@OnkelOtto
Ja, genau - es ist alles durch. Auch ich habe mich hier ja weitgehend zurückgezogen, weil es nichts mehr zu diskutieren gibt für mich. Das deckt sich auch mit meiner realen Radionutzung: eine Stunde im Monat schätze ich, und die meist nicht live, sondern von Aufzeichnungen nachgehört und eigentlich immer von einer Kulturwelle stammend - ein mich interessierendes Feature, eine
liebevoll gemachte Reportage über ein mich ansprechendes Thema oder sogar mal ein
klassisches Konzert (die Übertragung lief dann auf DKultur).
Über den Privatfunk und über die Popwellen mag ich sowieso nicht mehr schreiben (was mir aber nicht immer gelingt). Ich habe abgeschlossen mit dem Versuch, irgendwo in der dazugehörigen Welt etwas für mich verwertbares zu finden - nicht nur im Radio, sondern auch im "echten Leben". Ich kann auch nicht erwarten, daß ich von solcherlei Programm in irgendeiner Weise berücksichtigt werden könnte oder gar eine (aus meiner alten Sicht angemessene) Berücksichtigung "erstreiten" könnte. Das Thema ist durch. Außerdem mag ich dieses Zitat, das ich vor 2 Jahren kennenlernte, es ist mir seitdem wenigstens manchmal zu einem Begleiter geworden und müßte es noch viel mehr sein:
“You never change things by fighting the existing reality. To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.” - R. Buckminster Fuller
Das "new model" hat bei mir nichts mit Radio und nichts mit der bestehenden Gesellschaft zu tun. Ich fand für mich weitaus besser passende Ansätze eher in einem spirituellen Zentrum in der Schweiz. Ohne Radio. Monatelang. Habe nichts vermißt.
Da fällt es mir gerade auf: ich habe regelmäßigen Kontakt zu einer inzwischen 89-jährigen Dame, die anfang der 50er Jahre die Raumakustik der legendären Studios in der Ostberliner Nalepastraße berechnet und den Innenausbau überwacht hat und das gleiche in den frühen 60er Jahren im inzwischen geschändeten Block E mit den Sendekomplexen des DDR-Rundfunks tat. Dadurch bekomme ich Einblicke in diese aus heutiger Sicht "frühe" Zeit des Rundfunks. Ich fühle regelrecht, mit welcher Begeisterung man damals am Bau der Infrastruktur beteiligt war und unter welchen harten Bedingungen man arbeitete - für eine als "gute Sache" empfundene Sache. Ähnliches kenne ich aus Erzählungen anderer Senioren aus deren einstigen Tätigkeitsbereichen, die mit Rundfunk nichts zu tun hatten.
Heute erlebe ich in meiner Generation (41) meist allerhöchstens Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeit. Man betrachtet sie wie eine milde Erkältung: geht schon wieder vorbei, Freitag ist Wochenende. Oft erlebe ich allerdings auch tiefe Frustration über den "Job", und das geht mir auch im Kontakt mit Ärzten so, die sich nur noch als "Kostenfaktor" behandelt fühlen im Krankenhaus, nicht jedoch als jemand, der kranken Menschen helfen kann. Das ist doch genau das gleiche wie beim Rundfunk - mit genau den gleichen Folgen. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem: wir erschaffen uns eine Ar...lochwelt und sind danach frustriert, in einer ebensolche arbeiten zu müssen (!). Das Thema ist inzwischen durchaus prominent beschrieben worden:
On the Phenomenon of Bullshit Jobs.
Oder die Story mit Wam Kat, dem Aktionskoch, der mit seiner Truppe Freiwilliger auch für tausende Menschen unter freiem Himmel eine leckere vegane Suppe zaubert, aus Zutaten, die die Bauern nicht verkaufen dürfen, weil sie nicht formatiert genug (um im Radio-Slang zu bleiben) für den Mainstream-Markt sind:
http://www.zeit.de/lebensart/essen-trinken/2010-10/demonstrations-koch schrieb:
Es war am letzten Tag der Proteste von Heiligendamm , als plötzlich ein Einsatzleiter der Polizei vor Wam Kat stand. Der Einsatzleiter sagte, er solle ihm verdammt noch mal verraten, wie das gehe, rein organisatorisch, warme Suppe, stets pünktlich, für Tausende von Demonstranten. Seine Polizisten müssten oft 24 Stunden ohne ordentliche Mahlzeit ausharren. Die Sonne stand tief am Horizont, die letzten G8-Gegner rollten ihre Schlafsäcke zusammen, eine Sommerbrise wehte über die Äcker rund um den Sicherheitszaun, der die Staatschefs schützen sollte. Wam Kat schaute den Einsatzleiter an und sagte: "Das funktioniert, weil wir es freiwillig tun. Und weil wir voller Energie sind."
Ich kenne Wam Kat und kann bestätigen: genau so tickt er und genau so lustig ist es, bei ihm mitzuhelfen. Kann mich nicht erinnern, daß irgendwelche "Meetings" mit dem Management meines einstigen Arbeitgebers jemals so heiter und direkt erkennbar sinnvoll gewesen wären. Es gab dort freilich Geld, das, seitdem ich einen neuen Abteilungsleiter hatte, durchaus eine gewisse Verwandtschaft zu Schmerzensgeld bekam. Schmerzensgeld-Forderungen sind meist recht hoch, weil die Zahlung etwas kompensieren soll, das man nicht mit Geld kompensieren kann: Sinn und Lebensfreude. Womit auch gleich manche Lohnforderungs-Runden vermutlich genügend gut erklärt wären.
Und da muß ich
@K 6 recht geben: der Feind für relevantes Radio sitzt bereits in den Anstalten selbst, da muß man nicht auf ein Radioforum, auf eine vermeintliche (und wohl auch reale) Meinung der "Bevölkerungsmehrheit" oder ähnliches warten. Wir sehen es derzeit gut beim WDR, wie Schritt für Schritt ausgekehrt wird. Wir sehen es beim BR, wie beschlossen wurde, eine dritte UKW-Kette mit Popdudel zu belegen (PULS statt BR Klassik), statt den längst überfälligen Schritt zu tun, aus Bayern 1 und Bayern 3 ein Programm zu machen, die Pop-Doppelversorgung der Mehrheit in der Altersklasse 35-55 zu beenden und damit Platz zu schaffen für ein neues jüngeres Angebot. Wir sehen es beim SWR, der das Budget von SWR 2 kürzt und Orchester zerstört. Wir sehen es beim RBB, der nicht einmal willens ist (!), die noch brauchbaren Abendsendungen von Radio Eins in einer anhörbaren Tonqualität zu verbreiten und wir wissen vom MDR, daß man ihn gleich komplett ignorieren kann mit seinem Hörfunkangebot.
Solange da nichts passiert, solange nicht der Mut aufgebracht wird, Qualität und relevanten Inhalt zu liefern, solange nicht wieder Menschen statt Automaten Radio machen, solange nicht das Herz und die Seele über Programminhalte entscheiden, sondern Strategien, die auf "Optimierung" hinzielen, solange engagierte Radiomacher an die Wand gestellt und als Hindernis auf dem Weg zu hohen Quoten betrachtet werden, solange muß man doch nichts mehr diskutieren.
Daß ich hier vor wenigen Wochen wieder eingestiegen bin (SWR Info - angeblich Aussteuerung nach Lautheit) hatte nur den Grund, daß ich Angst davor habe, dieses stümperhafte, schauderhafte Vorgehen beim SWR könne Modell für andere Wellen werden und ggf. noch Bayern 2 oder die anderen Kulturwellen akustisch zerstören. Dagegen mußte ich etwas schreiben. Das wenige, was noch ist (Bayern 2, BR Klassik, SWR 2, WDR 3, ...) darf keinen weiteren Schaden nehmen. Alles weitere wirkt auf mich heute schon illusorisch und deutlich zuviel verlangt.
Aber ich weiß inzwischen: es gibt ein Leben ohne Radio - und das kann herrlich sein. Vor allem in Schweizer Bergregionen, an Wasserfällen, im duftenden Heu.
Und damit ein schönes Wochenende und alles gute,
@ Der Radiotor.