AW: Wieder mal GEZ!
Ein neuer Fall von Wahnsinn aus der wunderbaren Welt der Gebühren-Raubritter, dokumentiert in der F.A.Z. vom 13.11.:
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Gebührenzahlen bis zur Existenzgrenze
Zweihundert Euro im Monat bleiben einer Rentnerin zum Leben. Rundfunkgebühren soll sie zahlen, auch wenn sie Fernsehen gar nicht empfangen kann. Ein Fall aus der Welt der GEZ.
Die Geschichte, die Ingrid Haschert aus Ober-Ramstadt zu erzählen hat, ist eine derjenigen Irrwitzigkeiten, die Bürokratien schreiben, wie die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) ganz besonders eine ist. Da wird man, ehe man sich versieht, zum Michael Kohlhaas.
"Lassen Sie es, es ist ausweglos" ist ein Satz, den Ingrid Haschert in den letzten Jahren regelmäßig von Anwälten und Richtern zu hören bekam. Sie sitzt in ihrer kleinen Wohnung im Odenwald, rechnet jede Sekunde mit dem Besuch eines Gerichtsvollziehers, der ihre privaten Gegenstände pfänden wird - wegen einer ausstehender Gebührenrechnung des Hessischen Rundfunks, deren Berechtigung sie nach mehr als zwei Jahren des Rechtsstreits nicht einsieht.
Es begann, vermeintlich harmlos, im Januar 2005. Ingrid Haschert kündigte ihre Fernsehgebühr beim Hessischen Rundfunk. Nach der Umstellung auf das digital übertragene Fernsehen konnte sie kein Programm mehr empfangen. Das erscheint als unbedingt einsichtiger Kündigungsgrund - allerdings nicht für die GEZ. Die Gebühreneinzugszentrale verlangte von Ingrid Haschert, eine DVD-T-Box anzuschaffen, um wieder empfangsbereit zu sein. Die Rentnerin besorgte sich eine Box, doch die Tücke lag nicht nur im Kaufpreis von über hundert Euro, sondern auch im Objekt: Sie sah weiter schwarz, nicht im gebührenrechtlichen, sondern im optischen Sinn.
Kein Empfang in der Mulde
In Ober-Ramstadt, das in einer der tiefen Mulden des Odenwalds liegt, könne ihr nur eine Satellitenschüssel zum Empfang verhelfen, sagte ihr ein Techniker. Kostenpunkt 450 bis 500 Euro, eindeutig zu viel Geld für die Rentnerin, die nun tatsächlich kein Rundfunkgerät mehr besaß, das ohne "größere technischen Aufwand" empfangsbereit zu machen war. Die GEZ aber beharrte auf der Gebührenpflicht, auch noch, als Ingrid Haschert den Fernseher von einem Bekannten aus ihrem Haus schaffen und dies von ihm bezeugen ließ.
Von ihrer Rente von knapp sechshundert Euro gehen Ingrid Haschert monatlich rund vierhundert Euro verloren für die Hypothek, die sie auf ihr kleines Haus abbezahlen muss. Zum Leben bleiben ihr also rund zweihundert Euro. Sie wollte sich auch von der Hörfunkgebühr befreien lassen. Auch das scheiterte am Widerstand der GEZ. Ingrid Haschert legte Widerspruch ein, folgenlos. Die GEZ ließ etwas Zeit verstreichen und beauftragte nach einem Jahr beim Landkreis die Zwangsvollstreckung. Der Landkreis zeigte sich umsichtig, forderte von Ingrid Haschert zunächst den Nachweis ihrer Einkünfte und sah angesichts ihres geringen Einkommens von einer Pfändung ab. Der Hessische Rundfunk, so meinte das Landratsamt, solle sich doch nochmals mit der Rentnerin in Verbindung setzen. Er tat es nicht.
Wieder ein Jahr später, wir schreiben 2007, die GEZ ließ sich Zeit, fand Ingrid Haschert in ihrem Briefkasten eine Mitteilung des Gerichtsvollziehers, der jedoch Kulanz walten ließ. Die Zwangsvollstreckungen im Namen der GEZ, ließ er durchblicken, entsprächen auch nicht seinem Gerechtigkeitssinn. Er werde zunächst nicht einschreiten.
Ingrid Haschert hatte inzwischen versucht, den Gerichtsweg zu beschreiten. Was nicht einfach war. Der erste um juristischen Beistand gebetene Anwalt lehnte ab. Ingrid Haschert hatte ihm offenbart, dass sie auf Prozesskostenhilfe angewiesen sei. Das Interesse des Advokaten sank, auch lege er sich ungern mit der GEZ an. Eine zweite Anwältin begründete ihre Absage mit Zeitnot und riet der abgewiesenen Klientin, Antrag auf private Insolvenz zu stellen. Der Anruf beim dritten Anwalt schien zunächst erfolgversprechend. Man einigte sich auf einen Termin, auch die Prozesskostenhilfe schien kein Hinderungsgrund, bis die Kanzlei den Termin wenige Stunden vor seinem Zustandekommen absagen ließ, mit einer freundlichen Empfehlung: Sie solle sich doch im Justizgebäude Darmstadt für zehn Euro beraten lassen. Das tat Ingrid Haschert. Auch der Zehn-Euro-Anwalt konnte ihr nur bedingt weiterhelfen. Er schickte sie zum Verwaltungsgericht, um vorläufigen Vollstreckungsschutz zu beantragen.
Ingrid Hascherts Weg durch die Instanzen ging weiter, und wie ihr der Anwalt geraten hatte, führte er sie zum Verwaltungsgericht Darmstadt. Schon an der Schwelle des Justizgebäudes stieß sie auf Widerstand. Um was es ihr gehe? Um die GEZ, antwortete sie. Mit der GEZ, hieß es am Empfang, habe man nichts zu tun. Oh doch, insistierte Ingrid Haschert, sie werde das Gebäude nicht verlassen, bevor sie mit einem Richter gesprochen habe. Statt eines Richters kam eine Justizangestellte, der ein kurzer Blick in die Unterlagen genügte, um festzustellen, dass sie der Rentnerin keine Rechtsberatung zukommen lassen könne.
Doch Ingrid Haschert wich nicht. Die Justizangestellte verschwand mit den Unterlagen, kam wieder und fragte, ob sie auch gegen den Gebührenbescheid 2007 Widerspruch eingelegt habe. Ingrid Haschert tat nun auch dies. Den Gerichtsvollzieher bat sie um Aufschub. Er wurde gewährt - vorläufig.
Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beantwortete das Verwaltungsgericht mit der Nachfrage, warum sie sich gegen die Vollstreckungsmaßnahme wehre. Wiederum suchte Ingrid Haschert rechtlichen Beistand, dieses Mal über einen Suchanwalt, also jemanden, der ihr erst einmal den Kontakt zu einem in dieser Frage kundigen Kollegen weisen sollte. Die GEZ, warnte der Kontakt-Anwalt, sei ein äußerst unbequemer Gegner. Trotzdem fand er eine - zunächst - bereitwillige Kollegin. Mit ihrem Beratungsschein machte sich Ingrid Haschert auf den Weg und erlebte die gewohnte Prozedur: Die Anwältin sah sich die Akte kurz an und versprach, sich zu melden. Einen Tag vor dem vereinbarten Fristablauf kam der Anruf: Es habe keinen Sinn, Beschwerde einzulegen. Sie habe andere Urteile verglichen. Widerspruch sei zwecklos.
Mitte Juli dieses Jahres rief dann die Gerichtskasse an. Ingrid Haschert solle einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für ihr Verfahren stellen, mit dem sie die Zwangsvollstreckung habe aufschieben wollen. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt, die Kosten, rund siebzig Euro, gingen zur Hälfte zu Hascherts Lasten. Abermals legte die Abgewiesene Beschwerde ein, abermals ohne Erfolg. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich in einem persönlichen Schreiben an den Intendanten des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze. Auch dieser letzte Versuch endete in den Delegationsketten der GEZ: Die zuständige Fachabteilung des HR machte ihr immerhin den Vorschlag, den ausstehenden Betrag von rund 573 Euro in Raten zurückzuzahlen.
Bis zum bitteren Ende
Der Fall hat eine Vorgeschichte und eine Pointe: Mitte der neunziger Jahre hatte Ingrid Haschert einen Antrag auf Befreiung von der Gebührenpflicht gestellt. Die GEZ hatte ihn abgelehnt mit dem Argument, dass man mit so wenig, wie die Rentnerin zu besitzen vorgebe, gar nicht leben könne. Sie sollte, erinnert sich Ingrid Haschert, ihre angeblich unglaubwürdigen Behauptungen zurücknehmen, sonst würde man gerichtlich gegen sie vorgehen. Beim HR liegen zu diesem Vorgang keine Akten mehr vor, wie die Nachfrage in der Pressestelle ergibt.
Die Pointe liegt in der Tatsache, dass Ingrid Haschert seit Ende September dieses Jahres von der Gebührenpflicht befreit ist, obwohl sie im Juni 2006 von ihrem Sohn einen Fernseher inklusive Satellitenschüssel geschenkt bekam. Dies hatte sie in ihren Briefen an das Verwaltungsgericht und Helmut Reitze angegeben, zu spät, wie sie nachher erfuhr. Woher sollte sie auch die rechtlichen Fristen kennen, da sie keinen Anwalt finden konnte, der ihr gegen die GEZ beistehen wollte?
Für die Zeit von Juni 2006 an will Ingrid Haschert Gebühren zahlen, nicht aber für die Zeit zwischen Januar 2005 und Juni 2006, als sie keinen Fernseher hatte und kein Programm empfangen konnte. Der Rundfunkgebührenstaatsvertrag sanktioniert das Verhalten, das die GEZ in diesem Fall an den Tag legt. Mit dem Angebot, in Raten zu zahlen, ist - vorläufig - immerhin ausgeschlossen, dass der Gerichtshvollzieher Ingrid Haschert besucht. Die Forderung der GEZ für das Jahr ohne Empfang aber besteht nach wie vor. THOMAS THIEL
Text: F.A.Z., 13.11.2007, Nr. 264 / Seite 42