FOCUS: Radiogedudel schädigt Musikbusiness

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radiofreund

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Der durch und durch formatierte Einheitsbrei auf zahlreichen deutschen Radiostationen mache Musik immer mehr zur Nebensache. Es gäbe viele gute, neue Künstler und Songs, die aber keine Chance hätten, durchs Radio bekannt zu werden, weil die Sender lieber altbekannte Künstler und 0815-Titel spielen.

Neben dem Song-Klau per Internet sei das Formatgedudel der Radiostationen die Hauptursache für schwindende Gewinne bei den Musikkonzernen, ist in der neusten FOCUS zu lesen.
 
Dazu gibt es einen längeren zwar älteren Artikel, aber nicht umsonst auf der Titelseite der IFPI (Bundesverband Phono)

<a href="http://www.ifpi.de/index.htm" target="_blank">http://www.ifpi.de/index.htm</a>

sehr lesenswert
 
Puh, tatsächlich sehr lang, aber interessant!

Interessant vor allem der Aspekt: Weil Radio kein Trendsetter mehr ist (weil es nur spielt, was ganz sicher gern gehört wird), fordern die Tonträgerhersteller eine Überprüfung des "Senderechts". D.h. ein Sender könnte dann u.U.nicht mehr frei und ohne Erlaubnis jeden beliebigen Titel spielen. Dieses Privilleg gab es nur, weil sich Musikindustrie und Radio früher gegenseitig nützlich waren.

<small>[ 12-08-2002, 16:06: Beitrag editiert von radiofreund ]</small>
 
Klar, die Musikindustrie jammert. In diesem Fall vielleicht nicht einmal zu Unrecht, nachdem die "Raubkopierer" als Ursache für Umsatzeinbrüche wohl nicht mehr tragbar sind.
Der oben genannte Artikel (den ich auch noch nicht kannte) beschreibt die Situation ja auch sehr treffend. Nur ändern wird sich deshalb nichts, auch nicht durch Rockradios, die auch nur die abgenudeltsten Feld-Wald-und-Wiesen-Super-Rock-Hits bis zum Erbrechen wiederkäuen.

Vielleicht sollte man doch baldmöglichst wieder auf Menschen statt Maschinen setzen <img border="0" title="" alt="[Winken]" src="wink.gif" />
 
Steht das wirklich im Focus, hier hab ich etwas was eher auf den Spiegel hinweist:

Renner attackiert Radios

Die Radiosender in Deutschland machen keine Hits mehr, findet Universal-Chef Tim Renner. So diktierte er es dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Spiegel" ins Interview. Speziell die elektronische Musikszene aus Deutschland, die im Ausland besonderen Status genieße, sei in ihrer Heimat unterbewertet, "weil deutsche Radios fast nie diese Musik spielen". So würden "Riesentalente" wie Maximilian Hecker, Märtini Brös. sowie Szenen um Labels wie Kompakt oder Gigolo daran scheitern, "dass zwar viel über sie geschrieben wird, sie aber im Fernsehen und Radio praktisch nicht vorkommen". Das betrachte er gerade in Zeiten, in denen der "Markt wackelt wie blöd", mit Sorge. Die wichtigste Plattform für Musik habe sich unter privatwirtschaftlichem Druck zum Hintergrundmedium degradiert: "Um möglichst hohe Zuhörerquoten zu schaffen, wird der kleinste gemeinsame Nenner gesendet. Das Gegenteil von aufregender, authentischer Musik", so Renner. Zumindest öffentlich-rechtliche Sender müssten versuchen, das Medium wieder relevant zu machen.

Quelle: musikwoche.de
 
Musik senden zu dürfen ist doch keine Gnade, die von der Musikindustrie verteilt wird, sondern ein über Gema & Co. teuer erkauftes Recht.
 
Die von SELECTOR angesprochenen Gema und Co Kosten sind Pauschal-tarife, die seit Einführung des Privatradios gelten. Sie sind meines Wissens nicht nennenswert erhöht worden und eigentlich nur eingeführt worden, um den Privatsendern ein halbwegs wirtschaftliches Programm zu ermöglichen. Damals war aber auch die Programm - als auch die Musikgestaltung eine völlig andere als heute (es wurden nicht nur die allseits bekannten besten Hits der 70er...etc.pp) Für die Musikdudelstationen könnte man ruhig überlegen, die Gema-Gebühren mal zu erhöhen...
 
@u87

hallo neumann <img border="0" title="" alt="[Ha!]" src="tongue.gif" />

sollte man nicht vorher die gema relaunchen???

Oder anders gefragt: -Ist die GEMA in ihrer jetzigen Form noch "zeitgemäß"?-

sysTim

<small>[ 12-08-2002, 21:30: Beitrag editiert von systim ]</small>
 
Mal ne Zwischenfrage:

Was bezahlt ein gut laufender deutscher Privatsender dafür, dass er dudeln darf. Auf der Gema Homepage steht pro Gerät und Monat sei 0,00511 € zu zahlen -&gt; <a href="http://www.gema.de/kunden/direktion_rundfunk/tarife/s_vr_thf_pr_tarif.shtml" target="_blank">http://www.gema.de/kunden/direktion_rundfunk/tarife/s_vr_thf_pr_tarif.shtml</a>

Nehmen wir Sender XY, mit dem besten aus allen denkbaren Jahrzehnten, 300 tausend Hörer:

300.000 * 0,00511 = 1533€ pro Monat (und das noch ohne die Abzüge, die sich durch Wortanteil im Programm ergeben)

Das kann doch nicht sein!

Wo ist mein Denkfehler?

break kriegt Kopfschmerzen vom vielen Denken
 
@breakingnews
Nicht unbedingt ein Denkfehler, nur nicht richtig weitergelesen. In § 2. bei der gEMA steht nämlich:

"2. Werbeeinnahmen
Sofern der Prozentsatz von 6,2 % der Werbeeinnahmen des Veranstalters einen höheren Betrag als die nach Ziff. 1 errechnete Vergütung ergibt, ist dieser Prozentsatz als Vergütung zu entrichten. Ziff. 1.1 und 1.2 finden keine Anwendung."

Also sind wohl in der Regel 6,2 % der Werbeeinnahmen an die Gema zu entrichten.

Salute
moonlight
 
Äh - mal wieder andersrum überlegt: wie wird ein Titel eigentlich zum Hit, der im Radio gespielt wird? Doch nicht durch den Erfolg beim Publikum, sondern durch die gezielte Bemusterung der Radiostationen durch major labels zum Beispiel. Die Band aus der Retorte ist das Ding der Gegenwart. Warum sonst schiesst ne girlie- oder boylie-Group bei den Verkaufszahlen der ersten Single top in den Himmel, obwohl noch nie was von den Möchte-gern-Künstlern zu hören war? Das Label, das einen coup in Sachen Pop-Musik landen will, braucht ein klar kalkulierbares Erfolgspotential. Also wird der Marktwert des Produkts per Bemusterung getestet, bei genügend Anklang wird dann soviel Geld reingepumpt, daß der in Euro gemessene Erfolg fast restlos planbar ist. Mit Kunst und Weiterentwicklung von Musik hat das nichts mehr zu tun. Und auch nicht mit dem Radio-job, Musik für´s Volk zu spielen. Wir spielen, was die labels wollen.

Und daß mir von den Unternehmen im Verband der phonographischen Industrie bitte keiner jammert: sie setzen uns seit Jahren "Hits" vor, die heute gekauft werden und morgen keinen mehr interessieren. Ein Lied hat keine message mehr zu verbreiten, sondern nur noch Euro zu erbringen. Es ist also eine beliebig austauschbare Grösse zur Generierung von Profit geworden. Wen wundert´s wirklich, daß viele Konsumenten sich dieses Verhalten zu eigen machen und sagen: Musik ist keine Kunst sondern ein Gebrauchsartikel - den beschaff ich mir, aber für den Zahl ich nicht!
 
@moonlight

Aber legt ein privates Unternehmen, wie ein Radiosender freiwillig seine Einkünfte offen? Eine GmbH ist schließlich keine AG. Wie kann die Gema wissen, was ihr zusteht?
 
Hits werden doch heutzutage nicht mehr im Radio, sondern bei MTV, VIVA oder Raab TV gemacht - und die Sender müssen dann auf der Quotenjagd das spielen, was die Kids cool finden. Um selbst was auszugraben, kleine Labels zu durchforsten und vielleicht zumindest Insider-Hits zu "machen", bräuchte man einen Redakteur, der seine eigene Sendung hat und die Zeit bekommt sich ordentlich darauf vorzubereiten - das gibt es aber nur noch bei den ÖR.
 
also das ist ja schon ein sehr interesantes thema hier! vorweg muss ich erstmal sagen, das ich von dieser materie net so den plan hab, aber was dazu sagen möchte ich trotzdem...

...wenn man es kurz fasst,(so, wie ich es verstanden hab) dann dreht es sich nur um die kohle! und wo es sich um kohle dreht iss kein platz für kreativität und nachwuchs!!
die frage ist doch "was kann man dagegen tun"?
ich denke, das fängt bei den hörern an! man darf nicht immer alles so hinnehmen, wie es einem vorgehalten wird!

ich will eigentlich nur damit sagen, das es absolut besch***en ist, das sich heut zu tage alles nur um kohle dreht!
 
@ Hoger:

Boy- und Girliebands boomen nur deswegen so sehr, weil sie vorher vier bis sechs Wochen jeden Tag im Fernsehen zu sehen waren. Die Kids fiebern mit und bilden sich ein, dass sie via Telefon mitbestimmen könnten, wer reinkommt oder rausfliegt (Oder war das Big Brother?!)

Sie fühlen sich "ihrer" Band dann dermaßen nahe, dass es fast schon egal ist, was die machen. Ich glaube, die könnten auch 3'00" lang ihre Fans beleidigen oder "Ficken!" schreien und wären trotzdem auf Platz 1. <img border="0" title="" alt="[Breites Grinsen]" src="biggrin.gif" />

Adios! Chefkoch
 
@ berlinreporter

Falsch, nicht immer werden Hits beim heiligen Musikfernsehen gemacht, denn die fordern die Plattenfirmen auch immer häufiger auf, einen Titel erst im Radio zu positionieren bevor sie ihn auf Rotation nehmen ... nur welcher Radiosender spielt die Songs schon vorher ... hmmm ... ein kleiner Teufelskreis ... Pech für Plattenfirmen ... Lösung: Plattenfirmen sollten nicht jede Woche 50 Maxis von verschiedenen Künstlern veröffentlichen, sondern sich lieber auf ein oder zwei Künstler festlegen, dafür gezielte und richtige Promotion betreiben, der Song muß natürlich auch gut sein, dann klappt es auch mit dem Hit.

Fragen an die Musikredakteure unter Euch:

Oder sehe ich da was falsch?

Denken Eure Promoter eigentlich auch, dass Ihr alle 10 Produkte (oder was weiß ich, wieviele es wirklich sind), die ihr in der letzten Woche zugeschickt bekommen habt, alle auf Rotation nehmt !?!
 
Der IFPI-Bericht ist ziemlich interessant und (leider) verdammt realistisch - die wichtigste Aussage:

Songs werden ausschließlich über ihren "Abschaltfaktor" bewertet.

Sprich - dem Hörer wird von vorherein gar keine Chance mehr gegeben, selber zu entscheiden, ob er einen Song gut oder schlecht findet. Wäre ja nicht so schlimm, wenn nur die Privaten so vorgehen würden, aber die Ö/Rs mit ihren gigantischen Musikarchiven legen hier auch &gt;50 Jahre Populärmusikgeschichte einfach beiseite und dudeln nur das runter, was auch Hinz und Kunz nicht überfordert. Bloß keine Experimente. Bloß nichts unbekanntes. Der Hörer - Verzeihung: Werbebotschaftenempfänger - könnte ja ABSCHALTEN.

Ach ja - an meinem Autoradio hängt jetzt ein MP3-CD-Player. Mit 200 (von Vinyl handgerippten!) Songs pro CD habe ich ein garantiert abwechslungsreichers Programm als es mir Radio wohl jemals wieder bieten wird. Der einzige Nachteil - Neues (sofern es sowas wirklich geben sollte) bleibt halt vor mir verborgen und die Plattenindustrie verdient an mir keinen Pfennig. Und da spannt sich auch wieder der Bogen zum bösen, bösen MP3-Konsumenten.

Radio kills music!
 
Ich gestehe: Ja, auch bin mittlerweile auf mp3-CD umgestiegen.

Was waren das noch für Zeiten vor dem Privatfunk, als Moderatoren wie Frank Laufenberg uns Kids Textauszüge vorgelesen, übersetzt und erklärt haben - da interessierten sich noch viele Jugendliche für die Inhalte der Songs - wir haben Songtexte sogar in der Schule diskutiert und konnten bei einem Englischlehrer Interpretationsreferate schreiben. Damals wurde man im Radio eben noch zum Zuhören eingeladen und nicht zum Nebenbeihören gezwungen - und damals konnten Moderatoren (die damals eben noch keine reinen Claimer und Titelansager waren) eben noch Hits "machen ".

Seufz.....

Und übrigens: Kommt eigentlich niemand auf die Idee, dass so mancher Moderator mit seinem penetranten Geclaime ein mindestens genau so großer Abschaltfaktor sein kann wie ein Musiktitel, der nicht meinem Geschmack entspricht?

Zum ursprünglichen Thema: Erstaunlich, dass bei Konzerten von alten Bands wie Jethro Tull oder vergleichbaren Jahrgängen immer ein großer Anteil von sehr jungen Menschen kommt - im Privatfunk werden die aber sicher nicht bedient

<small>[ 13-08-2002, 11:15: Beitrag editiert von berlinreporter ]</small>
 
Wer kann denn mal ein wenig etwas über das Radioprogramm Ende der 70er, Anfang der 80er erzählen? -&gt; Wurden da überhaupt keine "Charts" gespielt? Oder gab es jeden Tag von morgens bis abends ganz spezielle Sendungen mit verschiedenen Musikrichtungen? Richtige Sendungen, wo noch unbekannte Songs so richtig vorgestellt wurden?
 
In den 70ern gab's zum Beispiel den SWF3-Popshop, mit unterschiedlichen Sendungen (Hitparade, Underground, Wunschprogramm, Oldies, neue Sachen u.s.w.), also weit entfernt vom "besten Mix". Da hat unsereiner noch mit dem Tonbandgerät am Radio gesessen und fleißig mitgeschnitten, denn die Titel wurden noch angesagt und in der Regel auch vollständig ausgespielt, bis zur Leerrille <img border="0" title="" alt="[L&auml;cheln]" src="smile.gif" />
 
r@dioworld: In den 70ern gab es eine extrem breite Musikspanne. Die Servicewellen wurden gerade erst etabliert und so liefen dort oftmals noch richtig olle Schlager und nicht etwa "das Beste der 60er und 70er". In den 80ern gingen die Schlager dann meist ins erste Programm und das Dritte zog seine Grenze für Populärmusik effektiv bei Anfang der 60er Jahre. Charts liefen genauso, im Tagesprogramm allerdings in einer sehr geringen Anzahl. Auch unbekannte Titel, heute die extreme Ausnahme, liefen oftmals. Die Rotationstitel, so es sie überhaupt gab, gingen in die Zehntausende. Logisch, denn Musikcomputer gab es in den Achtzigern noch nicht, somit wurde das gesamte Musikprogramm entweder vom Musikredakteur ODER vom Moderator selbst zusammengestellt. Nicht nur im Nachtprogramm gab es Personen wie Alan Bangs vom WDR, die auch extrem vom Massengeschmack abweichende Musikrichtungen spielen konnten. Heute findet man schon Millimeter abseits des Mainstreams gar nichts mehr. Weder bei der ARD noch bei den Privaten, die bis in die frühen Neunziger auch diese Clientel bedienten. Sagt mir zum Beispiel mal, wie oft im SWR-Sendegebiet Jazz läuft.
 
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