Bitter Lemmer Februar 2004

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pacman

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Die Realität ist aber leider grau. Die zuständigen Leute der Musikindustrie – die „A&R-Manager“ – hören Radio und suchen sich Künstler, die so klingen wie die, die gerade im Radio zu hören sind. Mit denen produzieren sie Musik, die es schon gibt und gehen damit zu den Radiosendern und sagen, sie hätten etwas, das so klingt, wie das, was es schon gibt.
Interessanter Aspekt, Mr. Lemmer!
Das war mir gar nicht mehr so bewußt. Da beißt sich die Katze ja ewig in den Schwanz. Dann wird mir auch klar, warum im Radio immer alles gleich klingt. Und wir haben den eigentlichen Schuldigen identifiziert: die Musikindustrie ist selbst schuld.
Aber die schiebt die Schuld doch lieber auf die Radiosender, und die wieder auf den Reserach, also sind die Hörer doch Schuld, dass sie sowas auch noch gerne hören und die Musik gar kaufen bzw. downloaden...
Wie kommt man aus dem Teufelskreis raus? Wer fängt an?

...wundert sich Euer pacman.
 
Um mal idealtypisch einfach zu antworten: Ich sehe die Plattenindustrie in der Verantwortung. Warum? Weil sie an der Musik direkt verdient. Bei den Radiosendern klappt das nur indirekt - über die Musik generieren sich die (Musik-)Sender ihre Hörer und "verkaufen" die dann an die Werbetreibenden. Nicht nur das: Wir zahlen in der Regel eine Menge Geld dafür, dass wir die Musik überhaupt spielen dürfen.
Dass der Bauer nur isst, was er kennt, gehört nicht zu den großen Geheimnissen dieser Welt. Dass die Schlacht um die Leute stattfindet, die sich NICHT für Musik im Allgemeinen oder eine Nische im Speziellen interessieren - und dass denen folglich prinzipiell egal ist, welche Musik läuft, Hauptsache sie ist unterhaltsam, ebenfalls nicht. Dass man die Leute dem zu Folge "überreden" könnte, Dinge außerhalb des derzeitig gängigen Mainstreams unterhaltsam zu finden, sollten die Plattenbosse begriffen haben. Dass wir aber auch ganz gut mit dem gängigen Mainstream leben können, ist für den derzeitigen Zeitraum eine bewährte Aussage. Dass kaum ein Sender seinen Mitarbeitern, hier: Musikredakteuren, zu Lasten der Massenkompatibilität den inneren Triumph gönnt, einen neuen Hit zu machen, ist auch nicht erst seit gestern so.
Was also tun, um der Katze den Schwanz zu retten? Kohle in die Hand nehmen, liebe Plattenbosse. Die Künstler ordentlich vermarkten. Und nicht vergessen: UNS´kann es völlig wurscht sein, was die Plattenindustrie verdient.
 
Ich stimme dem ersten Absatz von Hexchen zu und dem letzten Satz.

Kein Mensch kann die Kausalität von Radio Fernsehen und Musikindustrie leugnen. Tatsache ist aber auch, daß an allen Ecken des Tisches mittlerweile Menschen sitzen, die jedes Risiko scheuen. Das mag für die Einzelfirma eine kurzfristig brauchbare Strategie zur Gewinnmaximierung sein, langfristig jedoch der Tod des Marktes. Genauso wurde der mp3-Trend verschlafen. Wenn ich einen seltenen Titel suche werde ich mangels anderer Verfügbarkeit geradezu zu Kazaa getrieben.

Den Trend nach unten erleben wir in Deutschland auch gerade bei den Radios. In anderen Märkten geht es anders zu.

Ich hatte mal Ärger mit dem Außendienst eines Labels. Er erklärte mir, daß wir als Radio zu unwichtig seien und ab sofort keinen Besuch mehr bekommen, keine Bemusterungen und falls wir doch welche haben wollen, dann nur per Abo. Statt Bestechung ab sofort also abdrücken. Mein Blutdruck ging nach oben. Dem Schnösel wollte ich es zeigen. Ich nahm einen Titel dieses Labels, der schon 1 1/2 Jahre zuvor gefloppt war und ließ ihn als Top-Neuerscheinung rauf und runterdudeln. Drei Wochen später war er in den Charts auf Platz 70 rum neu eingestiegen. Dies erregte die Aufmerksamkeit anderer Sender. In den Charts von SDR 3 (ich glaub Wilde 20 hießen die damals) stieg die Scheibe auf Platz 18 ein. Insgesamt landete der Titel kurz darauf bundesweit um Platz 15-20. Die CD war wochenlang nicht in den Plattenläden zu bekommen, da das Label von der Nachfrage völlig überrumpelt wurde. :D Aus der Bemusterung bin ich trotzdem geflogen.


Das Radio hätte durchaus die Macht für die Revolution bei den Plattenheinis, aber leider nicht die Revolutionäre. Das sollte aber auch nicht unser Problem sein. Wenn die den Karren unbedingt an die Wand fahren wollen, dann sollen sie das auch.

Wir fahren ja unseren Karren auch ohne die Plattenfirmen an die Wand.
 
@ Schwabe

"Mut zur Revolution" - das gilt nur dann, wenn derjenige, der sich bewegen will, davon überzeugt ist, dass er es muss. Solange Du viele Menschen mit der Prittnee und ihren Freunden glücklich machen kannst, musst Du Dich nicht bewegen. Bzw. das Risiko nicht eingehen, dass Du auf Eigeninitiative doch in die Scheisse greifst. Also fehlt hier das Bedürfnis - sowohl nach mut, als auch nach Revolution.

@ Sachsenradio

Warum? Weil es moralisch gut wäre, unbekannte Stars zu pushen? SCHEISS drauf. Wer verfolgt denn hier welche Interessen? Glaubst Du, die Plattenindustrie handelt aus moralischen Gründen? Dann wäre ja alles paletti und die Welt ein traumhafter Ort. Ich muss mir jedenfalls keinen, na Du weißt schon, weil ich, der große Held, dafür sorge, dass ein Titel in die C H A R T S einsteigt!
 
Nein, nicht weil es moralisch gut wäre, sondern weil es ein Service und Mehrwert für den Hörer bedeuten würde. Weil sich das Radio vor allem über Musik nach außen darstellt und Musik das wichtigste Programmelement neben den Nachrichten ist, kann man als Hörer erwarten, dass ein Radiosender sich auch mit dem, was er hauptsächlich sendet, auseinander setzt. Heute ist es sicher anders, weil dem Hörer solche Bedürfnisse ausgetrieben wurden. Allerdings ist das Radio doch das bestgeignete Medium, sich mit Musik auch auseinanderzusetzen. Fernsehsender rühmen sich damit, (Kino-)filme erstmals im deutschen Fernsehen auszustrahlen. Und kündigen das groß im Programm an. Warum soll das beim Radio anders sein?
Warum soll sich das Radio NICHT unverzichtbar für eine Musikszene machen? Warum soll das Radio KEINE Plattform für Künstler wie auch Musikfans sein? Kann ein Radiosender daraus nicht auch Profit (im marktwirtschaftl. Sinne) schlagen?
Mir geht es hier nicht um Moral oder den "Anstand", sondern um den Nutzen, den Radiosender aus Musiksendungen ziehen können.
 
Dear radiohexe, nein, es geht nicht darum, dass sich einer einen runter..., weil er einen Titel einfach gespielt hat und dann war er irgendwann oben in den Charts, wo man ihn so schnell nicht mehr runterholen konnte. Es geht darum, dass die von Researchern und Beratern beworbenen Mechanismen und Konzepte durchaus nicht so einzigartig erfolgversprechend sind, wie sie es gerne hätten.
Es kann nämlich nicht nur das erfolgreich sein, was researched ist; es kann auch erfolgreich sein, was mit einem guten Gespür, Hörerkenntnis und Musikverständnis eingesetzt wird. Und dass es erfolgreich ist, nun das nachzuprüfen leisten die Charts einen guten Dienst. Ich weiß, du wirst nicht widersprechen, dass das sein sein KANN. Aber du bist ja auch nicht Beraterin, oder? Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Researchern und Beratern sieht das aber genau so.
Und wenn es sein KANN, dann BITTE TUT ES!!!
db
 
Ach, und wer entscheidet darüber, dass es Mehrwert und Service für den Hörer wäre? Was heißt hier ab erziehen - glaubst Du nicht, dass der Hörer, wenn er denn Interesse hätte, auf andere Musik, als die gängige Dudelmusik, schwenken würde? Warum ist es so verdammt schwer, zu kapieren, dass sich nicht jeder für die Breite des Musikmarktes interessiert?
Und das bringt uns zu der interessanten Frage, um wessen Interessen es dabei geht: Um die des Hörers? Oder um die des Muskredakteurs, der um die Breite weiß und sie für so wichtig erachtet, dass er sein Wissen unbedingt verkünden muss? Oder um die der Plattenindustrie, die damit Kohle machen will?


Lieber Beobachter, dass es auch anders gehen KÖNNTE, würde ich nicht abstreiten. Aber das führt uns wieder zu der Frage, was eigentlich gutes Radio genau ist - und darauf werden wir schwerlich eine Antwort finden. Denn wir würde zu dem Schluss kommen, dass das davon abhängt, für wen wir Radio machen. Und das bringt uns dann wieder zur Ausgangsfrage zurück. Aber bitte: Kratzt Euer Geld zusammen, kauft Euch bei einem Sender ein, geht selbst das ein, was hier "Mut zum Risiko" genannt wird - und seht einfach mal, was passiert.
 
Wenn man von einer nicht unbeträchtlichen Menge Musiktitel absieht, die gar nicht researched wird, weil jemand sagt, das werde ohnehin "kein Hit", das sei derzeit nicht "hittauglich"...
Da beginnt die Schere, die nicht der Hörer setzt, sondern die ihm gesetzt wird. Das darf man auch Bevormundung nennen. Es mag anders nicht machbar sein, sicherlich. Aber die Ehrlichkeit gebietet es, auch das Bevormundung nennen zu dürfen.
Und dass es auch anders als mit Researches funktioniert, heißt nicht, dass das eine richtig und das andere falsch ist. Es heißt, dass das Researchdenken nicht das allein seligmachende ist. Das einzusehen, wäre ein großer Schritt nach vorne. Ein Schritt, der, um entsprechenden Argumenten gleich vorzubeugen, nicht zwingend hieße, alle Researches zu lassen. Es ist für mich zuerst mal eine Frage des Kopfes. Und da beginnt ja bekanntlich das Umdenken.
Veränderung ist nicht nur eine Frage der Risikobereitschaft. Es ist, um das Risiko zu minimieren, eine Frage veränderter Denkmuster und dann strategisch durchgeplanter Konzepte.
Und natürlich eine Frage, wie Kritiker in Statistiken gelesen werden, weil das Umdenkprozesse in Gang setzen kann - oder eben nicht.
db
 
db: zustimmung

hexe:

Natürlich ist es ein Service am Hörer, ihm auch mal was Neues vorzusetzen. Wenn ein Kollege von mir im Lokalradio in einer Hörerchartsendung einen Titel vorstellt, der nirgends in den Charts ist/ war, und die Hörer ihn in die Charts wählen und der örtliche Mediamarkt mit Anfragen nach entsprechender Single bombardiert wird, dann ist das doch schon mal eine schöne Hörerreaktion. Nun bekommt zwar der Sender kein Geld von der Plattenfirma oder dem Markt, aber dass dies ein Service ist, ist damit unbestreitbar. Und wenn man sowas ausbauen wollte, könnte der Sender vielleicht auch finanziell von so etwas profitieren.
Abgesehen davon wird mir in solchen Diskussionen zu wenig wert auf Hörerbindung gelegt. Hörerbindung ist auch emotionale Bindung an den Sender. Hörerbindung ist kein auf RTamp gelegter Musikwunsch, der jetzt den laut Rotation laufenden Titel anmoderiert. Oder einer, der grad wieder nicht den Bargeldsatz über die Lippen gebracht hat.
Genauso, wie du, hexe, uns vorwirfst, wir würden nicht wissen, was unsere Hörer wirklich wollen, kann ich es auch dir und anderen vorwerfen. Denn, wie db sagte, Researchs sind nicht dsas allein seelig machende, auch Bauchgefühl und Verstand spielt ne Rolle.
Man kann ein Emotionsprodukt nicht durchplanen!
 
Denke nie gedacht zu haben, denn das denken von Gedanken ist gedankenloses Denken ! ;) - vermutlich das Leitmotiv von Radiohexe

Nimms nicht persönlich, aber hältst du den Hörer wirklich für so dumm ? Und wenn das tatsächlich so ist, wie du schreibst, warum sind dann Radiosender jenseits der BRD-Grenzen so anders, FM4 in Austria, um mal bei 'nem dt. Programm zu bleiben.

Irgendwie kommt die Vermutung auf, das es nur "Faulheit" ist. Man müßte sich ja mit dem beschäftigen,. was man tut. Alles bedenkenlos hinnehmen was einem vorgekaut wird und die Quote zeigt, das das getane ausreichend ist. Schon mal daran gedacht, das die Quote mit ein bischen mehr vieleicht auch etwas höher sein könnte ? (Ich weiß natürlich, das sie auch niedriger sein könnte ...)

Ach, und wer entscheidet darüber, dass es Mehrwert und Service für den Hörer wäre?

ganz klar der Hörer, deshalb: was ist denn für dich Mehrwert ?
Wenn ich mehr Infos über bestimmte Titel erfahre und auch ab und an mal ne B-Seite zu hören bekomme, ist das kein Mehrwert ?
Wenn nicht, was ist es dann ?
Und wo steht denn, das der Hörer keinen Mehrwert will ?

Wenn man nur noch 20 versch. Dudelsender zur Auswahl hat bleibt einem ja letztlich nichts anderes übrig, als einen davon zu hören ... oder halt ganz abzuschalten.
 
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