Private- und ÖR-Mainstreamsender

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So, nun die versprochenen Worte von Wave zu Wave ...

Radiowaves schrieb:
Project 89.0 wird z.B. sehr gerne in Flachfunk-Diskussionen als leuchtendes Alternativ-Beispiel gehandelt - und war eines der am härtesten formatierten, inhaltsleersten Programme überhaupt.

Stimm ich dir vollkommen zu.

Radiowaves schrieb:
Warum zahle ich jeden Monat in die Arbeitslosenversicherung, in die Rentenversicherung und in die Krankenversicherung ein? Ich bin doch weder arbeitslos, noch Rentner, noch (hoffentlich) krank. Die Antwort ist in diesen Fällen völlig klar: ich könnte arbeitslos werden und meine Situation dann durch gewisse solidarisch erbrachte Leistungen etwas abgefedert werden. Ich könnte das Rentenalter erleben und möchte dann freilich auch nicht betteln gehen (daß die demoskopische Entwicklung nicht gerade das beste für diese Zeit erwarten läßt, ist klar). Und: wenn ich erkranken sollte, dann möchte ich auch eine gute Versorgung bekommen. Es ist völlig klar, daß ich zumindest in die Arbeitslosen- und die Krankenversicherung einzahle, ohne überhaupt zu wissen, ob ich die Leistungen einmal in Anspruch nehmen werde.
Der Unterschied zur GEZ, in die ich auch einzahlen muß und die ich inzwischen (aufgrund ihrer Erhebungsbedingungen, der sich fast niemand legal entziehen kann) für eine gesellschaftliche Solidarleistung halte: beim ÖR ist es (hoffentlich) keine Notsituation, in der ich ihn nutze. Die Gemeinsamkeit: ich zahle für etwas, das ich eventuell einmal gebrauchen könnte, auch, wenn ich es vielleicht normalerweise nicht gebrauche. Medien können wichtig sein, der Rundfunk ist das schnellste Medium und das mit dem unkompliziertesten Zugang. Was ist im Kriegs- oder Krisenfall? Wer informiert mich seriös und umfassend? Wer hat Glaubwürdigkeit? Wen kann ich ernst nehmen? Wer kann auch unabhängig von wirtschaftlichen Eigeninteressen Themen bearbeiten? Wer kann auch Randgruppen der Gesellschaft ein guter Vertreter sein? Oder viel harmloser: wer spiegelt die Realität wider und nicht ein Leben, das ausschließlich als Prototyp in Marketinginstituten herumgeistert? Selbst, wenn ich all das derzeit nicht brauche, habe ich doch ein Recht darauf, daß mir im Fall der Fälle genau dies zur Verfügung steht. Dann kann ich hoffentlich auf ein Medium zurückgreifen, das genau diese Anforderungen erfüllt. Deshalb: GEZ = Solidarleistung, mit all ihren Eigenschaften. Unter Umständen auch mit der, daß ich normalerweise auf das, was ich damit finanziere, nicht zurückgreife. Zumindest ist das meine Sicht auf die Dinge.

Du hast damit sehr prägnant begründet, warum die gelegentliche Forderung nach Abschaffung der öffentlich-rechtlichen Sender Unsinn ist. Das Kernproblem bleibt aber, auch wenn man die Gebühren als solidarisches Modell sieht: Auf viele Programme werde ich selbst im größten Krisenfall nicht zurückgreifen müssen. Da brauch ich ne verlässliche Nachrichtenwelle und das war's. Ich bezahle aber eine recht große Palette an Sendern, von denen ich einen Großteil niemals nutze. Da ist der Unterschied zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Bei diesen ist nämlich abzusehen, dass ich sie mal brauchen werde (natürlich nicht in welchem Maße, das ist schon klar). Die Argumentation, dass es schwierig ist, die Masse auch für solche Programme zahlen zu lassen, die nur einen Bruchteil der Zahler wirklich erreichen, lässt sich also nicht ganz ausräumen. Es bleibt aus meiner Sicht bei den oben genannten beiden Perspektiven, aus denen man argumentieren kann, und die sich immer wieder im Kreis drehen.


Radiowaves schrieb:
Und auf das Experiment, Radio EINS auf der Kette von Jump zu verbreiten, wäre ich schon sehr gespannt. Freilich, kann voll nach hinten losgehen. Muß es aber nicht. Wie sang schon Gerhard Schöne? "Du hast es nur noch nicht probiert, und darum glaubst du's nicht." Außerdem: was haben die Menschen dort verbrochen, daß sie im Dunkeln bleiben sollen?

Ist natürlich richtig: Was man nicht probiert hat, kann man nur bedingt vorher beurteilen. Ich glaube aber wirklich nicht, dass Radio EINS hier die Massen bündeln würde. Die Privaten würden sich die Hände reiben, weil die ganzen Flachpfeifen (schönes Wort übrigens, gefällt mir), die noch bei Jump kleben, wohl alle zu ihnen wandern würden. Du kannst die Leute nicht umerziehen. Es wäre sicher was anderes, wenn es gleich nach der Wende ein Radio-EINS-Format auch hier gegeben hätte. In Ansätzen war das vielleicht das ganz frühe Sputnik, aber auch das hat ja über die Jahre irgendwie nicht so recht funktioniert (leider). Über Sputnik heute brauchen wir uns sicher nicht zu unterhalten.

Radiowaves schrieb:
Wenn aber die Brötchenverteilstelle sich vom Mainstream-Bäcker bewusst dadurch abgrenzt, daß sie gesunde, wohlschmeckende Brötchen verkauft, während das Volk lieber bei Fertigbackmischungen zugreift und sich regelmäßig eine Blähung holt, dann... ;)

Dafür müsste aber erst das Kunststück gelingen, dass die Brötchenverteilstelle wirklich gesunde UND wohlschmeckende Brötchen anbietet. Und tut sie das im Moment? Was wirklich gesund ist, wissen die wenigsten zu schätzen. Und fürs Wohlschmecken nutzt der Mainstream-Bäcker Geschmacksverstärker. Das Problem hab ich in dem anderen Beitrag schon angesprochen: Wie müsste denn ein massenattraktives, aber doch zutiefst öffentlich-rechtliches Programm sein? Kann es so etwas geben?

Radiowaves schrieb:
Das sehe ich grundlegend anders, eben unter dem Gesichtspunkt, daß es sich bei der GEZ inzwischen tatsächlich um eine Art Solidarabgabe handeln muß.
Also zahlen die Flachpfeifen solidarisch auch für die mit, die anspruchsvollere Spartenprogramme hören wollen, und die Anspruchsvollen zahlen wiederum auch für die Flachpfeifen mit. Richtig. Das Problem ist nur: Wie verteilt man das Geld? Wird viel Geld in einen Kulturkanal für nur wenige Hörer gestopft, könnte sich die breite Masse trotzdem aufregen (bei aller Solidarität). Genau so könnte sich der anspruchsvollere Hörer beschweren, dass von seinen Gebührengeldern riesige Plakat-Kampagnen für Jump gemacht werden. Man kommt immer wieder bei dieser Grunddiskussion raus. Es geht nun mal nicht sicherzustellen, dass der Gebührenbeitrag des einzelnen genau für das verwendet wird, was er hören will. Das wäre einerseits schön, denn dann würde ich z.B. meine Gebühren direkt an MDR Info überweisen und mich hämisch drüber freuen, dass das MDR Fernsehen, Jump und Sputnik nüscht kriegen von mir. Andererseits könnte sich MDR Info von den paar Direktüberweisern aber wohl nur ein paar Stunden am Tag Programm leisten, in dem die Beiträge viertelstündlich wiederholt werden müssten. Insofern muss das System irgendwie solidarisch sein, sonst kann man es gleich lassen, und im Endeffekt profitieren die anspruchsvolleren Nutzer vielleicht sogar mehr als die Dudeldeppen. Es liefert damit aber trotzdem immer wieder berechtigte Angriffsfläche für beide Seiten.
 
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ch glaube aber wirklich nicht, dass Radio EINS hier die Massen bündeln würde.
Was für'n Unsinn! Das tut Radio Eins in B+BB ebenfalls nicht. Es ist lediglich ein qualitativ hochwertiges öffentlich-rechtliches Hörfunkangebot. Nicht mehr und nicht weniger.
 
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Das ist mir schon klar, aber dann kann es ein Programm wie Jump nicht ersetzen (auch wenn es wünschenswert wäre). Hab mich vielleicht ein bisschen undeutlich ausgedrückt. Man kann ja trotzdem davon sprechen, dass Radio EINS in Berlin und Brandenburg als Format funktioniert, und das würde es in MDR-Land nicht, glaube ich.
 
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Bollmann schrieb:
Finde ich nicht. Der Verweis auf die Nazizeit wird mehr und mehr zu einem Generalargument. Wenn man sowas entsprechend kontrolliert kann das eine gute Idee sein. Allerdings denke ich, daß es schon genug Nachrichtenkanäle gibt.
Dass es schon genug Nachrichtenkanäle gibt, ist ja nun mal im Hörfunk auf die föderalen (antizentralistischen) Strukturen zurück zu führen. Und die haben die Westalliierten nach 1945 diesem Land geradezu aufgezwungen. Aus den gemachten Erfahrungen. Die heute natürlich schon lange her sind, aber nun mal die Wurzeln des ö/r - Systems begründen.
Ich habe das Reichsrundfunkargument ja auch nur gegen den einen, einzigen Nachrichtenkanal ins Feld geführt. Im übrigen prägt die NS-Erfahrung unsere Rechtssprechung und Medienpolitik bis heute. Anders als in Italien z.B. gibt es in Deutschland jede Menge Gesetze, die einzig darauf abzielen, all zu viel Meinungsmacht in einer (staatlichen oder privaten) Hand zu verhindern. Deshalb ist Medienpolitik Ländersache, deshalb gibt es die KEK, die ARD, usw.
 
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