Ihr tut alle so, als seien die großen erfolgreichen Popwellen Programme für das geistige Souterrain und die Hörerschaft geistig minderbemittelt.
Es ist nicht ganz so. Nicht vollumfänglich "platt", sondern "in bestimmten Lebensbereichen platt". Die Kombi "fachlich hochgebildet, aber kulturell platt" gibt es tatsächlich. Ich hätte eine promovierte Naturwissenschaftlerin im Angebot, die Antenne Bayern hört ("bringen den besten Verkehrsservice") und Trash-TV schaut ("meine Augen möchten abends unterhalten werden"). Sie ist damit sicher nicht die einzige. Sie ist hochintelligent, aber eben kulturell platt (es sei denn, sie würde mich noch überraschen mit hochkulturellen Präferenzen auf anderen Gebieten, aber das erwarte ich tatsächlich nicht angesichts ihres Mediennutzungsverhaltens).
Ähnliche Geschichte: ex-Mitschüler von mir, diplomierter Informatiker und in Mathematik und Informatik dementsprechen deutlich fitter als der Bevölkerungsdurchschnitt. Aber keinerlei Interesse an Kultur, zumindest nicht im Bereich Musik - und ein gesellschaftliches Zielbild aus der Mottenkiste. Dementsprechend nerven ihn auch "Linke" (er meint damit Menschen, die bunter und weltoffener, diverser und neugieriger sind als er). Mit egoFM hätte man ihn vermutlich zum Meltdown bringen können, diese Kombi hätte gar nicht gepasst. Musikalisch nicht - er hat offenbar ne handvoll Popsampler als CD, als er mich 2015 mal besuchte und meine kleine (ca. 800) CD-Sammlung sah, hielt er das für abartig und die Rückenaufschriften auf den CDs sagten ihm nichts (da standen halt Arcade Fire, Tom Liwa, Bonnie 'Prince' Billy, Death Cab for Cutie, Gundermann, New Order, Olli Schulz, Sophia, Sufjan Stevens oder Tocotronic) - und vom Wortinhalt / von den Themen her auch nicht (das hat ja bei egoFM mehr als nur Spuren von "Wokeness" enthalten). Dazu kommt - vielleicht ist das bei ihm auch der Hauptgrund für die Unberührbarkeit hinsichtlich kultureller und seelischer Dinge - ein völlig verschütteter Zugang zu seiner eigenen Innenwelt. Es ist erschütternd, dass er da nicht rankommt und verständlich, dass er alles im Außen, was daran kratzen könnte, radikal abwehrt. Aber fachlich intelligent, gesellschaftlich sehr engagiert (freiwillige Feuerwehr und aktiv in "Heimatforschung") und viel herumgereist ist er. Diese Kombi gibt es.
Und ich wiederum, fachlich auch formal zumindest einst einigermaßen fit gewesen, bin mit meinen kulturellen Präferenzen und vor allem meinen kulturellen Nicht-Fähigkeiten "platt" verglichen zu denen, die mehrere Instrumente spielen, im Chor singen und komponieren. Hatte ich auch mehrfach im einstigen fachlichen (Physiker-)Umfeld. Hammer-Leute, gegen die ich mich zu Recht sehr klein fühlte. Der begnadetste und faszinierendste verstarb in jungen Jahren dann an Krebs. Sowohl fachlich (theoretischer Physiker) als auch kulturell Lichtjahre weiter als ich. Und genau wie der andere komponierende und professionell im Chor singende (Auftritt in einem sauschweren Werk habe ich in der Berliner Heilg-Kreuz-Kirche einst miterleben dürfen) Physiker menschlich absolut bescheiden, bodenständig und supersympathisch. Der dritte hatte sich zu Hause eine richtige Orgel (!) eingebaut - gut, dass seine damalige Wohnung eine Empore hatte und über 2 Etagen ging. Da habe ich Respekt, massiven Respekt.
egoFM war (ist?) ein Programm, das ich als für die Zielgruppe "popkulturell offen und neugierig, gesellschaftlich bewusst und bemüht, aber nicht Hochkultur" einschätzen würde. Und diese Zielgruppe ist schonmal nicht "Mainstream". Wenn man dann noch berücksichtigt, dass egoFM als gewünscht "junges Programm" gerade in der Altersgruppe punkten will, die sich vom linearen Radio sowieso abwendet (sehe ich an meinem höchstintelligenten Patenjungen), wird es richtig eng. Da mogelt sich dann noch eine Null hinters Komma vor der ersten von Null abweichenden Ziffer...
So gesehen gebe ich Dir Recht, wenn Du schreibst
Trotzdem ist es ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Wenn das nicht rentabel ist (weil es zu wenige hören), muss ich aufhören.
Es ist unter den gegebenen gesellschaftlichen Zuständen offenbar nicht möglich, ein Angebot für diese Zielgruppe werbefinanziert zu gestalten. Hinzu kommt ja noch was: bei den kulturell Anspruchsvolleren, die ich kenne, führt Werbung i.d.R. zur sofortigen Abwendung. Auch Nachrichten, die nicht so dargeboten werdne wie beim DLF oder bis voriges Jahr bei Bayern 2, führen zur Abwendung. Das sind wirklich denkbar schlechte Bedingungen, kommerziell in dieser Zielgruppe punkten zu können.
egoFM ist da ja nicht das erste Privatradio, das es damit nicht schaffte. Ich möchte an HO*T FM erinnern:
Vor 20 Jahren, im Oktober 2001, wurde das Hofer Jugendradio H0*T FM eingestellt. Der Sender war eine echte Alternative zum Formatradio-Einerlei.
www.frankenpost.de
(zu lesen auf bekanntem Wege)
ür alles andere gibt es ein Angebot, das durch Beitragsgelder finanziert wird bei den Öffentlich Rechtlichen. Die können sich das leisten (noch)...
Nichtmal die leisten sich das noch. Die ARD-Jugendwellen sind wohl inzwischen durchgehend "platt", teils seit über 20 Jahren. Der Schritt von hr XXL zu YouFM war bekanntermaßen grausam, der Schritt von "MDR Sputnik" zurück zu "MDR Stupid" im Jahre 2010 war auch grausam. Beim NDR gab es nie ein anspruchsvolles Jugendprogramm (bzw. es versteckte sich als reine Popkultur-Darbietung auf NDR 4 / NDR Info). on3 / PULS hatte auch mal einen Anspruch, der heute aus Kostengründen nicht mehr zu realisieren ist (und der "Nahkontakt" entfiel wegen Brandschutz und entfällt künftig wegen ungeeigneter / nicht mehr vorhandener Räumlichkeiten). Fritz habe ich seit vielen Jahren nichtmal mehr angetestet, nachdem mir die mich ansprechenden Sendungen dort abhanden gekommen waren. NDR Blue, wo noch ca. 50% der moderierten Popkultur-Strecken von einst NDR Info untergekommen sind, wird eingestellt. Den Zündfunk gibt es noch - in einem ansonsten kaputtgemachten bayenr 2. Viel ist nicht mehr, auch nicht bei der ARD.
Das hier
Wenn das Zeug von EgoFM immer weniger Leute hören wollen, dann liegt das nicht primär am Empfänger, sondern am Sender.
kann man von 2 Seiten sehen. Formal wirtschaftlich ist es exakt so. Kulturell betrachtet ist es andersrum: das Radioprogramm ist ein Test, der die Bevölkerung testet. Vorausgesetzt, ein Programm ist "handwerklich" und technisch professionell, verprellt also nicht durch lausige technische Qualität oder lausige Fahrweise, kann ich mit der Ausgestaltung des Programminhalts und der Ansprechhaltung die Präferenzen der Bevölkerung beim Radiohören "vermessen". "Platt und billig" geht offenbar in Deutschland sehr gut, "immer das gleiche" geht auch sehr gut. "Nischig" geht schlecht, "musikalisch ungewohnt" und "gesellschaftlich bewusst" geht schlecht.