Und das steht morgen (12.3.02) dazu in der Suedeutschen Zeitung:
Lokalfunker im Konflikt mit dem privaten Landesprogramm
Radio Essen steigt aus
Der Sender im Ruhrgebiet plant, seinen Vertrag mit Radio NRW zu kündigen – weitere Städte könnten folgen
Von Tom Brankamp
und Michael Tobias
Essen – Radio NRW gilt mit seinen 43 angeschlossenen Lokalstationen als erfolgreichster Privatsender Deutschlands. Doch das Modell hat spätestens am vergangenen Donnerstag Risse bekommen: „Wir haben uns entschlossen, den Vertrag mit Radio NRW zu kündigen“, sagt Eckart Löser, Chef der Veranstaltergemeinschaft von Radio Essen, dem obersten Gremium des Senders aus der Ruhrgebietsmetropole. Die Essener Entscheidung könnte weit reichende Konsequenzen für die Lokalfunk-Landschaft haben, weil viele kleine Sender mit Ausschüttungen aus den Werbe-Erlösen von Radio NRW subventioniert werden. Essens Ausstieg droht nun, durch den Wegfall der Einnahmen das Gesamtsystem zu kippen. Das könnte Arbeitsplätze kosten: Im NRW-Lokalfunk arbeiten immerhin rund 1600 Menschen.
Bisher produziert Radio Essen nur stundenweise eigene Sendungen und übernimmt, wie 42 andere Lokalsender auch, in der übrigen Sendezeit das Angebot von Radio NRW. So werden etwa die Weltnachrichten, der Verkauf der überregionalen Werbung und auch die Musikauswahl für die angeschlossenen Stationen in Oberhausen gebündelt.
Mehr eigenes Programm
Dem Votum der Essener Veranstaltergemeinschaft (VG) waren monatelange Verhandlungen mit Radio NRW vorausgegangen. „Nach zehn Jahren wollten wir den in den Pioniertagen des Lokalfunks geschlossenen Vertrag mit Radio NRW an einigen Stellen ändern“, sagt der Essener Chefredakteur Bernd Drescher. So wollte Radio Essen das Weltnachrichten-Angebot aus Oberhausen nur noch teilweise nutzen und mehr eigenes Programm senden. „In einer Metropole wie Essen macht es aus meiner Sicht oft Sinn, die Weltnachrichten mit einer lokalen Meldung aufzumachen“, sagt der 53-jährige Drescher. „Auch die Staumeldungen aus Ostwestfalen-Lippe interessieren die Menschen im Ruhrgebiet wenig.“
Die Essener sind nicht die ersten im Land, die sich mit Radio NRW anlegen. Schon 1999 hatten sich zwei Sender vom Mantelanbieter losgesagt, weil die Oberhausener nicht zu Zugeständnissen bereit waren. Seitdem machen die Radiostationen 107.8 Antenne AC im Kreis Aachen und Aachen 100,EINS in der Stadt mit einem neuen Gesellschafter, der Dornier Medien GmbH und Co. KG, eigenständige 24-Stunden-Programme. Radio NRW hatte die Wünsche der beiden Aachener Sender mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht einzelnen Sendern bessere Konditionen anbieten könne als dem großen Rest. „Es hat macht nur dann Sinn, über Vertragsveränderungen nachzudenken, wenn wir davon ausgehen können, dass diese Veränderungen im Gesamtsystem konsensfähig sind“, schrieb Radio-NRW- Geschäftsführer Hartmut Gläsmann auch den Essenern.
„Es geht uns aber nicht um die beste Lösung für Radio NRW, sondern um die beste Lösung für uns“, kontert Essens VG-Chef Löser, 59, der Radio NRW „eine vom Horizont her begrenzte Haltung“ unterstellt.
Während Radio NRW den Wegfall der Aachener noch verkraften konnte, kommt der Sender nach Essens Ausstieg in Erklärungsnöte. Sollte es bei der Trennung bleiben, fehlen den Werbekunden die Hörer aus der nach Köln zweitgrößten Stadt des Landes. Probleme könnte das Konstrukt Radio NRW vor allem dann bekommen, wenn sich Lösers Einschätzung bewahrheitet: „Mein Eindruck ist, dass bei etlichen anderen Veranstaltergemeinschaften auch latent eine Bereitschaft zum Ausstieg da ist. Es gab nur niemanden, der den ersten Schritt gewagt hat.“
Dass gerade die Essener diesen Schritt wagen, könnte eine besondere Signalwirkung haben. Radio Essen gehört zum WAZ-Konzern, der in NRW an elf Stationen meist mehrheitlich beteiligt ist.
Trotz der Entscheidung gegen Radio NRW zeigt sich Löser verhandlungsbereit. „Wir wollen das Solidaritäts-Modell, bei dem stärkere Sender die schwächeren subventionieren, nicht gefährden. Es ist denkbar, dass wir mit Radio NRW einen Vertrag über die Vermarktung unserer Werbezeiten schließen, nur um das System zu stützen.“ Fraglich ist, ob sich die Gegenseite darauf einlässt. Die Aachener hatten versucht, eine ähnliche Vereinbarung zu treffen – und sind gescheitert. Der Grund: Bei solch einer Vermarktung müsste Radio NRW den Lokalsendern wesentlich bessere Konditionen einräumen.
Verhandlungsbereit
„Um eine Verhandlungsgrundlage zu haben, haben wir natürlich schon im Vorfeld Alternativen geprüft“, sagt Löser, der überzeugt ist, dass sich der Alleingang für die Essener rechnen wird. Auch Geldgeber WAZ habe keine wirtschaftlichen Einwände gegen den Vorstoß vorgebracht, sagt der VG- Vorsitzende.
Der Grund für Lösers Optimismus ist eine Vergleichsrechnung mit dem bayerischen Lokalfunkmodell, die auch die Aachener Sender vor dem Start in die Selbständigkeit aufgemacht haben. Der bayerische Rahmenprogrammanbieter BLR veranschlagt für seine Leistungen etwa vier Millionen Euro im Jahr, Radio NRW dagegen einen Betrag, den Beobachter auf mehr als 40 Millionen Euro schätzen. „Wir leisten uns einen Rolls-Royce in Oberhausen“, ärgert sich Radio Essens Chefredakteur Drescher. In Essen wird jetzt intensiv an Konzepten gefeilt, wie es nach Vertragsende Anfang 2004 weitergeht: Drescher war schon zweimal in München, um sich über den bayerischen Stand der Dinge zu informieren.
Quelle:
www.sueddeutsche.de