Privatsender und Jugendgewalt

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Mannis Fan

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In der Stuttgarter Zeitung von heute wird Ministerpräsident Günther Oettinger zitiert, er habe die Privaten Fernseh- und Rundfunksender als "Scheiß-Private" bezeichnet. Die Privaten hätten durch ihre Art der Berichterstattung, bzw. Programminhalt eine Mitschuld am Anstieg der Jugendgewalt.
Die Grünen im Landtag klatschen ihm Beifall, stören sich allerdings an seiner Ausdrucksweise, denn die sei nicht besser, als das,w as er kritisiere.

Von Oettingers Sprache mal abgesehen: Was ist dran, an seiner Behauptung, bzw. ist überhaupt was dran?
 
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Was genau hat er denn gesagt und kritisiert? Die Berichterstattung zurzeit, allgemein über Straftaten, oder die Darstellung von Gewalt in fiktionalen Stoffen?

Eigentlich müsste Herr Oettinger wissen, was er sagt. Zum einen war er lange genug medienpolitischer Sprecher seiner Landtagsfraktion, zum anderen sollte er spätestens seit letztem Jahr wissen, dass ihm gelegentlich auch zugehört (und das Gesagte gegengeprüft) wird. Gerade für einen konservativen MP ist eine solche Aussage ziemlich erstaunlich.

Zur Sache: Ich habe meinen Privatmedienkonsum (was Radio&TV betrifft) auf ein Minimum reduziert. Das einzige, was ich zu dieser Sache dort gesehen habe, war ein Bericht im RTL-Nachtjournal, und der war relativ sachlich, auch wenn die gezeigten Ausschnitte der Aufzeichnung der Überwachungskamera aus München sicherlich nicht derart ausführlich hätten sein müssen.
 
AW: Privatsender und Jugendgewalt

Eine wissenschaftlich fundierte Dissertation kann ich dazu mangels Zeit zwar nicht abgeben, wohl aber eine Einschätzung.

Schaut Euch doch mal Privatfernsehen an. Dschungelcamp, RTL2, Nachtprogramm diverser Privatsender, nicht zuletzt Musikfernsehen und Musikvideos. Da werden Gewalt verherrlicht, Menschen und Menschenwürde verachtet, da ist es "cool", wenn krasse Rapper mit Knarre rumlaufen und Frauen wie Gegenstände behanldn. 50 Cent ist nur ein Beispiel, das mit aus dem Stehgreif einfällt.

Dennoch spanne ich den Bogen acuh weiter: Leute wie Britne Spears oder Amy Winehouse, die nun wirklich zu Synonymen für eine verdorbene Jugend geworden sind, laufen auch bei ÖRs. Die Schuld also nur den Privaten in die Schuhe zu schieben, halte ich für vereinfacht, dem Grundtenor muß ich leider zustimmen.
 
AW: Privatsender und Jugendgewalt

Da ist er wohl ein bißchen zu kurz gesprungen, der Herr Oettinger, und dem Populismus auf den Leim gegangen.

Leider ist es durchaus schick (und schiebt ja auch die eigene Verantwortung weg), "den Privaten" oder, besser gesagt, "den Medien" die Schuld an gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen in die Schuhe zu schieben.

Jeder halbwegs gebildeter Mitteleuropäer weiß (und die Medien- und Sozialforschung hat es schon seit tausend Jahren valide belegt und bewiesen), dass Medien keine Gesellschaft beeinflussen, sondern "nur" wie ein Brennglas fungieren, weil sie früher als andere gesellschaftliche Gruppen Trends bzw. latent vorhandene Gefühlswelten aufspüren (und zugegebenermaßen ausschlachten).

Und wer so argumentiert wie der Herr Oettinger, sagt damit ja auch, dass die gleichgeschaltete Presse im `Dritten Reich´ und der Herr Göbbels schuld waren an der nationalsozialistischen Katastrophe.

Nur wer auf Grund seiner sozialen Prägung (Familie, Schule, Umfeld, Milieu, gesellschaftlicher Konsens etc.) anfällig ist, wird bestimmte Normen und Muster oder Verhalten übernehmen.....

Also: Erst denken, dann reden :)
 
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Diese Diskussion betrifft ja nicht nur die klassischen elektronischen Medien, zuletzt entzündete sich die gleiche, kurzgesprungene Debatte an den sogenannten "Killerspielen". Interessanterweise wurde übrigens noch nie bei einem "Autobahnraser", der einen folgenschweren Unfall verursacht hat, nachgefragt, ob er möglicherweise Formel 1-Fan war. Ich will mich aber gar nicht in Populismus ergehen.

Diese Debatten sind in meinen Augen eine Folge erschreckender Hilflosigkeit, denn das Problem setzt m.E. viel früher an. Der erste Schritt ist nicht die Qualität von heutigen Inhalten (egal ob in PC-Spielen, Nachrichten, Filmen, Musik usw.) sondern die zunehmende Isoliertheit von Menschen, beginnend bei Kindern und Jugendlichen.

Als ich klein war gab es drei Fernsehprogramme, die nicht mal rund um die Uhr gesendet haben. Man hatte auch noch keine Videorekorder, erst recht keine Spielekonsolen geschweige denn Computer. Ich hab auch als Kind mit 10,11,12 Jahren schon mal Horrorfilme oder harte Actionstreifen gesehen und bin in meinem Leben nicht verroht. Ich hab mich geschätzt in der 5. Klasse zuletzt geprügelt.

Wir hatten damals echte soziale Beziehungen mit denen wir uns von anderen Eindrücken wieder abgelenkt haben.

Kein Vergleich zur heutigen Dauerberieselung, die ja von vielen Eltern dankend genutzt wird, um Kinder zu beschäftigen. Nach 2 Stunden Fernsehen gibt es 3 Stunden PS2, dann wird im Netz gesurft, dann wieder Fernsehen geguckt.

Über die dann auch noch konsumierten Inhalte darf man natürlich auch gerne diskutieren, z.B. wundere ich mich immer, wenn bei manchen Sendern Filme mit mindestens einem gefühlten FSK 16 vom Vorabend plötzlich Sonntags im Tagesprogramm wiederholt werden.


Lange Rede, kurzer Sinn: Die Quintessenz steckt in Cool Heads Satz:

Nur wer auf Grund seiner sozialen Prägung (Familie, Schule, Umfeld, Milieu, gesellschaftlicher Konsens etc.) anfällig ist, wird bestimmte Normen und Muster oder Verhalten übernehmen.....

dem möchte ich mich uneingeschränkt anschließen.
 
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Leider ist es durchaus schick (und schiebt ja auch die eigene Verantwortung weg), "den Privaten" oder, besser gesagt, "den Medien" die Schuld an gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen in die Schuhe zu schieben.
Er sprach von einer Mitschuld (!), nicht von einer ausschließlichen Schuld!

Jeder halbwegs gebildeter Mitteleuropäer weiß (und die Medien- und Sozialforschung hat es schon seit tausend Jahren valide belegt und bewiesen), dass Medien keine Gesellschaft beeinflussen,
Sorry, aber wo sind diese Belege denn nachzulesen? Das ist Mumpitz! Mir würden durchaus ein paar Beispiele einfallen, wo Medien sehrwohl einen nicht unerheblichen Einfluß auf die gesellschaft hatten und haben.
 
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Ich kann das genaue Zitat leider nicht liefern, weil die online-Ausgabe der Stuttgarter Zeitung nur gegen Abo-Gebühr abrufbar ist. Und meine Original-Papierausgabe habe ich am frühen Morgen schon auf dem Betriebsklo entsorgt.:D Sorry!
 
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Ein kleiner Programmhinweis, der prima zur Überschrift paßt:

Heute abend steht der Radio-TEDDY-"Elternabend" (Privatsender!) unter dem Thema "Jugendgewalt". Interviewpartner sind voraussichtlich
  • Dr. Max Stadler MdB (FDP), Mitglied im Innenausschuß
  • Dr. Christean Wagner, CDU-Fraktionsvorsitzender im hessischen Landtag
  • Hubertus Heil, SPD-Generalsekretär
  • Helmut Rüster, Pressesprecher Weißer Ring
  • eventuell Dr. Adolf Gallwitz, Prof. für Psychologie an der Polizeihochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen
 
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Oettinger hat völlig recht. Ich würde sogar weitergehen: Der Privatfunkt trägt auch eine massive Mitschuld an der sprachlichen und geistigen Verarmung der Gesellschaft.
Wer Leute wie "BJ Barry" vor das Mikro setzt, muß sich dieser Verantwortung bewusst sein und sich eben den entsprechenden Vorwurf bezgl. fehlgeleiteter Ansprachehaltung gefallen lassen.
 
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So ein Quatsch, was hat denn das mit BJ Barry zu tun?

Vor 30 Jahren ist auch niemand wegen Chris Howland geistig verarmt.
 
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Jeder halbwegs gebildeter Mitteleuropäer weiß (und die Medien- und Sozialforschung hat es schon seit tausend Jahren valide belegt und bewiesen), dass Medien keine Gesellschaft beeinflussen, sondern "nur" wie ein Brennglas fungieren, weil sie früher als andere gesellschaftliche Gruppen Trends bzw. latent vorhandene Gefühlswelten aufspüren (und zugegebenermaßen ausschlachten).

Falls es nicht zu viel Arbeit macht, wäre ich dankbar, ein paar Quellen für diese Ergebnisse der Medien- und Sozialforschung zu bekommen. Ich ging bislang vom Gegenteil aus. Medien schaffen Lebensbilder ... und man muss es nur lange genug wiederholen, bis es alle glauben (siehe Goebbels).

Danke!
 
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Zitat von Keek:
So ein Quatsch, was hat denn das mit BJ Barry zu tun?

Vor 30 Jahren ist auch niemand wegen Chris Howland geistig verarmt.

Der besaß auch inhaltliche Substanz. Im Gegensatz zu sämtlichen BJ Barrys und "HinzKunz bei der Arbeit".

Howland war und ist, ebenso wie ein BJ Barry, ein Moderator von Unterhaltungssendungen in TV und Fernsehen, womit ich auch überhaupt keine Berührungsängste habe.

Ebenso macht BJ Barry Unterhaltung im Radio, die man jetzt qualitativ unterschiedlich bewerten kann. Ich bin auch kein besonderer Fan von ihm.

Was allerdings sein Name in einer Diskussion über Medien und ihre Rolle bezüglich Jugendgewalt bzw. Verrohung der Gesellschaft zu suchen hat, ist mir mehr als schleierhaft.
 
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@kein_radiomann

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Nationalsozialismus (und Goebbels) war eben nicht ein Ergebnis der Medien, sondern die Medien ein Ergebnis des Nationalsozialismus.

Ps: Lese z. B. einfach mal die entsprechenden Untersuchungen von Jo Gröbel!
 
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So, ich hab mir jetzt eine StZ besorgt und den Artikel mit der Handykamera fotografiert. Allerdings werde ich vorraussichtlich nicht vor 22 Uhr dazu kommen, ihn hier einzustellen. Vielleicht ist ja jemand anderes schneller?
 
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Herr Oettinger hat einerseits recht, andererseits ist die Welt nunmal so. Robert de Niro als "Al Capone" in dem Film "Die Unbestechlichen" bringt es meiner Meinung nach absolut auf den Punkt:

"Du kommst mit freundlichen Worten und einer Waffe weiter, als nur mit freundlichen Worten!"

Man kann das ablehnen, aber es ist nunmal so.

Die Frage ist natürlich, ob man diese Theorie im Fernsehen ständig eindrucksvoll unter Beweis stellen muß.
 
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Grundsätzlich ist es ja nicht ganz falsch, was der gute Mann da sagt. Aber diese Pauschalisierungen gehen mir seit jeher auffe Eier (ich hoffe, das entspricht in etwas Oettingers neuem Jargon). Wundern darf man sich, dass sich jetzt auch RTL und Sat.1 zu den Guten zählen dürfen. Oder vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich fürchtet der Herr Ministerpräsident, es von ihnen gleichgetan zu bekommen, wenn er ihnen anne Beine pinkelt.
 
AW: Privatsender und Jugendgewalt

Aktuell im Programmkino läuft der Film Free Rainer. Das ist eine sozialutopische Kommödie. Die These, dass die quotenorientierten Medien den schlechten Geschmack einen selbstverstärkenden Automatismus geben wird dort sehr eindrucksvoll ausgeführt. Und durch Quotenmanipulation die Bildungswende in Deutschland eingeleitet. Meine Meinung: Sehr empfehlenswert als Denkanstoß.:)
 
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