Ich bin eben mit den alten Schlagern aufgewachsen und der Schläger verändert sich ja über die Zeit auch und wird immer durch die restliche populäre Musik beeinflusst. In den 50er und 60er Jahren haben wir da Einflüsse von Swing, Volksmusik, Dixieland, Musical bishin zu Rock‘n‘Roll und später Beat. In den 70ern kommen dann weitere Einflüsse wie Bubblegum, Hard Rock Punk und Disco hinzu usw. Man erkennt am Sounddesign meist sehr deutlich aus welcher Epoche das Ganze stammt.
In den 70er Jahren gibt es allerdings eine Wende, denn bis in die 70er gibt es eigentlich zu jedem internationalen Hit eine Deutsche Version und in den 50er und 60er Jahren sind fast 90% der großen Hits eigentlich Coverversionen von internationalen Titeln mit deutschem Text, die hier populärer sind, als die Originale. Häufig wissen die Leute gar nicht, was im Original eigentlich nicht deutsch ist.
In den späten 60ern nimmt das schon ab und in den 70ern wird es noch weniger. In den 80ern sind dann nur noch vereinzelte Covertitel auch in deutscher Sprache Hits, meist parallel zum Original.
Musikalisch und Arrangement-technisch würde ich die hochwertigsten Schlager eigentlich bis in die frühen 70er ansiedeln, denn bis dahin sind Produktionen viel aufwändiger, man braucht Leute, die ihr Handwerk verstehen, Orchester und häufig sind das da auch noch sogenannte One Takes, also wo Alles auf einmal aufgenommen werden muss, weil man nicht die Möglichkeit hat so viele Spuren einzeln aufzunehmen.
In den 80ern zur Neue Deutsche Welle Ära gibt es dann erstaunlich moderne Schlager, die aber von klassischen Schlagerleuten gesungen werden. So kommt es, dass ich jede Menge aus dieser Zeit eigentlich eher Richtung Synthipop einordnen würde.
Spätestens in den frühen 90ern nach Mathias Reim und Co. Verkommt der Schlager dann allgemein zu absolut unnötiger und nichtssagender Müllmusik, Alles klingt furchtbar billig und öde, es gibt kaum noch gute Hooks und den Höhepunkt des schlechten Geschmacks erreicht das mit dem Aufkommen dieser Ballermann Musik. Und genau so ist es auch mit der kommerziellen Popmusik, mit dem Ende der Eurodancewelle ist es Ende 96 so, als hätte jemand einen Schalter gedrückt und plötzlich gibts nur noch R‘n‘B und so lahme House Nummern und das schreitet bis heute fort... mal besser, mal schlechter, aber einen Großteil der Musik in den Charts ist für mich unerträglich.
Im Vergleich dazu finde ich in den Top 100 der Jahre vor 97 und vor Allem in der Zeit vor den 90ern jedes Jahr jede Menge Musik, die mir zusagt. Ab 1997 sind es dann urplötzlich nur noch vereinzelte Titel. Dabei bin ich erst 1986 geboren.
Im Schlager ist es eben so, dass es selten gute Alben gibt, es sind einzelne Perlen und letztendlich kommt es immer auf den Producer an. So hat ab Mitte der 80er Dieter Bohlen viele Künstler übernommen, die vorher andere Produzenten hatten. Das ist dann natürlich von gut weit entfernt. Und so gibt es eben viele Ausnahmetitel von Leuten, die eigentlich was ganz Anderes gemacht haben.
Gute Beispiele für schöne Und gut arrangierte Schlager:
60er: Peggy March - Romeo und Julia
Marion Maerz - Er ist wieder da
Paul Kuhn - Die Farbe der Liebe
70er: Maggie Mae - Dieses ist mein Land
Joy Flemming - Ein Lied kann eine Brücke sein
Die Flippers - Was hast du am Sonntag allein gemacht
80er: Nicole - Lass mich nicht allein
Juliane Werding - Das Würfelspiel
Roger Whittaker - Leben mit dir
Ich weiß nicht, warum man Kitsch immer gleich mit Niveaulosigkeit beurteilen muss. Ich glaube eher es geht hier um ein Losreißen davon, dass man das selbe hört wie die spiessigen Eltern oder Großeltern. Außerdem wird schnell gerne Alles in einen Topf geworfen. Schlager ist nämlich nicht Volksmusik und das was allgemein als Volksmusik gilt ist auch keine Volksmusik sondern volkstümlicher Schlager.
Ich weiß auch nicht, wie viele Leute das musikalische Niveau beurteilen. Ich glaube viele verwechseln das mit dem Empfinden, was sie beim Hören haben. Ich höre nämlich oft von Leuten, die keine Ahnung von Musik als Handwerk haben und sich dann darüber profilieren indem sie sagen „musikalisch finde ich das sehr gut...“ und dann frag ich die warum und die sagen dann sowas wie „hör mal jetzt die Gitarre.“ und dann sind das einfach nur durchgeschlagene Powerchords und ich warte auf ein Mördersolo oder voll so die Akkordakrobatik, aber es kommt dann nix mehr.
In der Zeit wo ich jeden Tag radioeins gehört habe kam sowas öfter vor, wo dann fundierte Kritiker Platten hochlobten, die ich irgendwie nur so mittelmäßig fand und dann auch die musikalische Offenbarung gesucht habe.
Nehmen wir hier mal die Black Keys und Fever. Nun: Es ist ein netter Popsong, aber rein musikalisch verstehe ich nicht, was den Song zu einem guten Song macht, während Schlager grundsätzlich Müll sein Soll.
Fever ist ja so eine halbe Neuinterpretation eines Klassikers von Peggy Lee, der meiner Ansicht nach mehr Substanz hat.
Ich meine wir sprechen hier von einem Song, der vom Ablauf eigentlich 3 1/2 Minuten im Loop läuft. Da passiert so gut wie gar nix und es gibt keine Dynamik zwischen Refrain und Strophe, keine Bridge, es sind dauerhaft sie selben Akkorde und trotzdem ist der Song eingeschlagen wie eine Bombe, bei den Kritikern und beim Publikum. Musikalisch hmm könnte das irgendwie auch von ner Schulband stammen.
Als Gegenbeispiel nehmen wir mal „Dieses ist mein Land“ von Maggie Mae. Das fängt ganz leise an mit einem Streicher Intro und dann fängt Maggie Mae mit Backgroundchor an zu singen. Das Ganze ist hier noch sehr leise, Musik nur im Hintergrund, die Streicher werden getragen von... könnten Pauken sein. Dann sind die Strophen zu Ende und die Bridge baut eine Dramatik auf, dazu kommen jetzt Akkorde leicht versetzt von einem Klavier, dann ist die Bridge zu Ende, die Begleitung verstummt fast ganz und Alles wird in einem wunderschönen Refrain aufgelöst... erst mit Xylophon und dezentem Arrangement begleitet, dann kommt eine E Gitarre dazu, die eine Line spielt, dann setzt das Schlagzeug ein und ballert los und das Orchester spielt eine wunderschöne Streicherbegleitung.
Irres, liebevolles Arrangement mit erstaunlich vielen Überraschungen (also jetzt auch die Bridge, das sind ziemlich untypische Akkorde, die keine Kadenz mehr sind), das ist musikalisch gekonnt umgesetzt, mit einem enormen Aufwand an Arrangement, das klingt, als habe da wirklich Jemand viel Liebe reingesetzt. Hervorragendes Songwriting und besonders ist hier auch der Text, weil sie darüber singt, wie es ist fremd zu sein und wie wichtig ein Zuhause ist und dass sie Leute, die nicht von hier sind und ihre Heimat vermissen verstehen kann, ohne dass es auf eine faschistische oder Patriotische Ebene abdriftet und der Titel ist von 78, wo „Der Kümmeltürke“ noch schief angeguckt würde.
Wenn ich so ein Werk nun mit Helene Fischer, Andrea Berg, Beatrice Egli oder sonst wem vergleiche finde ich da keine Parallelen in der Qualität der Musik und das ist das, was jetzt als Schlager bezeichnet wird.
Und wenn du jetzt einwirfst: die sind doch alle nicht true und die Musik ist nur dafür gemacht um verkauft zu werden, das ist lieblose Scheisse in Kitsch verpackt kann ich nur sagen: Was ist schon true?
Vor ein paar Jahren haben Indie Bands es komplett abgelehnt mit elektronischen Instrumenten in Verbindung gebracht zu werden. Nur E Gitarren waren erlaubt, weil Keyboards sind ja nicht true. Dann kamen Bands wie die Editors und haben plötzlich Alben aufgenommen, die Klangen wie aus den 80s und plötzlich sind Alle diese Indiebands auf den Zug aufgesprungen und seitdem gibt es total viel, was sich so anhört. Komisch, wenn die alle so true sind, warum machen dann plötzlich alle genau den gleichen Zug und holen den DX7 wieder raus? Ich finde das super, weil ich die 80er liebe und die Musik bevor es diese Welle gab irgendwie nicht besser für mich klang, aber warum alle gleichzeitig, die vorher Kollektiv behauptet haben dass Keyboards scheisse sind?
Und das ist bei so vielen Leuten und Bands so, dass ich mir halt denke es geht doch gar nicht um musikalische Qualitäten sondern immer nur um Image. Sich von irgendwas abzuheben und sei es von der Masse. Aber das grundsätzlich immer der Schlager als Müllmusik bezeichnet wird - mehr als diese fürchterliche neue Autotune Popmusik oder andere Genres und dann Helene Fischer als Maßstab genommen wird nervt irgendwie tierisch.
Und es gibt genug Bands wo ich mir manchmal denke, dass das musikalisch Alles nicht so Bombe ist, die immer hochgelobt werden. Jean Michelle Jarre ist ja so ein Electro Pionier, aber wenn ich mir so ne Platte von dem anhöre frage ich mich, was außer bis auf die Sounds so besonders und toll daran sein soll. Musikalisch ist das eigentlich ganz schön lahm und öde. Sphärische Klänge minutenlang auf dem gleichen Akkord zu erzeugen ist echt keine Kunst und war es auch in den 70ern nicht, wenn man genug Geld für so teure Hardware hatte.
LG Tobi