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Besinnlich? Danke für die Wünsche. Die Advents- und Weihnachtswochen sind die stressigsten des gesamten Jahres. Schon Totensonntag geht die Installation blinkender LED-Ketten, leuchtender Rentierschlitten, Sternschnuppen, Weihnachts- und Schneemänner auf Terrassen, Balkon, diversen Fenstern und Türrahmen sowie Anbringung von Kunstoffgirlanden, Krippen, Nussknackern und anderen weihnachtliche Stimmung erzeugenden Krimskrams los. Wann muss der wie große Weihnachtsbaum beim Edelnordmanntannenverkäufer für wie teuer (wollen wir echt 100 Euro ausgeben?) gekauft werden? Oder reicht die preiswerte, aber leicht krumm gewachsene Variante vom netten Rumänen vor den Toren der Stadt? Und wo lagern? Die Frage nach Geschenken verschiebt sich zumeist bis eineinhalb Wochen vor dem Fest. Liefert amazon und die DHL pünktlich? Egal, "wir schenken uns nichts" endet bei der Bescherung sowieso mit langen Gesichter derer, denen wirklich nichts geschenkt wurde. Wer besucht wen wann? Zu Heiligabend nur im engsten Kreis, dessen Definition aber jeder anders weit sieht. Steht der erste Feiertag der näheren oder aber der Schwiegerverwandtschaft eher zu als der zweite? Je nach Zugehörigkeit können durchaus Prioritäten kollidieren. Zuvor müssen die Festgemächer aufgeräumt, gereinigt und geputzt werden in dem Bewusstsein, dass binnen zwei Tagen die Reinigung in mindestens fünffachem Maße notwenig sein wird. Die Festgarderobe muss ausgesucht, gegebenenfalls noch gewaschen oder gekauft werden. Der obligatorische Baum wird vom Hausherren illuminiert (nehmen wir jetzt LED-Ketten statt der schönen alten, aber urplötzlich kaputten?) Gut, wer am 23.12. nicht in den Baumarkt eilen muss. Nötigenfalls muss auch gleich ein neuerer, größerer Baumständer mit Seilklemmzugvorrichtung her, weil beim alten die Klemmen nicht mehr aufgehen oder Stamm schlichtweg nicht hereinpasst. Früher war mehr Lametta. Die Entscheidung des Festmahls fällt nicht auf Karpfen, Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat oder auf Krabbenbrötchen, sondern auf Gans. Wer weiß schon, wie viel Vorlauf sie bei wie viel Kilo im Ofen braucht, bis Knödel, Grün- und Rotkohl zeitgleich fertig sind? Erst essen, dann Beschenkung? Oder umgekehrt? Nein, geht auch nicht. Tage vorher: 82 E-Mails "Frohe Weihnachten", 54 Whatsapps, 22 SMSen und drei Briefkarten gleichen Inhalts werden verfasst und zeitgerecht abgesondert (wer im Berufsleben steht, muss zudem pünktlich ungleich mehr dieser Dinger, auf denen steht, dass die Firma diesmal keine Geschenke macht, sondern eine Summe Geld einem guten Zweck zukommen lassen wird, unterzeichnen). Der letzte Geschäftsbrief landet am 23.12. im Briefkasten mit Nachtleerung oder per Digitalpost kurz vor Mitternacht. Just in time sind tatsächlich alle Vorkehrungen von dreieinhalb Wochen Vorbereitung zum Heiligabend auf die Sekunde genau perfekt ausgeführt. Uff. Nun kommt die wahlweise bucklige oder geliebte Ver- oder Bekanntschaft, die entweder in den eigenen vier Wänden bewirtet, beschenkt, entertaint und bei Laune gehalten werden muss - oder aber man selbst bei der wahlweise buckligen oder geliebten Ver- oder Bekanntschaft eingeladen ist, bei der genau die per CD oder Spotify angewählte Musik entweder die falsche Weihnachtsmucke ist - oder nicht mal eine solche. Egal, endlich erster Feiertag. Treffen bei Schwiegereltern, -töchtern oder -söhnen, Freunden oder anderen. Ich bleibe heute bei Wasser. Ich breche mein Versprechen bereits um 17 Uhr dreißig. Zweiter Feiertag: dieselbe Nummer. Gleicher Ablauf. Nur: anderer Ort, fast dieselben Menschen. Dritter Feiertag: nicht möglich. Gegebenfalls Geschenke umtauschen oder aber Einkauf, um den Weinkeller wieder aufzufüllen... Ach ja: ab wann werden die glitzernd rauschenden Raketen zu Silvester verkauft? Die Planung für diesen denkwürdigen Jahreswechselmoment schwankt zwischen der Idee Fondue, Theaterkarten (ausverkauft), Club-Party (zu teuer) oder "wir machen nichts". Viele liebe Menschen um mich herum haben mir "ein paar besinnliche Weihnachtstage" gewünscht. Das fand ich echt lieb. Ich werde versuchen, diese auf Kalenderwoche null-zwo zu verschieben, wenn der Alltag wieder eingekehrt sein wird. Auch übrigens: Flucht in Gefilde mit illuminierten Palmen als Weihnachtsbäume ist auch keine Lösungein besinnliches Weihnachtsfest
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