Was ist deine Argumentation? Musikauswahl schlecht, weil: Songs zu alt - und: isso? Das muss man nicht so ausladend formulieren.
Mein Taschenrechner ist sich sehr sicher, dass kein einziger Hörer unter 50 das schon in den Siebzigern bewusst gehört hat.
Deine mathematische Gewissheit in Ehren, doch erlaube mir, die Sophistik deiner Taschenrechner-Arithmetik zu durchleuchten und die wahre Dimension dieses ästhetischen Desasters zu entfalten. Du operierst mit der naiven Annahme, dass "bewusstes Hören in den Siebzigern" die conditio sine qua non für die Kritik an der Musikauswahl sei - welch reduktionistische Betrachtung! Als hätte Theodor W. Adorno seine Kritik an der Kulturindustrie nur äußern können, nachdem er persönlich Zeuge der ersten Schellackplatten-Produktionen gewesen wäre. Die wahre Crux liegt nicht im kalendarischen Alter der Hörer, sondern in der konzeptionellen Fossilierung des Senders. EgoFM positionierte sich einst als Alternative zur seelenlosen Dudelfunk-Maschinerie und serviert nun exakt jene Songs, die seit Jahrzehnten das Rückgrat jeder beliebigen "Golden Oldies"-Rotation bilden. "Go Your Own Way" läuft nicht nur seit 1976 im Radio, es läuft seit 1976 in jedem Radio, das sich nicht gänzlich der musikalischen Lobotomie verschrieben hat.
Die Tragödie liegt nicht darin, dass Fleetwood Mac 1976 entstanden ist, sondern dass egoFM 2025 nichts Besseres einzufallen scheint als der 47.382. Durchlauf desselben Songs, der bereits in den Achtzigern, Neunzigern, Nullerjahren, Zehnerjahren und Zwanzigerjahren totgespielt wurde. Ein alternativer Jugendsender, der auf die immergleichen Mainstream-Klassiker zurückgreift, ist etwa so alternativ wie ein Döner-Imbiss, der ausschließlich Schnitzel mit Pommes verkauft. Die eigentliche Perversion - und hier wird dein Taschenrechner-Positivismus zur unfreiwilligen Komik - besteht darin, dass diese musikalische Steinzeit-Diät nicht etwa aus kuratorischer Weitsicht oder ästhetischer Überzeugung gewählt wird, sondern aus purer intellektueller Faulheit. Während Spotify-Algorithmen täglich Millionen von Nutzern mit personalisierten Entdeckungen beglücken, während selbst der hinterletzte Provinz-Webradiosender mit 47 Hörern täglich neue Musik kuratiert, beschränkt sich ein vermeintlich professioneller "Alternativsender" auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Supermarkt-Soundtracks.
Eine exemplarische Analyse der egoFM-Rotation der vergangenen Monate offenbart eine erschreckende Konzentration auf exakt jene Titel, die auch bei Bayern 3, SWR3 oder FFH in der Rotation stehen - nur eben mit weniger Professionalität präsentiert. Von alternativer Musikauswahl keine Spur; stattdessen das immergleiche Pantheon der Radiokonsens-Götter: Queen, Beatles, Red Hot Chili Peppers, Nirvana - allesamt in den immergleichen, seit Dekaden totgeduddelten Versionen. Die Demografie-Sophistik deines Einwands übersieht zudem elegant, dass gerade die unter 50-Jährigen diese Musik längst bis zum Erbrechen kennen - nicht aus den Siebzigern, sondern aus den vergangenen vier Jahrzehnten permanenter Rotation in sämtlichen Medien. Ein 25-Jähriger hat "Go Your Own Way" vermutlich häufiger gehört als mancher Zeitgenosse der ursprünglichen Veröffentlichung.
EgoFM scheitert nicht an den "erdrückenden Verbreitungskosten", sondern an der erdrückenden Phantasielosigkeit einer Programmgestaltung, die Alternative verspricht und Supermarkt-Muzak liefert. Wer 2025 noch glaubt, mit der 10.000sten Wiederholung von "Bohemian Rhapsody" Hörer zu begeistern, hat die Zeichen der Zeit nicht nur übersehen, sondern vermutlich nie verstanden. Deine Taschenrechner-Arithmetik mag mathematisch korrekt sein - die Rechnung für diese konzeptionelle Bankrotterklärung wird dennoch das Publikum präsentieren: mit der Fernbedienung in der Hand. Und was die Länge meiner Ausführungen angeht: Die Gedanken sind frei, lieber Mischpult, und ein derart vielschichtiges Desaster verdient eine ebenso vielschichtige Analyse.