Ergebnis von 40 Jahren Privatfunk: Katastrophe oder Gewinn?

Jack Bauer 24

Gesperrter Benutzer
Ich nehme mal den Geburtstag des Privatfunks 2024 vorweg, in bereits gut einem halben Jahr ist es bereits soweit. Persönlich bin ich der Meinung, daß es Privatfunk geben sollte, frage mich allerdings, ob dieser in seiner derzeitigen deutschen Ausprägung wirklich ein Gewinn für den Hörer ist.

Aktuell haben wir die absurde Situation, daß sich der ARD-Hörfunk mit den kommerziellen Sendern um das niedrigsmögliche Niveau balgt. Ergebnis dieser Kannibalisierung: Beide Systeme weisen eine Monokultur bei der Musik und eine weitgehende Wortfeindlichkeit auf. Das ist natürlich nur eine zu beobachtende Tendez.

Einzelne positive Beispiele ragen aus dem Privatfunk-Einerlei heraus: Schwarzwaldradio mit seiner tatsächlich abwechlungsreichen Musik und ausdauernden Hörer-Interaktion oder auch Bob! mit seinem abwechslungsreichen Rock-Angebot setzen deutliche eigene Akzente.

Tonangebend sind aber die reichweitenstarken Massenwellen, wie Antenne Bayern, wo eine komplexe Nachrichtenlage in zweiminütige Kurznachrichten gepresst wird, die Moderation aus gelegentlichen, belanglosen, kurzen Einwürfen besteht und Inhalte im Tagesprogramm jenseits der Morningshow nahezu vollständig getilgt worden sind.

Kurzum: Die deutsche Mediengesetzgebung mit ihren Lizenzauflagen schreit meiner Meinung nach geradezu nach Reformen. In diesem Sinne müssten auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit Nachdruck an ihren gesetzlichen Auftrag erinnert werden. Die primitiven ARD-Privatradiokopien müssen verschwinden.

Interessant ist, welche Befürchtungen die Kritiker des Privatfunk vor dessen Einführung hatten. Alles nachzulesen in einem Artikel des SPIEGEL aus dem Jahr 1979. (Wie viele Artikel zur Medienpolitik ist auch dieser leider sehr fernsehlastig. Trotzdem können die dort gewonnen Erkenntnisse leicht abstrahiert und auf das Radio angewendet werden.)

Heute kann man feststellen, daß sie mit ihren Einwänden durchaus richtig lagen. Viele Programme führen nicht zwangsläufig zu vielfältigen Programmen, sagten sie zutreffend voraus. Sieht man bei DAB+: Dort treffen viele ähnlich programmierte Sender aufeinander. Den Niveauverlust der öffentlich-rechtlichen Programme haben sie auch richtig vorhergesagt.

Ihre Klagen in wesentlichen Ausschnitten:

"Die Kritiker freier Programmkonkurrenz meinen, wenn der »Massengeschmack« künftig das Programm diktiere, bedeute dies einen kulturellen Rückschlag von historischer Tragweite und eine politisch folgenschwere Einbuße an Informationsvielfalt.

Sie sagen lediglich eine Vielzahl der Programme voraus, nicht aber Vielfalt in den kommerziellen Programmen. Gestützt auf ausländische Erfahrungen und die bisherigen Einschaltzahlen hierzulande, halten sie die reflexhafte Seh-Sucht der Publikumsmehrheit nach der leichten Unterhaltung für die unausweichliche, dann sogar allein maßgebliche Programm-Maxime der Zukunft.

Dem Sog eines reklame-getrimmten privaten Programms müßten die öffentlich-rechtlichen Sender, wollten sie genügend Publikum und damit ihre Existenzberechtigung behalten, in gleicher Richtung folgen: runter mit dem Niveau.

In den Fängen von ein, zwei Dutzend elektronischen Zutreibern der Werbewirtschaft -- das wäre ein »Horrortrip« fürs ganze Volk, tagtäglich Massenverblödung, denn: Reizüberflutung verdummt."


 
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Kurzum: Die deutsche Mediengesetzgebung mit ihren Lizenzauflagen schreit meiner Meinung nach geradezu nach Reformen. In diesem Sinne müssten auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit Nachdruck an ihren gesetzlichen Auftrag erinnert werden. Die primitiven ARD-Privatradiokopien müssen verschwinden.
Sagst jetzt du.
Wie die ÖRR ihren gesetzlichen Auftrag nachkommen, bleibt ihnen überlassen. Ob da jetzt eine Popwelle auch Rock spielt, entscheiden die selbst. Und das ist gut so.
Und noch haben wir eine Rundfunkfreiheit, bei denen der Gesetzgeber (hier Landtage) nicht aktiv eingreifen können um mit Nachdruck irgendeinen wie auch immer definierten gesetzlichen Auftrag durchzusetzen. Und das ist auch mehr als nur sehr gut so.
Interessant ist, welche Befürchtungen die Kritiker des Privatfunk vor dessen Einführung hatten. Alles nachzulesen in einem Artikel des SPIEGEL aus dem Jahr 1979.
Oh man. Schaue dir mal die Jahreszahl an. Und dann ist es abschließend beantwortet... 1979 interessiert heute keinen.

Und bevor man den Thread wegen Sinnlosigkeit schließt:
Ja wir haben wie die meisten (oder alle?) Länder in der EU Privatsender im Radio. Ja und?
 
@Sieber
Du behauptest also allen ernstes, die ARD hat Narrenfreiheit?

Der Artikel dient als Abgleich mit der Wirklichkeit 40 Jahre später. Schön daß Du, ohne ihn gelesen zu haben weißt, wie dieser zu bewerten ist.

Reichlich oberflächliche und unterkomplexe Betrachtungsweise.
 
Anfangs ein Gewinn, weil die Öffentlich-Rechtlichen mit Ausnahmen wie SWF3 und später auch RIAS 2 doch sehr verstaubt und mit starken Brüchen im Programm-Flow daherkamen.

Auf die heutige Zeit bezogen würde ich aber nicht von einer "Katastrophe" sprechen. Wer anspruchsvollen Rundfunk will, findet ihn bundesweit empfangbar beim Deutschlandfunk und seinen Beibooten. Auch die ARD-Wellen senden nicht nur Trash.

Über manche Auswüchse beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann man sicherlich diskutieren. Aber diese Zuspitzung bei Deiner Frage finde ich übertrieben.
 
Zwischen dem, was man sich 1984 vom Privatfunk erhofft hatte, bzw. was damals versprochen wurde, nämlich mehr Vielfalt (nicht nur in musikalischer Hinsicht), und dem heutigen Zustand liegen Welten.

Die ersten fünf bis zehn Jahre waren ja wirklich noch fruchtbar, in beiden Richtungen, jeder bemühte sich noch, Privatfunk wie ÖR, aber seit Mitte der 90er hat man sich in beiden Systemen abgesprochen, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen, bzw. jegliche Ecken und Kanten zu vermeiden und im Zweifelsfall (sprich: immer) die Hörer lieber zu langweilen, als zu überfordern.

Das Ergebnis ist stromlinienförmiges Hintergrundgedudel auf allen Wellen, und praktisch keinen Unterschied mehr zwischen ÖR und Privat, zumindest nicht auf den massenattraktiven Wellen (die das im ÖR aber auch schon vor Einführung des dualen Rundfunksystems waren, nur eben auf viel, viel höherem Niveau), und am allerschärfsten ist, dass mittlerweile der ÖR und die Privatfunker die Rollen getauscht haben, das Attribut "Beamtenfunk", das dem ÖR früher anlastete, ordnet man heute den Privatsendern zu, die zu einhundert Prozent Dienst nach Vorschrift (der Berater) machen.

Zurückdrehen kann man die Zeit nicht mehr, aber allzu viel Zeit und Relevanz würde ich dem Medium Radio auch nicht mehr in der Zukunft geben, dafür ist einfach zu viel nachhaltig zerstört worden.
 
Wer anspruchsvollen Rundfunk will, findet ihn bundesweit empfangbar beim Deutschlandfunk und seinen Beibooten. Auch die ARD-Wellen senden nicht nur Trash.

Zählen wir nach: Wortwellen (3), Kulturwellen (8), Popkulturwellen (5), Klassik pur (2), Nachrichtenradios (6), Schlager/Heimat (3), Kinderprogramm (1). Wenn ich den Kahlschlag beim Zeitfunk auf WDR5/NDR Info oder bei den Inhalten auf den Kulturwellen ausblende, komme ich auf 28 Programme, die einen in unterschiedlichem Maße öffentlich-rechtlichen Fußabdruck aufweisen.

Diesen stehen gut 35 Privatradiokopien gegenüber. Ich stimme Dir somit zu. Nur was würdest Du mit den 35 flachformatierten Wellen machen? Die Auswirkungen auf den gesamten Markt sind enorm. Wenn die ARD-Dudler nicht reformiert werden, bekommen wir die Kannibalisierung zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Programmen nie in den Griff. Sie werden das Niveau auch in Zukunft gemeinschaftlich in den Keller treiben.
 
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Privatfunk war eine gute Idee und hat in vielerlei Hinsicht dem ÖR Beine gemacht. Leider hat das nicht dazu geführt, dass der ÖR sich auf seine Stärken besonnen und unentbehrlich gemacht hat, sondern dass er mit seiner technischen und finanziellen Übermacht eifrig die Privaten imitiert und wo es ging auch erschlagen hat. Und jetzt findet ÖR den Weg zurück nicht mehr.
Beide gemeinsam, ÖR und die Privaten, haben es mit gleichem Schuldanteil in den vergangenen 40 Jahren geschafft, Radio als journalistisches Medium weitgehend irrelevant zu machen. Heute ist der Höhepunkt in einem Radiojahr der "80er Tag" oder das "verrückte Wunschkonzert", Dinge, die früher zu den selbstverständlichen Programmelementen gehörten, bzw. in das Tagesprogramm integriert waren.
Wenn man überlegt, welche sensationellen Möglichkeiten Radio hätte, z.B. Echtzeitreportagen (nicht von Charles Krönung, sondern von wirklich releavnten Ereignissen, insbesondere im regionalen Kosmos), Live-Berichterstattung, authentische O-Töne (Bitte nicht Begeisterungsumfragen á la: Megageil, Oh mein Gott etc.), Interaktion mit den Hörern, Musikkompetenz, Personality und Empathie (statt glattgeschulter Roboterstimmen) bei den Moderationen - es steckt (immer noch) so viel Potenzial im Medium Radio, dass es zum Haareraufen ist, was nach vierzig Jahren daraus geworden ist.
Dass es die Privaten nicht richten werden ist klar, sonst könnte man auch von Mc Donalds erwarten, dass sie gesundes Essen auf den Tisch bringen. Aber dass die ÖR so kraft- und kampflos das Feld geräumt haben (und in ihren derzeitigen "Reformüberlegungen" eher noch zum Verschlimmbessern neigen), das ist die eigentliche Enttäuschung der vergangenen vierzig Jahre.
 
Radio hat sich genauso entwickelt wie TV und die Gesellschaft etc pp.
Vor 40 Jahren lasen die Leute noch Zeitung in der U-Bahn. Und ein Telefon war Eigentum der Bundespost.

Und vor 40 Jahren war bei einigen Privatsendern SWF 3 und rias2 Vorbild. Nur würden die in unveränderter Form heute mit Internet & Co. auch nicht mehr so dastehen wie vor 35-40 Jahren.

Die Diskussion Öffi vs. Private ist überflüssig und bereits in zahlreichen anderen Themen enthalten. Dem Themeröffner geht es wohl eher um Schwarzwaldradio und Radio BOB. Und ggf. um "Rock".
 
Dass es die Privaten nicht richten werden ist klar

Das muss nicht so sein. Es gibt mehrere europäische Länder, die den Kommerzfunk mit klaren Regeln auf die Spur gebracht haben.

Ein Beispiel kommt in dem verlinkten SPIEGEL-Artikel vor: Das kommerzielle ITV gibt es schon seit 1955 in Großbritannien. Als ITV ein paar Jahre später inhaltlich zu entgleiten drohte, hat der Gesetzgeber ITV mit zusätzlichen Lizenzauflagen wieder auf die Spur gebracht. Sogar die ehemaligen Privatfunkgegner waren von den "neuen" Nachrichten und Reportagen begeistert.

Der Markt alleine "richtet" es natürlich nicht immer, wie man auch anhand anderer Märkte (Wohnungsmarkt, Energiemarkt) analysieren kann. Zumal Radio für mich mehr ein Kultur- als ein kommerzielles Gut ist.

Was am Ende dabei herauskommen kann, wenn ein privater Anbieter Jahrzehntelang unkreativ und unter rein betriebswirtschaftlichen Vorgaben dahinwirtschaftet, sieht man an SAT 1. Der Sender ist heute inhaltlich eine Ruine. Er hat die Schraube soweit überdreht, beispielsweise mit seinen in der Zahl endlosen scrypted-reality-Formaten, daß er regelmäßig deutlich unter 5% Marktanteil fällt.

Das weitere, hier noch im Anflug befindliche, Siechtum für den Hörfunk kann man in den USA bestaunen. Die zu Tode formatierten, ursprünglich unterschiedlichen Musik-Stationen, hören sich mittlerweile alle gleich an.

Ob Classic Hits, Adult Hits oder Classic Rock, deren Playlisten sind so ausgedünnt, daß sich das Formatradio seit geraumer Zeit mangels musikalischer Unterscheidbarkeit - überall laufen dieselben Titel - von selber auflöst.

Hinzu kommt: Der musikalische Nachschub für die Hot AC/Top 40-Stationen bleibt aus. Das, was auf den Markt kommt, verfängt langfristig nicht. Mittlerweile fallen die Quoten der Hitsender unter die der "Oldiesender".

Der Mangel an Nachrichten und der Grad der Automation hat aus den Sendern zudem äußerst seelenlose, sterile Programme gemacht.

Der Blick gen USA hilft uns also auch nicht mehr weiter, sondern führt direkt in die Sackgasse. Neue eigene Ideen sind zwingend vonnöten!
 
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Dass es die Privaten nicht richten werden ist klar, sonst könnte man auch von Mc Donalds erwarten, dass sie gesundes Essen auf den Tisch bringen. Aber dass die ÖR so kraft- und kampflos das Feld geräumt haben (und in ihren derzeitigen "Reformüberlegungen" eher noch zum Verschlimmbessern neigen), das ist die eigentliche Enttäuschung der vergangenen vierzig Jahre.
Ich würde da sogar noch weiter gehen. Private Programme wie Second Radio und insbesondere ByteFM machen dem ÖR vor, wie sich vielschichtige Programme anhören können.

Andererseits ist natürlich die Medienlandschaft von vor 40 Jahren nur schwer mit der von heute zu vergleichen.. Im Fernsehen gabs noch einen Sendeschluß, Internet gab es nicht. Die Informationsquellen auch in Bezug auf Musik waren überschaubar. Es gab auch eine andere Toleranz gegenüber anderen Musikstilen bzw. ein anderes Musikverständnis insgesamt. Da lief dann schon mal Schlager neben Rock und es war ok - heute undenkbar! Übrig geblieben ist davon der "kleinste gemeinsame Nenner", den der übergroße Teil aller Radioprogramme zelebriert und damit offenbar immer noch ganz gut fährt.
Was den Privatfunk angeht, würde ich das Problem gar nicht bei der Politik sehen, sondern bei den aufsichtsführenden Medienanstalten. Wer schaut bzw. hört da wirklich hin, ob das was in der Lizenz steht, auch tatsächlich eingehalten wird? Wenn man belangloses BlaBla und das Aufsagen von Claims als Wortanteil deklariert und das dann auch als solchen durchbekommt, liegt das Problem klar bei den Medienanstalten.
Und auch beim ÖR ist es durchaus klar. Da versagen seit Jahren die Aufsichtsgremien. Wenn Intendanten in Bezug auf die Inhalte frei Schnauze zügellos agieren und immer weiter ausdünnen können, siehe beispielsweise WDR, läuft da belegbar irgendwas falsch. Eine wie auch immer geartete "staatliche Aufsicht" wäre zwar unter Umständen möglich, ist aber nur sehr beschränkt durchführbar, u.a. weil Rundfunk nunmal Ländersache ist. Die ganze Problematik ist letztlich nicht neu. Selbst eine Art "Ältestenrat" zur Qualitätsüberwachung des ÖR ist schon vor Jahren vielschichtig diskutiert und letztlich abgelehnt worden. Wo das am Ende hinführen wird, keine Ahnung. Klar scheint nur zu sein, dass sich der Rundfunk insgesamt damit selbst abschafft, wenn er nicht zu wirklichen Inhalten und echter Personalitiy zurückfindet.
 
seit Mitte der 90er hat man sich in beiden Systemen abgesprochen, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen, bzw. jegliche Ecken und Kanten zu vermeiden und im Zweifelsfall (sprich: immer) die Hörer lieber zu langweilen, als zu überfordern.
Die goldene Regel heißt: Du sollst nicht langweilen. Vom Privatfunk erwarte ich Nichts. Vom ÖRR: Alles. Wer die Privaten überflügelt, was Dudelfunk betrifft, sollte den Sendeauftrag nicht außer acht lassen. Da in DE meist nichts kontrolliert wird, gibt es kein Kläger. Radio 2023 hört sich leider wie Dienst nach Vorschrift an. Es fehlt an allem: Nähe, Regio, Beiträge, die über Häppchen-Journalismus hinausgehen. Begeisterung & Radio-Personality. Wenn ARD Gniffke bei seinem Kampf gegen die größten Streamer der Welt vergisst, dass die Beine, auf dem die ARD steht, linear sind, kann der ÖRR zur Katastrophe mutieren. Der Privatfunk ist ein Gewinn ,weil durch sie sich das duale System sich bewährt hat & es vereinzelt Radio mit Herzblut gibt & Musikexperten haben, bei denen im Vergleich die ARD nur in der letzten Reihe sitzt. Also auch bei mir ist die Entwicklung des ÖRR die größere Enttäuschung. Letztendlich grüßt das Spiegelbild der Gesellschaft. 😏
 
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