Glosse Feuilleton
Veitstanz
Gewonnen hat den diesjährigen Grand Prix - Pardon: er heißt ja "Eurovision Contest" - eine bewegende Ballade, so klangvoll und von der blutjungen Marija Serifovic so inbrünstig gesungen wie zu den einstigen Hochzeiten des Wettbewerbs. Doch das täuscht. Denn das Niveau des Abends, den hundert Millionen Fernsehzuschauer verfolgten, bot einen bisher unerreichten Tiefstand.
Der deutsche Beitrag, Roger Ciceros schlitzohrige Swingnummer "Frau'n regier'n die Welt", erreichte unter vierundzwanzig Endrunden-Teilnehmern einen deprimierenden neunzehnten Platz. Auch das täuscht: Ciceros Gesang war der professionellste, die Komposition die stärkste. Aber selbst Frank Sinatra persönlich, dem Roger Cicero den (etwas faden) Hut bei seinen Auftritten abgeschaut hat, wäre bei diesem Grand Prix untergegangen.
Der eigentliche Sieger nämlich war das stupide Mittelmaß, der schamloseste Mainstream-Trash, die fadeste Pop-Plörre "aller Zeiten". Insgesamt zweiundvierzig Teilnehmer boten Einheitslärm, gemischt aus Lightrock, etwas Techno und viel Ethnoklängen. Ethno? Nur den eingeblendeten Ländernamen war zu entnehmen, ob die jaulenden Flöten und hastenden Trommeln den wilden Bergen Griechenlands, den staubigen Ebenen Spaniens, den Steppen Anatoliens oder den kargen Weiden Bulgariens entstammten. Russland verzichtete auf Balalaikas und schickte rockzickige Lolitas ins Rennen, Lettland ließ sechs Knödeltenöre den Viertaufguss einer Pseudoarie auf Italienisch schmettern.
Auf fielen in diesem Veitstanz der Indifferenz nur Irland, weil die Sängerin der Gruppe "Dervish"(!) penetrantest falsch sang, und die Ungarin Magdi Ruszda, weil sie mit ihrem brillanten klassischen Blues so fehl am Platze wirkte wie Roger Cicero mit seinem Swing. Angesichts dieses Triumphzugs der kreischenden Austauschbarkeit wissen wir nun wirklich, dass Titel wie Stefan Raabs "Wadde hadde dudde da" nicht der Untergang des Grand Prix waren, sondern Hintersinnigkeiten und Parodien vom Geist Karl Valentins.
Und wie Nachrichten aus einer vergangenen Welt tauchen Erinnerungen an Wettbewerbe auf, in denen Italien (das sich längst zurückgezogen hat) seine Canzoni, Frankreich große Chansons, Spanien andalusische Balladen, England Rockpop und Deutschland solide Schlager beitrugen und Jahrhundertsongs wie "Volare", "Ciao Ciao Bambina" oder "Waterloo" entstanden. Auch damals gab es keinen Wettbewerb ohne den Vorwurf von Seilschaften etwa der skandinavischen Länder oder Nachbarn, die einander Punkte zuschanzten.
Doch das sind Ehrenhändel, verglichen mit der diesjährigen, hemmungslosen Kumpanei der ehemaligen Ostblockländer. Sie schenkten einander so ungeniert Stimmen, als gäbe es sonst keine Teilnehmer - was man nicht einmal mehr Skandal nennen mag. Denn ob Blockdenken oder Populismus die Rangfolge in einem faden musikalischen Pudding entscheiden, bleibt bedeutungslos. Der Grand Prix hat sich zu Tode erweitert. bat.
Text: F.A.Z., 14.05.2007, Nr. 111 / Seite 33