Ernst Elitz zur Gebührendebatte

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Denn sie wissen nicht, was sie tun

Nur wenn die öffentlich-rechtlichen Sender sich auf einen Qualitätskodex einigen, dürfen die Rundfunkgebühren erhöht werden

Von Ernst Elitz

Warum nimmt man sich für die Abendunterhaltungen die dürftigsten Bockbierfeste zum Vorbild? Warum verwendet man für die Konzerte eine Bums-Musik, die selbst abgehärtete Sterndampfer zum Kentern brächte? Warum lässt man neckische Rezitatorinnen ihren Altweibersommer austoben? Weil das dem Publikum gefällt?“, ereiferte sich ein Medienkritiker 1932 in Carl von Ossietzkys Weltbühne, und dennoch klingt es, als hätte er gestern abend die schwere Dosis von zwei Karneval-Übertragungen samt Stefanie Hertel und Costa Cordalis bei seinem Abgang aus dem RTL-Dschungel-Camp zu sich genommen. Ein Dreivierteljahrhundert ist vergangen, und die Fragen, die an Radio und Fernsehen gestellt werden, sind noch immer die gleichen.

Die Debatte über den Qualitätsverfall in den Medien gleicht einem Anfallsleiden. Sie wiederholt sich alle Jahre und verschwindet so plötzlich, wie sie gekommen ist, denn die Öffentlichkeit gibt sich mit therapeutischen Antworten zufrieden, die meist nichts ändern, weil sie ohne gründliche Diagnose gegeben werden. Dabei ist Qualität in den elektronischen Medien ebenso messbar wie die Qualität einer Wochenzeitung oder eines Konzerts.

Während in jedem halbwegs ernsthaft agierenden Unternehmen erst einmal entschieden wird, welche Produkte man anbieten, welchen Bedarf man wecken oder befriedigen und welche Kunden man ansprechen will, jonglieren in der Gebührendebatte viele schon mit der zweiten Stelle hinter dem Komma, ohne wirklich zu wissen, was eigentlich berechnet und produziert werden soll. Die Ministerpräsidenten ahnen, dass 61 Radios zu viel sind, die KEF errechnet mit indexgestützten Prüfverfahren eine Rundfunkgebührenempfehlung und bekennt dennoch, dass ihr herkulisches Werk einer Struktur gelte, die sie so gar nicht mehr wolle. Zugleich üben sich die Politiker im dialektischen Seilsprung: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bekäme seine Gebühr, damit er nicht nach der Quote schielen muss, versichern sie mit treuherzigem Augenaufschlag, um dann gleich hinzuzufügen, aber wenn die Quote sinke, müsse man sich fragen, ob die Gebühr noch gerechtfertigt sei.

Gegen diese Kakophonie von Wünschen und guten Ratschlägen kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur bestehen, wenn er sich selbst Qualitätsstandards setzt, die ihn klar von anderen Medienangeboten unterscheiden. In der Schweiz und in Großbritannien hat man sich längst von rein kameralistischen Rechnungsmethoden verabschiedet und bewertet Sender und Sendungen mit speziellen Kennziffern für ihre Qualität und ihr handwerkliches Können. Die Zahl der Erstausstrahlungen und Eigenproduktionen fließt in die Bewertungskataloge ebenso ein wie die Vielfalt der Genres in der Hauptsendezeit.

Auch für die Intensität der regionalen Berichterstattung und für den Mut zum Experiment werden besondere Kennzifferwerte vergeben. Die Freiheit von werblichem Einfluss, die Einhaltung mitteleuropäischer Anstandsregeln, Respekt vor der Privatsphäre und der Nutzwert der Sendungen geht ebenfalls in die Ratings ein. So subjektiv einzelne Urteile dabei ausfallen mögen, sind die Bewertungen durch internes wie externes Monitoring in der Summe objektivierbar, und sie werden auch schon in Deutschland erprobt. Solche Kriterien schützen die Macher vor einem programmfernen Controlling, das lediglich Minutenpreise vergleicht, sie in Bezug zu Marktanteilen setzt und wenig quotenstarke Sendungen in die Randlagen des Programms verschiebt und damit auch den Kulturredakteur der Verpflichtung enthebt, seine Sendung so attraktiv zu gestalten, dass jenseits einer treuen Zuschauerschaft neue Fangruppen einschalten.

Wer nur Kosten vergleicht und nicht zugleich Qualitätskriterien zugrunde legt, kann sich vor Erstaunen nicht fassen, wenn der Minutenpreis für ein Klassikprogramm beim Bayerischen Rundfunk mit eigenen Weltklasse-Orchestern und Wortproduktionen bei 177 Euro pro Minute liegt, während das bitterarme Radio Bremen für das Einschieben von Klassik-CDs in den Schlitz mit 5 Euro Programmkosten pro Minute auskommt. Was die KEF als „erhebliche und schwer nachvollziehbare Streuung“ definiert, ist in Wahrheit ein zwar erheblicher, aber klar nachvollziehbarer Qualitätsunterschied wie der zwischen Philharmonie und Musicbox. Auch jeder quotenträchtige Dampf-Talk mit politischen Dauerrednern samt ihren Friseuren ist allemal kostengünstiger als eine gut recherchierte Hintergrundreportage. Anspruchsvolle Informations- und Kulturproduktionen haben einen anderen Preis als Wiederholungsfernsehen oder das auf 300 Radiokanälen nur von Verkehrshinweisen und Werbespots unterbrochene und von Moderatoren-Persönlichkeiten wie „Dörti Dani“ oder „Maddog – die Morgenlatte“ apportierte Dudeldumm des reinen Geräuschradios.

Unser Weltbühne-Kritiker von 1932 kannte die Hörer. Er kannte den „Schlächtermeister Pachulkski, der zürnend im Funkhaus anläutet“, warum man ihn für seine Gebühr „schon wieder mit der verfluchten Kammermusik und literarischen Vorträgen langweile“. Im Hinterzimmer begegnet den Medienpolitikern der Wähler Pachulkski, der für sein Geld derbe volkskundliche Sendungen wie Kölner und Mainzer Karneval zu konsumieren verlangt. Auch Familie Pachulkski verdient beste Ware. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind in der Pflicht, in allen Genres klare Standards zu setzen, das heißt, auch für Serien und Unterhaltungssendungen gibt es positive Kennziffern für eigenproduziertes und eigenentwickeltes Programm, null Punkte für das Abkupfern von Stoffen und Formaten, mit denen schon andere auf Nummer sicher gegangen sind.

Qualität ist die Abkehr vom ewig Gleichen und auch die Pflicht zur Provokation. Insoweit war Harald Schmidt auf Sat.1 im Grunde öffentlich-rechtlich. Qualität ist das nachdrückliche und nachhakende Fernsehgespräch. Maischberger auf n-tv entspricht solchen Qualitätsmaßstäben mehr als viele menschelnde Quasselrunden. Auch in Informationsprogrammen hat das Selbstproduzierte und Selbstrecherchierte Vorrang vor der Resteverwertung. So genannte Content-Radios, die das schon dreimal Gesendete noch ein viertes Mal neu formatieren, gehören als Audio-on-Demand-Angebote ins Internet und dürfen nicht wertvolle Frequenzkapazität verstopfen.

Musikkanäle verdienen positive Kennziffern, wenn sie sich der Forderung nach mehr deutschen Schlagern erfolgreich widersetzen. Eins live ist ein Jugendprogramm, das Kids süchtig macht, weil es gerade kein kommerzielles Dudeldumm und kein politisch erwünschtes Musik- und Wortprofil bietet. Der Rundfunk muss als kultureller Anstoßgeber mit Eigenproduktionen die zeitgenössische Musik fördern und Werke, die an den Rand gedrängt und vergessen wurden – etwa die von den Nazis vertriebenen Komponisten – mit seinen Orchestern wieder auf den Spielplan setzen. Gegenüber den konjunkturabhängigen Privatprogrammen, die sich, wenn die Kasse stimmt, auch einmal große Stücke leisten wie Das Wunder von Lengede oder Der Tunnel, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Kontinuität verpflichtet. Die Gebühr gibt ihm langfristig Planungssicherheit für anspruchsvolle Programmvorhaben wie Napoleon, Die Manns oder demnächst die Stauffenberg-Filme. Solche Selbstverpflichtungen sind Voraussetzungen für eine Gebührenerhöhung.

Wenn die Politik sich plötzlich als ideeller Gesamtrundfunkrat der Gesellschaft versteht, muss sie ein paar neue Orientierungsmarken setzen und diejenigen Sender honorieren, die bei diesem Qualitätswettbewerb Spitzenpositionen erreichen und das auch für die Zukunft versprechen. Ein solches Ranking wäre ein neuer, fundierter Ansatz im medienpolitischen Dauerstreit. Die Ministerpräsidenten könnten wieder kulturpolitisch Terrain gewinnen, nachdem sie in den letzten Jahrzehnten medienpolitische Entscheidungen allzu gern wegdelegiert haben. Über Ausstrahlungskapazitäten und die Zulassung neuer Programme entscheiden inzwischen Medienanstalten, die sich als Interessenwahrer der Kommerzprogramme dem Einfluss der Rundfunkhoheit der Länder weitgehend entziehen und kurz vor der Jahreswende als ihren speziellen Beitrag zur Medienvielfalt vier neue Sexkanäle genehmigten. Für Qualitätsangebote sind Kabelkanäle und Radiofrequenzen weiterhin knapp. Dabei hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk alle Potenziale, um sich als Kontrastprogramm zur Vulgarisierung der Medienlandschaft zu behaupten. Aber er muss sich gemeinsam mit der Politik aus dem Glasperlenspiel einer Zahlenakrobatik befreien, die alles genau berechnet, aber im Grunde nicht weiß, wofür.

Deshalb sollten Politik und Rundfunk ein paar Fragen beantworten: Welchen kultur- und gesellschaftspolitischen Auftrag haben ARD, ZDF und DeutschlandRadio? Welchen Qualitätsansprüchen müssen einzelne Sendestrecken genügen? Was kostet Qualität in den jeweiligen Genres? Wie viel Personal braucht man dafür? Was ist nötig, damit der ökonomische Unsinn öffentlich-rechtlicher Konkurrenzangebote der Vergangenheit angehört? Warum kommt der eine Sender mit zwei Hörfunkprogrammen aus, während der andere sieben braucht? Wo gebieten hohe Produktionskosten für Informationssendungen, Hintergrundberichte und Kultur eine nationale Verbreitung? Wie viel sind uns im vereinten Europa europäische Programme wie 3sat und Arte wert?

Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es lediglich einer Voraussetzung: des gemeinsamen guten Willens von Rundfunkhoheit (Länder) und Rundfunkfreiheit (Sender). Das Ergebnis wäre ein Qualitätskodex und eine Selbstverpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen, die ihre Angebote klar vom Kommerziellen zu unterscheiden hätten. Der kleinliche Gebührenstreit hätte ein Ende, weil ein für alle Mal klar ist: Die Rundfunkgebühr ist mehr als ein Finanzierungsinstrument. Sie ist vor allem eine Qualitätssicherungsgebühr.


Ernst Elitz ist Intendant des DeutschlandRadios

(c) DIE ZEIT 12.02.2004 Nr.8
 
Herr Elitz könnte ja mit gutem Beispiel vorangehen und etwas weniger Gebühren verpulvern. Solange er die "Qualität" - insbesondere seines Berliner Senders - nicht verändert, braucht es auch keine weiteren Frequenzen. Es hört sowieso kaum jemand zu. Ob nun mit 0,05 KW in Mittenwald oder100 KW in Berlin.;)
 
Will sagen ... wo ist die Aufwand / Nutzen - Betrachtung. Vor kurzem lass ich was von Gerichtsverfahren gegen Landesmedien-Anstalten, weil irgendwelche Frequenzen nicht zugeteilt wurden. Wer bezahlt das wieder Herr Elitz ? Na der treue Gebührenbürger ... Thx a lot !
 
Keine Angst, RIAS..., es ist weder der DLF noch das DLR, die unsere Gebühren verpulvern. Nimm mal etwa 40 Cent deiner monatlichen Gebühr als Kosten für diese beiden Sender zusammen. Das ist noch im Rahmen, oder? db
 
Danke für die Relativierung. Irgendwie hatte ich das erwartet.
Aus 40 cent x Anzahl Gebührenzahler wird aber dennoch eine stattliche Summe.

Natürlich sind die anderen ÖRs auch gefordert. Da Herr Elitz diesem Kreise angehört sollte er mit gutem Beispiel voran gehen.
 
Also Rias,

Dein Herumhacken auf Herrn Elitz und seinem Deutschlandradio klingt nicht besonders reflektiert. Öffentlich-rechtlicher - im positiven Sinne - geht's kaum noch: Gute Inhalte abseits vom Dudelfunk und die zu einem Preis produziert, wegen dem keiner eine Gebührendiskussion anfangen würde.
 
Danke, Grenzwelle! Die Ansichten des Herrn Elitz in den Köpfen diverser anderer ÖR-Intendanten und wir hätten nicht nur ein wirtschaftliches Problem weniger, dass sich nämlich die Privaten nicht mit gebührenfinanzierter Konkurrenz herumschlagen müssten, wir hätten auch Radio, das den Namen verdient. Soll ja nicht heißen, dass das DLR nicht verbesserungswürdig wäre, aber die Denkweise eines Herrn Elitz halte ich hier für durchaus vorbildlich.
 
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