Nutzermessung bei elektronischen Medien (Radio, Fernsehen, Onlinezeitungen)

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Der ehemalige R.SH-Chef Herrmann Stümpert hat zu Nutzermessung bei den Radioprogrammen einst gesagt, es sei "nicht wichtig, wie viele Leute uns wirklich hören. Wichtig ist, dass sich möglichst viele an unseren Sender erinnern können, wenn sie von Marktforschern danach gefragt werden." (Link).

Zwanzig Jahre später läuft die Messung der Hörerzahlen der Radios immer noch nach dem gleichen Muster ab: Mit Telefoninterviews: Welchen Sender haben Sie wann wie lange gehört. Wie sehr die Versuche der Radioprogramme, nicht möglichst viele Hörer möglichst zufrieden zu stellen, sondern gut in der Statistik aufzutauchen, die Inhalte beeinflusst, haben wir hier im Forum schon groß und breit durchdiskutiert.

Bei Stefan Niggemeier lese ich heute, wie sehr die Online-Angebote deutscher Qualitätszeitungen ebenfalls ihr Angebot derart optimieren, dass nicht möglichst viele Leute auf die Seiten gehen, sondern dass möglichst schöne Statistiken am Ende dabei herauskommen. (Mit dem Phänomen der Fotomarathons auf den Seiten hat er sich schon früher beschäftigt, z.B. hier)

Und auch die Fernseheinschaltquote, die eigentlich am zuverlässigsten von allen Zahlen sein sollte - schließlich wird genau erfasst, wer, welchen Alters welchen Sender wann wie lange schaut - ist in Verruf geraten, und wird zur Zeit reformiert. Bei der Fußball-WM war die Schieflage der Quote besonders deutlich geworden: Was außerhalb der eigenen vier Wände geschaut wird, wird nicht erfasst, und bei gerade bei Minderheiten sind die Grundgesamtheiten derart gering, dass zufällige Ereignisse schon einen erheblichen Ausschlag in der Quote bringen können.

Auf die verschiedenen Versuche mancher Verlage, ihre Auflagen mittels Verschenken in die Höhe zu treiben, will ich gar nicht erst eingehen.

Aber wer bitte hat etwas davon, dass heute ein erheblicher Teil der Medienfinanzierung, immerhin die "vierte Säule der Gewaltenteilung" in der Demokratie, auf völlig verzerrten Basiszahlen erfolgt?

Eigentlich sollte man meinen, dass die Werbewirtschaft doch bitteschön gerne richtige Zahlen hätte. Aber in den großen Unternehmen sitzt heute auf jedem Baum ein Controller, und da ist bei den handelnden Personen nicht Kreativität oder Effektivität, sondern schlichte Funktionalität gefragt. Wer aufmuckt, stört.

Die Mediennutzer haben auch nichts davon, sie bekommen lieblosen, statistikoptimierten Musikbrei aus den Radios, atomisierte Internetseiten, die möglichst viele Klicks generieren sollen, und im Fernsehen werden Shows nach einer Folge wieder eingestellt, weil die gesuchte Grundgesamtheit leider am betreffenden Abend zum Grillen eingeladen war.

Die Medien wiederum haben keinen Grund, etwas zu ändern. Sie haben es sich in ihrer Lage schön eingerichtet.

Aber wie kann man etwas ändern?
 
AW: Nutzermessung bei elektronischen Medien (Radio, Fernsehen, Onlinezeitungen)

Exakte Zahlen bekommst du nur, wenn du tatsächlich jedem Einzelnen unserer 82 Mio Einwohner entweder einen Chip ins Auge pflanzt, der aufnimmt, was der Probant gerade sieht bzw. ein Minimikrophon ins Ohr steckst, um zu erfassen, was er gerade hört.

Leider hat sich gezeigt, dass technische Messungen mit mobilen Geräten unzuverlässig sind - wer sich als Mitglied eines GfK-Haushaltes an seiner Fernbedienung nicht an- und/oder abmeldet, verfälscht die Daten ebenso wie der Träger einer Radio-Watch, der sie während des Duschens neben das Radiogerät legt.

Also ist die Darstellung von Erinnerungswerte nund die hochgerechneten Nutzungswahrscheinlichkeiten (p-Werte) zumindest beim Radio noch die beste aller schlechten Möglichkeiten, weil sie auch Nutzungen unabhängig von den eigenen vier Wänden berücksichtigt.

Im TV hast du tatsächlich das Problem, dass ausserhäusige TV-Nutzung über das GfK-Meter nicht erfaßt wird.

Aber dafür habe ich auch keine Lösung...
 
AW: Nutzermessung bei elektronischen Medien (Radio, Fernsehen, Onlinezeitungen)

Ja, hurra - Statistiken!

Bei der klassischen Umfrage "Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl ist?" fand man heraus, das männliche Singles zwischen 20 und 30 überproportional keinen Telefonanschluß mehr haben, sondern lediglich ein Handy besitzen. Darauf greifen die Telefonisten mangels Daten dahinter noch nicht zurück. Und der Zugriff auf Geheimnummern ist auch schwierig. Welcher Promi was wählt findet man höchstens auf einer Bundesversammlung heraus.

Die GfK erhebt auch nicht, welche Nicht EU Bürger Fernsehen und auch nicht was im Ausland eingeschaltet an deutschen Programmen gesehen wird. Oder fand schon mal jemand ein GfK-Meter in einem Tourihotel mit Sat-Empfang auf Malle?

Die höchste Einschaltquote des Schweizer Fernsehens wurde mit mind. 275% Sehbeteiligung beim Spiel Deutschland - Türkei erreicht. Das ZDF kann ja nicht gemessen worden sein, denn alle schauten zu dieser Zeit SF.

Wären die Türken mitgemessen worden läge der Wert noch höher. Fazit: Public Viewing gehört verboten und die UEFA besinnt sich mal wieder auf alte Werte, aktuell ist ein Europaspiel ja von Lissabon bis Wladiswostok interessant, wenn Portugal gegen Russland spielt.

Noch schlimmer die Zahlenmessung beim Radio. Oder hat schon mal jemand wahrheitsgemäß beantwortet, dass er als Mitarbeiter bei Obi hauptsächlich den Baumarktfunk hört bzw. zwangsberieselt wird. Das "Hit Radio" kann man auch im gleichnamigen Supermarkt hören.

Was aktuell messbar ist ist wenig verläßlich genug und erinnert mich an die Rede von Oliver Kalkofe. Das Senden für die träge Masse, die guckt egal was kommt.

Überall die gleichen schrägen Statistiken. In Bibliotheken werden Ausleihzahlen gemessen, ob das Werk nun 4 Wochen ungelesen rumlag interessiert niemanden, Hauptsache man hat eine statistische Zahl.

Änlich nun beim Radio. Hauptsache ein Sender wird genannt. Der Sender mit den meisten Jingle Einblendungen gewinnt - egal ob er wirklich gehört wurde oder man sich nur am Besten daran erinnert.

Zwischenfazit: Der genaue Wert ist auch in Zeiten von Schäuble 2.0 noch nicht völlig zu ermitteln. (Wer schaute eigentlich gestern beim kurdischen Roy-TV die Abendnachrichten? Bitte Journalisten von der Quote abziehen!). Irgendwie bin ich auch froh darüber das man nicht alles weiß.

Zudem brauchen wir ja überhaupt keine Quoten darüber, wer das Programm gehört hat, sondern wer die Werbung im Programm dort gehört hat. Die Marke "Curt" von ffn war so ein schönes Beispiel auch wenn der Beginn im legendären Frühstyxradio zu suchen ist.

Eine sehr spannende Frage beim Zapping ist für die TV-Anstalten wo Sie überhaupt auf der Fernbedienung der Nutzer liegen. Da ist nicht mal die ARD auf der Eins ein anzunehmender Wert. Deswegen soll Pro 7 ja auch auf die Sieben, arte auf Acht und 9 Live wollte sich die letzte einstellige Zahl sichern. Das Vierte sagt dem mündigen Bürger auch das nur Taste 4 oder Taste 40 (das Nirvana) möglich ist und das neue Tele 5 - ach lassen wir das.

Ist es eigentlich beim Radio wichtig ob man ganz links oder ganz rechts gefunden wird? Oder gibt es für die 100,00 Mhz Frequenz mehr Geld weil di sich einfacher zu merken ist?

Ach ja, überlassen wir Statistik doch einfach den Controllern.
 
AW: Nutzermessung bei elektronischen Medien (Radio, Fernsehen, Onlinezeitungen)

Und wenn man je exakt messen könnte, wie viele Sekunden genau jemand am Tage bei welchem Sender verharrte, dann wüsste man immer noch nicht: Hat es ihm gefallen, oder fand er es beschissen?
 
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