise galt bei der Welle die Regel: alle Prof. oder Dr.-Titel (außer bei Interviews mit Sachverständigen von Universitäten) bei genannten Personen werden ausnahmslos weggelassen. Der Intendant ist aber eine öffentliche Person medienpolitischer Dimension, der so die Vorteile des eigenen Mediums nutzt, um seine Person öffentlichkeitswirksam aufzuwerten. Das ist ein lächerlich kleiner Fall und jeder kennt sicher einen schlimmeren Verstoß gegen journalistische Grundsätze. Jeder muss sich also fragen, was finde ich ok und was finde ich zwar nicht ok, aber mache ich, weil es mein Chef mir "befielt". Diese Einstellung ist zwar ethisch betrachtet gefährlich, aber pragmatisch. Sind wir mal ehrlich, wenn man auf jedem Standpunkt beharrt und bei jedem Idealverstoß gleich mit den Lokführern daher-argumentiert, die nur die Züge nach Dachau gefahren haben, dann kann man nicht mehr arbeiten. Alles eine Frage der Verhältnismässigkeit. Und wer selbst in eine Führungsposition aufsteigt, wird schnell feststellen, dass man mit "Totalverweigerern" schlichtweg nicht arbeiten kann und man Mitarbeiter braucht, die auch einfach mal unerklärt ein über Klüngel zustande gekommenes Thema machen, obwohl man dafür keinen Preis von der Ethikkommission bekommt.

Dritter Aspekt: Selbstverständnis. Wenn ich heute im kommerziellen (private und kommerziell ausgelegte ö.r.) Musikradio tätig bin und das Selbstverständnis eines Journalisten habe, dann habe ich sicher nicht das Selbstverständnis eines Günter Wallraff. Ich persönlich habe auch einen Journalistenausweis, sehe mich aber als Unterhalterin. Radio (abgesehen von News/Info-Sender) unterhält maßgeblich und das gut zu machen ist eine Profession, die ein professionelles Selbstverständnis bilden sollte. Komischerweise wollen sich alle Journalisten nennen und nicht Showmaster, Entertainer oder Promoter. Wahrscheinlich hat sogar "Deutschland sucht den Superstar" eine Redaktion mit Redakteuren, obwohl keiner von denen klassischen Journalismus betreibt.

Langer Rede kurzer Sinn:
- Ja es gibt Mißbrauch, aber er stört nicht unbedingt die Beteiligten oder die Aufsichtsgremien.
- Jeder muss selbst wissen, welche Grenze er bei sich selbst ansetzt und sich den entsprechenden Job suchen. Wer zuviele Ideale hat, läßt den Fuss besser draußen aus den professionellen Medien.
- Hilfreich ist es zu überlegen, was man eigentlich für ein Selbstverständnis hat und ob man es vielleicht mal aktualisieren sollte.

Denkt sich ganz privat persönlich für sich selbst die Jasemine.

PS: ich habe den für journalistische Ideale und ihre praktische Umsetzung in der täglichen Arbeit wichtigen Aspekt (US-)Propaganda im Agentur- und Nachrichtenjournalismus ausgelassen, denn er sprengt den Rahmen und wird schon an anderer Stelle im Forum diskutiert.

<small>[ 11-02-2003, 21:00: Beitrag editiert von Jasemine ]</small>
 
Die Jasemine hat es ausführlich und richtig beschreiben. Der Kernsatz ist meiner Meinung nach: Wo ist die Grenze?
Ich denke, daß es ungemein wichtig ist, und obendrein davor schützt, eine Maulhure zu sein, wenn man sich stets der Problematik bewußt ist. Selbstreflektion ist auch in anderen Bereichen eine vorzügliche Eigenschaft, aber es ist eine Kraftanstrengung, sie stets parat zu haben.
 
mag sein, dass ich hier mit meiner naiven Weltsicht nicht so richtig reinpasse, aber ichs sags trotzdem mal:

warum muss imma alles so elendig lange und kompliziert zerredet werden?
dieses Duckmäusertum nicht nur in Journalistenkreisen kotzt mich regelrecht an.
für geld wird auch noch die letzte seele verhökert.
Quoten gehören schlichtweg abgeschafft.
wenn jeder seine arbeit nur noch aus einer gewissen berufung macht, dann wäre der affige Größenwahn, der billige seelenverkauf garnicht möglich.
zur zeit fühlt sich jeder unzufrieden, alle haben ein unbestimmtes schlechtes gewissen...was sollen wir unsern kindern erzählen?

f.v.

gallii
 
Meiner Ansicht nach muss jeder, der sich Journalist nennen will, selbst seine Grenzen festlegen (ganz einfach, um einigermaßen ruhig schlafen zu können)

Es ist doch oft so, dass zwar bestimmte Themen vorgegeben werden, über die konkrete Umsetzung (bzw. Geschichte) aber sehr wenig diskutiert wird. Und das ist der (doch sehr große) Freiraum, der jedem Journalisten zur Verfügung steht! Es gibt X Möglichkeiten, von der OT-Auswahl bis zur feinen Formulierung, eine Geschichte so oder so zu erzählen.

An Deinem Beispiel gezeigt: Du kannst eine nette, objektive Geschichte übers Winterreifenwechseln machen (die halt zufällig bei Gummi Mayer spielt) oder Du kannst einen PR-Beitrag über Gummi Mayer machen (der fad ist und außer der Anzeigenabteilung niemand interessiert)
 
Gute Leistung =&gt; größere Auswahl an Arbeit/Auftraggebern =&gt; größere Unabhängigkeit

Aber Vorsicht: Reihenfolge einhalten!
 
Dazu ein ganz aktuelles Beispiel im NRW-Forum: <a href="http://217.160.162.38/radioforen/cgi-bin/ultimatebb.cgi?ubb=get_topic;f=4;t=000561" target="_blank">http://217.160.162.38/radioforen/cgi-bin/ultimatebb.cgi?ubb=get_topic;f=4;t=000561</a>

<small>[ 12-02-2003, 11:37: Beitrag editiert von McGurke ]</small>
 
Werbe- und PR- Beiträge, auf die hat doch jeder Redakteur beim Regional- und Lokalfunk seinen Hass. Allein diese Werbeform ...
Sträuben kann man sich, aber gemacht müssen sie schließlich doch werden (ich mag sie auch nicht!!!), da letztendlich der Kunde mein Gehalt zahlt, so sehe ich es.
Journalismus ist das natürlich nicht, ganz klar. Und als Journalist gehe ich da auch nicht hin, sondern als ne Art Berater. Sein Beitrag soll gut klingen, dafür bin ich der Profi. Also arbeite ich mit dem Kunden die "Inhalte" raus, aber an der Umsetzung lass ich mir nicht reinreden. "Vertrauen sie mir!"
Das tun die Meisten das auch und werden garantiert nicht enttäuscht, und ich habe dadurch meine Freiheiten. Die gehen soweit, dass der Kunde den Beitrag vorher nicht mal hören will.

Tipp an Euch: Seid einfach kreativ!!! Das funktioniert auch bei PR Beiträgen, dann kann sogar ein Werbebeitrag lustig sein, erzeugt Aufmerksamkeit, der Firmenname muss nicht 6 Mal drin sein und der Kunde ist so zufrieden, dass er den Chef anruft und Euch in den Himmel lobt. (Ist mir ziemlich oft passiert!!!)

Danach freue ich mich wieder Journalist zu sein <img border="0" title="" alt="[L&auml;cheln]" src="smile.gif" />
 
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