Quotenkiller - ein Radio-Roman

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berlinreporter

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Liebe Radioforensiker, diese Leseprobe solltet Ihr Euch nicht entgehen lassen:
Menschliche Abgründe und das Radio
Clemens Stadlbauers "Quotenkiller" / Leseprobe
© Die Berliner Literaturkritik, 15.10.03

BERLIN (BLK) – Der Kriminalroman "Quotenkiller" von Clemens Stadlbauer eröffnet dem Leser einen Blick in den alles andere als harmonischen Alltag eines Radiosenders. Dort nämlich wird unter dem Schutzmantel der Freundlichkeit intrigiert, gemobbt und gemordet. Clemens Stadlbauer ist ein furioses Erstlingswerk gelungen.

Das © Copyright für diesen Text liegt beim Haymon Verlag, Innsbruck 2003

TEIL 1

Stop

Die Platte war gleich aus. Der immer gleiche Refrain des belanglosen Popsongs hatte sich längst erschöpft. Es schien, als ob Mariah Carey selbst nicht wusste, wie sie aus dieser Nummer jemals wieder rauskommen sollte. Spätestens hier musste ein guter Radiomoderator handeln. Und eine Mischung hinlegen. Er hätte die Platte gnadenlos mit einem Jingle abstechen und so zur nächsten Scheibe übergehen können. Er hätte ein Fade-out einleiten und behutsam den nächsten Song drüberlegen können. Er hätte natürlich auch irgendwas wie „Mein Name ist Tommy und ich spiele die Hits“ ins Mikro sagen und dann den nächsten Hit starten können. Stattdessen starrte er, unfähig, auch nur einen Regler zu schieben, entsetzt auf das Display des zentralen Computers am Mischpult, auf dem sich der grüne Balken, der anzeigt, wie lange die Platte noch läuft, langsam, aber unaufhaltsam rot verfärbte. So rot wie das Blut, das aus Tommys klaffender Wunde am Hinterkopf sickerte.

Der Tod hatte sich lautlos angeschlichen. Was einem leidenschaftlichen Radiomoderator wie Tommy gegenüber eigentlich nicht fair war. Sein Überlebenskampf hätte sich zumindest ein Intro mit fetzigen Gitarren verdient. Oder die Signation der Breaking News, die nur bei wirklich ganz wichtigen Ereignissen eingesetzt wurde. „Wir unterbrechen das Programm. Wie soeben bekannt wurde, haben die USA erste Angriffe gegen Afghanistan geflogen. Bleiben Sie dran, mehr zu dieser Story aus unserer Nachrichtenredaktion in wenigen Minuten.“ So etwas in der Richtung wäre ein Abgang mit Stil gewesen. „Ob Starmoderator Tommy König seinen schweren Verletzungen erliegt, erfahren Sie gleich nach dem neuen Hit von Mariah Carey.“ Was für ein Bringer! Die Einschaltquoten wären explodiert.

Noch 30 Sekunden. Dann würde der grüne Balken in seiner ganzen Länge rot eingefärbt sein. Das wäre das Ende. Stille würde einsetzen. Eine Stille, die von Mitarbeitern eines Radiosenders, deren Lebensinhalt darin besteht, rund um die Uhr Geräusche zu produzieren, immer als besonders laut empfunden wurde. Lauter als ein Abfangjäger im Tiefflug, viel lauter als ein Live-Konzert von AC/DC. Eine Stille, die so unerträglich laut war, dass sie sofort reflexartig durch panisches Schreien aller am Sender anwesenden Mitarbeiter zu übertönen versucht wurde.

Um diese Zeit, knapp vor drei Uhr in der Früh, war außer dem Redakteur, der sich gerade im Nachrichtenstudio die an diesem ereignislosen Tag mühsam auf wichtig hinformulierten Meldungen für seinen stündlichen Einsatz um Punkt zurechtsortierte, niemand mehr am Sender. Bernd Ziegler war müde. Und lustlos. Denn ehrlich gesagt ging es ihm ziemlich am Arsch vorbei, dass dieser Spaßverderber von Hurricane nun doch nicht die Küste von Florida verwüsten würde. Bernd würde dennoch damit aufmachen. Immer noch besser als der bereits sattsam bekannte Grenzkonflikt zwischen Indien und Pakistan. Oder die lähmende Frage, ob das tschechische Atomkraftwerk Temelin wieder einmal einen politischen Supergau auslöste.

Im Sendestudio würde indes, von Bernd völlig unbeachtet, der Radiomax, jenes digitale Abspielsystem, das in modernen Radiostationen wie der Hitstation Number One längst die herkömmlichen CDs ersetzt hat, einfach den nächsten eingebuchten Titel ausspucken. Und sich dann so lange still verhalten, bis der Moderator Klick machte. Tommy musste an die Regler ran. Da war er Profi. Radio war sein Leben. Noch. Ein kleiner Hilferuf ins Mikro, dachte Tommy, den der mörderische Husten zwischendurch immer wieder nötigte, etwas Blut zu spucken, also so ein Hilferuf könnte jetzt echt nicht schaden. Außerdem: Sollte der Song von Mariah Carey wirklich die letzte Begleitmelodie auf dem Weg in sein Grab sein? Dann schon lieber die Rolling Stones.

Röchelnd zog sich Tommy am Mischpult hoch. Das Blut floss aus seinen schief sitzenden Kopfhörern und klatschte in fetten Tropfen auf die hochsensible Technik. Ein Albtraum. Wie umgeschüttetes Cola. Flüssigkeiten hatten auf dem Mischpult nichts verloren. Der technische Direktor der Hitstation Number One wäre bei diesem Anblick ausgerastet. Für einen kurzen Augenblick erwog er allen Ernstes, die klebrigen Spuren mit seinen zittrigen Händen zu verwischen. Doch plötzlich hörte Mariah Carey tatsächlich zu singen auf. In dieser Sekunde bäumte sich Tommy mit letzter Kraft auf und zog den Regler für die nächste Platte hoch. Klick. Die Stones rollten los. Er brach zusammen.

Literaturangaben:
STADLBAUER, CLEMENS: Quotenkiller. Haymon Verlag, Innsbruck 2003. 320 S., €19,90.
 
komisch

ist ja reizend, dass es da einen roman über einen mord in unserer branche gibt. aber haben da die vielen fachbegriffe wirklich was zu suchen. z.b. radiomax: gehört nicht in einen roman für alle und ist zudem auch nicht gut erklärt. ausserdem finde ich die schreibe sogar zu schlecht für die BILD. ergo: die leseprobe macht mir nicht mehr lust auf mehr.
 
Besonders interessant ist das Buch natürlich für diejenigen,
die sich selbst wiedererkennen, bzw. bei hitradio ö3 arbeiten,
bzw. gearbeitet haben, oder die Mitarbeiter von dort kennen.
Hier gibt´s den Quotenkiller. :D
Gruss in die Szene,
J.B.
 

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Na ja, besonders geschmackvoll ist das natürlich nicht, aber das wird der Autor auch gar nicht beabsichtigt haben. Pointiert und bildlich trifft es eher. Würde ich mir nicht bestellen, aber wenn ich nichts bezahlen muss, dann würde ich das in meiner gemütlichen Küche bei einer Tasse heißen Krümel-Hagebutten-Tee an einem stürmischen Sonntag-Nachmittag lesen.
Zum Stichwort "Fachbegriffe": Was ist am Max nicht gut erklärt? Der geneigte, branchenfremde Leser erwartet mit Sicherheit keine Gebrauchsanleitung im Glossar....
 
Den Ausschnitt oben und den Klappentext bei Amazon finde ich auch nicht so doll. Gebrauchdeutsch, so wie ich es selbst auch hinbekäme. Ein bisschen viel mit Radio-Wissen geprotzt, ein bisschen wenig richtige Bilder aufgebaut (ein grün-roter Balken und ein paar Spritzer Blut - das reicht mir nicht..). Ein Autor soll schon Literatur schöpfen, nicht einen Roman "hinbekommen".
Allerdings: Demnächst isses wieder sehr, sehr früh dunkel und kalt draußen. Vielleicht rettet der Schmöker ja über ein Wochenende. Oder'n Nachmittag.

Hat das Buch schon jemand gelesen?
Isses besser oder schlechter als die kurze Passage?

Statt Hagebuttentee werde ich mir n Dornfelder bereitstellen. Oder n Portugieser, hat'n helleres rot, frischere Blutfarbe...
 
Ein Autor soll schon Literatur schöpfen, nicht einen Roman "hinbekommen".
Wow, das muß man sich doch auf der Zunge zergehen lassen. Das hast du wirklich sehr schön gesagt. Und der Satz ist obendrein sehr schön auf so viele andere Bereiche übertragbar.
Ich merk ihn mir bestimmt.
 
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